Ein Wort in Schulangelegenheiten.

(Eingt'st'ndet.)

Nagold hak neben den gesetzlich cinbcfoblene» Volksschulen von jeher seine Lateinschule gehabt. Doch schon vor mehreren Jahren hat sich auch das Bedürfniß nach Gründung einer Neul­ich n l e als berechtigt erwiese». Bei der Verschiedenheit der An­sichten n»d vielleicht auch in Folge des Umstandes, daß zu jener Zeit der ganze Humanismus gegen den Realismus in den Kamps getreten war, suchten die Freunde der Lateinschule diese Anstalt zu heben und zu krustigen, indem man statt einer Real­schule eine Collaboraturklasse errichtete, der man die Einrichtung gab, daß der betreffende Lehrer auch an der Praceptoratsklasse Unterricht in einigen Realfächern ertheilte, während die Collabo- ratnrklasse im Wesentliche» eine VorbeceitungSschule für die Prä- ceptoratSklaffe wurde.

Den gerechten Anforderungen Derjenige», welche eine gründ­lichere und zweckmäßigere Bildung des Handels- und Gewerbe- standeS anstrebken, war bei einer derartigen Einrichtung wenig Rechnung getragen und auch die Lateinschule konnte ihren speciel- lercn Zweck der Vorbereitung zum Studium nicht in dem Grade im Auge behalten, wie dies bei andern ungemischten Lateinschulen der Fall ist, da ein Theii der Zeit aus Realien verwendet werden mußte. Will die Lateinschule ihrer Aufgabe gerecht werde», so kann sie nicht zugleich dem realistischen Bildungsbedürfnisse ge­nügen. Wo beide ausgesprochenen UnterrichlSzwecke durch eine einzige Anstalt erreicht werden sollen, entstehen Halbheiten, die bekanntlich in keiner Beziehung taugen. Dieser Uebelstand liegt nicht im Verschulden der Lehrer; er liegt in der unzweckmäßigen Organisation.

Die Collaboratur aber, welche ihre Schüler nur bis zum 10. oder 11. Lebensjahre behält, ist vermöge dieser Bestimmung ganz und gar nicht dazu angethan, eine Realschule zu ersetzen, da der Unterricht in den wesentlichsten Realfächern erst in den letzten Schuljahren, also in einer oberen Klasse mit Erfolg ge­lehrt werden können; überdies ist es bei dem notorischen Mangel an geprüften Neallehramtskandidalen nicht immer möglich, die I Cvllaboraturklasse durch einen solchen zu besetze».

Der Handels- »nd Gewerbestand, welcher in seinem beruf­lichen Leben j» so manchfache Beziehungen zu seine» Standes- gcnossen tritt, fnblt täglich das Bedürfniß einer gründlicheren und umfassenderen Vorbildung; er fühlt täglich, daß tüchtige Kenntnisse dazu gehören, um bei der cingetretencn Gewerbe- und Handelsfreiheit die eröffnete Concurreuz mit Erfolg bestehen zu können; er fühlt nachdrücklich, daß derjenige zurückbleibt, der ^ nicht mit der Zeit und ihren Anforderungen an die Menschheit fortschreiiet.

Nagold hat Dank seiner beharrliche» Agitation nunmehr die Gewißheit an die den Weltverkehr vermittelnde Eisenbahnlinie liegen zu koinnicn; allein eine Eisenbahn bringt nicht nur Vvr- ,belle, sie nimmt und verändert auch manche vielleicht bequeme und vortheilhafte Verkehrsbeziehungcn; doch Nagold braucht solche Nachtheile nicht zu befürchte», da es bei umsichtigem Streben immerhin dazu gelangen kann, der Centralpnnkr für die Ver- kebrsbeziehungen mit dem Gäu und dem mittleren Schwarzwalde zu werden. Nagold hat vermöge seiner Lage und der Streb­samkeit seiner Bevölkerung in gewerblicher Hinsicht einen nicht ge­ahnten Aufschwung zu nehmen, wenn es die Vortheilc einer be­quemen Verkehrsvermitllnng zu benützen versteht.

ES kann somit nicht Verwunderung erregen, wenn im jetzigen Zeitpunkte das Verlangen nach Gründung einer Realschule mit stärkerer Betonung anftrilk. Die Oberainlsstadt Nagold wird in dieser nicht rühmlichen Ausnahme bald vereinzelt stehen und sie ist in dieser Hinsicht bereits von viele» kleineren Städten und Marktflecken überflügelt. Es wäre n»n unverantwortlich, wenn man dem neuerdings laut gewordenen Wunsche nach Errichtung einer Realschule kein Gehör schenken wollte; doch ist an dem guten Willen der städtischen Behörden kaum mehr zu zweifeln, wenn die intellig,e>iteren Bürger die Realschulangelegenheit mit Eifer und Uederzengung in die Hände nehmen. Manche seitherige Geg- pep der Realschule haben ihr^, Erfahrungen gemacht und wenn auch nacb Bezahlung eines theuern Lehrgeldes den Nutzen und die Nothweudigkeit derselben cinsehen gelernt. Wie könnte lyan auch in einem einseitigen Vorurtheile gegen eine dem Han­

dels- und Gewerbcstandc so zweckdienlichen Anstalt länger behar­ren, wenn man die Wahrnehmung macht, daß die hohe Staats- regiernng und die Stänbekammer selbst durch die bereitwilligste Unterstützung solcher Anstalten ihre Nothweudigkeit und Zweck- Mäßigkeit anerkenne».

Am guten Willen und an besserer Einsicht sollte cS demnach in Nagold auch nicht mehr mangeln; doch die Wege, auf welchen man zum Ziele gelangen will, sind verschiede». Der eine Theil will die Eollaboratnrklasse in eine Realschule nmwandeln, wäh­rend der andere Theil neben den bestehenden Anstalten eine selbst­ständige Realschule gegründet wissen will.

Obwohl es viele alte Real- und Lateinschulen ohne eine Collaboraturklasse gibt, so ist es immerhin rätblich und löblich, die vorhandenen Anstalten zu erhalten, da man deren nicht genug haben kann und es ein günstiges Zeugniß für den Bildungsgrad einer Gemeinde selbst abgibt, wenn sie die BildnngSgelegenheiten vermehrt, stall vermindert. Ueberdies kann die Collaboratur bei einer zweckmäßigeren Organisation, die der Gemeinde stets frei steht, in Wahrheit eine Vorschule für die Realschule werden und somit die realistischen Bildungszweckc fördern helfen.

Können sich die entgegengesetzte» Ansichten durch gegenseitige Nachgiebigkeit ausgleicben, so wird das von allen «»gestrebte Ziel sicher erreicht werden und der Staat wird es an einem ansehn­liche» Beitrags um so weniger fehlen lassen, da Nagold in neuerer Zeit für Bildungsanstalten einen entschieden guten Willen gezeigt hat. Darum noch einmal:

Werdet einig!"

T u g e s - A e u i g !r e i t e n.

Stuttgart. (Kam- d. Abgcord. 184. Sitzung.) In der heutigen Sitzung dauene die Debatte über die Frage, ob die Israeliten zu den Ver­handlungen der Stistungsräthe zugclaffen werden sollen, oder nicht, noch länger als zwei Stunden fort, während welcher Zeit sich außer Hopf »nd Hölder fämmtlichc Redner dagegen aussprachcn. Schließlich wurde auch l der Antrag der Commission, über diese Frage zur Tagesordnung überzu­gehen, mit 46 gegen 28 Stimmen angenommen. Ebenso wurde der wei­tere Antrag der Commission, die Negierung um Durchführung der recht­lichen Organisation der Kirchengcmcinde zu bitten, mit 45 gegen 29 Stim­men angenommen, lieber die weitere Bitte von Ulmer Juden, das staat­liche Verbot der Eheschließung zwischen Christen und Juden aufzuhcben, wird nach dem Anträge der Commission nach kurzer Debatte zur Tages­ordnung übergcgangen, dagegen beschloß die Kammer bezüglich der Bitte der Ulmer Juden, auch den Jsraclilen die Eingehung der Civilehe unter den gleichen Bedingungen zu gestatten, wie den christliche» Staatsange­hörigen, sie der Regierung mit der Bitte um Ausdehnung des Gesetzes vom 1. Mai 1855 auch auf die Israeliten zur Berücksichtigung zu empfeh­len. Nunmehr berichtet Fetzer Namens der Jnstizgcsetzgebungskommission über die Gesuche des Siiftungsraths in Lorch und der Stistungsräthe meh­rerer vormals Maulbronuer'scher Klostcrortc um Verwendung in ihrer Streitsache gegen die K. Staatsfinanzvcrwaltung wegen verweigerter Fort- cntrichtung der Beiträge für Armenuntcrstützung. Die Commission bean­tragt in erster Linie, über diese Verwenrungsgcsuche zur Tagesordnung überzugchen; die Kammer stimmt nach längerer Debatte, in welcher die Mißstände unserer Verwaltungsjustiz namentlich vom Abg. Tafel uner­bittlich aufgedeckt werden, bei. Ebenso tritt sie einstimmig (mit 71 Stim­men) dem weiteren Anträge der Commission bei, an die Regierung die Bitte zu richten, die Verhältnisse der sogenannten gestifteten Almosen, kraft welcher einzelne Gemeinden jährliche Beiträge aus der Staatskasse zur Unterstützung ihrer Armen zu beziehen hatten, einer näheren Prüfung zu unterwerfen und nach Maßgabe der Ergebnisse einer solchen Untersuchung die entsprechende Verfügung mit billiger Rücksichtnahme auf die betreffen­den Verhältnisse zu treffen. Endlich wurde mit 70 Stimmen gegen die eine des Grafen v. Bissingen auch der von Tafel, Hölder und Probst ein- gebrachte Antrag angenommen, dahin gehend, die Regierung zu ersuchen, sie möchte Einleitung treffen, daß alle Streitigkeiten in Betreff öffentlichen Rechtes künftig nur an Behörden mit richterlicher Unabhängigkeit, bezie­hungsweise an die ordentlichen Gerichte überwiesen werden. (18.1. Sitzung.) Die Bitte der homöopathischen Aerzte, ihnen die Bereitung und Abgabe homöopathischer Arzneien selbst zu überlassen, wird auf den Antrag der Commission ohne Debatte der Regierung zu thunlichstcr Be­rücksichtigung überwiesen, worauf die Kammer sich in eine Art kirchlicher Synode verwandelt und Gegenstände des Cultus behandelt, und zwar vom staatsrechtlichen Standpunkte-aus, der jedoch hiebei sters einen kanonischen Anstrich hatte. Zuerst handelte es sich um etwa 180 Petitionen von An­gehörigen der evangelischen Kirche aus allen Theilen des Landes. Pietisten, Methodisten und Muckern aller Art, die freie Pürsche wollen, wegen Be­einträchtigung der Gewissensfreiheit Einzelner, sowie ihres Versammlungs­rechts durch äußere Zwangsmittel: Die Commission beantragt einstimmig, die Kammer wolle die Regierung bitten, die geeigneten Einleitungen zu gesetzlicher Feststellung des Rechts der religiösen Dissidenten auf freie Re­ligionsübung, sowie zu gesetzlicher Regelung der Rechtsverhältnisse ihrer religiösen Vereine zu treffen, und HSlver stellt den noch weiter gehenden