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Mittwoch, 17. Dezember 1947

Das Schulprogramm des Kontrollrats

+ Die Schulreform wird in den deutschen Landtagen immer wieder lebhaft debattiert. So verschieden wie die Verfassungen, so ver­schieden sind auch die Auffassungen über die Schulreform. Nun hat mit zehn Rat­schlägen unter der UeberschriftDie Demo­kratisierung der Erziehung in Deutschland der alliierte Kontrollrat ein«? gemeinsame Basis geschaffen. Jedem Deutschen müßten die gleichen Bildungsmöglichkeiten offenste­hen, heißt es weiter. An Anstalten, die aus öffentlichen Mitteln unterhalten und in der Hauptsache von schulpflichtigen Schülern be­sucht werden, sollten möglichst der Schul­besuch, die Schulbücher und die notwendigen Lernmittel kostenlos sein. An allen übrigen Unterrichtsanstalten, einschließlich der Uni­versitäten, sollten für Bedürftige nicht nur der Unterricht, sondern auch die Bücher und Lernmittel frei sein, darüber hinaus noch sollten die Schüler möglichst Unterhalts­zuschüsse erhalten. Der Kontrollrat befaßt sich auch mit der Dauer der Schulpflicht und präzisiert Seinen Standpunkt zu dem Verhältnis der einzelnen Schularten zueinan­der. Dann heißt es:^.lle Schulen müssen das staatsbürgerliche Denken pflegen und :u demokratischer Lebenshaltung erziehen, und'zwar sowohl durch die Aufstellung der Lehrpläne, die Auswahl der Lehrkräfte, der Schulbücher und des Unterrichtsmaterials, als auch bei der Organisation der Schule sel­ber." Die Lehrpläne sollen darauf angelegt ein, Achtung und Verständnis für andere Tationen zu erwecken. Um das zu errei­chen, scheint dem Kontrollrat die Pflege des Studiums der lebenden Fremdsprachen beson­ders wichtig, doch sei keine bestimmte Fremdsprache zu bevorzugen. Die Grund­sätze erstrecken sich auf die Wichtigkeit der Schule und der Berufsberatung für die Stu­denten, auf die Gesundheitsfürsorge, die alle Schüler und Studenten erfassen soll, auf die Gesundheitspflege, der auch im Unterricht ein möglichst weiter Raum gegeben werden wird, und auf die Ausbildung der Lehrer, für die der Besuch einer Universität oder einer pädagogischen Anstalt gleichen Niveaus vorgeschlagen wird. Schließlich heißt es, daß Maßnahmen getroffen werden sollten, um die Bevölkerung zu veranlassen, an der Organi­sation und an der Verwaltung des Schul­wesens aktiv teilzunehmen.

Damit ist der Arbeit der Länderschulver­waltungen eine gemeinsame Basis gegeben, aber es wird sich noch zeigen müssen, wel­chen Bau man auf ihr errichtet. Manche Vorschläge, besonders aus der Ostzone, haben das Problem noch schwieriger gemacht, als es an und für sich ist. Wenn wir etwa aus

Ruhrkoks für Frankreich

Berlin. Die amerikanische Militär­regierung hat ein Memorandum über den Bedarf der französischen Eisenhütten-Indu- strie an Ruhrkoks veröffentlicht, das ihr die Wirtschaftsabteilung der französischen Mi­litärregierung in Deutschland überreicht hat. In dem Memorandum wird festgestellt, daß die französischen Eisenhütten mit 60 Prozent ihrer Kapazität arbeiten und daß ihre Pro­duktion von sechs auf mehr als zwölf Mil­lionen Tonnen Stahl jährlich gesteigert wer­den könnte, wenn die Kokslieferungen er­höht würden. Diese Erhöhung würde Frank­reich erlauben, aktiv an dem Wiederaufbau Europas im Rahmen des Mars hall-PIanes mitzuwirken. Ferner wird betont, daß weder ein Arbeiterproblem noch das einer Wieder­ausrüstung der Eisenhütten-Industrien in Frankreich bestünde, während die Aus­nutzung des Ruhrkokses in Deutschland auf Schwierigkeiten in der Arbeiterfrage, im Transport und in der Versorgung mit Eisen­erzen stieße. Das Memorandum schließt mit dem Hinweis, daß die Produktionskosten von Stahl in Frankreich unter denen in Deutsch­land liegen und daiß dieser Vorteil für den Wiederaufbau Europas verlangt, daß der Preis der Ruhrkohle nicht erhöht werde.

Berlin erfahren, daß das vom Berliner Stadt- parlament verabschiedete Gesetz der Schul­reform, das praktisch die Einheitsschule und das Ende des humanistischen Gymnasiums brächte, durch die alliierten Kommandanten kaum bestätigt werden wird, so ist das nichts als ein Beweis für das Mißtrauen, mit dem man allzu umwälzenden Reformen gegenüber­steht. Eine Reform, darüber scheinen sich die Regierungen einig,, ist notwendig. Sie sollte aber möglichst das in Deutschland be­währte Schulsystem mit modernen Auffas­sungen in Einklang bringen. Dafür gibt es Möglichkeiten in den zehn Punkten des Kon­trollrates.

Seitsalp berührt, daß die Parlamente der Länder scheinbar ohne Zusammenhang un­

tereinander debattieren. Das beweist nicht nur der weite Bogen verschiedenartiger Auf­fassungen, das beweist auch, daß sich inzwi­schen das Land Württemberg-Baden für eine Grundschule entschieden hat. Nordwürttem­berg Ist für uns nicht aus der Welt. Auch in unserem Land gewinnt die Schulreform im Entwurf immer festere Umrisse und es ist wohl kein Zweifel, daß das Kultusministe­rium in Tübingen dabei nicht an den Erfah­rungen Vorbeigehen wird, die in andern Län­dern mit Schulexperimenten gemacht worden sind. Besteht doch auch durchaus die Mög­lichkeit, daß sich der Landtag von Württem- berg-Hohenzollem nicht mit den Stuttgarter Auffassungen identifiziert Ob im Norden oder Süden, man wird in der alten deutschen Schulform das Bewährte erhalten, die fort­schrittlichen Pläne prüfen und sie auch ver­wirklichen müssen, soweit es ratsam sein sollte. \

NACHRICHTEN AUS ALLER WELT

General SchmiUlein Ehrendoktor Bel der Amtsübernahme des neuen Rektors der Malner Uni­versität, Professor Augustin Reatz, wurde mitgeteilt, daß dem Directeur der Education et Culture, Raymond Schmitt­lein, das Ehrendoktorat der phi­losophischen Fakultät verliehen worden ist. General Schmittlein ist ein bekannter Germanist.

Das Saarburger Memorandum Die CDU, die demokratische Partei, die SPD und die kom­munistische Partei des Bezirks Trier veröffentlichen zu der Meldung von einem Memoran­dum der Bevölkerung de s Kr ei- ses Saarburg an die franzö­sische Militärregierung des Saarlandes und an die Außen­ministerkonferenz eine Erklä­rung in derTrlerischen Volks­zeitung". Sie hätten von der Bevölkerung des Kreises nichts Näheres erfahren können ' und beriefen sich auf den eindeu­tigen Erlaß dos Generals Koenig und die dadurch gegebene staatsrechtliche Situation.

KeinMonsieur Oui Onl

Am 19. Dezember beginnt vor dem Landgericht Koblenz ein Beleidigungsprozeß des Mini­sterpräsidenten von Rheinland- Pfalz, Altmeler, gegen die Re­dakteure Lacour, Weber und Richardt derRhein-Zeitung. In einer Polemik über die Kar­toffelversorgung hatte das Blatt geschrieben, daß ihm die deutsch- französische Verständigung ein echteres Herzensanliegen sei, als manchem, der sich in heuch- lerslchen Verneigungen vor der Besatzungsmacht das Rückgrat verbiege.Wir wissen, wie sehr gerade der Franzose eine der­artige Gymnastik verachtet. In der Redaktion derRhein-Zei­tung" gibt es keinen Monsieur Oui Oui.

Oskar von Hindenburg antwortet Der Rechtsbeistand Oskar von Hindenburgs, Dr. von Langs- dorff, hat mitgeteilt, daß nach dem Tode des Reichspräsiden­ten von Hindenburg nur das Testament und nicht der ledig­lich für Hitler bestimmte Brief veröffentlicht werden sollte, in dem der Reichspräsident Hit­ler bat, zu einem geeigneten späteren Zeitpunkt, der! er selbst noch nicht als gekommen ange­sehen habe, die Wiederherstel­lung der Monarchie in Betracht zu ziehen. Hindenburg habe sich bis in seine letzte Lebenszeit voller geistiger Klarheit er­freut. Oskar von Hindenburg habe in der einzigen Aussprache mit Hitler, die er gesucht habe, den Wunsch ausgesprochen, die Befreiung Neudecks von allen Steuern sollte nach dem Tode seines Vaters wegfallen, doch habe Hitler auf der Steuerbe­freiung beharrt.

Um die Paulus-Legende ImNeuen Deutschland" be­zeichnet der ehemalige Präsi­dent des Nationalkomitees Freies Deutschland, Erich Welnert, das sogenannte Paulus- Komitee als eine Legende. Der Beitritt von Paulus sei die ehr­liche Konsequenz einer, wenn auch späten, Einsicht gewesen.

Die deutschen Generale hätten im Nationalkomltte keine . mili­tärische Rolle gespielt. Dessen Mitglieder hätten verschiedenen politischen und weltanschau­lichen Richtungen angehört, und das einzig Verbindende und Ver­pflichtende sei der Wille gewe­sen, Deutschland vor der Kata­strophe zu retten.

Goebbels Tagebuch Das Tagebuch Dr. Goebbels soll im Frühjahr gleichzeitig in New York und London ver­öffentlicht werden. Nach dem Evening News" ist es im Hof des ehemaligen Propaganda­ministeriums gefunden worden. Die Sowjettruppen hatten es mit anderen Papieren als wertlos angesehen und weggeworfen.

Gift im Feuerzeug Der ehemalige Reichsjugend­führer Artur Axmann sagte ln Nürnberg aus, bereits viele Mo­nate vor dem Zusammenbruch seien von SS-Aerzten Giftkap­seln an führende Nationalsozia­listen ausgegeben worden. Er habe das Gift in einem Taschen­feuerzeug bekommen, mit dem er im März 1945 einmal Ma^da Goebels Feuer für ihre Ziga­rette gegeben habe. Auf ihren Wunsch habe er Ihr das Feuer­zeug in Gegenwart ihres Man­nes geschenkt. Mit diesem Gift hätte die Familie Goebbels dann Selbstmord begangen. Noch am Spätnachmittag des SC. April habe er die Goebbelsschen Kin­der im Führerbunker spielen sehen.

Hitlers Bunker gesprengt Der Führerbunker in der Reichs­kanzlei wurde von einem so­wjetischen Kommando mit 88 Zentner Explosivstoff gesprengt. Der Beobachtungsturm und die Eingangsstollen stürzten ein, die Decke des Bunkere hat sich ge­senkt.

Augenzeuge von Bormanns Tod Einem Anwalt des Spruch­gerichts Bielefeld sagte der ehe­malige SS-Oberscharführer Otto Behrens, er habe gesehen, wie Martin Bormann auf einem Tigerpanzer getötet worden sei, als dieser zwei Volltreffer er­hielt.

Eine neue Jugendkonferenz Die ZeitschriftEcho der Woche plant für den 12. bis 19. Juni 194* die zweite Inter­nationale Jugendkonferenz ln München.

Nach acht Jahren Der Leiter des pathologischen Laboratoriums der Bayer-Werke in Wuppertal, Professor Ger­hard Domagk, hat jetzt den Nobel-Preis für Medizin und Physiologie in Empfang genom­men, der ihm 1919 für die Ent­deckung der Hell Wirkung von Sulfonamiden verliehen worden War.

D&nnstadts Luftkriegsopfer In Darmstadt wurden durch Luftangriffe »774 Personen ge­tötet oder werden seither ver­mißt, das sind 8,5 Prozent der Gesamtbevölkerung.

*800 Care-Pakete für Berlin Als Weihnachtszuwendung des amerikanischen Volkes werden

an die Bevölkerung Berlins 6000 Care-Pakete verteilt. 4250 Le­bensmittelpakete sind für Dop­pelamputierte, Himverletzte, Kinder und Altersheime be­stimmt.

Weihnachten Im Familienkreise Die 190 000 deutschen Kriegs­gefangenen in England können zu Weihnachten, wenn sie von einheimischen Familien eingela­den werden, zwei Tage und zwei Nächte außerhalb des Lagers verbringen. Außerdem wird die Rückführung der Gefangenen beschleunigt.

Männer ln sowjetischer Uniform Der Beamte des österreichi­schen Transportministerlums, Paul Kätscher, wurde wenige Stunden vor seiner Abreise nach Genf, wo er auf dem Inter­nationalen Transportkongreß, über den Verbleib des Auto­parks der Bundesbahnen. be­richten sollte, von drei Män­nern in sowjetischer Uniform entführt. Kätscher hatte auf Konferenzen in Prag und Bupa- pest die Rückgabe der abtrans­portierten Lastwagen verlangt.

Verhaftungen in Warschau In Warschau wurden die Gräfin Abakanowicz, die bei der bel­gischen Gesandtschaft angestellt ist, und ihre Kusine, die Gräfin Czanewska, die Dolmetscherin- der schwedischen Gesandtschaft, verhaftet. Der Grund ist unbe­kannt. Der Sekretär der ame­rikanischen Botschaft, William Blake, der Mlkolajczyk zur Flucht verholfen haberr soll, hat sich auf einen langen Ur­laub nach Frankreich begeben.

Inopportune Helratspläne Ministerpräsident Groza soll dem Hofmarschall Negel gesagt haben, die Regierung halte die Heirat König Michaels mit der Prinzessin Anna von Bourbon 1 Parma im Augenblick für ln-, opportun und bitte den König, sie aufzuschieben.

Rnbelreform und Lebensmittel In der Sowjetunion gilt vom 16. Dezember an ein neuer Ru­bel. Die bisherigen Rubel wer­det bis zum 29. Dezember im Verhältnis 1:10 umgetauscht. Radio Moskau begründet die Währungsreform mit dem Um­lauf von Noten, die von den Deutschen während der Be­setzung ausgegeben wurden. Die Löhne der Arbeiter. Angestell­ten und Kolchosenbauern wer­den von der Reform nicht be­rührt. Die Guthaben von Koope­rativen und -Kolchosen werden auf der Basis 5:4 eingetauscht. Gleichzeitig wird für gewisse Lebensmittel die Rationierung aufgehoben. Die Lebensmittel­karten werden abgeschafft. Sie galten seit dem ersten Weltkrieg.

Zugszusammenstoß bei Rlom In Pontmort bei Rlom stießen ein Postzug und ein Triebwagen zusammen. Sieben Personen wurden getötet und zwanzig ver­letzt, Die Ursache war falsche Weichenstellung.

Absturz eines Flugzeugs Drei Kilometer südlich des Flug­platzes von Memphis in Tennes­see stürzte ein amerikanisches Militärflugzeug ab. Zwanzig Offiziere und Soldaten kamen ums Leben.

Im Angesicht des Todes

Der -Jesuitenpater Delp, ein Opfer der 20 . Juli, sagte vor der Hinrichtung tu dem Gefängnis- Pfarrer von Plötzensee:ln ein paar Minuten weiß ich mehr als Siet Denselben Geist einer bewundernswerten Seelengröße und Gläubigkeit at­men seine Aufzeichnungen aus dem Gefängnis. Aus Iknen, die zusammen mit Schriften aus Vorträ­gen des Paters als Buch im Verlag Knecht (Carolus­druckereif in Frankfurt herausgekommen sind, wählen wir folgendes Stück aus:

Eigentlich hatten wir damit gerechnet, gleich am Donnerstagabend nach Plötzensee gefahren zu werden. Wir sind anscheinend die ersten, bei denen wieder Fristen einge­halten werden. Oder ob es die Gnaden­gesuche schon waren?-fth glaube nicht: Frank kam gestern auch zurück, obwohl für ihn noch kein Gesuch lief. Daß Frank auch ver­urteilt würde, hätte niemand gedacht. Aber dort ist alles Subjektivität, nicht einmal amtliche, sondern ganz personelle Subjektivi­tät. Der Mann (Freister) ist gescheit, nervös, eitel und anmaßend. Er spielt Theater .und der Gegenspieler muß unterlegen sein.

Ich kam mir bei der ganzen Sache eigent­lich recht unbeteiligt vor. Es war wie eine schlechte Pullacher Disputation, nur daß der Defendens dauernd wechselte und der Dauer- objicient auch zugleich entschied, wer Volks­hat. Die Mitrichter, dasVolk am Volks­gericht waren gewöhnliche dienstbeflissene Durchschnittsgelichter, die sich in ihrem blauen Anzug sehr feierlich vorkamen und sehr wichtig neben der roten Robe des Herrn Vorsitzenden. Gute, biedere SA-Männer, die die Funktion des Volkes, ja zu sagen, aus­üben.

's ist alles da, es fehlt nichts: feierlicher I Einzug, großes Aufgebot der Polizei, jeder I hat zwei Mann neben sich; hinter uns das |

Publikum; meist Gestapo usw. Die Ge­sichter der Schupos gutmütig-gewohnt-ge- wöhnlich. Das Publikum hat durchschnittlich den Typ deseinen Deutschland. Dasan­dere Deutschland ist nicht vertreten oder wird zum Tode verurteilt. Eigentlich fehlte noch eine Ouvertüre zu Beginn und ein Fi-, nale zu Ende oder mindestens Fanfaren. .

Die Beschimpfungen von Kirche, Orden, kirchengeschichtlichen Ueberlieferungen usw. waren schlimm. Ich mußte eigentlich an mich halten, um nicht loszuplatzen. Aber dann wäre die Atmosphäre für alte verdorben ge­wesen. Diese herrliche Gelegenheit für den großen Schauspieler, den Gegenspieler für einen gescheiten, überragenden, verschlagenen Menschen zu erklären und sich dann so un­endlich überlegen zu zeigen. Es war alles fertig, als er anfing. Ich rate alten meinen Mitbrüdern dringend ab, sich dahin zu be­geben. Man ist dort kein Mensch, sondern Objekt. Und dabei alles unter einem in­flationistischen Verschleiß juristischer For­men und Phrasen. Kurz zuvor las ich Plato: Das ist das höchste Unrecht, das sich in der Form des Rechtes vollzieht.

Am Donnerstagabend war also Schluß­sitzung. Wieder alles im gleichen Stil. Wie Preisverteilung in einer kleinen Schule, die nicht einmal den richtigen Raum dafür hat. Und anschließend dachten Moltke und ich, wir führen nach Plötzensee. Wir sind aber immer noch ln Tegel.

Auch bei der Verurteilung war ich innerlich so unbeteiligt wie an den ganzen zwei Ta­gen. Ich habe die zwei Tage das Sanctissimum bei mir gehabt und vor der Fahrt zum Urteil zelebriert und als letzte Speise die Speise ge­nossen. So wollte ich bereit sein, aber ich bin Immer noch am Warten. Ja, und ganz I

ehrlich gesagt, ich glaube noch nicht an den Galgen. Ich weiß nicht, was das ist. Vielleicht eine große Gnade und Hilfe des väterlichen Gottes, der mich so die Wüste bestehen läßt, ohne in ihr verdursten zu müssen. Während der ganzen Verhandlung, auch als ich merkte, dasWunder bleibt aus, war ich weit oben drüber und unberührbar durch Bille die Vor­gänge und Aussichten. Ist das das Wunder oder was ist das? Ich bin Gott gegenüber wirklich in einiger Verlegenheit und muß mir darüber klar werden.

Diese ganzen bitteren Monate der Reife und des Unglücks stehen unter einem ganz eigenartigen Gesetz. Von der ersten Minute an war ich innerlich sicher, es würde alles gut gehen. Gott hat mich in dieser Sicher­heit immer wieder bestärkt. Und dies ist das zweite Gesetz, unter dem diese Wochen stehen: es ging alles schief, was ich unter­nahm, um mir zu helfen. Ja, nicht nur schief, es war eigentlich immer zum Unheil. So auch jetzt bei der Verhandlung. Der Anwalts­wechsel, der zunächst so gut schien, war nicht gut. Als der Mann den Anti-Jesuiten-Komplex spürte, sagte er mir noch während der Ver­handlung: gegen den Jesuitismus sei er aller­dings auch. Daß man dem Freister das Büch­lein (Der Mensch und die Geschichte) ge­schickt hat, hat nur bewirkt, daß er mich für gescheit hielt und für um so gefährlicher.

Ich bitte auch die Freunde, nicht zu trauern, sondern für mich zu beten und mir zu helfen, so lange ich der Hilfe bedarf. Und sich nach­her darauf zu verlassen, daß ich geopfert wurde, nicht erschlagen. Ich hatte nicht daran gedacht, daß dies mein Weg sein könnte. Alle meine Segel wollten steif vor dem Wind stehen; mein Schiff wollte auf eine große Ausfahrt, die Fahnen und Wimpel sollten

J)ie GloM*e

Wider Pontius Pilatus

»k. In der letzten Sitzung des Landtags ist ein Gesetz verabschiedet worden, das auch den Abgeordneten keine Freude gemacht hat, welche dafür gestimmi haben. Es handelte sich um die Möglichkeit, Beamte und An­gestellte des Staates sowie alle Personen, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für die Spruchkammerarbeit dienstzuverpflichten. Kein Zweifel, daß der Gebrauch dieser ge­setzlichen Möglichkeit den Einzelnen in die Situation des Pontius Pilatus bringen kann; richten zu müssen, wo er nicht richten will, ja wo es vielleicht seiner Meinung nach gar nichts zu richten gibt. Eine solche Einstellung aber gerade der durch Beruf und Vorbildung Geeigneten war es, die das Gesetz nötig machte. Die beiden höchstgestellten Juristen des Landes, der Justizminister und der ihm im Range zunächst folgende Ministerialdirek­tor, beide außerdem die Vorsitzenden der zwei stärksten Parteien Württemberg-Hohen- zollems, haben sich zu Sprechern der Be­denken gegen die Dienstverpflichtung wie für ihre Unvermeidlichkeit gemacht. Sie ist un­angenehm .für alle Beteiligtere für die Ver­pflichteten, die Verpflichtenden und natürlich auch für diejenigen, die gerichtet werden sollen. Es gehört anscheinend mit zu der Tragik aller freiheitlichen Aufschwünge in Deutschland, daß sie des Zwanges bedürfen, des Zwanges diesmal nicht etwa gegen irgend­welche Reaktionär^, sondern gegen die Lauen, gegen die Bequemen, die Vorsichtigen. Auf einer Landrätetsigung hat der jetzige Innen­minister mit Nachdruck verlangt, die Vor­sitzenden der Entnazifizierungsausschüsse müßten die Befähigung zum Richteramt haben. Derselbe Doktor Renner hat nun am entschiedensten dem Gesetz widersprochen, das Edlein den von ihm erstrebten Zustand zu sichern vermag. Diese nur scheinbare In­konsequenz kennzeichnet die Schwierigkeit des Problems, mit dem es unsere Abgeord­neten zu tun hatten, nicht minder als das Verhaßten Professor Schmids, der, obwohl Parteivorsitzender der SPD, seiner Ueber- zeugung den Vorrang vor der Parteidisziplin gab, für die doch gerade die Sozialdemokraten bekannt sind. So schwer die persönliche Ent­scheidung zwischen dem Ideal größtmöglicher Freiheit und der staatspolitischen Notwendig­keit, das Werk der Säuberung nicht scheitern zu lassen, den Volksvertretern geworden sein mag, Debatte und Abstimmung über das Gesetz haben sicherlich beigetragen, die Sach­lichkeit und das Verantwortungsbewußtsein des Landtags ins rechte Licht zu rücken. Das­selbe Verantwortungsbewußtsein wird aller­dings auch von dem Staatsbürger verlangt, den die Dienstverpflichtung trifft. Auch er darf sich nicht mit der Geste des Pontius Pilatus begnügen, der Unrecht geschehen läßt und seine Hände in Unschuld wäscht.

AM RANDE

Der Hamburger Bürgermeister Dr. Brauer kündigte an» daß er an keiner offiziellen Sitzung oder Konferenz mehr teilnehmen werde. In zwei Monaten habe man in der britischen Zone 192 Konferenz* abgebalten und kein« konstruktive Arbeit geleistet.

Der Münchner Mechanikermeister Max Hobel hat beantragt, eine »»Partei zur Kraftstelgerung grün­den zu dürfen.

Präsident Truman hat ein Hilfswerk für die notleidenden Navajo-Indianer angekündigt, die ln diesem Winter von Hünger und Frost bedroht seien. Der tägliche Kaloriensatz Ihrer Ernährung betrage nur 120».

Wetterbericht

Das immer noch über Großbritannien gelegene Hoch führt auf seiner Ostseite mit nördlichen bis nordöstlichen Winden kalte und ziemlich trockene Luft in unser Gebiet. Aussicht bis Wochenmittei In den Niederungen morgen* neblig trübe, sonst meist heiter und trocken. Tagsüber Temperaturen einige Grabe über Null. Nachts leichter bis mäßiger Frost.

^riiruatuliriir^riiiing

Mitglieder der Redaktion: Dr. Konrad Fakler. Albert Komma, Dr. Alphoos Nobel. Johannes Schrnid. Verlag: Sdivribisdier Verlag, KG., Friedrichshaien, in Leutkirch. Druck: Rottweiler Verlags- und Druckerei- genossensthaft, Rottweü.

stolz und. hoch in sdten Stürmen gehißt blei­ben. Aber vielleicht wären es die falschen Fahnen geworden oder die falsche Richtung oder für das Schiff die falsche Fracht und unechte Beute. Ich weiß es nicht. Ich will mich auch nicht trösten mit einer billigen Herabminderung des Irdischen und des Le­bens. Ehrlich und gerade; ich würde gerne noch weiterleben und gern und jetzt erst recht weiterschaffen und viele neue Worte und Werte verkünden, die ich jetzt erst ent­deckt habe. Es ist anders gekommen. Gott halte mich in der Kraft, ihm und seiner Fügung und Zulassung gewachsen zu sein.

So lebt denn wohl. Mein Verbrechen ist, daß ich an Deutschland glaubte auch über eine mögliche Not- und Nachtstunde hinaus. Daß ich an jene simple und anmaßende Drei- Einigkeit des -Stolzes und der Gewalt nicht glaubte. Und daß ich dies tat als katholischer Christ und als Jesuit. Das sind die Werte, für die ich hier stehe am äußersten Rande und auf den warten muß, der mich hin- unterstößt: Deutschland über das Heute hin­aus als immer neu sich gestaltende Wirklich­keit. Christentum und Kirche als die ge­heime Sehnsucht und die stärkende und heilende Kradt dieses Landes und Volkes der Orden als die Heimat geprägter Männer, die man haßt, weil man sie nicht versteht und kennt in ihrer freien Gebundenheit oder weil man sie fürchtet als Vorwurf und Frage in der -eigenen anmaßenden, pathetischen Un­freiheit.

Ich aber will ehrlich warten auf des Herr­gotts Fügung und Führung. Ich werde auf ihn vertrauen, bis ich abgeholt werde. Und ich werde mich mühen, daß mich auch diese Lösung und Losung nicht klein und verzag* findet.