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Samstag, 6. Dezember 1947
Sie mordeten auch deutsche Kinder
Freiburg. — Nach einer Mitteilung der badischen Staatskanzlei, die durch Südena verbreitet wird, haben Untersuchungen des Stadtarchivs Freiburg den Verdacht bestätigt, daß der Luftangriff vom 10. Mai 1940, dem 57 Personen, darunter 20 Kinder, zum Opfer fielen, von deutschen Flugzeugen geführt wurde. Isa Vermehren hatte in ihrem Buche „Reise durch’ den letzten Akt“ ein Gespräch mit dem früheren Generalstabschef, Generaloberst Haider, erwähnt, in dem sie „eine schwerwiegende Information, die Bestätigung eines alten Verdachts“ erhielt: „Jene ersten berüchtigten und furchtbaren sogenanntere Terrorbomben im Frühjahr 1940, durch die in Freiburg elf Kinder ums Leben kamen, sind auf deutschen Befehl von deutschen Flugzeugen geworfen worden.“ Die Erhebungen des Stadtarchivs haben bestätigt, daß dieses Gespräch mit Haider stattgefunden hat und daß sein Inhalt sinngemäß richtig wiedergegeben ist. Die Widerstandsgruppe innerhalb des Oberkommandos wollte einen deutschen Angriff im Westen verhindern, während Hitler ihn mit allen Mitteln beschleunigen und rücksichtslos führen wollte, wobei der Einsatz der überlegenen deutschen Luftwaffe gegen französische Städte eine wesentliche Rolle spielte. Hitler wollte durch die Schockwirkung den Widerstandswillen des französischen Volkes rascher brechen, fühlte sich aber durch die Tatsache behindert, daß er selbst noch während des polnischen Feldzuges, in dem die deutsche Luftwaffe im Osten festgelegt war, öffentlich gegen die
Wahrspruch im Juristenprozeß
Nürnberg. — Im Prozeß gegen die vierzehn ehemaligen nationalsozialistischen Juristen und Staatssekretäre wies der Gerichtshof am Mittwoch in seinem Wahrspruch darauf hin, daß einfacher Mord und Einzelfälle von Greueltaten nicht die Anklage bilden. Die Angeklagten seien vielmehr solch unermeßlicher Verbrechen beschuldigt, daß bloße Einzelfälle von Verbrechenstatbeständen im Vergleich dazu unbedeutend erscheinen. Er erkennt wohl die Behauptung der Angeklagten an, daß die deutschen Gerichte im „Dritten Reich“ dem deutschen Recht hätten Folge leisten müssen, selbst wenn es dem Völkerrecht widersprochen habe, vertritt aber die Auffassung, daß eine derartige Beschränkung für ihn nicht gelten könne. Der Kern der Anklage bestehe ja gerade darin, daß die nationalsozialistischen Gesetze, die Hitler erlasse und das „drakonische, korrupte und verderbte nationalsozialistische Rechtssystem“ in sich selbst Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen und eine Teilnahme an dem Erlaß und der Durchführung dieser Gesetze verbrecherische Mittäterschaft bedeute. Viele der ihnen zur Last gelegten Handlungen, die nach dem Kontrollratsgesetz Nummer 10 Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit seien, wären außerdem in direkter Verletzung des deutschen Strafrechts begangen worden, so daß schon diese Tatsache das Argument der „nichtzulässigen, nachträglichen Verurteilung* ausschließe.
Den sogenannten „Nacht- und Nebelerlaß“, den Hitler im Dezember 1941 erließ und mit dem er durch die Verschleppung und geheime Verurteilung von Ausländern bei „Nacht und Nebel“ jeglichen Widerstand gegen die Besatzung in den eroberten Ländern brechen wollte, bezeichnete der Gerichtshof als ein „terroristisches Mittel zur Unterstützung der Kriegsführung des Naziregimes“. Die Durchführung des Erlasses bedeute die Begehung von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit unter der Verletzung des Völkerrechts sowie der im Kontrollratsgesetz Nummer 10 festgelegten Menschenrechte. Das Gericht vertrat die Auffassung, daß die an ihm beteiligten Angeklagten sich über die Grausamkeit dieses Erlasses völlig im klaren gewesen seien. Das Beweismaterial habe eindeutig gezeigt, daß bei der Durchführung des Erlasses das Justizministerium die Sondergerichte und die Staatsanwälte mit dem OKW und der Gestapo zusammenarbeiteten.
Bombardierung offener Städte Stellung genommen und sogar eine internationale Abmachung über diese Frage angeregt hatte. Um sich von dieser Behinderung zu befreien, mußte der erste Schritt in dem erbarmungslosen Kampf gegen Frauen und Kinder dem Feinde zugeschrieben werden, das konnte nur durch einen fingierten Angriff auf eine offene deutsche Stadt geschehen. Dazu schien Freiburg besonders geeignet, weil Hitler durch die Erinnerung an den französischen Luftangriff im ersten Weltkrieg auf Karlsruhe bei einem neuerlichen Angriff auf eine badische Stadt großer propagandistischer Resonanz sicher war. Die Lage an der Grenze bot, wenn die Täuschung nicht gelang, die Möglichkeit, sich auf einen Irrtum herauszureden. So entstand der Entschluß zu einem fingierten feindlichen Angriff auf Freiburg'
Diese Darstellung wurde einem zuverlässigen und kraft seines Amtes berufenen Zeugen durch den unterdessen verstorbenen Admiral Canaris gemacht. Die Oeffentlichkeit- wird sich noch erinnern, daß Hitler nach dem Freiburger Bombenwurf öffentlich erklärte, er fühle sich nunmehr an eine Rücksicht gegenüber feindlichen Städten nicht mehr gebunden. Dem Zeugen wurde ferner von einem ihm persönlich bekannten General der Luftwaffe, der dem Regime ablehnend gegenüberstand, berichtet, dieser habe in seiner damaligen Dienststelle einen Bericht in der Hand gehabt, daß es sich in Freiburg um deutsche Bomben gehandelt habe, und er habe ihn mit der Bitte um Aufklärung weitergeleitet. Diese Aufklärung sei trotz seiner wiederholten Nachfrage nie erfolgt. Wenn auch Admiral Canaris und der ermähnte General der Luftwaffe heute nicht mehr unter den Lebenden weilen, so tragen doch die Angaben der gehörten Zeugen den Stempel der Wahrheit in sich.
DIE KURZE NACHRICHT
Deutschland wird zugelassen Die internationale Sozialistenkonferenz in Antwerpen beschloß mit mehr als der erforderlichen Zweidrittelmehrheit, die Sozialdemokratische Panel Deutsch- ____
lands als vollberechtigtes Mit- Rückführungen sollen entspre glied zuzulassen. Gegen die Zu- chend den Möglichkeiten erfol-
Krieges passiv verhielten, bleiben.
Die letzten Deutschen In Polen leben einschließlich der 40 000 Kriegsgefangenen nicht ganz 100 000 Deutsche. Die letzten
lassung stimmten Polen, die Tschechoslowakei, Ungarn und die jüdische Arbeiterpartei Pa
gen.
Heimattreue Oesterreicher
lästinas. Von der Wiederherstel- Der ehemalige Justizminister
verschleppten Personen, Minister Lobo, sagte auf einer Pressekonferenz iri Wien, Brasilien habe bisher fünftausend Verschleppte aufgenommen. In nächster Zukunft werde es auch den Volksdeutschen* die Einwanderung gestatten. Chile werde in nächster Zeit achttausend Flüchtlinge aufnehmen.
Gekürzte Uebergangshilfe
lung der sozialistischen Inter- Schumy und Rektor der Univer* nationale beschloß die Konferenz sität Graf, Professor Dobretsber*
abzusehen.
Verhaftung, Flucht, Selbstmord
Der amerikanische Senat hat das Gesetz über die Uebergangshilfe ger, bereiten die Bildung einer genehmigt, nach dem Frankreich,
neuen Partei, der „Vereinigung heimattreuer Oesterreicher“, vor.
P 0 * Günthe ^ Wolf ? us Sie sind Gegner der Währungs*
Berlin-Wedding wurde telepho- reform der Regierung, nisch nach Treptow im sowjetischen Sektor bestellt, dort verhaftet und von sowjetischen Offizieren in Karlshorst verhört.
Auf dem Transport nach Königswusterhausen konnte er flüch-
Verkaufte Geheimakten
Italien und Oesterreich ein Kredit von 597 Millionen Dollar gewährt werden soll. Der außenpolitische Ausschuß des Repräsentantenhauses reichte den Entwurf an das Plenum ln der
Auch se i ne Regierung kenne den Wort
einen
ten. Er erhielt seitdem menrere <j er italienische Botschafter Sa- Drohbriefe und beging am 29. lata Schuschnigg im Jahre 1937, November Selbstmord. seine Mutter ‘machte Selbstmordversuch.
Rettende Ungnade Die Spruchkammer Rosenheim hat das Parteimitglied Nummer der NSDAP, *den Arzt Dr.
Eine Sitzung des Unterhauses be- Form weiter, daß die drei eurofaßte sich mit einer Stelle in päischen Staaten 530 Millionen Schuschniggs Buch „Oesterrei- und China 60 Millionen Dollar chisches Requiem“. Danach sagte erhalten sollen.
Neuartige Atomwaffen Der Vorsitzende der Atomener-
Vansittart S °us ei Ge d n e f P än 1 AitftaÜ Davld Lüienthaf,
minister Eden mit abfälligen Be-
Schmldt über Mussolini. Clano habe Schuschnigg im Januar 1938 „„„ „„„ gesagt, die italienische Regierung
£ er .I°J 1 bezahle ihre Kenntnis der Ge-
mimster toen mit auiamgen ne- Gesellschaft taeenieura^ln merkungen des „Staatssekretärs den“ “torien^on ^All-
mos in Neu-Mexiko würden un-
SA-Oberführer und Brigadearzt war, entlastet. Klein war Inhaber des goldenen Parteiabzeichens. Er fiel nach dem Röhm- Putsch in Ungnade und soll auch an dem Bürgerbräu-Attentat beteiligt gewesen sein.
Vollstreckung ausgesetzt Ehe Vollstreckung der Todes
heimakten des Foreign Office mit mehreren Millionen Goldpfund. Lord Vansittart glaubt an einen Bluff des Grafen Ciano,
ter Verwendung von Uran und Plutonium neuartige Atomwaffen hergestellt. Aus dem Enien- wetok-A,toll Im Stillen Ozean hat der Bau einer großen Versuchsstation für Atombomben begonnen. Es handelt sich um eine
?r ai rh h v^ h Ä}^f e tr^n‘ Spanische Mandatsbe
te, sich von Schmidt zu trennen. sitZ ung ln der Marshallgruppe.
Keine Geheimverh&ndlungen Der Sicherheitsrat wird infor- Amtliche französische Kreise miert *
dementieren,
™r<£h und Oesterreich über
Unbeirrbare Freundschaft
von General Clay ausgesetzt, bis das Oberste Bundesgericht Uber die Gnadengesuche entschieden Wem
Neuer Beginn nötig Auf einer Versammlung der Christlichen Aktion in Oxford forderte Victor GoUancz die bedingungslose Aussöhnung Großbritanniens mit Deutschland. Die Rechnung aus diesem Kriege könne nicht beglichen werden, es wäre deshalb besser, die Schuldseite aus dem Rechnungsbuch zu reißen und völlig neu zu beginnen.
Frankreichs Interessen in Oester- iranische Ministerpräsident
reich geheime Verhandlungen Rundfunk, trotz der un-
. gerechtfertigten Angriffe der
sowjetischen Propaganda gegen Südtiroler können wieder optieren die iranische Regierung wünsche In Rom wurde ein Einverneh- *£ an .. Freund jchaft .mit
men darüber erzielt, daß die der Sowjetunion aufrechtzuer- deutschen Südtiroler, die 1939 naiten * für das Reich optierten, sich wieder um die italienische
Suche nach einem Flugzeug
k^en ng " k sie ni“ne? listen - Gendarmen, Forstwachen, können, wenn sie ment einer deutsche Polizisten und fran-
Annähernd sechstausend Zivf-
natlonalsoziallstischen Organl satlon angehört haben. Davon werden 70 090 Menschen betroffen.
Wieder im Amte Königin Wiiheimine der Niederlande hat die Regierungsgeschäfte
Der Schweinlchen-Prozeß
Der Zivilprozeß, den Dr. Hein- ___
rieh von SchweiniChen gegen die wte'der übernommen, drei anderen Lizenzträger des „Tagesspiegel", Erik Reger, Walter Karsch und Professor Edwin Redsiob, angestrengt hat, wurde vom Landgericht Berlin- Zehlendorf auf vier Wochen vertagt
Versand eingestellt
Mehr als erbeten Der tschechoslowakische Ministerpräsident Gottwald hatte Stalin ersucht, die russischen Getreidelieferungen um 15« 000 Tonnen zu erhöhen, worauf 200 000 Tonnen zugesagt wurden, so daß
zösisehe Gendarmerie durchsuchen die Waldungen um Pirmasens nach dem Verkehrsflugzeug Pisa—Frankfurt, das seit dem Freitag vermißt ist und von einem französischen Aufklärungsflugzeug in einer Schlucht bei Kiiäel ln der Nähe von Kaiserslautern gesichtet worden Ist.
Straßenbahnzug stürzt um
In Zürich kam es zu einem schweren Straßenbahnunglück, bei dem zwei Personen getötet und mehrere schwer verletzt wurden. Die Wagen stürzten um
Sämtliche Ttahnhftfe r.er nchnn. die Tschechoslowakei Insgesamt nehmen bis auf weiteres Um- 400 000 Tonnen Brotgetreide und und zermalmten zwei Fußgänger.
zugs-, Umsiedler- und Flücht- lingsgut für den Versand nach den Westzonen nicht an. ,
Luxemburg weist nicht aus Luxemburg, das von Deutschland einen Grenzstreifen mit etwa 15 000 Einwohnern fordert, beabsichtigt nicht, die dortigen Deutschen auszuweisen. Avfch ln Luxemburg selbst dürfen die, vor 1*33 ansässig gewesenen Deutschen, die sich während des
200 000 Tonnen Futtergetreide erhalten werde.
Graziaui-Prozeß verschoben Vor dem Sondergericht in Rom sollte der Prozeß gegen Mar-
Sturm ln Portugal
Ein Sturm, der mit einer Stundengeschwindigkeit von 200 Kilometer wütete, hat an der
sc£5 Grazlant beginnen, wurde
aber wegen Erkrankung des Angeklagten um acht Tage verschoben.
Volksdeutsche nach Brasilien
gen unter der Fischereiflotte angerichtet. 216 Seeleute sind tot oder vermißt. Allein ln der Nähe des Ortes Afurada wurden 160 Leichen an Land geschwemmt.
Der brasilianische Sonderdele- Fast alle Männer des Dorfes sind gierte für Angelegenheiten der ertrunken.
Ute Glosse
„Deklassierte"
a. k. In München wurde von der „Republikanischen Union Deutschlands“ ein „Hauptausschuß der Ostlanddeutschen“ gegründet. Vierzig Flüchtlingsvertreter aus der Doppelzone lehnten den „deklassierenden Begriff Flüchtling“ ab und beschlossen, ihn in Zukunft durch* „Ostlanddeutscher“ zu ersetzen. Zweifellos klingt „Ostlanddeutscher** ganz hübsch, aber man muß sich fragen, wieso das Wort „Flüchtling“ deklassierend sein sollte. So gründlich deklassiert ist freilich noch nie eine Schicht worden wie diejenige, die ihre Heimat mit, fünfzig Kilogramm Gepäck oder noch Weniger verlassen mußte. Es fügt aber, sollte man meinen, zu der Schwere ihres Schicksals nichts hinzu, wenn man sie „Flüchtlinge“ nennt, und es nimmt erst recht nichts von ihr hinweg, wenn man sich für sie eine andere Bezeichnung ausdenkt. Jene Einheimischen, die sich durch die Anwesenheit der „Neubürger“, wie man ja auch zu sagen pflegt, in ihrem relativen Behagen beeinträchtigt fühlen, ,werden kaum anders reagieren, wenn sie es statt mit „Flüchtlingen“ oder „Ausgewiesenen“ oder eben „Neubürgem“ mit „Ostlanddeutschen“ zu tun bekommen. Im Gegenteil scheint dadurch die Fremdheit noch mehr betont. — Es war nicht immer so, daß in Deutschjand Flüchtlinge unwillkommen gewesen wären. Nicht nur der Große Kurfürst von Brandenburg, auch der kleine Herzog von Württemberg hat seine Grenzen bereitwillig den vertriebenen Hugenotten geöffnet und auch savoyische Waldenser fanden in Schwaben Aufnahme. Margret Boveri hat in ihrer „Amerika-Fibel“ daran erinnert, daß sich die stolzesten Erinnerungen der Vereinigten Staaten an eine Emigration knüpfen, 'und daraus abgeleitet, daß kein Amerikaner einen Deutschen begreifen könnte, der unter Hitler nicht emigriert ist. Dem Begriff des Flüchtlings muß also keineswegs etwas Deklassierendes anhaften, so wenig wie dem des Daheimgebliebenen. Die Geistesarmen, die Ihn doch so fassen, können uns nur leid tun. Hingegen gefällt uns das Wort „Ostlanddeutscher“ gar nicht. Es erinnert zu sehr an das Reichskommissariat Rosenbergscher Provenienz, von dem in den vergangenen tausend Jahren zuweilen die Rede war. Am besten wäre es, wenn man weder einen „Flüchtling“ noch einen „Ostlanddeutschen“, sondern „einen Menschen in Not“ in ihm sehen und danach handeln würde. Wer das nicht tut, deklassiert damit ausschließlich sich selbst.
AM RANDE
Das Spruchkammerverfahren gegen Eva Braun Ist doch kein Aprilscherz, wie der Verteidiger ihres Vaters mitteilt. Es soll dadurch die Beschlagnahme ihres Vermögens verhindert werden. Eva Brauns Vater, der Gewerbestudienrat Fritz Wilhelm Braun, der jetzt als Kunstschreiner tätig ist, wurde von der Spruchkammer als Minderbelasteter mit 2000 Mark Geldstrafe und Besehäftigungsverbot belegt.
In einer „Materialsammlung für Referenten“, die der Landesverband Berlin der SED unter dem Titel „Die weltgeschichtliche Wende“ herausgibt, heißt es laut „Kurier“: „Die Friedensliebe des sowjetischen Landes bedeutet gleichzeitig die Bereitschaft des ganzen Landes, jedem beliebigen Eindringling (genau wie Hitler) eine so vernichtende Abfuhr zu erteilen, daß auch andere imperialistische Räuber keine Lust bekommen, ihre SChweine- schnauzen ln den sowjetischen Garten zu stecken.“
Der englische König hat im Oberhaus persönlich mitgeteilt, daß ein Pair des Königreichs verhaftet worden sei und vor das Kriegsgericht kommen werde. Es ist Lord Cotwyn, der in der britischen Besatzungstruppe in Deutschland dient und eine* „zivilen Vergehens“ angeklagt ist.
König Michael von Rumänien, den das Gerücht bereits mit der Prinzessin Therese von Orleans- Praganza und mit der britischen Prinzessin Margaret Rose verlobt hat, soll nun die Prinzessin Anna von Bourbon-Parma heiraten. Sie ist eine Nichte der. Exkaiserin Zita. Der König hält sich auf der Rückreise von London in Lausanne auf.
£ri)tuabifiljr^riliing
Redaktion: Albert Komma, Johannes Schmid. Verlag: Schwäbischer Verlag, KG., FriedrichBhafen, in Lentkircb. Druck: Rottweller Verlags* und Druckereigenossenschaft, Rottweil.
l)öl)crc
Von Friedl Eidens.
„leb kann Ihnen nicht viel Hoffnung machen,“ sagte der Arzt. Seine Gestalt stand wie ein schwarzer Schatten vor dem weißen Rechteck der Tür, er wandte der Frau den Rüdeen zu; sie starrte ihn mit Augen an, die dunkel waren vor Angst
'arum sprach er nicht weiter, warum hörte s.e nicht, wie die Tür hinter ihm ins Schloß fiel? War sie denn taub geworden? Die Frau hob beide Hände an ihre Ohren, und langsam über die Schläfen gleitend schoben sich die Finger wie schützend über die Augen. Aber da traf sie das schwache Stöhnen wieder, dieser schwere, saugende Atemzug, und wie aus tödlicher Lähmung aufgeschreckt lief sie zur Ecke des Zimmers, wo das Bettchen stand. Das Kind bewegte sich unruhig in den Kissen, sie strich ihm das feuchte Haar aus der Stirn und im ungewissen Dämmern des abgeschirmten Lichtes beugte sie sich tief über sein Gesicht.
Dies Gesicht war seltsam verändert; es gehörte nicht mehr einem sechsjährigen Buben, sondern schier einem erwachsenen Mann; es war So groß und fremd geworden: alles Kindliche schien aus ihm geschwunden, die Augen Jagen in tiefen Höhlen unter schwärzlich verschatteten Lidern, die Lippen, ein wenig geöffnet und rissig vom Fieber, waren nach unten gezogen, und über die Stirn breitete sich ein abgründiger Ernst. Die Frau zog einen Stuhl an das Bettchen, sie setzte sich und nahm eine der kleinen heißen Hände in ihre kalten Finger. Gestern noch hatten die blanken, braunen Augen unter dem blonden Schopf fröhlich zu Ihr aufgeschaut — und jetzt — mit jähem Erschrecken glaubte
sie plötzlich zu erkennen, daß ihr diese veränderten Züge bis ins Innerste vertraut waren.
Sie sah sich am Bahnhof stehen, als ihr Sohn zum letztenmal fortfuhr; nach dem Osten. Im trüben Licht der verdunkelten Lampen hatte sein Gesicht bleich aus dem schwarzen Abgrund des Fensters geleuchtet, geheimnisvoll vom frühen Tode gezeichnet — und er war niemals wiedergekommen. Wollte ihr das Schicksal jetzt zum zweitenmal das einzige nehmen, was sie auf der Welt besaß? Aber besaß sie es denn zu Recht? Und lautlos, wie auf rasender Spule ein hundertmal abgelaufener Film, jagte die Erinnerung durch ihren müden Kopf.
Eine Nacht, von ungeheuren Bränden erhellt, die eine ganze Stadt zu Asche zerglüh- ten — das ferne, unablässige Grollen der Front — die wüsten Knäuel der rennenden, flüchtenden, schreienden Menschen, dem Irrsinn nahe, mit Bündeln und Karren und Kinderwagen, Menschen mit flackernden Augen und mit Haaren, die im Feuerorkan flogen — dies Hetzen, Rufen, Stöhnen, Toben, Schluchzen, dies Tottreten im wahnwitzigen Sturm auf die Züge — und dann die dumpfe, schwarze Stille des Waggons, von dem niemand wußte, wohin er rollte — fort, nur fort aus der Hölle — und niemand wußte, wer neben ihm lag und weinte und lallte. — Warum war sie geflohen? Was hatte es denn für einen Sinn, dies Leben zu retten, seit niemand mehr auf sie wartete?
Da hatte sich plötzlich eine kleine Hand im Finstern in die ihre geschmiegt und ein Stimmchen hatte gefragt: „Mutti, bist du noch da?“ Sie war so erschrocken, daß sie kaum zu atmen gewagt hatte, und dann hatte die Stimme noch einmal gefragt, drän
gender: „Mutti?“ ... Da hatte sie ganz, ganz leise „ja“ geflüstert und im Dunkeln tastend ein fremdes Kind an ihr Herz gezogen.
Der kleine Peter Schatz war bei ihr geblieben; was sollten sie anderes tun, sie waren beide allein, verlassen, verloren. Damals war Peter vier Jahre alt gewesen; er hatte ihr im Morgengrauen nach jener Nacht ins Gesicht geschaut und müde und erstaunt gesagt: „Aber du bist ja gar nicht meine Mutti!“ Sie hatte ihn nach seinem Namen gefragt, und artig hatte er eine ganze Adresse aufgesagt, aber seine Mutti war verloren, und wer hätte sie finden sollen in dem entsetzlichen Chaos der letzten Tage? „Wir werden sie suchen,“ hatte' sie versprochen, „wenn der Krieg vorbei ist.“ „Wann ist der Krieg vorbei?“, hatte Peter gefragt. „Morgen Peterle, übermorgen!“ Da war er zufrieden auf ihrem Schoß eingeschlafen.
•
Und was niemand mehr hatte glauben können: auch der Krieg nahm sein Ende. Sie waren zusammen in eine 1 kleine bayerische Stadt gekommen, sie hatten eine Stube gefunden, und mit all der glühenden Kraft ihres vereinsamten Herzens hatte sie dem Peterle eine Heimat gebaut. Anfangs hatte das Kind oft nach seiner Mutter gefragt, sie hatte ihm erzählt, daß sie schreiben würde, sobald die Post wieder ginge, und daß sie die Mutti dann bestimmt finden würden. Aber die Post ging wieder, und sie verschob den Brief von einem Tag auf den anderen, sie wagte keine Zeitung aufzuschlagen, aus Angst, eine Suchanzeige ku finden, und das Kind vergaß zu fragen. Jeden Abend, wenn sie miteinander beteten, fügten sie einen kleinen- Satz an: „Lieber Gott, laß uns meine Mutti finden!“, doch sie ertappte sich, wie
ihr Herz sprach: „Lieber Gott, laß uns seina Mutti nicht finden!“
Das Kind hat mir der geliebte Tote geschickt, dachte sie. Hatte er nicht beim Abschied gesagt: „Ich lasse dich' nicht allein, ich komme wieder“ — und in seiner Brieftasche, die man ihr damals gesandt, in jener Tasche mit den dunklen, geheimnisvollen Flecken seines Blutes, war ein kleiner, zerknitterter Zettel gelegen, neben ihrem Bild: „Wenn ich tot bin, sollst du gar nicht trauern / Meine Liebe wird mich überdauern / Wird in fremden Kleidern dir begegnen / Und dich segnen.“
Ja, seine Liebe hatte sie gesegnet, Peterles Herz hatte sich ihr aufgetan, wie eine Blume sich der Sonne und dem Regen geöffnet, und das schwere Beginnen in der neuen Heimat, mit nichts, ohne alle Habe, war ihr leicht -geworden im Licht dieser Liebe. Als ein Jahr herum gewesen war und die gequälten Mütter ihre verlorenen Kinder suchten im ganzen verschlagenen Reich, landauf, landab, durchs Rote Kreuz, durch die Bürgermeister — da hatte sie sich still gehalten. Sie hatte gebangt vor den Stunden der Nacht, wenn sie allein war mit ihren Zweifeln, und wenn sie sich nicht mehr zu helfen wußte, hatte sie das einzige Bild ihres Sohnes hervorgeholt, das sie noch besaß, und jenen Zettel: „... wird in fremden Kleidern dir begegnen . . .“
Es kam der Tag, an dem Peter sein hölzernes Pferdchen verlor und bitterlich weinte, so verzweifelt und hoffnungslos war er, daß sie sich keinen Rat wußte; sie hatte Versucht, ihn zu trösten: „Wir kaufen ein neues, das alte hatte ja längst den Schwanz verloren und war nicht mehr schön.“ „Aber i™ hatte es doch lieb,“ schluchzte er.
(Fortsetzung folgt.)
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