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Mittwoch, den 3. Dezember 1947 ORGAN DER CHRISTLICH-DEMOKRATISCHEN UNION Nr. 96/ Jahrgang 3 /Preis 20 Ptp

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Deutsche auf der Friedenskonferenz

Die Außenminister diskutieren die Voraussetzungen der Zulassung

London. Auf der Außenministerkon­ferenz wurde am Samstag die Frage aufge­worfen, ob deutsche Vertreter zu den Frie­densverhandlungen hinzuzuziehen seien. Be- vin vertrat den Standpunkt, daß die Vorbe­reitung des Friedensvertrages nicht durch et­waige Schwierigkeiten behindert werden dürfte, die entstünden, wenn man eine deutsche Regierung zu bilden versuchte. An­dererseits dürfte aber auch nicht die Bildung einer deutschen Regierung durch Schwierig­keiten verzögert werden, die sich mit dem Friedensvertrag ergäben. Vertretern einer deutschen Regierung, die imstande wäre, den Friedensvertrag anzunehmen, sollte man Ge­legenheit geben, auf der Friedenskonferenz ihre Ansichten vorzubringen. Bidault er­innerte, daß folgende Etappen vorgesehen seien: eine Zentralverwaltung, ein Konsul­tativrat, die Vorbereitung einer Interimsver­fassung und eine provisorische Regierung. Dieses Programm hänge eng mit der deutschen Wirtschaftseinheit zusammen. Die Alliierten könnten nur eine deutsche Regierung aner­kennen, die in ihrer Grundhaltung und für die Sicherheit der Nachbarstaaten alle Ga­rantien biete. Bis dahin werde in Deutsch­land die Autorität durch den Kontrollrat ausgeübt. Man könne sich schwer vorstellen, daß er von seinen Aufgaben entbunden würde, ehe die Friedensbedingungen fest­gelegt seien und bevor man die Gewißheit habe, daß Deutschland sie auch respektiere.

Molotow meinte, die deutsche Regierung, die imstande wäre, den Vertrag zu unterzeich­nen, würde sich an die Potsdamer Beschlüsse halten. Marshall sagte, er hoffe, daß Deutsch­land vor der Friedenskonferenz eine geeig­nete Regierung haben würde, doch seien beide Probleme voneinander unabhängig. Man könnte sowohl eine Regierung als auch be­fugte Vertreter Deutschlands auffordem, ihren Standpunkt darzulegen. Ein positives Ergebnis wurde auf dieser Sitzung nicht er­reicht.

Am Vortage hatte Bidault es zwecklos ge­nannt, über eine deutsche Regierung zu dis­kutieren, solange die Saar-Frage nicht ent­schieden sei.. Bevin ließ keinen Zweifel, daß sich Großbritannien bei der Errichtung deut­scher Verwaltungsstellen die Handlungsfrei­heit Vorbehalte, falls sich die vier Außen­minister nicht über eine Zentralregierung einigen sollten Diese Regierungsbildung dürfe nicht auf einem Kompromiß fußen, nach dem die Besatzungsmächte von ihnen bestimmten Persönlichkeiten die nötigen Befugnisse er­teilten. Sie müßte nach den in den westeuro­päischen Ländern üblichen demokratischen Grundsätzen und nicht nach denen Osteuropas erfolgen. England wäre nicht bereit, zu dulden, daß eine demokratisch getarnte totalitäre Ver­waltung die Macht ergreife.

Zur Frage der Grenzen äußerte Marshall, Polen habe zweifellos ein Recht auf Entschä­digung für die Verluste, die 'ihm zugefügt worden seien, doch müsse eine Eritscheidung vermieden werden, die den gemäßigten Ele­menten Deutschlands jede Hoffnung nehme. Die industriellen Möglichkeiten des umstritte­nen Gebietes müßten dem übrigen Deutsch­land und ganz Europa zur Verfügung stehen. Bidault sprach sich gegen weitere Massen­rückführungen nach Deutschland aus, gleich­gültig, wie später die Grenze gezogen werde. Um den augenblicklichen deutschen Bevölke­rungsdruck zu vermindern, müsse versucht werden, Auswanderungsmöglichkeiten zu schaffen. *

Der Sonderberichterstatter desKosmos- Pressedienstes, Dieter Wolf, meldet über die letzten Verhandlungen der Londoner Kon­ferenz: Vor der Sonntagsunterbrechung be­handelten die Außenminister vor allem die Frage, zu welchem Zeitpunkt und in welcher Form deutsche Vertreter zum Friedensschluß gehört werden sollten. Ein Einvernehmen über die sehr komplizierten technischen Ein­zelheiten wurde noch nicht herbeigefiihrt, doch hob der französische diplomatische Spre­cher die Sachlichkeit der Verhandlungen her­vor. Ueber eine zwar nicht bestimmende, aber Vortragende Mitwirkung deutscher Vertreter vor der endgültigen Formulierung des deut­schen Friedensvertrages sind sich im Grunde wohl die großen Vier einig. Deutschland hat keine Regierung. Ueber Form und Aufgaben­bereich einer zu bildenden deutschen Regie­rung wird auf der Konferenz erst zu einem späteren Zeitpunkt verhandelt werden. Es ent­steht somit die Frage, ob die Vorbereitung des deutschen Friedensvertrages und die Ab­haltung der Friedenskonferenz von der vor­herigen Bildung einer deutschen Regierung abhängig gemacht werden soll. Das entspricht dem Vorschlag der Sowjetunion für die Fas­sung des Paragraphen 4 eines Dokumentes über die Verfahrensregelung zum deutschen Friedensvertrag, mit welchem sich die Außen­minister nach vielen vorangegangenen Ver­handlungen neuerlich beschäftigen. Danach soll, wenn die Vorbereitungen zum deutschen Friedensvertrag im wesentlichen abgeschlos­sen und die Anschauungen der übrigen Alliierten berücksichtigt worden sind, der deutschen Zentralregierung Gelegenheit ge­geben werden, ihre Auffassung auf der Frie­denskonferenz darzulegen. Die anderen drei Mächte sehen darin die Gefahr eines Auf­schubs oder sogar die Unmöglichkeit, eine Friedenskonferenz abzuhalten. Sie haben da­her für diesen Paragraphen Fassungen vor­geschlagen, die diese Gefahr vermeiden sol­len. Die amerikanische Fassung will Sich da­mit begnügen,verantwortliche deutsche Ver­treter zu hören, das könnten offensichtlich auch Vertreter der deutschen Lfinderregie- rungen sein. Die britische Fassung schlägt vor, daß eine deutsche Zentralregierung nur zu hören wäre, falls sie bis dahin in geeig­neter Form existiere. Der französische Stand­punkt geht davon aus, daß die Schaffung einer deutschen Regierung und die Abhaltung der Friedenskonferenz ganz verschiedene Dinge seien, die nicht in innere Abhängigkeit voneinander gebracht, sondern getrennt ge­halten werden sollten. Im Verlaufe der Aus­sprache erwies sich, daß keine dieser For­mulierungen auch nuj eine einzige der drei anderen Mächte voll befriedigte. Es konnte also nirgendwo der Eindruck einer Blockbil­dung entstehen, das mag dazu beigetragen haben, daß die Verhandlungen sich ohne alle Schärfen, Anklagen oder Propaganda ent­wickelten und zu einer Verständigung dar­über führten, daß man diesen Fragenkomplex zu einem späteren Zeitpunkt der Konferenz wieder aufgreifen werde.

Auf einem Frühstück beim amerikanischen Botschafter soll Bidault Marshall in Aussicht gestellt'haben, daß Frankreich dem wirt­schaftlichen Anschluß seiner Zone an die Bi- zone zustimmen würde, wenn sich die Außen­minister nicht über die deutsche Wirtschafts­einheit einigen sollten. Von der französischen Botschaft wurde dazu gesagt, die Nachricht könne weder dementiert noch bestätigt wer­den, da die Minister wünschten, daß ihre vertraulichen Aeußerungen auch vertraulich blieben.

Neue Parteien im Wahlkampf

-L Stuttgart. Am nächsten Sonntag werden in Nordwürttemberg und Nordbaden die Gemeinderäte für sechs Jahre gewählt. In Stuttgart sind sechs Wahlvorschläge ein­gereicht worden. Außer den vier alten Par­teien haben sich zwei weitere gemeldet, die Neue Partei und dieArbeiterpartei. Während die Arbeiterpartei als eine Spielart des Kommunismus bezeichnet werden muß, kann die Neue Partei wohl als Rechtspartei gelten. Der Wahlkampf ist von dieser Neu­gründung mit großem Elan geführt worden. Es fiel allgemein auf, daß sie weit mehr Pa­pier zur Verfügung hatte, als die anderen Parteien und mit Methoden im Wahlkampf arbeitet, die von der NSDAP bekannt sind. Ein Gemeinderatskandidat der Neuen Partei war früher Redakteur der nationalsozialisti­schen Zeitung.Flammenzeichen. Die Militärregierung hat zu den Vorschlägen der Parteien noch nicht Stellung genommen. Die Bevölkerung zeigt vorläufig wenig Interesse und es bleibt abzuwarten, ob es am Wahl­sonntag selbst größer sein wird.

Föderalistische Impulse

M. B. München. Auf einer CSU-Ver- sammlung im Münchner Prinzregententheater hat der bayerische Ministerpräsident über die innen- und außenpolitische Lage Deutsch­lands gesprochen. Alle Grenzprobleme, auch die schwierigen im Osten, die so viel Sorge und Ratlosigkeit machten, bekämen für alle Beteiligten ein ganz anderes Gesicht, wenn man tatsächlich zu einer Gestaltung der euro­päischen Staatenwelt käme, bei der die über­nommenen Begriffe der Nationalgrenze ge­lockert und damit entgiftet würden. Eine Trennung Deutschlands in Ost und West müßte als ein großes Unglück nicht nur für Deutschland, sondern auch für Europa, und bei der Verflechtung der europäischen Ver­hältnisse mit den Weltangelegenheiten, als ein Unglück für die ganze Welt angesehen werden. Wenn an eine Föderalisierung Deutschlands gedacht werde, könnten diese Gedanken nicht an der Elbe oder an der Oder oder etwas weiter östlich stehen bleiben. In seiner Stellungnahme zum Neuaufbau Deutschlands kam Dr. Ehard zu der für einen Juristen beachtlichen Feststellung, es sei gleichgültig, wie man das neue födera­listische Staatsgebilde nenne, ob Bundesstaat, Staatenbund, Reich oder Bundesrepublik, ent­scheidend sei, daß der Aufbau einwandfrei von unten nach oben erfolge, daß die Rechte und Pflichten der Einzelglieder nicht durch Uebertragung von oben nach unten entstün­den, sondern daß die Einzelstaaten das Pri-

P. M. Zwischen West und Ost, Amerika und Asien, ist Europa in Gefahr, vollends ver­loren zu werden. Immer wieder sagt man uns, und. wir werden es gewahr, daß unser Erdteil sich in den zwei Kriegen selbst zer­stört habe. Nicht bloß seine politische Macht und Ordnung und seinen wirtschaftlichen Wohlstand, auch seinen gesellschaftlichen Aufbau und seine geistige Kultur. Es mag noch einige Großmächte in Europa geben die führende Stellung des Erdteils, die euro­päische Idee und der Nimbus Europas sind dahin. Die zwei Giganten sind übrig geblieben, deren einer sich auf den Riesen­kontinent Amerika stützt, während der an­dere seine Kraft aus dem weiten asiatischen Festland zieht, von dem aus gesehen Europa schon geographisch nichts als eine große vor­geschobene Halbinsel ist.

Amerika ist gegen Europas Vergangenheit das Land der Gegenwart, mit seinen unbe­grenzten Hilfsquellen und Möglichkeiten, seiner Prosperität und seiner riesigen Tech­nik, mit der unverbrauchten Frische seiner Menschen. Es kann sichs leisten, das Land der möglichst großen individuellen Freiheit und des Kapitalismus zu sein. Und Rußland, das sich als das Land der Zukunft sieht, mit einer biologisch so jungen und hoffnungs­frohen Bevölkerung, mit der Idee des Kom­munismus und der möglichst restlosen indi­viduellen Einordnung in das Ganze des Staates, mit einer neu erwachenden und sich entfaltenden Wirtschaft es Rann sichs leisten, den Kommunismus konsequent durch­zuführen. Zwischen beiden aber liegt Europa, zerstört und ausgezogen.

Das natürliche politische Gefälle zieht mehr nach Osten. Eine weite gemeinsame Land­grenze verbindet einfacher als das Wasser, wenn auch heute der Ozean von Flugzeugen schon in einem Tag überflogen wird und die Reichweite der Raketengeschosse über den ganzen Erdball geht. Geistig aber steht uns die Kultur Amerikas näher, die nach ihrem Ursprung wie nach ihrer humanen Bestimmt­heit der unsrigen verwandter ist und deren Wertung der Persönlichkeit uns mehr an­spricht als die ganz neu einsetzende Kultur Rußlands. Aber die amerikanische Haltung setzt die amerikanische Prosperität und ihre Schätze voraus, die wir nicht haben. Der Kapitalismus eines reichen Landes kann hu­man und großartig sein und einen humanen Staat aufbauen; unser Staat zur Zeit haben wir nicht einmal den wird auf Ge-

märe seien, und daß keine zentrale, aus ai. gemeinen Wahlen des Gesamtvolkes hervor- gegangene, völlig souveräne, verfassung­gebende Nationalversammlung mit der Schaffung einer Bundesverfassung beauf­tragt werde. Ein neues föderalistisches Deutschland werde vom Süden her seine tragenden Impulse empfangen müssen oder es werde kein föderalistisches Deutschland geben.

Zur Londoner Konferenz sagte Dr. Erhard, es sei ein schwerer Fehler gewesen, daß man in Versailles dem deutschen Volk einfach einen Friedensvertrag aufgezwungen, ohne mit ihm zu verhandeln. Solche Verträge entbehrten der moralischen Kraft und seieiv gefährlich für die Geisteshaltung eines ge­schlagenen Volkes, vor allem, wenn mit eitler solchen Verfahrensweise gleichzeitig die Ab­sicht der Diffamierung und einer falschen und ungerechten Behandlung der Schuld­fragen verbunden sei.

Botschafter der Verständigung

-1. Stuttgart. Der Auä&chuß für Aus­wanderungsfragen beim Länderrat hielt seine erste Sitzung ab. Generalsekretär Roßmann nannte als wichtigste Aufgabe die Anwerbung deutscher Arbeitskräfte für Frankreich. Auswandererberatungsstellen sollen das plan­lose Abwandem von Arbeitskräften vermei­den und Auswanderungswilligen einwand­freie Verträge verschaffen. Staatssekretär Dr. Eberhard warnte davor, die Anwerbung deut­scher Arbeiter alsDemontage der Arbeits­kraft zu betrachten, empfahl vielmehr, die­ser Situation eine -politische Seite abzuge­winnen. Deutsche Arbeiter im Ausland seien Botschafter der Verständigung. Die Arbeit deutscher Kriegsgefangener in Frankreich und England habe bereits zu einer Auflockerung der öffentlichen Meinung gegenüber Deutsch­land in diesen Ländern geführt. Vor der monatlichen Länderratstagung am Dienstag werden sich die Ministerpräsidenten der US- Zone zu einer internen Sitzung zusammen­finden, um die Frage der 29 000 deutschen Arbeitskräfte für Frankreich zu beraten. Es ist nicht ganz ausgeschlossen, daß General Clay die Londoner Konferenz verlassen wird, um an der Länderratstagung teilzunehmen.

Protest gegen das Dinter-Urteil

Prag. Das Organ der jüdischen Ge­meinden der Tschechoslowakei protestiert gegen das Urteil, das der Gerichtshof in Offenburg (Baden) gegen Arthur Dinter aus­gesprochen hat. Er war zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Dinter hatte die Partei­mitgliedsnummer 5 und war Träger des gol­denen Parteiabzeichens.

nerationen von Reichtum nichts mehr sehen. Die russische Haltung aber setzt einen Men­schen voraus, der auf dem Gebiet der indi­viduellen Freiheit so geringe Ansprüche stellt, wie das bei den Völkern des europäischen und asiatischen Rußland offenbar möglich ist.

Der europäische Mensch ist nach seiner langen Geschichte, die auch eine Geschichte der Befreiung der Persönlichkeit ist, zu sol­cher Entsagung zugunsten des Staates ohne Gewalt wohl nicht bereit. Er ist individuell und freiheitlich, und er versteht auch Demo­kratie in diesem Sinn. Er verteidigt die Rechte seines persönlichen Lebens und ist bereit, demnach auch die Rechte seines Nach­barn zu achten. Der Nationalsozialismus hat den Begriff der Demokratie umgekehrt und seinen totalitären Autoritätsstaat als demo­kratisch im höheren Sinn angesprochen, so­fern ja die 95 oder noch mehr Prozent seiner Wahlergebnisse den Verzicht auf die demo­kratischen Rechte in dem alten Sinn legali­sierten. Der Europäer möchte, zumal nach den Erfahrungen dieser Umkehr, den Schluß nicht als richtig anerkennen, selbst wenn er von der entgegengesetzten Seite gezogen wird. Er möchte, wenn schon heute noch so große Beschränkungen seiner Freiheit not­wendig sein mögen, die Idee einer tunlichsten Weite seiner privaten Sphäre, geregelt durch echte Humanität und einen sozialen Staat, nicht aufgeben. Er möchte sogar wieder die Freizügigkeit bekommen und seine oder sei­ner Kinder Berufswahl auf die Dauer mehr selber nach der inneren Berufung als nach einer statistisch begründeten staatlichen Be­rufslenkung bestimmen.

Die Verarmung Europas, bis in das einst so reiche England zu spüren, wird uns hin­dern, uns einfach der amerikanischen Welt zu verschreiben. Sie verbindet uns mit dem Osten. Jenes Freiheitsbedürfnis aber wird uns von einer Einschmelzung in die asiatische Welt fernhalten, sie verbindet uns mit dem Westen. Europa wird also in aller Armut seinen eigenen Weg suchen und gehen müs­sen, der Sozialismus und Freiheit vereinigt. Diese Vereinigung ist wohl möglich, wenn beide sich entgegenkommen. Vielleicht fin­det das alte Europa doch, wenn es auch keine Gegenwart hat, noch einmal eine Zukunft. Wenigstens wenn mm der Geist des Friedens und der Vernunft siegt und West und Ost sich nicht in der Herstellung von Atomwaffen, sondern im Wettbewerb der.Arbeit und G ei s t es zu- übertreten suchen,

Kräftespiel in Frankreich

Paris. Durch den Streikbeschluß der Bergarbeitergewerkschaft und der Gewerk­schaft der Postbeamten hat sich die Lage weiter zugespitzt. Auch die Kommunaldienste und sogar die Belegschaften der Krankenhäu­ser und der Leichenbestattung beschlossen, die Arbeit einzustellen. Ein Kommunique des Verkehrsministeriums spricht von Sabotage­akten auf den Eisenbahnstrecken. 29 National­verbände der Gewerkschaften, unter ihnen die metallurgische Gruppe mit 900 000, das Baugewerbe mit 500 000, die Eisenbahnen mit 400 000 und die Bergarbeiter mit 350 000 ein­getragenen Mitgliedern, haben ein nationales Streikkomitee gebildet, das sowohl gegeh die Regierung als auch gegen die unpolitische Minderheitsgruppe des Gewerkschaftsverban­des und gegen die christlichen Gewerkschaf­ten die Arbeitsniederlegung durchsetzen soll.

In dieser Lage muß die Regierung Schu­mann, der die Nationalversammlung mit 322 gegen 186 Stimmen bei etwa 100 Enthaltun­gen das Vertrauen ausgesprochen hat, ent­schlossene Maßregeln treffen. Staatssekretär Abelin hat allerdings dementiert, daß man die Personen, die in lebenswichtigen Betrieben beschäftigt sind, dienstverpflichten wolle.

Diezivile Mobilmachung, von der gespro­chen wurde, sollte die Bergarbeiter, die Me­tallarbeiter, die Eisenbahner, die Arbeiter der Mühlen sowie die Hafen- und Dockarbeiter treffen und auf sechs Monate ausgesprochen werden. Das sollte, auf Grund eines Gesetzes geschehen, das der Nationalversammlung vor­gelegt werden sollte. Die Regierung brachte in der Nationalversammlung drei Gesetzent­würfe zur Verteidigung der Republik und der Freiheit der Arbeit, zur Eröffnung neuer Hilfsquellen und zur Reorganisierung der Sicherheitspolizei ein und beschloß, das zweite Kontingent des Jahrgangs 1946, etwa 80 000 Mann, unter die Waffen zu be­rufen. Das Innen- und das Kriegsministerium haben eine Reihe von Sicherheitsmaßnahmen vereinbart. Vor allem in Paris und an den Punkten, die durch die Streiks und durch Sabotageakte besonders gefährdet sind, sollen Truppen eingesetzt werden. Die streikenden Beamten 'sollen zur Disposition gestellt und alle Saboteure entlassen werden. Andererseits hat die Regierung beschlossen, sogleich Teue­rungszulagen auszuzahlen, die Familienzu- I Schläge zu erhöhen und die Ueberstunden- I löhne zu revidieren.

Zwischen West und Ost