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Samstag, 29.' November 194T

Der Abbau der Home Fleet

Dr. B. Wie uns aus London berichtet wird, erweckt die Enthüllung, daß die Home r?leet (der Bestand an voll in Betrieb stehen­den Schiffen der britischen Flotte in den Ge­wässern um das Inselreich) in nächster Zeit auf einep Kreuzer und vier Zerstörer re­duziert werden soll, Aufsehen und Besorgnis. Im Parlament wurde die Frage aufgegriffen und kritisiert Es handelt sich um eine Dezimierung der Home Fleet, die mit der Demobilisierung der bewaffneten Kräfte des Königreichs im- Zusammenhang steht. So arg hatte sich allerdings niemand die Auswir­kungen der beabsichtigten Entlassung von 45 000 Mann vor Ende März statt, wie ur­sprünglich vorgesehen, von 20 000 Mann vor­gestellt.

. Manche Beobachter stellen sich die Frage, ob England nicht in Gefahr steht, den nach dem letzten Krieg begangenen Fehler einer allzu starken einseitigen Abrüstung zu wieder­holen, ohne sich darüber vergewissert zu ha­ben, ob auch andere Mächte, namentlich die­jenigen, mit denen die Beziehungen nicht besonders gut sind, ein gleiches tun. Nach dem Kräfteverhältnis zur amerikanischen Flotte fragt heute zwar kaum noch jemand, und um die Westmächte Europas braucht man sich auch nicht ernstlich zu kümmern. Aber keine Nation ist so stark wie Großbritannien auf die Offenhaltung der Seewege angewiesen. Ist es - zu verantworten, fragt man sich auch wenn man nicht an einen baldigen neuen Krieg glaubt, die Flotte in den hei­mischen Gewässern so stark zu reduzieren? Würde das nicht den Einfluß Großbritanniens in der internationalen Politik noch stärker schwächen, als es infolge der Wirtschaftskrise bereits geschehen ist?

Es handelt sich, wie gesagt, um eine vor­übergehende Folge der raschen Demobilisier

Der letzte Nürnberger Prozeß

R. V. Nürnberg. Der letzte Prozeß vor den amerikanischen Militärgerichten in Nürnberg wird ein Verfahren gegen 14 Ge­nerale der deutschen Wehrmacht sein. Am Freitag wurde die Anklageschrift überreicht an Generalfeldmarschall Wilhelm von Leeb, Chef der Armeegruppe C im Frankreichfeld­zug, Generalfeldmarschall Sperrte, der 1936 die LegionCondor in Spanien führte und später Chef der Luftflotte III war, di« Eng­land von Frankreich aus bombardierte, Ge­neralfeldmarschall Kart Friedrich Wilhelm Küchler, Chef der XVIII. Armee, später der Armeegruppe Nord im Rußlandfeldzug, Ge­neral Johannes Blaskowitz, Chef der deut­schen Streitkräfte in den Niederlanden, Her­mann Roth, Kommandeur der IV. deutschen Panzerarmee in Rußland, General Hans Rein­hard, Kommandeur der III. Panzerarmee in Rußland, General Hans von Salmuth, Kom­mandeur der XV. Armee im Frankreichfeld­zug, General Karl Hollidt, Kommandeur der VI. Armee in Südrußland, Generaladmiral Otto Schniewind, Kommandeur der deutschen Flotteneinheiten in Norwegen, später Chef der deutschen Hochseeflotte der Nordsee, Generalleutnant Karl von Roques, Chef der Armeegruppe A im Kaukasus, Generalleut­nant Hermann Peinecke, Chef des NS-Füh- rungsstabes im Oberkommando des Heeres, Generalleutnant Walter Warlimont Militär­berater Francos in Spanien 1936, später Ab­teilungschef im Stabe der nationalen Ver­teidigung, Generalleutnant Wöhler, Chef der Armeegruppe Süd in Rußland, Generalleut­nant Rudolf Lehmann, Chefjurist beim Ober­kommando der Wehrmacht. In der Anklage­schrift wird den Generalen Vorbereitung eines Angriffskrieges, Kriegsverbrechen, Ver­brechen gegen die Menschlichkeit vorgewor­fen werden, im einzelnen Deportationen, Mord- und Gewalttaten an der Zivilbevöl­kerung. Die Generalfeldmarschälle von Man- stein, von Brauchitsch und von Rundstedt werden nicht mitangeklagt, da sie sich nicht in amerikanischem Gewahrsam befinden. Mit dem Abschluß dieses Prozesses wird die amerikanische Justizbehörde in Nürnberg hre Arbeit beenden.

rung in allen Dienstzweigen. Die Entlassung aus der Flotte kann unter gewissen Voraus­setzungen 'jeder verlangen, der zu gehen wünscht, gleichgültig, wo er stationiert ist. Da jedoch die überseeischen, namentlich die im Mittelmeer stationierten Flottenbestände keine effektive Schwächung erfahren dürfen, müssen die Abgänge zur Hauptsache in der heimischen Flotte erfolgen. Ob aber Verstär­kungen aus Uebersee herbeigeschafft werden können, wird wohl von der Entwicklung der politischen Verhältnisse in der Welt abhän- gen. Die in den heimischen Gewässern einge­tretene Schrumpfung könnte permanent wer­den.

Die Home Fleet umfaßte seit dem letzten Abbau ein Schlachtschiff, ein Flugzeugmutter­schiff, fünf Kreuzer und sechzehn Zerstörer. Davon bleiben, wie erwähnt, nur ein Kreuzer und vier Zerstörer voll bemannt. Das

Schlachtschiff, das Flugzeugmutterschiff, vier Kreuzer und die restlichen zwölf Zerstörer der gegenwärtigen Home Fleet werden zwar nurimmobilisiert; kleine Mannschaften sorgen für die Instandhaltung und für die jederzeitige Wiederinbetriebnahme der Schifte. Aber im Notfall müßten die Besatzungen erst wieder mobilisiert werden.

Ueber fünfhundert britische Kriegsschiffe sind seit dem Kriegsende wieder auf die Re­serveliste gesetzt worden. 163 sollen ver­schrottet werden, und etwa 450 hat die bri­tische Regierung an andere Länder verkauft, verpachtet oder verschenkt. "Der Gesamtbe­stand an Kriegsschiffen ist damit seit Kriegs­ende um mehr als tausend zurjickgegangen. Vön einem Höchstbestand von 800 000 Mann des Personals im Juni 1944 sind drei Viertel bereits abgebaut worden, und der Bestand wird bis nächsten März auf 140 000 Mann zurückgehen. Seit dem ersten Weltkrieg wurde 1933/34 ein Tiefpunkt mit nur 90 000 Mann erreicht. Soll aus Spargründen auch diesmal wieder so weit gegangen werden?

DIE KURZE NACHRICHT

Volkskongreß für Einheit

Die ßED hat alle Parteien, Ge­werkschaften und antifaschisti­schen Organisationen sowie füh­rende Künstler und Gelehrte zu einem »»Deutschen Volkskongreß für Einheit und gerechten Frie­den am 6. und 7. Dezember in Berlin eingeladen. Der Kongreß soll eine Delegation für die Londoner Konferenz wählen. s

Nicht allein befugt Ein Aufruf zur Londoner Kon­ferenz, den der Einheitsblock der drei antifaschistischen Par­teien der Ostzone vorbereitete, kam nicht zustande, weil die CDU ihre Unterschrift verwei­gerte. Sie stellte sich auf den Standpunkt, daß die Parteien der Ostzone nicht berechtigt seien, im Namen ganz Deutschlands zu sprechen

Aus Thüringen geflüchtet Der Leiter der thüringischen Kohlenkontroile, Lemke, und der Abteilungsleiter im Wirt­schaftsministerium, Zemkusch, sind nach einer Meldung des BerlinerAbend geflüchtet.

Verbotene Kriegsproduktion Am 8. Dezember beginnt der Prozeß gegen die Direktoren der Askania-Werke in Berlin, die beschuldigt werden, Kriegs­material hergestellt zu haben.

Ostzonen-Journalisten Als weitere deutsche Bericht­erstatter wurden zur Londoner Konferenz aus der sowjetischen Zone Max Kahane Vom sowje-' tisch lizenzierten ADN und Ru­dolf Feistmann vom Zentral­organ der SED,Neues Deutsch­land, zugelassen.

200Militaristen

Vor der Sonderspruchkammer Neustadt bei Marburg werden rund zweihundert Fälle verhan­delt werden, ln denen es sich um ehemalige Generale oder Generalstabsoffiziere handelt. Am interessantesten dürfte die Verhandlung gegen den ehe­maligen Cbef des OKH, General­oberst Franz Haider, werden.

480 Milliarden Schulden - Auf der staats- und sozialpoli­tischen Arbeitswoche des bayeri­schen Jugendrings ln Dachau be­zifferte der Erlanger Dozent Dr. Bruno Seidel die Gesamtver­schuldung des deutschen Volkes auf 480 Milliarden Mark. Ihr stehe eine jährliche Höchstein- nahme von 60 Milliarden Mark gegenüber.

Die dreiunddreißigste Partei Der Münchner Stadtrat Adolf Maxion, der 1946 von der Partei der Parteilosen gewählt worden war, hat bei der Militärregierung die Zulassung einesDeutschen Blocks als Partei beantragt. Hinter ihm stehen vorwiegend ehemalige Mitglieder der WAV des Meißner-Flügejs.

42 Millionen Menschen In der Bizone leben gegenwärtig 42 143 260 Menschen. Auf Hessen

entfallen 4 170 800, auf Württem­berg-Baden 3 720 100, auf Bayern 9 160 200, auf Bremen 501 700, auf Nordrhein - Westfalen 12 184 800, auf Niedersachsen 6 630 000, auf Schleswig-Holstein 2 698 500, auf Hamburg 1 470 900, auf den amerikanischen Sektor von Ber­lin 984 331 und auf den bri­tischen Sektor von Berlin 621 929.

Weihnachtszuteilung der Bizone

An die gesamte Schuljugend von sechs bis acht Jahren in der Bizone werden als Weihnachts­zuteilung Süßigkeiten, Schoko­lade, Keks und ein halber Liter Milchkakao ausgegeben.

Der Prozeß gegen Krupp

Der Prozeß gegen Alfred Krupp von Bohlen und Haibach und elf Mitglieder seiner Firma wird am 8. Dezember in Nürnberg beginnen.

Wieder in Freiheit Die beiden Offiziere der kana­dischen Militärmission ln Berlin, die am 12. November bei Königs­berg verhaftet worden waren, wurden freigelassen.

Das oberösterreichische Grafeneck

Vor dem Linzer Volksgericht wird acht ehemaligen Bedienste­ten des Schlosses Hartheim der Prozeß gemacht. Hartheim war seit 1939 eine Massenvemichtungs- stätte für alte und gebrechliche Leute, Geisteskranke und KZ- Häftlinge. Von 1940 bis 1043 wur­den hier rund eine Million Men­schen vergast. Der medizinische Leiter der Anstalt, der Linzer Irrenarzt Dr. Blonauer, hat sich vergiftet. Die Angeklagten sol­len an der Mißhandlung . und Ermordung von mindestens dreißigtausend Menschen betei­ligt gewesen sein.

Neuer österreichischer Minister Zum Nachfolger des zurückgetre­tenen kommunistischen Ministers für Energieversorgung wurde der österreichische Nationalrat Alfred Mlgsch, ein Sozialdemokrat, er­nannt.

In Abwesenheit angeklagt Vor dem Sondergericht in Rom begann der Prozeß gegen den ehemaligen Außenminister und späteren Botschafter in London, Dino Grandi. Grand! befindet sich im Ausland. Er war 1944 durch das Sondergericht in Ve­rona in. Abwesenheit zum Tode verurteilt worden, weil er mit Ciano lm Juli 1943 den Sturz Mussolinis herbeigeführt hatte. Grandi sollte der Nachfolger Mussolinis werden, doch über­trug der König die Macht auf Badoglio.

Unruhiges Italien In Modena mußten gegen kom­munistische Demonstranten zehn Panzerwagen eingesetzt werden. Dennoch wurde das Parteilokal desUomo Qualunque gestürmt und verwüstet. Auch in Süd- Italien ist es zu Ausschreitungen gegen die Monarchisten und Qualunquis$en gekommen. v

Tatarescu nicht mehr Vorsitzender Der frühere rumänische Außen­minister und stellvertretende Ministerpräsident Tatarescu ist von seinem Posten als Vorsitzen­der der Nationalliberalen Partei enthoben worden.

Kabinettsumbildung in Präg Als Nachfolger der zurückgetre­tenen Sozialdemokraten Fierlin- ger und Lausmann hat Präsi­dent Benesch den Vizepräsiden­ten des Abgeordnetenhauses, Ty- mes, zum stellvertretenden Mini­sterpräsidenten und Ludmila Jankovcova zum Industriemini­ster ernannt. Beide sind Sozial­demokraten. Zum stellvertre­tenden Ministerpräsidenten an Stelle des slowakischen Demo­kraten Ursiny wurde dessen Par­teifreund Kocvara ernannt. Jugoslawisch-bulgarische Einheit Marschall Tito ist zu einem Be­such in Sofia eingetroffen. Er sagte, er werde alles tun, was in seiner Macnt stehe, daß das jugoslawische und das bulgarische Volk zu einer unauflöslichen Einheit verbunden würden, die keine Macht zerstören könne.

Totaler Verkehrsstreik Der .Nationalverband der fran­zösischer! Eisenbahner hat be­schlossen, sämtliche Gewerkschaf­ten aufzufordern, sofort an dem Streik teilzunehmen, um ihn wirkungsvoll und total zu ge­stalten. Nach einem Kommunique des Arbeitsministeriums streikt nur ein schwacher Prozentsatz des gesamten-Eisenbahnpersonals. Die Streikbewegung beschränkt sich auf Marseille und' Umge­bung, die Pariser Vororte, die Kohlenbezirke des Nordens und vereinzelte Stellen der Provinz. Die Gewerkschaften der Post- und Telegraphen-Arbeiter von Paris beschlossen, den Streik auf alle Dienststellen auszudehnen. Hingegen sprachen sich 75 Pro­zent der Bergarbeiter im loth­ringischen Kohlenbecken für die sofortige Wiederaufnahme der Arbeit aus.

Stalin soll sprechen Der amerikanische Atomwissen­schaftler Professor Leo Szilard in Chicago hat an Stalin einen offenen Brief gerichtet, in dem er ihn auffordert, wenigstens einmal im Monat zum amerika­nischen Volk zu sprechen, t urn diesem seine Ansichten über die Nachkriegswelt auseinanderzu­setzen und ihm klar zu machen, daß das privatwirtschaftliche und das Sowjetsystem nebeneinander bestehen könnten. Hielten die augenblicklichen Zustände nocn sechs Monate an, so würde ein Krieg unvermeidlich.

Palästinas Teilung Die Teilung Palästinas wurde von der Palästinakommission der Vereinten Nationen mit 25 gegen 13 Stimmen bei 17 Enthaltungen gebilligt. Für die Teilung stimm­ten unter anderen die Vereinig­ten Staaten und die Sowjet­union, der Stimme enthielten sich zum Beispiel Frankreich und Großbritannien.

Oie Glonne

Ein großzügiger Entschluß

J. S. Im altenSimplizissimus war vor Jahren folgendes Bild zu sehen: Ringsum ist Nacht. Der deutsche Michel, die Schiaf- mütze übers Ohr gezogen, streckt den Kopf zum Fenster hinaus. Unten stehen, drohend die Hakelstecken schwingend, in Windjacken und Sturmmützen, Hitlerburschen und brül­len:Deutschland erwache! Resigniert sagt der deutsche Michel darauf:Ich kann eh schon seit 1914 nicht mehr schlafen. So ist es. Seit mehr als dreißig Jahren sind wir nicht mehr zur Ruhe gekommen, vor Krie­gen, Krisen, Mord und Totschlag und ewiger Angst. Mit der Angst stehen wir auf, mit der Angst legen wir uns zu Bett. Und schon haben auch die Philosophen die Angst zur Grundlage ihrer ganzen Heilslehre gemacht, wie seinerzeit der alte Thaies das Wasser. Wer die heutige Menschheit von der Angst erlösen kann, und ist es auch nur eine ihrer vielen Aengste, hilft ihr mehr als ein Dutzend Gelehrter, die ja doch wieder nur Atombomben oder irgend ein Teufelswerk erfinden. Da hat die französische Militär­regierung, als erste der Besatzungsbehörden, mit der herkömmlichen, qualvollen Säu­berungsmethode auf einmal Schluß gemacht. Sie läßt die Kleinen laufen. Es ist, als ob man das Aufatmen, das bei der Bekannt­machung dieser Verordnung durch die fran­zösische Zone ging, leibhaftig gehört hätte; Viele werden nun wieder mit Frau und Kindern ruhiger schlafen. Viele, die ver­drossen die Hände in den Schoß legten, und sagten, es hat doch keinen Wert, ich komme doch auf keinen grünen Zweig, werden nun wieder Mut fassen. Das Geschmeiß der De­nunzianten, die mit dem Finger auf einen früheren kleinen Nazi zeigten, den sie aus irgend einem eigennützigen Grunde weg­haben wollten, wird in seine Schlupflöcher zurückkriechen. Berge von Akten, in einem unnützen Papierkrieg vertan, werden ver­schwinden. Und jetzt erst ist für die rich­tige Säuberung Platz gemacht. Denn das bisherige System führte, darüber waren sich alle Klassen und alle Parteien einig, nur zur Renazifizierung oder zur vollständigen Gleichgültigkeit. Einmal mit einer Partei hereingefallen und nie wieder. Wie sollte auch auf die Dauer eine Demokratie ge­deihen, wenn ein Großteil des Volkes zu Staatsbürgern zweiter Klasse gestempelt wurde. Der Weg für sie zur Mitarbeit im öffentlichen Leben ist nunmehr freigemacht. Die Lehre, die sie aus diesen zweieinhalb Jahren der Sorge und Angst gezogen haoer^ ist bitter, aber sie wird heilsam sein: Laß Dich nicht verführen, weder durch Lockung noch- Gewalt. Folge Deinem GewiMec «wd dem gesunden Menschenverstand!

AM RANDE

Meldungen, daß man gegen Adolf Hitloi o.v* Braun, Hermann Gering, Rudolf Heß, Julius Strei­cher, Heinrich Himmler, Martin Borinann und Baldur von Schirach Spruchkammerverfahren in Abwesenheit beabsichtige, wurden von dem baye­rischen Sonderminister Dr. Hagenauer für »üen Aprilscherz erklärt.

Der Ortsausschuß Düsseldorf der christlichen Arbeiterjugend schickte der Prinzessin Elisabeth als Hochzeitsgesehenk ein Päckchen mit der Tages­ration eines Normalverbrauchers im Ruhrgebiet. Im Begleitbrief heißt es, das solle nicht als ein Ausdruck bitteren Vorwurfes betraohtet werden.

In Köpenick, im Sowjetsektor Berlins, wurdeü zwei ehemalige Mitglieder der SS-Totenkopf-Ver- bände verhaftot, weil sie auf der Straße - das Engelland-Lied und ein anderes nationalsoziali­stisches Kampflied sangen. Sie wehrten sich er­bittert und warfon der deutschen Polizei würde­loses Verhalten vor.

Wetterbericht

Wechselnd wolkig, zeitweise stark aufheiternd. Noch örtliche Regen- und Schneeschaner. Leichter bis mäßiger Frost.

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Redaktion: Albert Komma, Johannes Schmid. Verlag: Schwäbischer Verlag, KG., Friedrichahafen, in Lentkirch. Druck: Rottweller Verlags- und Druckereigenossenschaft, Rottwei I.

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Von Max Mell

Endlich am Samstag wurde er vor ein Kriegsgericht gestellt, dem er alles haarklein erzählte, mit Ausnahme seiner Liebe, und die Offiziere erkannten darauf, daß sein Fehl durchaus nur der Gutmütigkeit, der Betrüb­nis und dem Schrecken zuzuschreiben und daher keine eigentlich infame Handlung wäre, ebensowenig wie die des Heinz Dederdinger, der zu seinem Schaden so ungeduldig ge­wesen, den Spruch des Gerichts nicht abzu­warten. Alle Offiziere sahen den Philipp freundlich an, und es wurde alsbald zur Ehrlichmachung geschritten, gemäß den Vor­schriften des Kriegsrechtes.

Im Hof der Kaserne formte die Infanterie einen Kreis; in der Mitte standen die Fah­nenjunker, ein Leutnant mit vier Korporalen und vier Tambours. An einer Stelle war der Kreis offen, und zwanzig Schritt davon ent­fernt mußte Philipp Infang niederknien und, den Hut im Maule haltend wie ein Hund, fünf Schritt lang kriechen, und dann richtete er sich auf die Knie auf, hob die Hände über s^jnen Kopf und sprach, den Hut fallen lassend:Ich bitte das löbliche Regiment um Gottes willen um meinen ehrlichen Na­men. Und dann nahm er den Hut wieder auf mit den Zähnen und kroch weiter, und er dachte sich, wie er über die Knie rutschte, wehmütig: daß doch dein lieber Herzbruder mittraben könnte und auch wieder ehrlich würde, der Arme, der in Schande von hinnen fuhr. Und als er zum drittenmal kniete und bat, war er am Eingang des Kreises ange­

I langt, wo ihm der Obristwachtmeister ant- 1 wortete:Stehe auf, das löbliche Regiment wird dir deinen ehrlichen Namen in Schwen­kung der Fahnen geben und dich den an­deren ehrlichen Soldaten gleich machen. Nun trat er in den Kreis, immer mit dem Hut im Munde, fiel vor dem Fahnenjunker in die Knie. Jetzt erklang Trommelwirbel, der Leutnant kommandierte:Präsentiert! und durch die ganze Runde schütterte das feierliche Rasseln der Gewehre. Da entrollte der Fahnenjunker die schwere knisternde Seide der Fahne, schwang sie einmal über dem Knienden, der sie ehrfürchtig durch die Lüfte tosen hörte, und sprach dazu:Im Na­men seiner Durchlaucht des Fürsten Fried­rich Georg August, unseres allergnädigsten Kriegsherrn! Dann schwenkte er sie ein zweites Mal über den Delinquenten, daß ihm bei dem schimmernden Krachen des Stoffes die Tränen in die Augen drangen vor Rüh­rung.Im Namen des Generalleutnants Pilati von Schwarzbach, unseres Regimentschefs! und des Herrn Obersten von Roussillon, un­seres Regimentskommandeurs! Und das dritte Schwenken fuhr, herrlicher als Trom­petengeschmetter, über ihn hin:Im Namen des ganzen löblichen Regiments! Da durfte er den Hut fallen lassen und aufstehen und ihn mit dem Fuß gegen die Oeffnung des Kreises wegstoßen, und der Leutnant setzte ihm einen anderen Hut auf, umgürtete ihn mit dem Bajonettgehäng, und der Wacht­meister gab ihm das Bajonett selbst:Hier hast du deinen ehrlichen Namen und Ge­wehr wieder!

Seine Kameraden waren an diesem Tage von größter Aufmerksamkeit gegen ihn. Es stach ihn aber ins Herz, wenn ihm einer sagte: Du hast es klüger gemacht, du hast

dich nicht gleich auTgeknüpft! und ihm zu­traulich zutrank. TJnd nun war morgen Sonn­tag, und es wäre möglich nach dieser grauen­vollen Woche, in der er, von schrecklichen Zufällen abgesehen, durch seelische Qualen hatte Spießruten laufen müssen, nun ein süßes Geschöpf am Arm, nach Müßleinsreut hinauszuwandem, zu schaukeln und Kaffee zu trinken und fröhlich zu sein und sieh ent­weder draußen ix den Gebüschen oder wenn es ging, in ihrem Kämmerlein inm - Schön* heit zu erfreuen und dazu i*t «rehmütlg« Ge­denken an den gutav Tra und hegen, den das tragische Schicksal rasch dahingerafft Aber zuletzt, wenn uer tot war, was konnte ihn abhalten, weiter zu leben? Jetzt war es doch kein Betrug mehr, Katharina herzlich zu lieben, im Gegenteil, taten das nicht fort­ziehende Soldaten oft genug, daß sie Ihr Liebchen der treuen Sorgfalt eines ihrer Freunde empfahlen? Da schien es sogar seine Pflicht, Katharina aufzusuchen! Und wenn er daran dachte, wie die Fahne festlich, wie'ein großer heiliger Vogel, über ihn hinweg­gerauscht war, so hob sich seine Brust voll Stolz, und er vertraute seinem Stern.

Am Abend wollte er also in den Winkel hinter dem Haus kriechen, dort auf den Pfeiler steigen und Katharina für den sonn­täglichen Spaziergang gewinnen. Als er aber den wachhabenden Offizier anging, ihm an­läßlich seiner Ehrlichsprechung ein halbes Stündchen dienstfrei zu gewähren, fixierte ihn der Offizier scharf und entgegnete, an diesem Abend dürfe kein Soldat die Kaserne verlassen, es würde Befehl erteilt. Verdrossen setzte sich Philipp in die Kantine, verwand aber doch bald sein Mißgeschick, weil ihm ja der Sonntagvormittag zur Ausführung seines Planes blieb.

Da erklang ein Signal, die Truppen traten zusammen, und mit lauter Stimme verlas der Oberauditeur die Mitteilung, dem Landes­fürsten habe es allergnädigst gefallen, dem König von England behufs Unterdrückung der Rebellion in Nordamerika sein Regiment zur Verfügung zu stellen. Morgen um drei Uhr früh .sei Reveille, um vier Uhr früh Abmarsch. Mit einem Hochruf auf den Für­sten schloß die Mitteilung.- Blaß, verzerrten Gesichtes, mit Tränen in den Augen traten die Soldaten ab; Flüche und Verwünschungen preßten sich leise hervor, zynisches Geläch­ter schlug auf. Um drei Uhr, nach angstvoll und kläglich zugebrachter Nacht, erhoben sie sich. Und nun schnallte der Soldat das Sei­tengewehr um und die Patronentasche und den Tornister und verpackte alle seine Wäsche und kleine Notwendigkeiten hinein; dann schnallte er die Feldflasche um und den Furagierbeutel und hing seine Flinte an die Schulter. Fünf Riemen, unter denen die Montur faltig hervorquoll, umschnürten ihn, und so gings um vier Uhr |rüh fort, noch ehe die Kunde zu der Bürgerschaft gedrun­gen war und ehe die Zeit zu Wühlereien ver­worfener Subjekte ausgereicht hätte. Der Trupp marschierte schweigend in den bleier­nen Morgen, in dem alle Gegenstände fahl dastanden und darauf warteten, von der Sonne ihre Farbe und ihr Gesicht zu be­kommen. Vor dem Tor hob einer aus dem Glied den brennenden Blick zu dem Haus, an dem eine Madonna stand, und sie trug um die kalten, steinernen Falten der Kopfr drapierung einen schmalen schwarzen Flor. Und dann marschierte das Regiment auf die Chaussee hinaus, die an Müßleinsreut und an dem Lustschloß Bellevue vorüberführte.

(Schluß)