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Richter und Dichter über Toulon
Am 27. November jährt es sich zum fünften Male, daß auf der Heede von Toulon der- größte Teil der französischen Kriegsflotte, mehr als 15» große und kleine Einheiten, auf Befehl des französischen Flottenchefs versenkt wurde. Dieses - dramatische Kapitel der Marinegeschichte war im August vorigen Jahres Gegenstand des „Admiralsproxesses“, an. dessen Schluß die verantwortlichen Befehlshaber zu hohen Freiheitsstrafen verurteilt wurden. Der Prozeß ergab folgendes Bild von den Ereignissen:
Der Bruch des Waffenstillstandsvertrages durch Deutschland als Reaktion auf die anglo-amerikanische Landung in Nordafrika veranlaßte den französischen -Marinestaats- sekretär Admiral Auphan, der Vichy-Regierung das sofortige Auslaufen dar Flotte anzuraten, um sie vor dem zu erwartenden deutschen Handstreich zu retten. Laval lehnte ab. Die Admirale in Toulon selbst wagten nicht, einen Entschluß zu fassen, der offenen Ungehorsam gegen die Viehy-Regierung be-; deutet hätte. So standen am 11. November deutsche Truppen am Stadtrand von Tbuion, wenige Kilometer von den Kriegsschiffen entfernt. Angesichts der Gefahr eines Handstreichs entschlossen sich der Chef der im Hafen von Toulon vereinigten Marinestreit- - kräpcte, Admiral de Laborde, und der Marinepräfekt Marquis, gedeckt durch die Weisungen, des Marinestaatssekretärs, mit den Deutschen zu verhandeln. Ein Vertrag wurde ausgearbeitet. Die Admirale verpfändeten ihr Ehrenwort, Befestigungen und Hafen gegen jeden Angriff, gleich von welcher Seite, zu verteidigen. Die Deutschen verpflichteten sich ihrerseits, einen fünfzehn Kilometer tiefen Gürtel rings um die Stadt nicht zu überschreiten. Die Frage, ob die Flotte zu diesem Zeitpunkt noch imstande gewesen wäre, den Hafen von Toulon ohne Risiko zu verlassen, muß nach der Beweiserhebung des Prozesses bejaht werden. Je mehr sieh aber die deutsche Wehrmacht im Gebiet um Toulon einrichtete, desto geringer wurden die Erfolgschancen eines solchen Unternehmens. In dieser kritischen Phase demissionierte der Marinestaatssekretär Admiral Auphan. Sein Nachfolger Ahrial wollte sich an Ort und Stelle Gewißheit verscha ffen . Am Abend des 22. Novemher traf er in Toulon ein. Er rief che Admirale zusammen und nahm als Ergebnis dieser Aussprache die Ueberzeugung mit, daß ein Auslaufen der Flotte, mit Ausnahme der„ Unterseeboote, keine Aussicht auf Erfolg mehr geboten hätte. Beim Verlassen Toulons am 23. November bestätigte er die von den Admiralen Marquis und de Laborde an die Kommandanten der Schiffe und Forts ausgegebenen Befehle: Blutvergießen zu vermeiden und im Falle eines deutschen Versuchs, sich der Schiffe zu bemächtigen, diese zu versenken. Am 24. November erstattete Abrial In/Vichy Bericht. Seine Lageschilderung war düster; er glaubte nicht an die Ehrlichkeit des deutschen Willens, sich an die Vereinbarung zu halten. Die Ereignisse überstürzten sich nun. Am 27. November, morgens früh um 4.30 Uhr, iberreichte der deutsche Geschäftsträger in ' r ichy dem Ministerpräsidenten Laval eine Note- der deutschen Regierung, in. der diese erklärte, daß sie sich an das Uebereinkom-, men von Toulon nicht mehr gebunden fühle. In einem eiligst zusammengerufenen Ministerrat soll sich Laval, nach den Aussagen Admirals Abrials, mit der nunmehr dringend gewordenen Versenkung der Flotte einverstanden erklärt haben. Eine entsprechende telefonische Waisung wurde nach Toulon gegeben. Hier hatten sich die Dinge Inzwischen selbständig zugespitzt. Im selben Augenblick nämlich, als der deutsche Geschäftsträger i» Vichy seine Note überreichte, verhafteten die deutschen Truppen, nachdem sie die Garantie-Zone überschritten hatten, überraschend den Marinepräfekten Admiral Marquis. Der •ranzösisehe Warndienst funktionierte jedoch, und so vollzog sich das, was die Deutschen
durch ihre zweideutige Politik unbedingt hatten verhindern wollen: die Versenkung der Flotte, vor ihren Augen. Panzerschiffe, Kreuzer, Zerstörer, Avisos und Minenleger explodierten eines nach dem andern und sanken in die Tiefe.
Wir hätten wenig Grund, dieser Vorgänge heute zu gedenken, wenn nicht der im März dieses Jahres verstorbene kommunistische Journalist, Romanschriftsteller und Dramatiker Jean Richard Bloch das Thema durch sein Drama „Toulon“ erneut zur Debatte gestellt hätte. Bloch geht nämlich an der eigentlichen Problematik des Falles „Toulon“ vorbei. Er le*gt das Hauptgewicht auf den Gegensatz zwischen der unentschlossenen, mit der Petain-Politik liebäugelnden Haltung der Admirale einerseits und dem instinktsicheren Patriotismus der Arsenalarbeiter und Matrosen andererseits, die das schwächliche Manövrieren ihrer Befehlshaber zu durchkreuzen versuchten. Aus dem Gewissensdrama hat er ein etwas rinseitig gefärbtes Tendenzstück, dessen Darstellung der historischem Vorgänge obendrein in wichtigen Partien von den Enthüllungen des Admiralsprozesses abweicht. Für uns Deutsche wäre
es immerhin interessant gewesen, hier einmal die Meinung eines prominenten französischen Schriftstellers zu einem Gewissenskonflikt kennenzulemen, der oft ähnlich den psychologischen Hintergrund zahlreicher Verfahren gegen Befehlshaber der deutschen Wehrmacht bildete. Michel Clömenceau, der Sohn des „Tigers“, rührte an den Kern der Sache, als er, einer der Geschworenen, in einer dramatischen Phase des Prozesses die Angeklagten fragte, wie sie die den Kriegsschiffen aufgeprägte Devise „Honneur et Patrie“ (Ehre und Vaterland) mit ihrem Verhalten (nämlich nicht rechtzeitig auf eigene Faust ausgelaufen zu sein und damit die Flotte für die Alliierten gerettet zu haben) in Einklang zu bringen vermöchten. Der Angeklagte Admiral Abrial erwiderte hierauf nicht ohne ein gewisses Pathos, daß es noch eine andere Devise der Schiffe gäbe, nämlich „Valeur et Diszlpline“ (Tapferkeit und Unterordnung). Wenn auch ihr Verhalten nicht den Anspruch ehrenhafter Vorbildlichkeit erheben könne, so schütze das erfüllte Gebot der Disziplin und des Gehorsams sie doch vor dem Vorwurf der Ehrlosigkeit. Die Admirale schienen nicht zu erkennen, daß es kl der Kriegs-, geschickte mehr, als einen berühmten Präzedenzfall gab, in welchem die Forderung der Disziplin unvereinbar mit der der Ehre gewesen war. H. Sch.
DIE KURZE NACHRICHT
BertinerBespreehnn» Sb er London Die Vorsitzenden der drei Parteien, die in der Ostzone zugelassen sind, Wilhelm Fleck und Otto Grothewohl (SED), Jakob Kaiser und Ernst Lemmer (CDU) und Dr. Wilhelm Külz (LDP), hielten eine vertrauliche Besprechung ober die Londoner Konferenz ab. Die konkreten Punkte der Beratung wurden einer Sitzung des Antifa-Blocks überwiesen. Kaiser und Lemmer wurden im russischen Haupt- quartier in Berlln-Karlshorst von. dem Letter der sowjetischen Militäradministration, Oberst Sergej Tulpanow, empfangen. Jakob Kaiser habe dabei erklärt, daß ein. Frieden durch die Aufreebt- erhaltung der Oder—Neisse- Crenze nicht erreicht werden könne.
Das gefährliche Thema Die sowjetische Militäradministration hat die beiden letzten Ausgaben der sächsischen CDU- Zeltung. .Die Union“ beschlagnahmt. Man nimmt an, daß es sich dabei um die Bede handelt, die Jakob Kaiser in Berlin. Uber die Oder—Neisse-Grenze gehalten hat.
Wenn die Konferenz scheitert Nach, einer Düsseldorfer Meldung treffen die britische und die amerikanische Militärregierung Vorbereitungen für' eine Währungsreform. Falls die Londoner Konferenz scheitern sollte, werde ein Organismus, geschaffen werden, in dem die Banken der Btaone vertreten wären, und der das neue Geld in Umlauf setzen sollte. Die-Maßnahmen gingen auf Informationen zurück, daß die sowjetische Militäradmlnistration fn Berlin-Karishorst mit den deutschen Finanz- und Wirtschaftsbehörden der Ostzone über eine Währungsreform verhandle.
Bin Gegengewicht Das „Badener Tagblatt“ schreibt zu den Münchner Gesprächen des Staatspräsidenten Leo Wohieb. wenn man auch über das Thema im ei n zeln en nicht unterrichtet sei, so liege doch die Vermutung nahe, daß man sich bei einem Mißerfolg der Londoner Konferenz mit der Frage beschäftigen dürfte, ln welcher Form süd- und südwestdeutsche Länder in einem föderativen Bundesstaat ein wirksames Gegengewicht gegen die norddeutschen Länder bilden könnten-.
Arbeitskräfte für das Ausland Auf einer Zusammenkunft zwischen dem Präsidenten der Zentralverwaltung für Arbeit un<f
Sozialfürsorge in der Ostzone, Gustav Brack, und dem würt- tembergisch-bedischen Arbeils- minister, Rudolf Kohl, wurde bekanntgegeben, daß in Württemberg-Baden gegenwärtig 12900 Arbeitskräfte für Frankreich frei gemacht würden. Brack erwähnte die Arbeitsverpfllchtungen and begründete sie damit, daß ln der Ostzone 199 000 Arbeitsplätze frei seien, für die nur 2314 vollein- satzfählge Arbeitskräfte zur Verfügung stünden, hi die Sowjetunion seien bisher nicht mehr als 700 Facharbeiter abgestellt worden.
Keine Demontage der Hygiene Auf einer Inspektionsreise teilte der Direkter der amerikanischen Militärregierung für Hessen, Dr. Newman, mit. daß er beantragt babe, die hessische Seifenindustrie von der Demontage auszunehmen, um die Bevölkerung gegen Seuchen und Krankheiten zu schützen.
Umstrittene Massengräber Nach einem Bericht des Hauptquartiers der amerikanischen Besatzungspolizei bat das vorläufig* Komitee der internationalen FUkhtUngsorgardsation bei dem Internierungslager HammelbuTg 68 Massengrab«- mit ungefähr 13 000 Leichen und U 090 Eiiud- gräber alliierter Kriegsgefangener entdeckt. Die Todesursache sei in vielen Fällen Hungerödem oder Krankheit infolge- Unterernährung gewesen. Auch Exekutionen in größerem Umfange seien vorgekommen. Die bayerische Landespolizei erklärt dazu, es bandle sich um etwa 3800 Tate. Die Gräber seien der Militärregierung seit zweieinhalbiJahren bekannt. Von den beiden Friedhöfen stamme der eine noch aus dem ersten Weltkriege.
Auslieferung gefordert Polen hat von den Alliiertest die Auslieferung des ehemaligen deutschen Generalstabchefs Gu- derian und des SS-Generals Erich von dem Bach gefördert. Sie sollen für die Zerstörung Warschaus verantwortlich sein.
Hitlers Bunker wird gesprengt Die sowjetische Militäradministration hat beschlossen, den Luftschutzbunker Hitlers in den Trümmern der Reichskanzlei zu sprengen. Zuerst muß er allerdings trockengelegt werden.
Auf der Rückreise verirrt Zwei Mitglieder der kanadischen Militärmission in Berlin sind auf der Rückreise von einem genehmigten Besuch in Moskau südlich Kaliningrad (Königsberg) von sowjetischen Grenzwachen fest-
genommen worden. Sie selbst behaupten, sie hätten sich auf dem Wege von Danzig nach Berlin verirrt. Der sowjetische Rundfunk unterschob ihnen, sie hätt— ten sich mit „Sonderaufträgen“ befaßt. Kanada hat in Moskau gebeten, den beiden die Weiterreise zu gestatten und gegebenenfalls ihre Bestrafung ln Aussicht gestellt.
Der neugierige Krefalette»
Das evangelische KonsUtcnium der Kirchenprovina Sachsen-Anhalt hat gegen ein Rundschreiben der SED-Kreisleitung Magdeburg protestiert. In dem deren Funktionäre angewiesen, worden sein, sollen. Predigten zu überwachen und Uber etwaige Aeußerungen zu berichten, die die SED interessieren könnten.
Abgelehnte Gnadengesuche General Clay hat sämtliche Gnadengesuche der in Nürnberg verurteilten Aerzte und Wissenschaftler abgel.ehnt. Die Entscheidung des. Obersten Bundes- gerihtes der Vereinigten Staaten steht noch aus.
Brzberger-Mörder identifiziert In einer Verhandlung vor der Spruchkammer BergstraBa fn Heppenheim soll nachgewiesem worden sein, daß der SS-Ober- sturmbannführer Heinrich Schulz, der bis vor kurzem fn Darmstadt • Interniert war und sich jetzt im Nürnberger Gerichtsgefängnis, befindet, mit dem Mörder Matthias Etzbergers identisch sei. Schulz soll sieb gerühmt haben, Era- herger persönlich erschossen zu haben.
Professor Georg Kolbe gestorben In Berlin ist im Alter von 7Q Jahren der berühmte Bildhauer Professor GeorgKOlbe gestorben. Ihm war 1938 der Goethe-Preis der Stad* Frankfurt verliehen worden.
Konferenz der Nohel-Preisträger Die Deutsche-Friedensgesellschatt, die Evangelisch - Lutherische Kirche, die Deutsche Frauenbewegung und dte „Gruppe des 20. Juli 1944" haben den Erzbischof von Upsala gebeten, die Träger des Friedens-Nobelpreises und vielleicht auch andere Nobelpreisträger zu einer Konferenz nach Stockholm oder Upsala einzuladen, die gleichzeitig mit der Konferenz der vier Außenminister tagen soll.
Bradley GeneTalstabschef Präsident Trumen hat den Leiter des Amtes füs Angelegenheiten, ehemaliger Kriegsteilnehmer, General Omar N. Bradley, zum Chef des Generalstabs als Nacft- tm ger Eisetihowers ernannt.
Mittwoch. 26. November 1947
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Die Glosse
Ein unerwünschter Heimkehrer
a. k. Bei der amerikanischen Militärregierung für Württemberg-Baden ist die Zulassung eines „Bundes für deutsche Erneuerung“ beantragt worden, die in Stuttgart der Archivar Karl Schumacher betreibt. Die Aussicht, daß es in den vier Besatzungszonen zweiunddreißig oder, wenn man die neue „völkische“ Gruppe der Münchner Studien^ rate Gentner und Bauer mitzählt, gar dreiunddreißig politische Parteien geben sollte, ist Rieht eben erfreulich. Man kann aber nicht bestreiten, daß es in Deutschland viel zu erneuern gibt, und wenn diese Erneuerung von dem Bund des Archivars Schumacher erhofft werden konnte, dann cfiirfte es kein Hindernis sein, daß man dann die Schumacher in der deutschen Politik numerieren müßte. Anders sieht sich die Sache an, wenn man erfährt, dpfi der „Bund für deutsche Erneuerung^ keine Originalschöpfung des Stuttgarter Archivars ist, sondern daß hinter ihm rin alter Bekannter steht, Doktor Otto Stras- ser von der „Schwarzen Front", der seit Jahren in Kanada lebt. Da wird man denn doch stutzig. Es soll nicht geleugnet werden, daß Otto Strasser vor und narb der Ermordung seines Bruders Gregor am 30. Juni ein erbitterter und gefährlicher Gegner Hitlers gewesen ist. Aber das genügt nicht, um ihm Einfluß auf die Entwicklung Deutschland zu gestatten. Otto Strasser war Nationalsozialist und ist es im Grunde geblieben, wenn, auch sein, schwäbischer Propagandist verkündet, er hätte seine Ideen seit 1933 geändert „Solidarismus, Volkstum und Christentum" seien die Grundlagen seines Programms, und er trete für einen deutschen Bundesstaat nach Schweizer Muster rin. Nun, auch der Mann, in dem die Strassers und ihr Kreis nur den „Trommler“ sehen wollten, der die Macht erobern sollte, die sie dann auszuüben gedachten, hat oft das Wort Christentum im Munde geführt, was aber davon zu halten war, haben der Kirchenkampf und Auschwitz oder Buchenwald bewiesen. Unter dem neuen Begriff des „Solidarismus“ dürfte sich Strasser auch etwas anderes vorstellen als die Männer, die ihn geprägt haben. Und „Volkstum“? Nein, danke! Wohin das führt, das haben wir erlebt. Es genügt wirklich nicht, daß man sich von Hitler getrennt bat, weil einem der erhoffte Anteil an der Macht vorenthalten geblieben ist. Otto Strasser hatte immer etwas verblüffende Einfälle. So hat er im Exil eine „Reichsregienmg“ mit sich selbst als Reichskanzler proklamiert, die freilich nur in den Spalten seiner „Deutschen Revolution“ in Erscheinung getreten ist. Wir wollen hoffen, daß seinem „Bund für deutsche Erneuerung“ kein größerer Erfolg beschieden ist Denn an einem Schumacher hat di« deutsche Politik genug — manche sagen sogar „übergenug“ — und an einem Strasser besteht überhaupt kein Bedarf mehr. In Kanada kann er nicht so leicht Schaden anrichten.
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Wiede» Ehrendoktor
M. B. M ü neh e n. — Die Universität Würzburg hat beschlossen, Otto Strasser wieder den Titel eines Ehrendoktors zuzuerkennen. Auf Anweisung Hitlers hatte ihm die Universität die Würde eines Ehrendoktors aberkennen müssen.
Wetterbericht
Aussichten bis Woofteamitte: Temperaturen sin* kend. Allgemein suiheiterarl und nur anfangs noch einzelne Schauer.
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Redaktion.; Albert Komma, Johanne» Bcbratd. Verlag: Schwäbischer Verlas, Kö., Friedilchsbafaa, fn Leatklrch. Druck: Rottweiler Verlage- un4 Drnckareigenossenschaft, Kottweil.
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4. Von Max MeH
Ruhelos wälzte sich Philipp auf seinem Lager, und alle Niedertracht seines Handelns kam ihm ins Bewußtsein. Er dachte sich, daß Heinz die Katharina viel lieber haben müßte als er, der doch wußte, was sie für ein leichtes Ding war, und dem sie jetzt höchst abstoßend vorkam, weil sie ihm solchen Ekel und. solche Widerhist in sein ganzes Denken und Fühlen gegossen hatte. Er mußte aufstehen und Heinz trösten gehen und ihm seine Ehrlichmaehung als etwas ganz Sicheres hinsteilen. Er zog sich an, stieg die Treppe hinauf und öffnet« die Kammern vor dem Bodenraum.
In der ersten hingen ausgemusterte Monturen und sonstige ungebrauchte Ausrüstungsstücke; auf den halblauten Ruf: „Heinz!“ antwortete nichts, auch in der zweiten Kammer nicht, wo alte Bänke übereinander gestapelt waren, und die dritte war so vollgepfropft mit unbrauchbaren Waffen, Zeltstangen und altem Kochgeschirr, daß dort anmöglich rin Lager sein konnte" und Philipp beim Hineintappen ganz überflüssigen Lärm machte. Da betrat er noch einmal die zweite Kammer und wiederholte seinen Ruf, und wie er tiefer hinein ging, sah er vor dem nachthellen Viereck der Luke etwas Schwere» herabragen, und als er darauf griff, da war. es der kalte Leichnam des Heinz Deder- dinger, der sieh an einem Balken des Daeft- stufales erhängt hatte. Einen Augenblick stand Philipp da und ließ das Entsetzliche in sein. Herz hineinkommen, und dann stürzte er mit einem Wehschrei in die Knie,, und der Tote baumelte leise von der Berührung. Philipp warf sich ganz hin auf den Boden, kratzte mit den Nageln auf der Diele und
wimmerte ganz fürchterlich. Nun konnte er ja, was er sich an dem schönen Sonntag gewünscht hatte, erreichen; weggeräumt war durch das Geschick der beneidete Nebenbuhler, aber statt eines treuen Herzensfreundes sollte er hinfort ein Mädel haben, das wenig besser war als eine Dirne. Da fluchte er dem Sonntagsausflug und maß sich auch alle Schuld an dem unseligen Zufall mit dem Schinder bei; zernichtet und zerknirscht warf er sich dort herum. Aber zuletzt faßte er sich, stand auf and sprach schluchzend zu ihm, der da hing; „Du meine treue Serie, Gott sei dir gnädig, aber ich bin noch viel elender als du! Nicht du bißt am Sonntag unehrlich geworden, sondern ich!“ Offenbar hatte man unten, seinen. Schrei und »eine heftigen. Bewegungen gehört, denn man ging unten und sprach. Aber er schluchzte weiter und redete weiter; „Alles hat dich betrogen, du armer Wurm, es ist gut, daß du dich davongemacht hast! Aber laß mich dir den letzten Liebesdienst in Tbeuen erweisen.“ Er rückte eine Bank näher, zog sein- Messer tmd umfing mit einem Arm den Tote»; dann schnitt er den Strick vom Balken ab, und der Leichnam glitt schwer in sein« Arme. So legte er ihn auf die Bank.
Da fiel schon ein rötlicher Lichtschimmer herein, und es kam die Nachtwache mit rin paar anderen aufgescheucht«« Soldaten; sie prallten an der Tür zurück, und der mit, der Laterne flüsterte: „O Gott, der Dederdinger hat sich ein Leids angetan!“ Dann drängten sie herein tmd sahen ihn an, während einer hinunterlief, so daß sich die Nachricht gleich in den Schlafraumen verbreitete. Unter Schluchzen berichtete Philipp, daß er dem verzweifelten Menschen na(hgeschliehen sei, um ihn zu trösten, and ihn nun so gefunden hätte- und da zerriß- em Jammer seine Stimme. Es wurde einen Moment stille unter der Mannschaft, dann fragte einer, der ganz h i nt en stand und dessen Gericht man nicht
sah, mit lauter Stimme:: „Und wer hat denn den Strick durchgeschnitten?" Und vorn einer im Hemd wiederholte: „Und wer bat denn den Strick durchgeschnitten T‘ Da versiegten dem Philipp die Tränen, er riß die Augen auf und verdrehte sie fürchterlich; denn ein Soldat, der einem Selbstmörder den Strick cturehsehnitt, und hier einem unehrlichen noch dazu, galt selbst als infam. „O barmherziger Gott!“ schrie Philipp und schlug sich die Fäuste an die Stirn, und dann versagte Sam die Sprache, und er sah, daß ihn der Tote damit bestraft hatte, daß ewihin wohl seine Liebste, aber auch seine Unehre binteriieß.
Es kam dar Prwßos, und es kam der Hauptmann; sie griffen den Toten an und sahen, daß nichts mehr zu machen war. Der Hauptmann aber schrie den. Philipp an: „Will Er sich wohl auch «nfhängen, Er Lump?“ „Am wohlsten wäre es mir!“ brüllte Philipp in Verzweiflung. „Da wird vor gesorgt!" rief | der Hauptmann barsch, „ins Loch mit ihm, damit er sich nichts antut, bis der Herr Oberst entschieden, hat.“ Und der Profos. bradite Philipp, von der Leiehe- des Freunctes weg, Sehob bin ins Loch, in der tiefen Nacht, und schloß hinter ihm ab.
Als- Philipp am anderen Tage auf der Pritsche erwachte, sieh stöhnend besann, was vorgefallen war, und aufatehen wollte, fand er neben sich statt der Montur schlechte Kleider, wie sie rieh für den. Unehrlichen geziemten; es waren, vielleicht dieselben,, die man. dem Toten ahgezogen, hatte, aber er wies diesen Gedanken- weg und zog sich fröstelnd an. Als er ln. die Taschen fuhr, griff er in der einen etwas Weiches, und siehe, es war ein kleines, sauberes Taschen- tüdilein, weiß und mit schmalem blauem Rand, über dem blaue Tnpfrii waren. Da erkannte er, daß er wirklich schon fn den Kleidern steckte, die am Abend noch rin Toter angehabt hatte, und während ihn wie ein kalter Butz das Grausen durchfuhr,
strömte ihm zugleich die erwärmende Empfindung in alle Glieder, ein zartes Andenken an die schöne Katharina zu besitzen. Freund und liebste ließen also nicht von ihm, und aller Lebensdurst erwachte wieder in seinem Herzen, als er da» Tüchlein besaß, an die Lippen drückte und einen rechten Trost daran hatte.
Der Profos brachte ihm die warme Morgensuppe und meinte dabei freundlich, er würde wahrscheinlich, da er doch dem Toten, als seinem Freunde, einen Liebesdienst zu erweisen dachte, wieder ehrlich gesprochen; dazu hätte man ja auch dem Heinz die Soldatenehre wieder zuerkennen wollen, so stünde dem nichts im Wege. Einstweilen möge er dort bleiben, damit die Sache durch den Umgang mit den anderen Soldaten, die Ihm natürlich ausweichen würden, nicht verschlimmert werde. Das war c Philipp ganz reehf; lieber »aß er allein im Loch, als daß er rieh in der Kantine eine einzelne Bank suchte und von mitleidigen Blicken gestreift würde. Dazu besaß er ja auch das Tüchlein, das dem liebesfrohen Heinz so wert gewesen, und da« er nun- als Anzeichen, ansah, daß er seine Gedanken wieder auf die schöne Katharina richten dürfte, sobald er nur wieder ehrlich war. Denn seine Unehrlichkeit konnte er ihr verschweigen, und wenn sie _ ihm Irgendeine Schuld am Tode Heinzes beimessen sollte, so wollte er ihr’s schon aus reden, auch schien es ihm, daß ihre Trauer nicht gar zu lange währen würde. Und wenn er da an die entschwundene Seele des Heinz dachte, stützte er seinen Kopf in die Hand, und seufzte jämmerlich. Als zudem ein paar Tage vergingen, ohne daß er einen Bescheid erhielt, begann er zu fürchten, daß man die Infamie doch nicht von ihm nähme, und da tat er das Gelübde, als Totenopfer und als Dankbarke« für die wiedergewonnene Sol- datenehre auf Katharina zu verzichten.
(FbrtSetzung folgte