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Samstag, den 22. November 1947

ORGAN DER CHRISTLICH-DEMOKRATISCHEN UNION

Nr. 93 / Jahrgang 3 / Preis 20 Pfg.

Baden-Baden. Auf einer Presse­konferenz gab namens der Militärregierung der Leiter der Wirtschaftsabteilung, Direk­tor Halff, folgende Erklärung ab:

Als die britische und die amerikanische Delegation beim Kontrollrat in Berlin ihren neuen Plan für die Reparationsleistungen der Bizone bekanntgaben, legte gleichzeitig auch die französische Delegation dem Kontrollrat eine Liste von Werken vor, deren Einrich­tungen direkt für Reparationsleistungen in Frage kommen, damit wird die praktische Durchführung des Reparationsprogramms ein­geleitet. Diesen Maßnahmen hat sich also das deütsche Volk ohne jede Diskussion zu unterziehen.

Der Wert der damit zur Verfügung gestell­ten maschinellen Einrichtungen einschließ­lich der einzelnen Werkzeugmaschinen, de­ren Ablieferung bereits im Gang ist, beziffert sich auf rund hundert Millionen Mark. Diese Entnahme steht für die Nationen, die Opfer der nazistischen Aggression geworden sind, in überhaupt keinem Verhältnis zu den Ver­lusten, die ihnen zugefügt wurden. Für die Wirtschaft der französischen Besatzungs­zone stellen alle diese Entnahmen von ma­schinellen Einrichtungen einschließlich der veröffentlichten Liste nur eine unwesentliche Belastung dar, selbst wenn man den Wert dieser Einrichtungen mit dem deutschen Na­tionaleinkommen vergleicht, das übrig bleibt,

I und das sich allein in der französischen Zone auf vier Milliarden Mark beziffern wird. Ganz abgesehen von der eigentlichen Kriegsproduktion entspricht die Entnahme dieser Einrichtungen der übertrieben gigan­tischen industriellen Mechanisierung, die durch das Hitlerregime im Zuge seiner Ag­gressionspolitik durchgeführt worden ist. So ist allein der Vorrat an Werkzeugmaschinen für metallurgische Arbeiten innerhalb der französischen Besatzungszone von 80 000 Ein­heiten im Jahre 1936 auf 150 000 Einheiten im Jahre 1945 angestiegen.

Die deutsche Friedenswirtschaft wird weder über die Rohstoffe noch über die Arbeits­kräfte noch über die Absatzgebiete verfügen, die für eine Vollverwendung dieser Super­mechanisierung, aus der nunmehr die Repa­rationen entnommen werden, erforderlich sind. Zweifelsohne wird es angebracht sein, im Rahmen örtlicher Maßnahmen einen Produktionsaustausch oder eine Produktions­verlegung vorzunehmen. Es ist Sache der zuständigen deutschen Wirtschaftsstellen, diese Maßnahmen sinnvoll durchzuführen. Dies kann mit Leichtigkeit in den kommen­den Jahren geschehen, in deren Verlauf die deutsche Wirtschaft ihr Gleichgewicht wieder finden und damit in die Lage kommen wird, der Bevölkerung einen Lebensstandard zu sichern, der noch wesentlich über dem vieler anderer europäischer Länder liegen wird."

Dr. Wendelin Hecht f

Laupheim. Am Montagnachmittag starb im Krankenhaus Ehingen nach kurzer Krankheit Dr. Wendelin Hecht im 54. Lebens­jahr. Dr. Hecht, der aus Langenschemmern stammte, ist vor allem durch seine Tätigkeit als Verlagsleiter des Frankfurter Societätsverlags und derFrankfurter Zeitung in weiten Kreisen bekannt geworden. Nach dem letz­ten Kriege war er führend an der Gründung derSchwäbischen Zeitung beteiligt. Dr. Wendelin Hecht gehörte zu den bedeutend­sten Persönlichkeiten des deutschen Zeitungs­wesens und sein Ruf ging weit über die Grenzen Deutschlands hinaus. Ihm in erster Linie hatte es dieFrankfurter Zeitung zu verdanken, daß sie trotz größter Schwierig­keiten ihre Mission auch noch im Dritten Reich bis zum Jahre 1943 erfüllen, konnte. Sein starker Wille, gepaart mit außerordent­licher Klugheit, setzten ihn in den Stand, Aufgaben zu bewältigen, die fast über­menschlich schienen. Auch unser Blatt ist ihm zu hohem Dank verpflichtet. Dr. Hecht wurde am Donnerstagmittag in Langenschem- mern-Aufhofen, in dessen Nähe er zuletzt lebte, zur letzten Ruhe bestattet.

Die Londoner Hochzeit

London. Unter ungeheurer Teilnahme der Bevölkerung hat am Donnerstag um 12.45 Uhr die kirchliche Trauung der briti­schen Thronfolgerin Prinzessin Elisabeth mit Leutnant Philip Mountbatten stattgefunden. Unter den Festgästen waren die Könige von Norwegen, Dänemark, Rumänien und Jugo­slawien, die Königin von Griechenland (König Paul ist an Paratyphus erkrankt) und zahl­reiche andere Fürstlichkeiten. Die Schwestern des Bräutigams, die mit Deutschen verheiratet sind, fehlten.

Der Hochzeitszug wurde durch die Königin­mutter Mary eröffnet. Der Bräutigam ver­ließ in Begleitung des Brautführers, des Marquis von Milfordhaven, den Kensington- palast, um sich nach der Westminster Abbey zu begeben. Als die Prinzessin Elisabeth mit ihrem Vater in der Staatskutsche den Buckinghampalast verließ, wurden sie be­geistert begrüßt. Königin Elisabeth hatte sich bereits vorher in Begleitung der Könige von Norwegen, Dänemark und Rumänien und der Königinnen von Griechenland und Dänemark nach der Westmister Abbey begeben..

Die Braut stieg am Arme ihres Vaters unter den Klängen der Nationalhymne aus der Karosse, worauf Fanfaren ertönten. Phi­lip Mountbatten gesellte sich bei der Ankunft Prinzessin Elisabeths am Altar zu ihr. Die Trauzeremonie nahm der Erzbischof von Canterbury nach dem in der Kirche von England üblichen Brauch vor. Nach der Pre­

digt des Erzbischofs von York erklangen Fan­faren. Anschließend begab sich das junge Paar in die St. Edwards-Kapelle, um sich in das Trauregister einzutragen. Als es wie­der in der Abtei erschien, intonierte die Mu­sik Mendelssohns Hochzeitsmarsch.

Am Vorabend erhob König Georg VI. sei­nen künftigen Schwiegersohn zum Herzog von Edinburgh, Grafen von Merioneth und Baron Greenwich mit dem TitelKöniglich« Hoheit und verlieh ihm den Hosenband­orden. Im Parlament ließ der König mit- teilen, daß er für zwei Jahre die Kosten des Unterhalts seiner Tochter und ihres Gatten übernehmen und aus den Ersparnissen be- streiten werde, 'die er im Kriege von seiner Zivilliste gemacht habe.

Nach der Zeremonie begab sich das Braut­paar nach Broadlands bei Romsey, dem Land­sitz Earl Mountbattens.

Blum folgt Ramadier

Paris. Ministerpräsident Ramadier ist ' am Mittwoch zurückgetreten, um eine Re­gierungsbildung zu ermöglichen, die di« Autorität aller republikanischen Parteien in sich vereinigt. Der Generalsekretär der so­zialistischen Partei, Mollet, sagte dazu im Gespräch mit einem Mitarbeiter desKos- mos-Pressedienstes:Die Ereignisse ver­schlimmern sich, die Krise muß rasch gelöst werden. Entweder sie wird es in 48 Stunden oder überhaupt nicht. L6on Blum hat sich grundsätzlich bereit erklärt, das neue Ka­binett zu bilden. Man könne demnach mit Sicherheit Vorhersagen, bemerkt der Presse­dienst, daß Leon Blum der nächste Minister­präsident sein werde, doch sei die - Frage noch nicht gelöst, welche Parteien- im Kabinett vertreten sein werden. Von einer Minder­heitsregierung wolle Blum heute nichts mehr# wissen, er wolle eine Regierung bilden, di« sich auf eine starke Mehrheit in der Na­tionalversammlung stützen könne. Paul Reynaud dürfte Staats-, Wirtschafts- oder Finanzminister werden. Das Kabinett dürfte Anfang der nächsten Woche gebildet sein.

Der größte Sieg

Castelgandolfo. Zu einer Grupp« amerikanischer Senatoren sagte der Papst, das Datum des 11. November, des Waffen­stillstandstags von 1918, stimme angesichts der Früchte des damaligen Sieges bedenklich. Es gäbe einen anderen Sieg über das Mißtrauen, der die Schranken zwischen den Völkern niederreiße und nach Frieden und Harmonie strebe. Das sei der Sieg über di« skrupellosen Theorien, die nach . und nach die menschliche Vernunft betäubten und di* Saat des inneren und äußeren Kampfes der Nationen ausstreuten..

Ein* Hirtenwort der Bischöfe ,

Bitte um einen Frieden der Gerechtigkeit, des Vertrauens und der Liebe

(CND). München. Am\ 23. November wird in allen katholischen Gottesdiensten ein Hirtenwort der deutschen Bischöfe verlesen werden, das im wesentlichen besagt:

Als im März 1947 die Außenminister der Großmächte in Moskau zusammeritraten, um über den Frieden der Welt zu beraten, for- . derten wir auf zu inständigem und ver­trauensvollem Gebet zu dem, der allein den wahren Frieden geben kann. Heute sind wir in ähnlicher Lage. Wiederum treten die Außenminister, diesmal in London, zusam­men. Wiederum sind keine deutschen Unter­händler zugelassen. Unsere einzige Hilfe ist der Herr! Wir rufen Euch alle darum erneut auf zu inständigem und beharrlichem Gebete. Am 19. November wurden in allen Kirchen Betstunden für den Frieden gehalten. Alle Priester sollen während der. Zeit der Ver­handlungen in der Messe die Oration für den Frieden einlegen und am Schlüsse der Messe gemeinsam mit den Gläubigen das gleiche Friedensgebet wie im März ver­richten.

Unser "Heiliger Vater hat am 2. Juni 1947, dem Feste seines Namenspatrons, des hl. Papstes Eugen, in großangelegter Rede über den wahren .Frieden gesprochen und die Staatsmänner aufgefordert, die zweite Hälfte des Jahres 1947 wohl zu nutzen, damit die Welt einst dieses Jahr nicht als nutzlos ver­tan verfluchen, sondern es segnen möge als die Geburtsstunde des wahren Friedens. Er hat darauf hingewiesen, daß die Sicherheit der Völker nicht darauf beruhen' könne, daß man weithin Ruinen schaffe, nicht nur ma­terielle, sondern auch solche von lebendigen Menschen; Methoden der Gewalt und des Hasses, die man bei anderen einst mit vollem Recht verurteilt und gebrandmarkt habe, sicherten nicht den Frieden; vielmehr könne die wahre Sicherheit keine andere zu­verlässige Grundlage haben als physische und sittliche Volkskraft, geordnete innerstaatliche Verhältnisse und nach außen hin normale gutnachbarliche Beziehungen. Der Heilige Va­ter weist hin auf die berechtigten Ansprüche der Jugend und der Familie auf einen bal­digen Friedensschluß. Es droht Gefahr, daß

eine Jugend, die in lauter Elend, ohne rech­tes Heim, ohne rechtes Familienleben, ohne rechte Erziehung, in einer ständigen Un­gewißheit aufwächst, dem Nihilismus ver­fällt und den Glauben an jegliches Ideal ver­liert. Der Mangel an Wohnung und Nahrung trifft besonders hart die Familien, die treu dem Gesetze Gottes einer größeren Kinder­zahl das Leben geschenkt haben; ohne eine gesunde und starke Familie ist aber ein Volk verloren.

So erheben wir denn in diesen Tagen ver­trauensvoll die Hände zu Gott mit der Bitte, er möge die Herzen und Gedanken der Staatsmänner erleuchten, daß sie die Welt bewahren vor dem unausdenkbaren Leid eines neuen Krieges, und daß sie statt dessen der Welt und auch unserem Volke den Frie­den schenken: einen Frieden der Gerechtig­keit, des Vertrauens und der Liebe; einen Frieden, der das Wohl der gesamten Völker­familie anstrebt; einen Frieden, der die be­rechtigten Forderungen auf Sicherheit vor neuen Kriegen und auf Wiedergutmachung des angerichteten Schadens erfüllt; einen Frieden aber auch, der das Lebensrecht und die Leistungsfähigkeit der Besiegten berück­sichtigt. Möge die Erkenntnis sich durch­setzen, daß die wahre Wohlfahrt auf die Dauer nur bestehen kann, wenn alle Völker daran irgendwie Anteil haben, und daß der Frieden auf die Dauer nur gesichert ist, wenn in allen Völkern erträgliche und menschen­würdige Zustände herrschen und alle das Bewußtsein haben können, daß ihr gutes Recht und ihre persönliche Freiheit unange­tastet sind.

Beamte des Alliierten Kontrollrates hat­ten gesagt, daß ihnen von einem Schreiben der Bischöfe an den Kontrollrat nichts be­kannt sei. Das erzbischöfliche General- vikariat in Köln teilt dazu mit, ein solches Schreiben sei dem Kontrollrat bereits am 19. September auf dem vorgeschriebenen Wege zugeleitet worden. Das Sekretariat der sowjetischen Vertretung beim Kontrollrat, die gegenwärtig den Vorsitz im Rat führt, habe aber erklärt, daß weder ein Brief noch ein Protest deutscher Bischöfe oder anderer geistlicher Würdenträger eingegangen sei.

Brennpunkte der Entscheidung

Washington. Während der Kongreß, der am Montag zu seiner Sondersitzung zu­sammengetreten ist, unter dem Eindruck der Botschaft Präsident Trumans mit ihren weit­gehenden Forderungen steht, und die Kon­ferenz der Sonderbeauftragten in London voraussichtlich der eigentlichen Londoner Konferenz zwei verschiedene Tagesordnungen wird Vorschlägen müssen, weil zwischen den Westmächten und der Sowjetunion keine Einigung erzielt wurde, hat Staatssekretär Marshall in Chicago über seine Haltung auf der Konferenz gesprochen. Die Sowjetunion ziele augenscheinlich darauf hin, sagte er, den gegenwärtigen untragbaren Zustand in Europa ins Unendliche zu verlängern. Die Vereinigten Staaten beabsichtigten keines­wegs, Deutschland bevorzugt wieder aufzu­bauen. In Wirklichkeit hinke Deutschland so weit hinter dem restlichen Europa her, daß es den gesamteuropäischen Wiederaufbau verzögere. Wenn Sicherheitsmaßregeln er­griffen würden, daß die Hilfsquellen und das Industriepotential des Ruhrgebiets dem Wohlstand der gesamten europäischen Völ­

kerfamilie dienstbar gemacht würden, dann könne man darauf hinarbeiten, eine vor­läufige Zentralbehörde für ein bundesstaat­liches Deutschland zu errichten. Auch eine endgültige Friedensregelung müßte dann möglich sein.

Präsident Truman nannte in seiner Bot­schaft die Entscheidung des Kongresses die letzte Chänce, eine Welt zu erhalten, in der freie Menschen leben könnten. Knappe Ver­brauchsgüter seien zu rationieren, die Preis­kontrolle für bestimmte Warengruppen sei wieder einzuführen, Spekulationen an den Getreide- und sonstigen Warenbörsen seien zu verhindern. Die Soforthilfe von 597 Mil­lionen Dollar an Oesterreich, Italien und Frankreich sei eine lebensnotwendige Vor­aussetzung für das langfristige Wiederauf­bauprogramm. Eine weitere Botschaft Tru­mans an den Kongreß über dgn lang­fristigen Hilfsplan wurde für die nächsten vierzehn Tage angekündigt.

Der außenpolitische Ausschuß des Senats nahm die Soforthilfe für Frankreich, Oester­reich und Italien einstimmig an.

Erklärung der Militärregierung

Sozialismus ist kein Bürgerschreck

Die Wandlungen in der Einstellung weiter Volkskreise zum Sozialismus, die Infolge der umwälzenden Ereignisse der letzten Jahrzehnte eingetreten sind, gehören zu den bestimmen­den Tendenzen unserer Zeit. Besonders stark berühren sie die Jügend. Wir werden uns noch mit ihnen zu beschäftigen haben. Zur Eröff­nung der Diskussion geben wir einem Vertreter der älteren Generation das Wort.

S. Die soziale Frage ist nicht erst mit der Rede Bismarcks im Reichstag am 9. Januar 1882 in das Blickfeld der Oeflentlichkeit ge­treten und auch Karl Marx hat nicht als erster den Anstoß zu ihrer Behandlung ge­geben, denn schon lange vor ihm gab es volkswirtschaftlich-soziologische Theorien. Be­reits die Stein-Hardenbergischen Reformen haben sich mit diesen Problemen befaßt. Allen früheren Versuchen fehlte aber der dynamische Schwung, sie wurden nicht revo­lutionäre Tat. Die Bauernkriege waren eine Revolution. Seither aber hat es in Deutsch­land keine mehr gegeben. Bei allem Wohl­wollen wird man nicht behaupten dürfen, der Umsturz von 1918 oder gar Hitlers Macht­ergreifung wären eine soziale Revolution ge­wesen. Warum sie in unserer neueren Ge­schichte fehlt, dafür gibt es mancherlei Gründe, nicht zuletzt den, daß wir eben Deutsche sind.

Vielleicht war es nicht richtig, die Probleme nur von der Seite des sogenannten Prole­tariats zu sehen. Der Unterton der eingangs genannten Rede Bismarcks von 1882 ist in diesem Zusammenhang interessant, Auch in Württemberg hat man alle Maßnahmen, welche die soziale Frage lösen sollten, lange Zeit als Gnadenakte des Thrones angesehen. Ein Buch zum Regierungsjubiläum König Wilhelms II., das 1916 - erschien, macht das deutlich. Offenbar sah man die Kernfrage in der Sozialpolitik, wobei der Gedanke der Wohlfahrt vorherrschte; an Rechte hat da­mals kein Mensch gedacht. Wir sind heute der Meinung, daß die Sozialpolitik nur einen Teil der Probleme trifft.

Längst nicht mehr stößt man sich an dem Begriff Sozialismus. Er war niemals einheit­lich. Es gab und gibt Sozialismen verschieden­ster Art, seit man den Begriff des histori­schen Sozialismus zu modifizieren begann. Das wesentliche Unterscheidungsmerkmal ist die Weltanschauung, von der aus man sich

zum Sozialismus bekennt. Wir Deutschen nei­gen dazu, von einer Teilperspektive her poli­tische Auffassungen zu verallgemeinern und zu ddgmatisieren. Aber nicht darin besteht politische Weisheit, einen Begriff der Partei­politik zur allgemein gültigen Norm zu er­heben, sondern darin, von einer fundierten Weltanschauung her die Probleme zu sehen und zu lösen. Dann wird man am ehesten der Gefahr einer Parteidogmatik entgehen.

Wenn wir Sozialismus als das zu einer kon­kreten Ordnung erhobene Soziale mit dem Sinn des Genossenschaftlichen betrachten, werden wir eine zwar untendenziöse, darum aber keineswegs farblose Definition gefunden haben. Die Farbe bringt der Grundton der Weltanschauung hinein. Ob der Primat der Weltanschauung' vor der Politik zusteht oder umgekehrt, kann nicht mehr zweifelhaft sein. Hier geht es nicht nur darum, Vorurteile aus­zuräumen. Ein guter Teil unseres Volkes hat noch recht wenig gesehen, daß und wie man politische Dinge besprechen kann. Niemand wird sagen können, alles, was heute als Demokratie gepriesen wird, bringe uns dem Idealzustand der Volksherrschaft näher. Vor allem erhebliche Teile der Jugend sehen mit einem gewissen Unbehagen dem demokrati­schen Werden zu, wobei ein Großteil der heu­tigen Jugend mehr als skeptisch über die Politik derAlten urteilt. Auch wir waren einst in einer beachtlichen Ueberheblichkeit gegenüber denAlten befangen, obwohl in unserem Elternhaus kaum über die Vorzüge eines totalitären Systems gesprochen worden ist; weil es das damals gar nicht gab. Dennoch dünkten auch wir uns weise. Wer­den wir daher nicht ungerecht gegen die heu­tige Jugend, die anders ist, als wir es waren. Wir müssen ihr dabei zugutehalten, daß si« durch die Schule des totalitären Systems gehen mußte und daß längst nicht alles v«n dem, was sie heute zu sehen und zu hören bekommt, der Demokratie förderlich ist.

Es wird wohl noch lange flauem, bis di« junge Generation zu einem positiven Urteil über den demokratischen Staat gelangt. Die Erkenntnis, daß Demokratie die am schwer­sten mit Erfolg zu übende, der Freiheit und Gerechtigkeit aber auch am meisten förder­lich« Staatsform ist, kann nicht ausbleiben.