Seite Z

Scf) id äb t j cf)e 3ettung

huitwoch, 19. November. 1917

Dreihunderttausend Bände täglich

Dr. b. Die Druckschriftenabteilung der Leipziger Herbstmesse spiegelte die Umwäl­zung wider, die mit dem Zusammenbruch des Dritten Reiches im Verlagswesen der Ostzone erfolgt ist Firmen, die auf dem Büchermarkt neu auftreten oder bisher dort nur einen bescheidenen Platz eingenommen haben, war­ben mit üppigen Auslagen um die Aufmerk­samkeit des Publikums. Der VerlagJ. H. W. Dietz Nachf. stellte, eine umfangreiche Kol­lektion von Werken der marxistischen Klas­siker, zum Teil in / gediegener Ausführung, aus. DerVolk und Wissen-Verlag, der für sein Arbeitsgebiet in der Ostzone die Allein­lizenz erhalten hat, soll im vergangenen Jahre 15 Millionen Schulbücher geliefert ha­ben, wobei er sich auf eine Arbeitsgemein­schaft mit B. G. Teubner .stützen konnte. Die ,Sachsen-Verlag-G. m. b. H., dieThüringer Volksverlag-G. m. b. H., derDeutsche Zentralverlag (der die Herausgabe der Druckschriften für die dreizehn deutschen' Zentralverwaltungen besorgt) und wie sie sonst heißen, helfen, offen oder mittelbar, marxistisches Gedankengut verbreiten.

Die bekannten Verlegernamen fehlten auf der Messe nicht, aber sie mußten den Neu­lingen gegenüber in den Hintergrund treten. Augenfällig drückte die Dürftigkeit ihrer Stände den gewaltigen Aderlaß aus, den die Privatfirmen alter Tradition, einst die Säulen des stolzen deutschen Verlagswesens, erlitten haben. Ihre Produktion beläuft sich seit der Kapitulation auf wenige Nummern. Bei manch einem Ausstellungsexemplar lag der ZettelIn Vorbereitung,Vergriffen" oder

Was man Krupp vorwirft

J.. Nürnberg. Gestern begann der Prozeß gegen Alfred Krupp von Bohlen und Haibach und elf Direktoren des Unter­nehmens: Ewald Loeser, Eduard Houdremont, Erich Müller, Friedrich Jannsen, Karl Pfirsch, Max Ihn, Karl Eberhardt, Heinrich Korschan, Friedrich von Bülow, Heinrich Lehmann und Hans Kupke. Die Anklage behauptet, bereits 1933 hätten die Krupp-Werke die Rüstungs­beschränkung des Versailler Vertrages syste­matisch umgangen. Gustav Krupp habe 1938 erklärt:Selbst die alliierten Schnüffel­kommissionen ließen sich täuschen. Mit der Herstellung von Panzern habe man schon im Jahre 1926 begonnen, mit den Versuchsarbei­ten zur Raketenkonstruktion im Jahre 1930. Bei seiner ersten Zusammenkunft mit Hitler und Göring, kurz nach Hitlers Machtantritt, sei Gustav Krupp in die politischen Pläne eingeweiht worden. Er habe die Spende- Sammlung der Großindustriellen geleitet. Sein Sohn Alfred, der nun vor Gericht steht, soll dieAdolf-Hitler-Spende der Industrie zur Unterstützung der NSDAP ausgebaut haben. Die Anklageschrift wirft den Ange­klagten vor, daß das Kruppsche Unternehmen versuchte, Forschungen auf den Gebieten der Kohle, der Chemie und der Hüttenkunde durchzuführen, um durch restlose Aus­nutzung der deutschen Erze und auch der schlechtesten Rohmaterialien Deutschlands Abhängigkeit vom Auslande zu vermindern. Krupps ausländische Patente und Abmachun­gen habe man dazu benutzt, um die auslän­dische Produktion einzuschränken, die Preise hoch zu halten und Krupp mit technischen Informationen und mit Devisen zu versorgen. Die Ausbeute der besetzten Gebiete wird den Angeklagten zur Last gelegt. Landwirtschaft­liche Erzeugnisse, Rohmaterialien, Werkzeug­maschinen, Fertigwaren, ausländische Wert­papiere, Devisenbesitz und Patentrechte seien beschlagnahmt und nach Deutschland ge­bracht worden. Es wird betont, daß harte Behandlung der Fremdarbeiter durch die Be­triebsführer angeordnet worden sei. Nach Ansicht der Anklagevertretung stellen diese VorwürfeVerletzungen des Völkerrechts, internationaler Verträge, Abmachungen und Zusicherungen und selbst eines Kontrollrats- gesetzes dar.

Erscheint demnächst. Bei Paul List In Leipzig ist bisher nichts erschienen. Brock­haus hat nicht mehr als zwei Reisebeschrei­bungen gedrückt. Reclam gibt wieder einige Heftchen seiner Universalbibliothek heraus. Auch der InselrVerlag setzt seine Bücher mit einigen der bekannten Inselbände fort. Der Katalog von Breitkopf u. Haertel enthält zahl­reiche Neudrucke, worunter das berühmte Buch Albert .Schweitzers über J. S. Bach so­wie Neuigkeiten, unter denen die Taschen­partitur der achten und neunten Sinfonie des russischen Tondichters Schostakowitsch er­wähnt sei. Die Auflagen sind durchweg höher als in den anderen Zonen, decken aber den Bedarf bei weitem nicht.

Von den 250 Leipziger Verlagen sind 50 wieder zugelassen. Bei der Enteignung ist bis­her Maß gehalten worden. Ihr unterlag nur, wer sich schwer kompromittiert hatte, voran die Inhaber des Bibliographischen Instituts, die ihren Betrieb der Stadt Leipzig abtreten mußten, weil sie die achte Auflage von Meyers Lexikon der nationalsozialistischen Propaganda ausgeliefert hatten.

SeinenSchwarzen Tag hatte der Leip­ziger Buchhandel im Dezember 1943, als die englische Luftwaffe in einem Großangriff etwa 80 Prozent der Druckereien, Buchbin­derwerkstätten und Lager vernichtete. Das letzte Kriegsjahr gewährte eine Atempause, |

in der in beschränktem Umfang der Wieder­aufbau begonnen werden konnte, bis mit der. Besetzung die Demontage der geretteten mo­dernen Maschinen neue Verluste brachte. Reclam, den die Bomben verschont hatten, wurde zu 75 Prozent abgebaut, Breitkopf u. Haertel hatte im Luftkrieg schwer gelitten, ebenso das Bibliographische Institut. Dennoch bleibt eine respektable Druckkapazität, so daß man hofft, Leipzig könnte seinen Rang als Bücherstadt - weiterhin behaupten. Vor­aussetzung ist freilich die Niederlegung der Zonengrenzen, die allein der Abwanderung nach Westen und der stets bedrohlicheren Abschließung Einhalt gebieten könnte. Zu­dem bedarf der heruntergewirtschaftete Ma­schinenpark dringend der Erneuerung, wenn ein lebensgefährlicher Substanzverzehr abge­wendet werden soll.

In dieser Hinsicht erscheint auch die außer­ordentlich starke Beanspruchung der Anlagen durch die Besatzungsmacht bedenklich. Rund 90 Prozent der hergestellten Bücher sind für sie bestimmt, etwa 300 000 Bände gehen täglich in die Sowjetunion, wovon der An­teil von Breitkopf u. Haertel allein bis zu 40 000 beträgt. Es handelt sich nicht etwa um Reparationsleistungen, sondern um Son­deraufträge, die in Mark bezahlt werden. Ge­druckt werden Werke aller Sparten, Schul­bücher, wissenschaftliche und schöngeistige Literatur, Wahlplakate, die amtlicheGe­schichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion und Bilder von Lenin, Stalin und Molotow.

tMie2

Diebstahl bleibt Diebstahl

-ch. Es ist nicht zum Lachen, wenn man aus München hört, dort seien eines Tages von einer Baustelle einige tausend Ziegel­steine mit einem Lastwagen abgeholt wor­den, um auf Nimmerwiedersehen zu ver­schwinden. DieSüddeutsche Zeitung stellt eine lange Liste von Diebstählen zusammen, die zu einer überzeugenden Statistik der Demontage öffentlichen Eigentums durch Deutsche wird. Von 4000 Anlagebänken, wurden 1200 gestohlen, Holzgitter wurden abgebrochen, Straßenbäume abgesägt, Sand­kisten, Wartehäuschen für die Straßenbahn, Telegraphenstangen und Gerüste verschwan­den über Nacht. Von den Karren der Stra­ßenreinigung wurden die Räder abmontiert, Telefonleitungen mußten immer neu verlegt werden, Kabelspezialwagen, ein Zelt der Straßenarbeiter, Transportbänder, Motoren, eine Betonmischmaschine und selbst Schie­nen und Schwellen der Kleinbahngeleise wurden gestohlen. Noch schlimmer war es mit elektrischen Geräten aller Art. Die Glühbirnen der Reichsbahn sind vergebens durch besondere Fassungen für eine private Verwendung fast unbrauchbar gemacht wor­den. Auch sie fanden Interessenten. Mit welchem Recht darf man dann über die Dun­kelheit in den ramponierten Wagen klagen? Die Eisenbahn }iat es auf der Strecke Tübin­gen Stuttgart versucht, im Vertrauen auf die Vernunft der Reisenden, die Abteile zu beleuchten. Nach drei Tagen mußten die verbliebenen zwanzig oder dreißig Prozent der Glühbirnen eiligst wieder geborgen wer­den. Es mag ein Erbe aus Kriegszeiten sein, zwar den Diebstahl privater Gegenstände noch beim richtigen Namen zu nennen, in dem Diebstahl von Staatseigentum hingegen eineOrganisation zu sehen.. Diebstahl bleibt Diebstahl. Ihn zu vermeiden kann man den jetzt schon zur Genüge aufgebläh­ten Polizeiapparat nicht noch mehr verstär­ken. Nicht die Zwangsdisziplin des Staates kann da helfen, nur die Selbstdisziplin jedes einzelnen. Die Achtung vor dem fremden Eigentum ist nicht überall gleich stark. Den Deutschen hatte man früher mangelndes Unterscheidungsvermögen zwischen Mein und Dein nicht nachsagen können. Man sprach nicht von einemdeutschen Zirkel, wenn man die lässige Handbewegung des Taschen­diebes meinte. Jüngst warf eine Zeitung die Frage auf:Sind wir ein Volk von Dieben geworden? Möge die Münchner Statistik nicht die endgültige Antwort darauf sein.

AM RANDE

Am Allerseelen tage werde auf dem Leondioger Friedhof bei Linz auf dem Grabe der Eltern Hit­lers ein Fichtenkranz niedergelegt. Als Täterin wurde eine staatenlose Frau ermittelt, die angab, sie habe wahllos vier gleiche Kränze auf ver­schiedenen Gräbern niedergelegt, da sie keine Mög­lichkeit habe, das Grab ihrer .Mutter zu schmücken, die bei Kriegsende in der Tschechoslowakei umB Leben gekommen sei.

Zn der Dreißig-Jahr-Feier der Sowjetunion im Schloß Cäcilienhof, der einstigen Potsdamer Resi­denz des deutschen Kronprinzen, wäre General Clay beinahe nicht zugelassen worden, weil er die Einladung nicht bei sich hatte. Erst als ihn ein sowjetischer Offizier identifizierte, durfte der ame­rikanische Oberbefehlshaber eintreten.

ln Mecklenburg konnten wegen Mangels an Saatgut 34 090 Hektar Land nicht bestellt werden,

Wetterbericht

Noch unbeständig «nit wechselnder Bewölkung, Zeitweise Niederschläge, in den höheren Lageq als Schnee. Tagsüber kühl, nachts leichter Frost,

< 5rfminbiJ'rfjrJri!ung

Redaktion: Albert Komma, Johannes Schmid. Verlag: Schwäbischer Verlag, KG., Friedrichshafen« in Lentkirch. Druck: Kottweiler Verlags- und Druckereigenossenschaft, Rottweil.

DIE KURZE NACHRICHT

5413 Personen verschwanden Der Sprecher der sozialdemokra­tischen Fraktion erklärte aut einer Stadtverordnetensitzung in Berlin, daß bisher 5413 Personen seit Beginn der Besatzung spur­los aus Berlin verschwunden seien. Der Magistrat beschloß darauf, die alliierte Komman­dantur von dem Verschwinden dieser Personen zu unterrichten. Es soll die Bitte ausgesprochen werden, daß die Namen der Zivilinternierten, die sich in Ge­wahrsam einer Besatzungsmacht befinden, bekanntgegeben wer­den. Man wird weiter bitten, auch die Familienangehörigen der Internierten zu unterrichten. Im Verlauf der Debatte wurde dem Berliner Polizeipräsidenten Markgraf gegen die Stimmen der SED das Mißtrauen ausgespro­chen. Anlaß zu dieser Sitzung war das geheimnisvolle Ver­schwinden des Berliner Jour­nalisten Dieter Friede.

Ein vorteil für alle General Kotikow, der sowjetische Kommandant von Berlin, hat ein Schreiben der amerikanischen Militärregierung empfangen, in dem er gebeten wird, über das Verschwinden des deutschen Journalisten Dieter Friede Unter Buchungen anzustellen. Es heißt in dem Schreiben, es werde für alle Besatzungsmächte von Vor­teil sein, wenn . Pressevertreter unter Zusicherung des Schutzes der eigenen Person zu allen Sektoren Berlins Zutritt haben.

Liebgewordene Gewohnheiten Der Berliner Bürgermeister Dr. Friedensburg hat sein Rücktritts­angebot als Aufsichtsführender der Berliner Polizei der stell- vertretendenOberbürgermeisterin Louise Schröder überreicht. Er versuchte den Vorwurf für die Berliner Polizei im Zusammen­hang mit dem spurlosen Ver­schwinden von über fünftausend Personen dadurch abzuschwächen, daß er die Polizei mit dem Hin­weis aufjahrelang übliche Ge­wohnheiten verteidigte. Auf sei­nen Einwand, es gebe in Berlin keine politische Polizei, erntete er Zurufe wieLügner, Lump, Betrüger. Im Gegensatz zu ihm wird der Polizeipräsident nicht zurücktreten. Er vertritt den Standpunkt, daß das Stadt­parlament nicht befugt ist, Miß­

trauenskundgebungen gegen ihn zu veranstalten,

Die Bolle Emil Ludwigs Friedrich Stampfer, der jetzt ln New York lebende Redakteur desVorwärts, nimmt imHam­burger Echo zu der Person des Biographen Emil Ludwig Stel­lung. Er sagt:Wenn in der Welt der Eindrude entstand, Deutschland, wäre im Grunde immer nazistisch gewesen und hätte geschlossen hinter Hitler gestanden, so hat Emil Ludwig zu dieser Irreführung der öffent­lichen Meinung nicht wenig bei­getragen. Mißgriffe in der Be­handlung des deutschen Volkes in der ersten Zeit nach dem Zusammenbruch sind zu einem nicht geringen Teil auf Emil Ludwigs Rat und Einfluß zurUCk- zuführen. Die deutsche Emigra­tion hat ohne Unterschied der Partei seinen Namen nie anders, als zusammen mit Vansittard und Morgenthau genannt.

Vertraute Töne

Sir Oswald Mosley, der frühere Leiter der britischen-Faschisten- union, hat ln London seine erste politische Rede nach dem Kriege gehalten. Der Versammlungsort war geheim. Mosley sagte, es müßte sich innerhalb der näch­sten vierzehn Tage entscheiden, ob er eine neue politische Partei gründen werde. Er würde sie dannVereinigungsbewegung nennen. Ein vereinigtes Europa sei eine politische Notwendig­keit. England habe sich erschöpft, bevor der wirkliche Kampf be­gonnen habe, und so stünde Amerika allein dem sowjetischen Kommunismus gegenüber.Wenn dieser Zusammenstoß kommt, muß alles dem Gedanken des Sieges unterworfen werden. Keine persönlichen Gefühle, keine nationalen Differenzen, keine Selbstsucht und kein Gefühl der Bitterkeit soll der Union des Westens Im Wege stehen, wenn es darum geht, die Welt vor den Barbaren zu retten. Bel dieser Herzprobe mußganz Europa eine Einheit sein!

Francs für die Saar Die französische Nationalver­sammlung hat den Gesetzent­wurf über die Einführung des französischen Franken im Saar­land mit 416 gegen 184 Stimmen angenommen.

Tod dem Kartoffelkäfer Um die Ausbreitung des Kartof- . feikäfers in Europa zu ver­hindern, fand in Brüssel eine Internationale Konferenz zur Kontrolle des Kartoffelkäfers statt. '

Ungebührliches Betragen Im Verlauf einer stürmischen Sitzung der italienischen ver­fassunggebenden Versammlung erklärte der Innenminister Scelba, ln Italien bestehe eine faschistische Bewegung neuesten Ursprungs, die im Verborgenen arbeite. In verschiedenen Städten sei es bereits zu Gewaltakten gekommen. Die Ausführungen des Ministers wurden wiederholt von kommunistischen Abgeord­neten unterbrochen. Der größte Lärm entstand, als der Präsident des Hauses, selbst Kommunist, ein Mitglied der Kommunisti­schen Partei wegenungebühr­lichen Betragens _aus dem Saale wies.

Rumänisches Dementi Die rumänische Botschaft in London dementierte Presse­berichte, nach denen König Michael nach Beendigung der Hochzeitsfeierlichkeiten der eng­lischen Thronfolgerin nicht mehr nach Rumänien zurückkehren werde. Es war behauptet wor­den, König Michael werde so lange im Ausland bleiben, wie die gegenwärtige rumänische Regierung an der Macht ist. Nach der Hochzeit der Prinzes­sin, so heißt es, werde der König in die Schweiz reisen und nach einem kurzen , Ferienaufenthalt von dort nach Bukarest zurück- kehren.

Drei Nobelpreise verliehen Die Nobelpreis-Kommission ver­lieh den Nobelpreis für Litera­tur 1947 dem französischen Schriftsteller Andrö Gide. Der Nobelpreis für Chemie wurde Sir Robert Robertson von der Universität Oxford zugesprochen. Den Nobelpreis für Physik er­hielt Sir Edward Victor Appleton für seine Arbeiten über die Atmosphäre.

Ricarda Huch gestorben Die greise Dichterin Ricarda Huch ist am Montagvormittag um 11 Uhr in Frankfurt a. M. an einer Lungenentzündung ge­storben.

3tt»ei ^olfeatett nitb ifyre&iebfte

2. Von Max Mell

Die Sonne stand noch nicht rinmal tiel, als Katharina nach Hause gehen mußte, und so erhoben sich alle an jenem Tisch außer dem Handwerker und zahlten ihre Zeche. In der Zuckerschale waren aber zwei Stückchen übriggeblieben, und die nahmen sich Philipp und Katharina, wie, es eben Leute niederen Standes oder ordinäre Personen tun. Und wie sie in der Pappelallee dahinschritten, die alte Frau zwischen dem Grenadier und Heinz, tral es sich, daß die beiden Flügel­männer, Philipp und Katharina, eines daher­rollenden Wagens wegen nach vom treten mußten: da gingen sie miteiiiander ein Stückchen,'und Philipp seinen Zucker, als wäre er ein junger Stutzer. Auch Katharina steckte den ihren in den Mund, nahm ihn aber heraus und sprach:Ich mag ihn doch nicht wollt Ihr ihn? Hastig griff Philipp danach, verschlang ihn und versicherte, nun schmecke er überaus köstlich. Da wandte sie sich verlegen lächelnd ab zu Heinz, der an diesem Sonntag recht ernsthaft war, da er mit dem Grenadier über die Anwesenheit des englischen Gesandten politisierte; sie hing sich ein in ihn und ging jetzt sittig neben ihm bis an ihr Haus, und da ver­schwanden sie beide in das Tor. Der Grena­dier sah den Philipp an, als ob er nun seine Begleitung erwarte, aber der grüßte nur und schlug sich in eine Seitengasse.

O, wie elend war es ihm, als er nun ziellos durch die Stadt schritt! In diesem selben Moment, da er deutlich und bewußt dort den grünen, zwiebelförmigen Turm einer Kirche, i'a er ein geschwungenes und gewundenes Steinportal ansah, war Heinz bei dem reizend­

sten Geschöpf, das es gab. Philipp zermar­terte sich in Eifersucht. Er quälte sich ab mit dem Gedanken, wie sie zu entzweien wären, und schämte sich zugleich, daß er dies einem Menschen anzutun vermöchte, der ihm bisher als der liebste Herzbruder vorgekommen war; er malte sich aus, wie sein Glück dann, wenn er ihn wirklich betröge und ihm das Mädchen zugefallen wäre, aussehen mochte, da sie sich doch recht leichtsinnig aufführte und nach einem neuen Liebhaber guckte, da der erste noch so feurig war. Elend war es Philipp zumute, als er schließlich in die Ka­serne schlich und sich trübselig zu einem Glas Wein in die fast leere Kantine setzte, die sich nur ganz langsam wieder füllte.

Denn die Soldaten fanden sich von ihrer Dienstfreihrit allmählich wieder rin, und auch Heinz Dederdinger verließ das liebe Stüb­chen Katharinas, die ihre hintergangenen Eltern zurückerwartete. Nach manchem herz­haften Abschiedskuß betrat er fröhlich die Straße, summte ein Liedchen vor sich hin und bedachte lächelnd, was er genossen. Da gewahrte er eine Ansammlung von Menschen am Bürgersteig, und nähertretend bemerkte er, daß ein totes Pferd auf der Straße lag, und ein alter, würdig aussehender Mann es vergeblich in seinen Karren, dem es ent­glitten schien, zurückzubringen trachtete, so sehr er auch am langen Schweif anzog; die Leute standen und sahen es höhnisch mit an.

Da trat Heinz, die gute Seele, heran und griff hilfreich zu; er stüzte das schwere Ge­wicht des großen toten Körpers, hob es und drängte es mit silier Macht in den Schrein. Dabei erzählte der Alte, vom Keuchen unter­brochen, es wäre vor einer herrschaftlichen Kutsche, die von Bellevue zurückkam, zu­sammengestürzt, und die Standespersonen mußten mit einem Pferd weiterfahren- Nun

dankte er dem Soldaten mit warmem Blick und drückte ihm herzlich die Hand. Heinz wandte sich, noch rot im Gesicht von der Anstrengung, zu den Leuten zurück und hatte noch den guten Schein von erwiesener Mildherzigkeit im Auge, als er mit plötzlich verdunkeltem Blick merkte, wie die Men­schen vor ihm Platz machten und ihn mit gerümpfter Nase betrachteten; und ein Sol­dat, der einen kleinen Schwips hatte und auf dem dreieckigen Hute ein Blumensträuß­chen, trat ihn an, schlug die Hände zu­sammen, knickte in die Knie und bog sie samt seinem ganzen Körper, wippte wieder aufwärts und rief:Unglückseligster aller Infanteristen, was hast du denn getan! Du bist ja ehrlos von dieser Stunde, du mußt Waffen ablegen und Montur, denn der Schinder war es, dem du geholfen und der dir brüderlich die Hand drückte! Auch in der Kavallerie wird es schwerlich einen geben, der so unselig ist wie du, noch bei den Arkebusieren noch Kanonieren; o armer Infanterist! Da faßte es den Heinz Deder­dinger ganz unsäglich an, was er in seiner Gutherzigkeit sich angetan; das Blut fiel ihm aus seinen Wangen, und in seinem Magen wars ihm eiskalt. Der Soldat aber wich von ihm und schimpfte laut die ganze Gasse hin­unter, und die andern Leute zerstreuten sich mitleidig und achselzuckend. Er stand noch da und kam von seinem Glück in geputzter M6ntur, und wenn er einen Schritt tat, so führte der nur ins Unglück, wo er sie aus- ziehen mußte. Was ihm der Soldat in Er­innerung gebracht, war ihm ja nicht unbe­kannt gewesen, aber er hatte nicht gedacht, daß er Soldat, sondern nur, daß er froh Im Herzen war. Schwankend ging er in die Ka­serne, und in flehentlicher Hoffnung wollte er stillschweigend abwarten, ob die Affäre ruchbar würde; vielleicht hörte man nicht

auf den betrunkenen Soldaten, und vielleicht nahm man es nicht so genau. Sein Sonntag ging trüb zu Ende, und er fand wenig Schlaf, noch weniger als sein Freund, der sich mit andern Gedanken heißköpfig auf dem Lager hin und her warf. __

Am anderen Abend jedoch, wie er etwas später als die andern in die Kantine trat, wurden plötzlich alle still und sahen sich an. Und da verlangte er mit bereits bebender Stimme rin Glas Wein. Der Kantinieur stellte es ihm hin, gab es ihm nicht in die Hand, und zitternd nahm es Heinz und. setzte sich auf die nächste Bank. Doch die da gesessen hatten, standen wie auf Kommando auf und setzten sich woanders hin. Da brachen die Tränen aus seinen Augen, der Becher ent­fiel seiner Hand und rollte mit schlechtem Klang, den Boden benetzend, davon. Aber sie schwiegen alle, und da suchte er den Blick seines lieben Kameraden und getreuen Herz­bruders Philipp Infang. Der lehnte am Tür­pfosten und war selbst bleich und verstört und wandte unsicher und jämmerlich seine Augen da und dorthin. Heinz Dederdinger aber stand auf, legte eine Hand vor seine Augen und trat ab, und er warf sich auf sein Lager und schrie zu Gott um Errettung aus seiner Schmach.

Doch wie sie am anderen Tag in Reih und Glied standen und Heinz merkte, wie ängst­lich seine Nebenmänner Jede Berührung mit Ihm vermieden, da trat der Leutnant mit dem Auditor vor sie, faßte ihn Ins Auge und rief nach langer Stille seinen Namen. Heinz trat einen Schritt vor und war blässer als der Tod. Der Auditor aber erhob die Stimme und sprach:Heinz Dederdinger, deine Ka­meraden wollen nicht mehr mit dir dienen, weil du unehrlich geworden bist.

(Fortsetzung folgt)

I

;l