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6^|tDä6if$e3eUung Freitag, 10. Oktober /1947
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Am Zonengraben
G. F. Bunte Herbstblätter treiben aut dem kleinen Bach, der die bemoosten Mühlräder des winzigen Dörfchens dreht, das sich um die rotgedeckte Feldsteinkirche schart. Gänse und Enten schnattern über die Dorfstraße. Müde Ochsengespanne kehren mit ihren Feldwagen von der Arbeit heim. Der Hütejunge treibt schwarz-weiß gefleckte Rinderherden den Ställen zu pausbackiges Obst schimmert bunt an den Bäumen, während leichte Winde den trockenen Staub der Aecker aufwirbeln. Das Leben geht in dieser Welt seinen Gang genau so gemächlich wie zur Zeit der Großväter. Allstündlich läuten die bronzenen Kir- henglocken über den fruchtbaren Ringgau bis zu der großen Landstraße, auf der seit vielen Jahrhunderten Kaufmannswagen und Heerhaufen von Westen nach Osten oder von Eisenach nach Kassel zogen, über die bis vor zwei Jahren noch schwere Lastzüge kostbare Güter beförderten und die jetzt so still und ausgestorben ist, daß Unkraut auf ihr wächst.
Selten rattert e.a Bauernwagen oder ?in Kutschwagen über die einst so sorgsam unterhaltene und gepflegte Verkehrsader. Seit vor wenigen Wochen an der Zonengrenze auf Befehl der sowjetischen Besatzungsmacht in des Wortes tiefster Bedeutung von der Grenzbevölkerung ein breiter Graben aufgeworfen werden mußte, ist an dieser Stelle jeder amtliche Verkehr, der bis dahin zugelassen war,
„Was soll nun geschehen?"
I. Gü. Nürnberg. — Im Prozeß gegen die Direktoren der I. G. Farben wurde der frühere Gesandte Dr. Paul Schmidt als Zeuge vernommen. Schmidt war früher Chefdolmetscher im Auswärtigen Amt und nach 1933 der Dolmetscher Hitlers. In einer eidesstattlichen Erklärung hatte er behauptet, „nicht mehr gewußt zu haben, als andere auch." Die angeklagten Direktoren aber hätten es wissen müssen, weil sie ja die Aufrüstung betrieben hätten. Wer überhaupt nach 1933 noch Augen gehabt hätte zu sehen, hätte an den Gewaltanwendungen im Inland und im Ausland sehen müssen, wohin die Fahrt ging. Als Dr. Dix, einer der Verteidiger, auf das Urteil des Internationalen Militärgerichtes im Falle Schacht und Dönitz hinwies, denen bestätigt worden war, daß sie nicht in die letzten Ziele Hitlers eingeweiht waren, und als' er fragte, ob die Oef- fentlichkeit mehr hätte wissen können als s{e, antwortete Schmidt: „Bestimmt nicht!" Er beharrte jedoch auf seiner Ansicht, die Angeklagten .hätten es wissen müssen“. Die Verteidigung wandte cfann ein, man könnte das Streben nach militärischer Gleichberechtigung nicht als Vorbereitung zu einem Angriffskrieg auffassen. Schwache Staaten wären nicht in der Lage, den Frieden zu sichern. Das gab Schmidt zu. Er sagte jedoch einschränkend, daß die Aufrüstung von Uebel gewesen sei, als sie das Rüstungsniveau der anderen Mächte überschritten hatte. Jeder intelligente Beobachter hätte 1939 merken müssen, daß Hitler nicht mehr normal dachte und regierte. Man hätte es merken müssen, daß zu diesem Zeitpunkt ein Angriffskrieg beabsichtigt gewesen sei. Hitler und Ribbentrop seien dann allerdings doch sehr betroffen gewesen, als England und Frankreich an Deutschland den Krieg erklärten. Als er die Dokumente übersetzt habe, habe Hitler Ribbentrop nach einer schweigsamen Minute angefahren: „Was soll nun geschehen?“
Prozeß gegen den „Lebensborn"
Im Schwurgerichtssaal beginnt heute der Prozeß gegen vierzehn ehemalige Beamte der Organisationen „Rasse - Sicdlungshauptamt“ und „Lebensbom“. Beide Organisationen unterstanden Himmler und sollten „das deutsche Volkstum festigen“. Den Angeklagten wird zur Last gelegt, ausländische Kinder zwangsverschleppt und die Abtreibung von Kindern „unerwünschter Rassen“ veranlaßt zu haben.
unterbunden. Untätig sitzt der hessische Polizeibeamte in seinem kleinen Wachstand. Die Autos, deren Inhaber mit Interzonenpässen bis vor kurzem diese Stelle noch zum Ueber- gang benutzten, können nicht passieren. Das Schild vom amtlichen Grenzübergang ist überflüssig geworden.
Hüben und drüben sind jetzt seit der Errichtung dieser Grabenkette an Feldwegen, Waldpfaden und Forstschneisen mehr voneinander getrennt als je. Osten und Westen scheinen uns, die wir mit Wehmut diese sichtbare Trennung wahrnehmen müssen, fremder geworden, als jemals.in der deutschen Geschichte. Was ist der Grund für diese Gräben? Sollen sie wirklich nur die illegalen Möbeltransporte zu nächtlicher Stunde verhindern? Oder sind sie der Anfang für ein Deutschland, in dem diese Grabenstücke die Aufspaltung ankündigen? Zwei Meter breit und einen Meter tief ist die Trennungslinie in die hessische und thüringische Erde ge
graben. Uns Deutschen dünkt sie aber viel tiefer eingeschnitten in das Gesamtleben unseres Volkes.
Unter Schriftstellern
Berlin. — Auf dem deutschen Schriftsteller-Kongreß in Berlin kam es zu einigen Zwischenfällen. Als die Engländerin Mrs. Brailsfond sagte, sie empfinde es schmerzlich, daß in Deutschland auch nach dem Nationalsozialismus gelegentlich Gewalt angewandt werde und der Dramatiker Friedrich Wolf ihr antwortete, der Nationalsozialismus sei in Deutschland noch nicht völlig überwunden, derum Milde gegen seine Anhänger nur gefährlich, wurde er durch Zurufe unterbrochen. Als der Amerikaner Lasky die Autoren bedauerte, die von ihrer Zensur und sogar von engen stilistischen Vorschriften bedrängt würden, da der Schriftsteller die Möglichkeit haben müsse, gegen den Strom ?u schwimmen, rief ihm ein junger Theaterkritiker der „Täglichen Rundschau“ zu: „Schwimmen Sie auch gegen Trum an“? Andere Teilnehmer riefen: „Etwas weniger Lügen!“ und „Gerhardt Eisler!“
ißie Glosse
Das Elektro-Gehirn
H. Sch. Ein viermotoriges amerikanisches Flugzeug hat in beiden Richtungen ohne Piloten den Atlantik überquert. Während der zehnstündigen Fahrt wurde es durch ein „elektrisches Gehirn“ ferngesteuert, wobei die mechanische Kontrolle der menschlichen überlegen gewesen sein soll. Englische Wissenschaftler sagten dazu, d?s mechanische Gehirn, heute noch eine Sensation, werde morgen eine technische Alltäglichkeit sein. Die Physiker haben uns ja nicht erst seit heute bescheinigt, daß die Konstruktion des menschlichen Auges es mit der technischen Präzision einer modernen Infrarot-Kamera nicht aufnehmen könne, und jede Maschine ist ein Beweis dafür, daß ein mechanischer Roboter schneller und zuverlässiger funktioniert als die menschliche Hand. Nun aber werden, wenn wir die englischen Gelehrten richtig verstehen, die Sturmleitern an die letzte Bastion der menschlichen Existenz gelegt: der Homunkulus ist da, das Gehirn aus der Retorte. Der künstliche Intellekt arbeitet schneller, exakter, zuverlässiger und vor allen Dingen billiger als der schwerfällige „cerebrus animalis“. Es gibt heute schon Maschinen, welche die schwierigsten mathematischen Operationen in kürzester Frist beliebig genau vornehmen. Eine derartige Maschine ersetzt Hunderte von menschlichen Gehirnen. Der amerikanische Professor Vannevar Bush beschäftigt sich mit der Konstruktion von Denkmaschinen, welche die geläufigen logischen Wege des menschlichen Intellekts vollkommen selbständig und fehlerfrei gehen sollen. Dieser Prozeß scheint unaufhaltsam, ja, eigentlich nur eine logische Folge der philosophischen Erkenntniskritik seit Berkeley, Hume und Kant. Als der menschliche Geist begann, die forschende Lampe der Erkenntnis nicht mehr allein auf die Dinge, sondern auch auf sich selber zu richten und die Kategorien des Denkapparates kritisch zu analysieren, da mußte als notwendige Folge der Wunsch entstehen, den auf solche Weise zerlegten Apparat künstlich wieder zu einer Gehimmaschine zusammenzusetzen, die dasselbe leistete wie ihr organisches Vorbild.
Man scheint im Begriff, die letzte Stufe zu diesem Ziel zu erklimmen. Der Mensch, den Gott nach seinem Ebenbild geschaffen, ist dabei, sein eigenes technisches Ebenbild originalgetreu auf dem Serienwege herzustellen. Sorgenvolle Gemüter, vornehmlich die Intellektuellen, werden sich natürlich fragen, ob nicht, ähnlich wie das Maschinenzeitalter die soziale Ordnung erschütterte und Erscheinungen gleich der Arbeitslosigkeit "her- vorrief, die gefährliche Konkurrenz dieser serienmäßig auf den Markt geworfenen Elektrogehime den sozialen Ruin des Geistesarbeiters herbeiführen werde. Und wie man vom „Aufstand der Maschinen“ gesprochen hat, wird man vielleicht eines Tages vom Aufstand der Hirnroboter sprechen. Derartige Visionen sind kein Scherz; erst die Zukunft wird lehren, ob die „kühnen Träume der Menschheit“ vom Flugzeug bis zur Atomzertrümmerung in Wirklichkeit nicht Alpträume in Breughelscher Manier gewesen sind. Die letzte Instanz bleibt trotz aller technischen Imitationen der Mensch in seiner ihm vom Schöpfer verliehenen Freiheit, die Dämonen zu beschwören oder sie zu bannen.
«erbericht
Teils heiter, h l« stärker bewölkt. Langsame wiederauflebende derschlagsneigung. Nächte nicht sehr kühl, tags,....noch warm.
ärfjnjöbi(irl)f^ritung
Redaktion: Albert Komma, Johannes Schmid. Verlag: Sehwäbiseher Verlag, KG., Friedrichshafen, in Leutkirch. Druck: Rottweiler Verlags- und Druckereigenossenschaft, Rottweil.
DIE KURZE NACHRICHT
Grund des Gesetzes gegen die Nationalsozialisten registrieren lassen müßten. Danach sei es möglich, daß sie schon am nächsten Tage zu Schutträumungsaktionen herangezogen werden könnten. Der Minister forderte eine Revision des Gesetzes.
Komplott der Intellektuellen Das tschechoslowakische Innenministerium veröffentlichte ln einem Kommunique Einzelheiten über das zweite slowakische Komplott, das den Namen „Komplott der Intellektuellen" erhalten hat. Das Kommunique stellt fest, daß die Intellektuellen des Landes zusammen mit der slowakischen faschistischen Emigration die Vernichtung der tschechoslowakischen Republik geplant hätten. Unter den verhafteten Personen, von denen 237 ins Gefängnis gebracht wurden, sollen sich 69 Beamte, 24 Geistliche, Schwestern und Patres, 35 Studenten und 61 Kaufleute befinden.
Kurzer Aufenthalt Der Präsident der internationalen Wiederaufbaubank, John Mac Cloy, hat Polen nach einem Aufenthalt von 48 Stunden ln Richtung Stockholm wieder verlassen.
Aufforderung an Truman 25 amerikanische Gouverneure forderten Präsident Truman auf, die vom Palästina-Untersuchungsausschuß vorgeschlagene Teilung Palästinas zu unterstützen.
kommunistischen oder faschistischen Partei angehören oder mit einer nationalen oder internationalen Organisation sympathisieren, deren Ziel es ist, die Staatsform der Vereinigten Staaten durch verfassungswidrige Mittel zu ändern. Gefährlich sind auch Beamte, die den Weisungen ausländischer Regierungen gehorchen, die vertrauliche Informationen einer ausländischen Macht in die Hände fallen lassen oder die ständig mit Personen verkehren, die einer kommunistischen oder faschistischen Partei angehören oder mit einer dieser Parteien sympathisieren.
Warnung vor den Kommunisten Dr. Kurt Schumacher warnte auf einer Pressekonferenz in San Francisco vor der Wiedergeburt eines von den Kommunisten unterstützten Nationalismus in Deutschland, wenn die westlichen Alliierten die gemäßigten Gruppen nicht unterstützten. Als man Schumacher aufforderte, zu den kommunistischen Rundfunkkommentaren etwas zu sagen, in denen er mit Bevin und Rama- dier als „Verräter an der Arbeiterklasse und Diener des Imperialismus" auf eine Stufe gestellt wurde, antwortete er lachend: „Ich bin da jedenfalls ln guter Gesellschaft". Er be- zeichnete den Marshall-Plan als einzige Hoföiung für den Wiederaufbau Europas und Deutschlands und sagte, er glaube an die Idee der Vereinigten Staaten von Europa.
Neuer Ministerpräsident Der bisherige thüringische Innenminister Eggerath (SED) wurde vom thüringischen Landtag zum neuen Ministerpräsidenten des Landes gewählt.
Gouverneure wechseln General Clay gab die Ernennung des ehemaligen Gouverneurs von Michigan, Murray D. van Wa- goner, zum Direktor der amerikanischen Militärregierung für Bayern bekannt. Van Wagoner wird damit Nachfolger General Müllers, der in die Vereinigten Staaten zurückkehren wird.
Freiwillige Verpflichtung Ein Gesetz über die Errichtung eines Baudienstes wurde von der Freien Demokratischen Partei im niedersächsischen Landtag eingebracht. Danach soll jeder deutsche Bürger in Niedersachsen nach Beendigung seiner Lehroder Schulzeit, spätestens jedoch nach Vollendung des 22. Lebensjahres, für ein halbes Jahr zur Baudienstpflicht herangezogen werden. Die „freiwillige Verpflichtung“ soll keine Begrenzung durch besondere Jahrgänge erfahren und auch picht zeitlich begrenzt sein.
Sächsischer Initiativmonat Zahlreiche lande$eigene Betriebe Sachsens wenden sich in „Appellen an Ihre Belegschaftsmitglieder" gegen den Marshall- Plan und rufen unter dem Motto „Der deutsche Weg aus der Not" zum Kampf für die Sicherstellung der materiellen Lebensgrundlagen der Arbeiterschaft auf. Unter Hinweis auf die russische Oktober-Revolution und die Haltung des Sowjetvolkes ist der Oktober im Rahmen dieser Aktion zum ersten „Initiativmonat" erklärt worden.
Reise nach Amerika Eine deutsche Handelsdelegation, die sich aus fünf Vertretern der deutschen Industrie zusammensetzen wird, soll noch in diesem Monat nach den Vereinigten Staaten abreisen, um dort Exportverträge abzuschließen. Die Delegation wird sich dort einen Mpnat lang aufhalten. Die Uh- terhaltskosten für ihre Mitglieder werden aus deutschen Dollarbeständgn bestritten werden.
Priorität für Flüchtlinge Der Sozialausschuß des Landtages von Nordrhein-Westfalen hat das Zweizonenamt für Wirtschaft gebeten, Ausgewiesenen und Ausgebombten nicht nur besondere Kontingente bewirtschafteter Waren zuzubilligen, sondern ihnen auch die Priorität des Einkaufsrechtes einzuräumen.
Eine Lanze für Heimkehrer Innenminister Helmer forderte in Wien in einer Rede, daß die nach Oesterreich heimkehrenden Kriegsgefangenen aus der Sowjetunion sich nicht schon am Tag nach ihrer Heimkehr auf
Einladung nach New York Der Generalstabschef der türkischen Armee und 13 türkische Offiziere aller Waffengattungen sind einer Einladung des amerikanischen Ministeriums für Landesverteidigung gefolgt. Sie sind in New York bereits eingetroffen.
Ein großer Tropfen
Am Moskauer Rundfunk erklärte das Mitglied der sowjetischen Akademie, Tarle: „Die militärische Unterstützung Rußlands durch die Alliierten war, verglichen mit dem Bedarf der sowjetischen Armee und der Menge des von der sowjetischen Industrie und uer Landwirtschaft gelieferten Materials, wie ein Tropfen Wasser im Meer. Was jedoch die späte Landung der Alliierten in der Normandie betrifft, so war sie eher dazu bestimmt, ein schnelles Vorrücken der sowjetischen Streitkräfte nach Westen zu verhindern, als der UdSSR zu helfen."
Sicherheitskodex der USA Die amerikanische Regierung veröffentlichte den Wortlaut eines „Sicherheitskodex" der von jetzt ab die Entlassung von Beamten regeln wird, „die verdächtig sind, eine Gefahr für die Sicherheit der Vereinigten Staaten zu bilden". Nach diesem Kodex sind als gefährlich an- cusehen alle Beamten, die einer
Chile protestiert bei Tito Die chilenische Regierung beschuldigt in einem Kommunique die Regierung Jugoslawiens, „eine ausgedehnte kommunistische Spionage- und Sabotageorganisation" geschaffen zu haben, die von jugoslawischen diplomatischen Agenten in Argentinien organisiert werde. Man habe Beweise für die enge Verbindung jener Sabotageorganl- sation, die von Titos Sondergesandten in Chile, General Illic, organisiert werde, mit Belgrad. Ihre Ziele wären folgende: eine Widerstandsbewegung in Südamerika gegen die Vereinigten Staaten, die Errichtung einer kommunistischen Vereinigung unter dem Deckmantel „jugoslawienfreundlicher Gesellschaften" und die Durchführung von Sabotage durch Streiks und andere Mittel.
Allsgewiesene Diplomaten Aus Chile wird amtlich bekanntgegeben, daß der jugoslawische Geschäftsträger, Andrej Cunja v ausgewiesen worden ist. Auch der akkreditierte Delegierte aus Buenos Aires ist ausgewiesen worden.
Besuch in Argentinien General de Lattre de Tassigny ist in Argentinien vom Präsi- dentert Peron, vom Außenminister, sowie auch vom Kriegsminister empfangen worden.
Betörender Torso
Man wird gut tun, nicht aus dem Auge zu verlieren, unter welchen Verhältnissen das Buch Thomas Manns entstand, das, ursprünglich im Auslande erschienen, neuerlich auch dem deutschen Leser' zugänglich wurde, der Roman „Lotte in Weimar“ (Suhrkamp-Verlag, Berlin. 507 Seiten). Das wird die Vorzüge wie die Fehler des Werkes ins rechte Licht rücken und einen minder ungerecht sein lassen gegen den Autor. Denn, um es vorweg zu nehmen: die Fehler liegen auf der Hand. Es ist überhaupt kein Romanstoff, den der Dichter gewählt hat, dieser Besuch der verwitweten Hofrätin Kestner, die einst Wer- thers Lotte gewesen, im Jahre 1816 in Weimar und in dem Hause des Staatsministers von Goethe. Allenfalls mochte es eine Novelle hergeben, und an mehr hat Thomas Mann wohl auch nicht gedacht, als er daran zu schreiben begann. Der Einfall hätte von Anatole France sein können: Das berühmte Liebespaar, das der Weltliteratur angehört wie Romeo und Julia, trifft nach vierzig Jahren wieder zusammen, beide verwitwet und vom Alter gezeichnet, er vom Reißen im Arm, sie vom Wackeln des Kopfes, beide erstarrt in der Würde des Erfolgs, er Favorit seines Fürsten, leitender Staatsmann, der gro..e Dichter, sie immerhin die Mutter von elf Kindern. Welch eine Situation für einen Autor von überlegener Ironie! Nur — Thomas Mann hat sie in seinem Gesamtwerk nicht sehr oft, in diesem Buche gar nicht bewiesen. Die menschlichen Schwächen bleiben ein Detail liebevoller Kleinmalerei, und wo die Pose der auftretenden Personen Reicht spöttisch durchleuchtet wird, da ist die des Autors derh 1mm°r nur ang»strahlt von
jenem unheimlich anmutenden Selbstgefühl, das wir seither auch in anderer Hinsicht haben an Thomas Mann wahmehmen müssen.
Er hatte vorher schon etwas vom Praecep- tor Germaniae und es wäre ungerecht, wollte man nicht in Rechnung stellen, was er unmittelbar bevor und noch während er das Buch schrieb, durchzumachen hatte. Eine wohlgegründete Existenz war plötzlich erschüttert, einer unbestrittenen Position der Boden entzogen. Eben weil er sich als der Lehrmeister der Deutschen fühlte, geglaubt hatte, in das Olympierstadium hineinzuwach- sen, das seit Goethe in aller großen deutschen Dichter Leben das Schlußkapitel setzt, eben darum mußte ihn der Verlust Deutschlands tiefst treffen. So begann er denn wohl in einer heimlichen Sehnsucht nach der Heimat und nach dem mit Sicherheit erwarteten, bürgerlich fundierten Alter zu schreiben. Es wurde, in der Gegenüberstellung zu Goethe, der Versuch einer Rechtfertigung und einer Abrechnung. Einer Rechtfertigung der Eigenschaften, die wir an ihm damals noch nicht kannten und seither bestürzt haben erkennen müssen. Einer Abrechnung mit denen, die ihm wehe getan hatten, und das waren die .Deutsehen. Beide Vorhaben schwollen unter den Händen des Dichters an und überquollen die Grenzen, die der künstlerische Plan (und auch die Gesetze des Romans) hätten ziehen müssen. Zwei ungeheure Blöcke stehen nebeneinander, die Komposition der Dialoge Lottens mit Riemer, Adele Schopenhauer und August von Goethe der eine, der grandiose Monolog Goethes, zu dem der Bediente, der Schreiber und der Sohn bloß die Stichworte liefern, der andere. Zwischen ihnen wird die eigentliche Zusammenkunft der Liebenden von vor vierzig Jahren zer
malmt — und die letzte Aussprache, die sich* im Visionären begibt, verblaßt, bei aller Schönheit und Weisheit, zum Schnörkel, der den Torso nur der Form nach vollendet.
Es spricht für die große Kunst Thomas Manns, daß wir schmerzlich die Kapitel vermissen, die er nicht geschrieben hat. Aber er hat sie nun einmal weggelassen, weshalb, ist seine Sache und niemand hat dem Dichter vorzuschreiben, was er für entbehrlich halten darf. Nur — sie werden entbehrt, weil sie wirklich fehlen. Mit welcher Virtuosität Ist der Abstand geschildert, der Goethe von den Menschen trennt, die ihm am nächsten stehen müßten! Wie meisterhaft weiß uns Thomas Mann die kosmische Vielgesichtigkeit des Olympiers, das Universum fühlbar zu machen, das in Ihm zusammenfließt. Dennoch bleibt das Buch Fragment. Hätte es das Format der „Buddenbrooks“ oder des „Zauberbergs“, wenn es ebenso durchkomponiert wäre? Es wurde im Exil geschrieben, laßt uns das nicht vergessen. a.k.
Max Planck
Ein großer Gelehrter — ein großer Mensch
Mit dem Tode Professor Max Plancks verliert die deutsche Wissenschaft nnd darüber hinaus die ganze Welt , eine ihrer genialen Forschergestalten. Wenn man in den vergangenen Jahrzehnten so oft vom „Umsturz des physikalischen Weltbildes'* sprach, dann lag in diesem Modewort zugleich auch die ganze bewundernswerte Leistung des verstorbenen Forschers beschlossen. Bis zu ihm hatte jede große naturwissenschaftliche Entdeckertat — selbst die kopernikanische — ihre Vorläufer und Vorbereiter gehabt. Die Plancksche Entdeckung jedoch — das berühmte „elementare Wirkungsquantum", war etwas absolut Neues, ein alle bisherigen raikxophysikalischen Vorstellungen über den Haufen werfendes Prinzip, von niemandem vorausgeahnt oder vorbereitet. Es begegnete daher
zunächst auch tiefster Skepsis fast der gesamten wissenschaftlichen Welt. Damals, im Jahre 1900, hatte das Gebäude der klassischen Physik seine höchste Vollendung erreicht. Es war ein System von bewunderungswürdiger Geschlossenheit, worin, analog zum geisteswissenschaftlichen Historismus des XIX. Jahrhunderts, jeder Zustand der materiellen Welt kraft eines durchsichtigen Systems partieller Differentialgleichungen streng kausal mit dem nächstfolgenden verknüpft war. Die Entdeckung des elementaren Wirkungsquantums und der berühmten „Planckschen Konstante h" jedoch zerstörte diese großartige Kontinuität mit einem Schlage, machte alles auf einmal wieder fragwürdig und nötigte die Physiker, welche schon geglaubt hatten, mit der Vollendung der klassischen Physik am Ende einer Entwicklung zu stehen, die für grundlegend neue Erkenntnisse keinen Raum mehr lasse, zur Umwertung gerade der Vorstellungen, die sie für unerschütterlich gehalten hatten. Plancks Quantentheorie, die Lehre vom diskontinuierlichen Aufbau der Energie, wurde in der Folge von Einstein nnd später von Niels Bohr aur- gegriffen, dessen so bekanntgewordenee Atommodell ohne die Pionierarbeit Max Plancks undenkbar gewesen wäre. Ihre letzte nnd tiefste Anwendung aber fand die Quantentheorie in der sogenannten „Wellenmechanik", dieser modernsten aller Theorien, für den Laien fremd und spröd ln ihrer Unanschaulichkeit, für den Physiker aber ein geschmeidiges Werkzeug, um alle widersprüchlichen Erscheinungen der Atomphysik, die Janusköpfigkeit der kleinsten materiellen Bausteine, die sich im Experiment einmal als körperliche Teilchen, ein andermal als unkörperliche ^ Wellen darstellen, miteinander in Einklang zu bringen.
Der im 89. Lebensjahr gestorbene Max Plauck t die Genugtuung gehabt, den triumphalen bie- jzug Beiner. Quantentheorie bis in die letzten rästelungen der Atomphysik mitzuerleben. Es eb ihm aber auch nicht erspart, zwei Jahre vor nem Tode noch von der fürchterlichsten lvon- [uenz der durch eben diese seine Quantentheorie beispiellos geförderten Atomphysik zu erfahren: r Atombombe. Er wäre nicht der große Menson wesen, als den wir ihn verehren, wenn er im hon Greisenalter nicht noch vom Rednerpult aus d durch vielbeachtete Schriften für die huma- :ären Ideale der abendländischen Kulturtradition wirkt hätte. Sein Weg führte ihn von der ysik zur Metaphysik, vom Geheimnis der Natnr m noVioimnifl den Göttlichen.