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Freitag, 19. September 194t

Pioniere der Verständigung

bereit wäre, Deutschland in jedwede Art des Föderalismus einzuschalten. Internationale Begegnungen brachten Vertreter von Be­wegungen zueinander, die klar beweisen, daß

L. B. Wenn man Gelegenheit hat, selbst zu beurteilen, wie lebendig die katholische Presse in Holland wirkt, muß man über die leiden­schaftliche Anteilnahme an dem Problem Deutschland staunen. Dies unterscheidet die katholische Presse noch mehr als früher von den übrigen .Zeitungen und Zeitschriften der Niederlande; obwohl sie logischerweise partei­politisch orientiert ist, wird das Bestreben deutlich, auch bei ablehnender Haltung po­litische Ereignisse so objektiv wie möglich zu kommentieren. Dadurch,, daß die katholische Presse nicht so sehr durch die katholische Volkspartei als durch das Glaubensbekennt­nis gelenkt wird, entsteht eine größere Viel­seitigkeit und ein leichteres Abrücken von allem* Formalistischen, als dies bei der sozial­demokratischen oder kommunistischen Presse der Fäll ist. Obgleich die grundsätzlich katho­lisch« Auffassung nicht angetastet wird, kann es ckch sehr gut Vorkommen, daß eine Sache unterstützt wird, die eigentlich gegen die politischen Interessen der katholischen Volks- f -./tei gerichtet ist, jedoch nach Ansicht des Redakteurs positiv zu werten ist. Anderer­seits kommt es des öfteren zu erstaunlich offenen Aussprachen. Y£ar die katholische Presse vor dem Kriege noch ab und zu sehr reserviert, so ist dies jetzt nicht mehr so. Leidenschaftlich geführte und tiefgehende Kämpfe verlebendigen das politische Zeit­bild und tragen sehr viel zu einer politi­schen Stellungnahme des Lesers bei.

Wenn jetzt unter den Katholiken, die 30 bis 40 Prozent der Gesamtbevölkerung Hol­lands ausmachen, die verständliche, doch für das Wohl Europas unheilvolle Mentalität der Auge-um-Auge-Politik gegen Deutschland abgelehnt wird, so ist dies zum großen Teil der katholischen Presse zu danken, die nicht müde wurde, ihre Leser auf die ungeheure Tragödie aufmerksam zu machen, die sich auf der anderen Seite der Grenze abspielt. Berichterstatter und Photogjaphen wurden ausgesandt, deren Auftrag nicht war, ein sensationslüsternes Publikum zu befriedigen, sondern die Wahrheit und nichts als die Wahrheit mit nach Hause zu bringen. Diese Wahrheit genügte, eine Einstellung zu ändern, die nur noch-mehr Unheil hätte verursachen können. Der Gärungsprozeß, der so entstand, ist natürlich noch lange nicht zu Ende. Ver­zögerungen wurden durch landesinterne Schwierigkeiten verursacht. Schließlich wird man ein so freiheitsliebendes Volk wie die Holländer nicht in zwei Jahren von dem Gegenteil dessen überzeugen können, Vas es in fünf Jahren in machtloser Wut und tiefer Verbitterung hat erkennen müssen. Diese Krise ist jedoch überwunden und man darf ruhig annehmen, daß ein Wendepunkt er­reicht ist. Föderalistische Bestrebungen sind die ersten Anzeichen dafür, wobei die Pro­gramme abwechseln und manchmal auch Schlagworte lanciert werden, die nur dem Schein nach günstig sind, so propagiert man im

Lothringer Aussiedlungspläne

Nürnberg. In dem Prozeß gegen Friedrich Flick und Genossen sagte der Sohn des Hauptangeklagten, Otto Emst Flick, der Leiter des Werkes Rombach in Lothringen, aus, 1941/1942 hätte die Gauleitung beab­sichtigt, unzuverlässige Elemente aus den Grenzgebieten Lothringens auszusiedeln. Alle französisch sprechenden Lothringer sollten ihre Heimat verlieren. Binnen weniger Tage sollten dreitausend Personen,, die im Werk Rombach beschäftigt waren, ausgewiesen werden, doch sei es gelungen, diese Zahl auf sechzig bis siebzig zu beschränken.

Der Prozeß gegen 23 höhere Gestapo-Be­amte und Kommandeure der SS-Einsatz- truppen, unter denen Otto Ohlendorf der Bekannteste i?t, hat begonnen. Den Ange­klagten wird vorgeworfen, in der Ukraine mehr als eine Million Menschen ums Leben gebracht zu haben.. Sie bezeichneten sieh sämtlich als nichtschuldig. Der SD-Beamte Eduard Strauch bekam während der Ver­handlung epileptische Anfälle.

katholischen Lager besonders eine Bewegung, die unter dem Namen ÖLES eine Liga der europäischen Zusammenarbeit - bilden will, die sich allerdings vorläufig nur an die kul­turellen und ökonomischen Aspekte halten will. Man glaubt, daß die Schwierigkeiten der politischen Etappe viel leichter zu über­winden sein werden, wenn sich in den euro­päischen Ländern erst die Besinnung auf die kulturelle Einheit erneuert und die ökono­mische Einheit als Lebensnotwendigkeit an­erkannt wird. *

Damit soll natürlich nicht behauptet wer­den, daß man nur im katholischen Holland

man überall um einen neuen Geist ringt, der aus dem Chaos geboren und bestimmt ist, es zu vernichten. Doch es ist unbestreitbar, daß die katholische Presse Hollands an Land, Volk und Schicksal der Deutschen Anteil nimmt, und wenn der Hauptschriftleiter einer großen katholischen Wochenzeitschrift in einem Brief schreibt, daß sie trotz der herr­schenden Papierknappheit und einem Ueber- fluß an Nachrichten regelmäßig ganze Seiten dem Problem Deutschland widmet, da sie hier eines der gewaltigsten ijnd dringendsten Probleme der Welt sieht, so spricht daraus eine Gesinnung, die Deutschland ein wenig Hoffnung geben mag.

DIE KURZE NACHRICHT

In Goebbels Fnßstapfen Die sowjetisch lizenzierte Zei­tungBerlin am Mittag ver­öffentlicht folgende sensationelle Mitteilung:Der Vatikan, die Jesuiten, die Wiedertäufer, der katholische Bischof von Berlin, Kardinal von Preysing. der Ab­gesandte Trumans an den Vati­kan, Myron Taylor, der pro­testantische Bischof D. D'belius und der Stahltrust der Vereinig­ten Staaten haben ein Komplott geschmiedet.

Nicht mehr tragbar Regierungsrat Lichtenberg vom Sachsen-Anhai tischen Finanz­ministerium hat Halle verlassen und sich in die britische Zone begeben. In einem hinterlasse- nen Brief schrieb er, daß er als Sozialdemokrat eine weitere Verantwortung in der Ostzone ablehnen müsse.

Warum Mertens floh Der Präsident der Zentralver­waltung des Innern in der Ost­zone, Reschke, sagte über die Flucht höherer Verwaltungsbe­amter aus der Zone, er müsse alle Vermutungen über 'deren Verbleib zurückweisen, solange die Untersuchung nicht abge­schlossen sei. Der Polizeipräsi­dent von Thüringen, Rudolf Rausöi, sei nicht geflohen, son­dern ln Weimar im Amt. Dr. Wilhelm Külz, der Präsident der Liberal-Demokratischen Partei, sagte, Dr. Mertens, der Oberbür­germeister von Jena, habe seit einiger Zeit geplant, einen Po­sten in der britischen Zone an­zutreten. Offensichtlich habe Mertens seine Haltung mit den Forderungen der Sowjetkom­mandantur nicht ln Einklang bringen können.

Der Menschenstrom ans Osten Bei dem Versuch, die Grenze der amerikanischen Zone zu über­schreiten, wurden im Juli an­nähernd achttausend Personen verhaftet. Mehr als 46 000 wur­den am Grenzübertritt verhin­dert. Da die Gefängnisse über­füllt seien, habe man 75 Prozent der Festgenommenen wieder in Freiheit gesetzt und in ihre Aus­gangszone zurückgeschickt. Die Grenzpolizei habe zur Verschär­fung def^ Kontrolle zusätzliche Transportmittel erhalten und sei verstärkt worden.

Untergrundbewegung im Osten In Bautzen wurde eine illegale SPD-Organisation entdeckt. Nach der Darstellung des sächsischen Innenministers Dr. Fischer- war der Leiter- der Lehrer Benno von Heinitz, der sie als Ortsgruppe der Liberal-Demokratischen Par­tei tarnte.

Loritz ist zurechnungsfähig Dr. Högner teilte mit, daß nach dem vorliegenden ärztlichen Gut­achten Alfred Loritz im vollen Besitz seiner Geisteskräfte sei und sein Fall daher vor Gericht verhandelt werden könne. Ge­rüchte, daß das Verfahren einge­stellt worden sei, nannte Dr. Högner unwahr.

Fritz^dies Berufung In Nürnberg begann die Be­rufungsverhandlung .gegen Hans

Fritzsche. Als Zeugen werden unter anderem der Chefredak­teur derNeuen Zeit" in Ber­lin, Karl Brammer, Generalleut­nant Dittmar und Chefredakteur Fritz Sänger, Hannover, vernom­men werden.

Zusammenbruch des Postversands Die Poststelle des Landes Nie­dersachsen teilt mit, daß mit einem Zusammenbruch des Post­versands im Lande zu rechnen sei, wenn die Bereifung der Post­fahrzeuge. nicht besser werde.

Besuch aus England Der stellvertretende Vorsitzende der Kommunistischen Partei Großbritannens, Palmo Dutt, will an dem Kongreß der SED vom 20. bis zum 24. September in Berlin teilnehmeA.

Verfassungseinigung in Bremen Die Parteien des Landes Bremen haben, mit Ausnahme der Kora- munistAi, den Entwurf für die Landesverfassung gebilligt, nach­dem der Schulartikel und ein Teil des Betriebsräteartikels ab­geändert worden waren.

Dementierte Revolutiomspläne Zu Meldungen, daß die Protest­kundgebung gegen die Teuerung am 20. September von den Links­parteien zu einem Aufstand bc- i nutzt werden solle, sagte der So­zialistenführer Pietro Nenni, am Samstag werde es in -Italien keine Revolution geben. Auch der Sekretär des Arbeitgeber­verbandes bestritt den politi­schen Charakter der Unruhen und Streiks, vor allem die Ur­heberschaft der Kommunisti­schen Partei.

Frankreichs neue Südostgrenze Infolge der Ratifizierung - des Friedensvertrags mit Italien wur­den Tende und Brigue Frank­reich übergeben.. Auch das Ge­biet des Mont Cenis Ist wieder französisch. Die Bevölkerung be­reitete dem Präfekten des De­partements Alpes Maritimes ei­nen herzlichen Empfang. Die französischen Rationen sind höher >als die italienischen.

Ein Staat mehr

Am Dienstag wurde der Frei­staat Triest feierlich proklamiert. Der britische Generalmajor Airey Übernahm als höchster Offizier der alliierten Truppen die Macht­befugnisse des provisorischen Gouverneurs. Pola wurde von den Alliierten geräumt und den Jugoslawen übergeben.

Nicht mehr rationiert Die Schweiz hat mit dem 16. Sep­tember die Fleisch- und Fett­rationierung aufgehoben. Die starke Trockenheit zwinge die Landwirte zu Schlachtungen we­gen Futtermangels und außerdem seien große Fleischlieferungen aus Argentinien und Dänemark eingetroffen.

Trauung lm Straßenanzug Bei der Hochzeit der Prinzessin Elisabeth mit Leutnant Philip Mountbatton am 20. November werden die Gäste im Straßen­anzug oder in Uniform teilneh­men. Es ist wenig wahrschein­lich, daß der Hochzeitstag zum Nationalfeiertag erklärt werden

wird, doch dürften die Schulkin­der frei haben.

Sozialistische Einheitspartei In der Tschechoslowakei haben die Sozialdemokraten und die Kommunisten ein Abkommen über eine Einheitsfront geschlos­sen, zu der später auch die Par­tei der tschechischen Sozialisten zugezogen werden soll. Ausländs­korrespondenten sehen in dem Abkommen eine vollständige Fu­sion. Das Zentralkomitee der so­zialdemokratischen Partei in Pil­sen soll in einer Erklärung d^s Abkommen dasTodesurteil für die Unabhängigkeit der Partei genannt haben.

Tlldy mahnt zu Realismus Bei der Eröffnung des neuen ungarischen Parlaments sagte der Präsident der Republik, Til- dy, die Abgeordneten dürften die Wirklichkeit nie aus den Augen verlieren. Die Sowjet­union habe Ungarn befreit, doch wolle dieses sich nicht von der übrigen Welt isolieren. Zum Präsidenten des Parlaments wur­de mit 232 gegen 120 Stimmen der Kommunist Nagh Imre ge­wählt. Die Sozialdemokraten und die Kleinen Landwirte stellen die Vizepräsidenten.

Partisanen gegen Partisanen Dreihundert griechische Parti­sanen, die sich nach einem Ge­fecht mit regulären Truppen auf jugoslawisches Gebiet gerettet hatten, sollen dort in einen Hin­terhalt von titofelndlichen' Par­tisanen, sogenanntenKreuz­fahrern gefallen sein und acht­zig Tote verloren haben.

ZwanzlgstesVeto der Sowjetunion Die zweite ordentliche Sitzungs­periode der Hauptversammlung der Vereinten Nationen wurde unter dem Vorsitz des Brasili­aners Oswaldo Aranha eröffnet. Der Weltsicherheitsrat hat mit neun gegen die zwei Stimmen der Sowjetunion und Polens be­schlössen, die Griechenlandfrage von der Tagesordnung zu strei­chen. In der Verhandlung legte Gromyko das neunzehnte und zwanzigste Veto der Sowjetunion ein. Die Debatte wurde in äu­ßerst scharfem Ton geführt.

Weltweizenernte größer als 1946 Amerikanische Fachleute schät­zen die Weltweizenernte auf et­wa 5975 Millionen Bushel. Trotz der Mindererträge ln Europa ist sie um 110 Millionen Bushel höher als lm Vorjahr. Die Wei­zenernte in Europa wird auf 1,2 Milliarden Bushel geschätzt. Sie betrug lm Vorjahr 1,35 Milliarden Bushel.

Bis zum totalen Endsieg

In einem Artikel derPrawda werden den verantwortlichen landwirtschaftlichen Institutionen der Südgebiete Nachtäss { gkelt und Trödelei vorgeworfen. Ge­wisse Landwirtschaftsführer seien sich nicht über die großen Mög­lichkeiten klar, die. ihnen die außergewöhnliche Ernte dieses Jahres biete. Jegliche Demobili­sierung der Weizenfront sei un­tragbar und verbrecherisch. Der Kampf um das Brot müsse bis zum totalen Endsieg geführt werden.

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Föderalisten

J. & Um den Föderalismus war es fast in ganz Deutschland seit einem Menschenaiter und noch länger stille geworden. Nicht nür im Dritten Reich galt der Föderalist als e.n vaterlandsloser Geselle oder gar todeswürdiger Hochverräter, auch schon in der Weimarer Republik wurden die Vorkämpfer dieser Idee mit den Partikularisten und Separatisten in einen Topf geworfen. Der Makel der Reichsfeindschaft hing ihnen schon seit Bis­marcks Zeiten an. Sehr zu Unrecht, denn die Reichsidee des Föderalisten ist freiheitlicher, friedlicher und wenn mans richtig nimmt, sogar demokratischer als es die Weimarer, unitaristische Konzeption war, von Adolf Hitlers Zuchthausstaat ganz zu schweigen. Es war eigentlich nur noch in Bayern, wo die föderalistische Idee lebendig war, gewiß nicht mehr in dem Sinne von Constantin Frantz oder derHistorisch-Politischen Blät­ter. Hier hatte sich der Föderalismus in die Defensive begeben und mußte sich begnügen, die kümmerlichen Reste der ausgehöhlten bayerischen Eigenstaatlichkeit zu verteidigen. Im Reich dagegen ärgerte man sich über die Bayrische Extrawurst, bestenfalls mokierte man sich darüber.. Ein Versuch des baye­rischen Innenministers. Sdjweyer, in Würt­temberg'und sonstwo Bundesgenossen zu bekommen, schlug fehl. Es blieb bei pla­tonischen Liebeserklärungen einiger Hanno­veraner und Rheinländer. Es war aber auch schon zu spät. Denn unterdessen war im Schatten des Ringens um die bayerische Eigenstaatlichkeit und es mit diabolischer Schläue ausnützend, der Todfeind des fö­deralistischen Systems auf den Plan getreten: Der Nationalsozialismus. Zwar gelang es noch den Bayern selbst 1923 vor der Feldherm- halle- der Schlange das Rückgrat zu brechen, aber es gelang ihnen nicht mehr, ihren Kopf zu zertreten. Es war ein Pyrrhussieg und er endete mit Bayerns vollständiger Ohnmacht dem Reiche gegenüber. Kahr büßte 1934 mit dem Tode, zehn Jahre später ließ Hitler auch den rheinischen Föderalisten Benedikt Schmittmann morden. Es ist fraglich, ob die junge Generation überhaupt eine Vorstel­lung von der föderalistischen Idee hat. Sie sollte sich ernsthaft darum kümmern, denn heute treibt diese Idee erneut imgeahnte und schöne Blüten auf dem weit größeren euro­päischen Felde. Möge sich in ihrem Geiste der Zusammenschluß der Vereinigten Staa­ten von Europa in einer Föderation anbah­nen, die allein die Unabhängigkeit von 300 Millionen Europäer angesichts der beiden großen Blockbildungen, der Russen im Osten und der Amerikaner im Westen, retten könnte.

AM RANDE

In der Mark Brandenburg müssen alle Fami­lien, die vor 1945 einen Landbesitz von mehr al» vierhundert Morgen hatten, ihre Wohnsitze ver­lassen und sich mindestens fünfzig Kilometer von ihren Heimatorten entfernt aufhalten.

Zur Bekämpfung des Schwarzwilds im Regie­rungsbezirk Koblenz können alle arbeitseinsatz­mäßig verfügbaren körperlich leistungsfähigen Ein­wohner von 18 bis 45 Jahren dienstverpflichtet wer­den.

Sechs rassischen Müttern von zehn and mehr Kindern wurde der TitelHeldenmutter verliehen.

Infolge der außerordentlichen Trockenheit soll die kariadische Welzenemte um 150 Millionen Scheffel gegenüber den ursprünglichen Schätzun­gen Zurückbleiben. Auch ln den USA ist die Weizenernte geringer als angenommen wurde.

Wetterbericht

Aussichten bis Wochenende: Meist heiter und trocken. Tagestemperaturen für die Jahreszeit immer noch anormal hoch.

£rijiunbirrf)f Leitung

Redaktion: Albert Komma, Johannes Schmid. Verlag: Sciiwäbischer Verlag, KG., Friedrichshafen, ln Lentkirch. Druck: Kottweiler Verlags- und Druckereigenossenschaft, Rottweil.

Xer SSalbfteig

19 Erzählung von Adalbert Stifter

Inzwischen waren die Beweise» und Belege über alle seine Verhältnisse angekommen, und er legte sie dem Vater vor. Audi hatte er in der Zeit sehr schöne Stoffe in das Häuschen geschickt. Maria hatte daraus Kleider verfertigen lassen, aber alle in der Art und in dem Schnitte, wie sie dieselben bisher getragen hatte. Er hatte ihr nichts vorgeschrieben, sondern hatte seine Freude daran, und da sie angezogen war, fuhr er mit ihr in seinem Wagen, vor dem die schö­nen Schimmel hertanzten, durch die beleb­teste Straße des Badeortes.

Alle Leute erstaunten auf das äußerste; denn man erfuhr nun den Zusammenhang der Dinge, namentlich da Tiburius vor kur­zem eine größere, schön eingerichtete Woh­nung gemietet hatte. Kein einziger Mensch hatte die leiseste Ahnung davon gehabt; selbst seine Diener hatten immer geglaubt, er fahre bloß um zu zeichnen in den Wald hinaus: indessen hat er sich irgendwo dieses schöne Mädchen aufgelesen und bringt sie nun als Braut. In alle Häuser, Zimmer und Kammern verbreitete sich das Gerücht. Nicht einmal, sondern mehr als hundertmal wurde das altdeutsche Sprichwort gesagt:Stille W'/sser gründen tief, und mancher lüsterne, feinkennende, alternde Herr s^gte bedeutungs­voll:Der abgefeimte Fuchs wußte schon, wo man sich die schönen Tauben holen solle.

Tiburius hatte indessen, als die gesetzlichen Bedingungen erfüllt waren, und als die ge­setzliche Zeit verflossen war, Maria in seine Wohnung als Gattin eingeführt, und im Spät- h°vbste sahen alle Badegäste, die noch da- waren, wie er sie in einen schönen< wohl- eingerichteten Reisewagen, der vor dem

Hause hielt, einhob und mit ihr nach Italien davonfuhr.

Er wollte dort' den Winter zubringen, allein er blieb dann drei Jahre auf Reisen durch die verschiedensten Länder, von wo er dann in das Haus, zurückkehrte, das ihm unter­dessen in Marias schönem Vaterlande gebaut worden war. Das väterliche hatte er ver­kauft.

Wie ist nun Herr Tiburius anders ge­worden!

Alle seidenen Chinesen sind dahin, die Elenhäute auf Betten und Lagerstätten sind dahin er schläft auf bloßem, reinem Stroh mit Linnendecken darüber alle Fenster stehen offen, ein Luftmeer strömt aus und ein, er geht zu Hause in ebenso losen, leine­nen Kleidern wie sein Freund, der kleine Doktor, der ihm den Rat wegen dem Bad gegeben hatte, und er verwaltet sein Be­sitztum wie ebenfalls der kleine Doktor.

Dieser Doktor, der sich für sein Leben ein Rezept gemacht hatte, hauste nun schon mehrere Jahre in der Nähe von Tiburius, wohin er alle seine Pflanzen und Glashäuser wegen der besseren Luft und anderer ge­deihlicher Verhältnisse übergesiedelt hatte. Da ihm die Sache von Tiburius Heirat zu Ohren gekommen war, soll er unbeschreiblich lustig gelacht haben. Er achtet urfd liebt sei­nen Nachbar ungemein, und obwohl er ihn damals gleich nach kurzer Bekanntschaft Tiburius genannte hatte, so tut er es jetzt nicht mehr, sondern sagt immer:Mein Freund Theodor.

Auch seine Gattin, die dem Herrn Tiburius zur Zeit seiner Narrheit besonders gram ge­wesen war, schätzt und achtethn jetzt be­deutend; Maria aber wird von ihr auf das herzlichste und innigste geliebt und liebt sie wieder.

Mit dem treuen, reinen Verstände, der dem Erdbeermädchen eigen gewesen war, fand

sie sich schnell in- ihr Verhältnis, daß man sie in ihm geboren erachtete, und mit ihrer naiven, klaren Kraft, dem Erbteile des Wal­des, ist ihr Hauswesen blank, lachend und heiter geworden, wie ein Werk aus einem einzigen, schönen und untadelhaften Gusse.

Tiburius ist nicht der erste, der sein Weib aus dem Bauernstände genommen hatte, aber nicht alle mochten so gut gefahren sein wie er. Ich habe selbst einen gekannt, dem sein Weib alles auf ihren lieben, schönen, länd­lichen Körper verschwendete.

Der Vater Marias, weil es ihm in dem leeren Muldenhäuschen zu langweilig ge­worden war, lebt bei seinen Kindern, wo er in dem Stübchen die Uhr hat, welche sonst In der Stube seines Wohnhauses gehangen war.

So wäre nun bis hierher die Geschichte von dem Waldsteige aus. Zuletzt folgt eine Bitte: Herr Theodor Kneigt möge mir ver­zeihen, daß Ich immer schon wieder Tiburius geheißen habe; Theodor ist mir nicht so ge­läufig und gegenwärtig wie der gute, liebe Tiburius, der mich damals so furchtbar an­geschnaubt hatte, als ich sagte:Aber, Ti­burius, du bist ja der gründlichste Narr und Grillenreiter, den es je auf der Erde ge­geben hat.

Habe ich nicht recht gehabt?

Ende

Neue Bücher

Wilhelm Keil: Erlebnisse eines Sozialdemokraten .

/. Band , 477 Seiten. Deutsche Verlagsanstatt f

Stuttgart .

Wenn jemand auf ein so langes Leben zurnck- blickt wie der Präsident des nordwürttembergischen Landtags, dann fällt ihm viel ein, was ihm er­zählenswert scheint. Und in einem gemütlichen Kreise wird man dem schon durch seine Jahre und sein hohes Amt ehrwürdigen Manne gern zuhören. Ein Buch ist aber etwas anderes als eine Erzäh­

lung unter Freunden und alten Kampfgefährten, und auch die Memoirenliteratur hat ihre Gesetze, die eingehalten werden müssen. Zu ihnen gehört, daß gerade bei der Behandlung eines Themas, das im Grunde ein Mensch und zwar der Autor selbst ist, der Verfasser nicht mehr hervortreten darf, als zum Verständnis seiner Entwicklung gehört. Es ist nicht ganz za verstehen, was mit den Erlebnis­sen eines Sozialdemokraten die Kriegsfahrten seines Sohnes zu tun haben sollen, um das auf­fallende Beispiel für das Ueberwuchern rein per­sönlicher und für den Leser ziemlich gleichgültiger Einzelheiten zu nennen. Als Materialsammlung für eine Zeitgeschichte und vor allem für eine Ent­wicklungsgeschichte der deutschen Sozialdemokratie behält das Buch bei allen Unzulänglichkeiten einen beträchtlichen Wert. a.k*

Josef Sellmair: Trost der Weisheit, 224 Seiten,

Verlag Michael Beckstein , München.

Trösten ist eine schwere Kunst, sagt Dante, lm tiefsten Schmerz, wenn die Seele in den äußersten Abgrund der Trostlosigkeit gestürzt ist, wenn das Leid so groß ist, daß jedes Wort ehrfürchtig vor ihm verstummen muß, kann nur einer helfen: der Allgütige. Ab6r wenn der Betroffene nach Mitleid und Sinndeutung seines Unglücks sucht* dann ist die Stunde des Trösters gekommen, des Zusprechers, der sich an die noch heile Stelle des vom Schinerz Verwundeten richtet, ihn stärkt und ihm den Mut und Willen zu neuem Leben gibt. Im Laufe der Jahrtausende ist viel Leid über die Menschheit ge­kommen. Sie ist erfahren im Leiden und im Trösten geworden. Die großen und tiefen Geister sind es, die am meisten gelitten, aber auch am meisten über den Sinn des Leidens nachgedacht haben. Sie aufznrufen und zu beschwören, als Tröster für unsere Zeit der Kümmernisse, ist die Absicht des Buches von Josef Sellmair: Trost der Weisheit. Dichter und Heilige, Philosophen, Könige und Theologen werden zitiert. Von der Antike bis zu unserer Zeit ist der Bogen gespannt. So ergibt sich eine reichhaltige Sammlung erlesener Gedan­ken, ein immerfließender Brunnen des Trostes.

J. S.

Von Gerhart Hanptmann ist ein nachgelassener Einakter*Die Finsternisse, jetzt in Amerika als Privatdruck erschienen. Das Stück, als Requiem für Hauptmanns Freund und Mäzen Max Pinku» geschrieben, verurteilt in schärfster ^ Form den Antisemitismus und ist. von tiefer Religiosität er­füllt, die in den Bezirken des Angelus Silesxus beheimatet ist. %