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Freitag, den 19. September 1947
ORGAN DER CHRISTLICH-DEMOKRATISCHEN UNION
Nr. 75 / Jahrgang 3 / Preis 20 Pfg.
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Umrisse der westlichen Lösung
Französische Zollunions-Initiative - Zusammenschluß mit der Bizone
1 Paris. — Nach einem AFP-Bericht wird es als sicher angesehen, daß die Amerikaner mit dem umgearbeiteten Bericht der Sechzehner-Konferenz zufrieden sein werden, so daß die Schlußsitzung der Konferenz am 22. September stattfinden könne. Unterstaatssekretär Clayton habe die französischen Anregungen gebilligt. Der französische Vertreter Herve Alphand hatte in der letzten Sitzung der Konferenz eine Erklärung abgegeben, daß Frankreich bereit sei, mit allen Ländern zu verhandeln, die eine Zollunion mit ihm wünschten. Die Zollunion sollte in Kraft treten, sobald die teilnehmenden Länder ihre Wirtschaft und ihre Währung stabilisiert hätten. Als wichtigste Ziele sieht Frankreich an, daß die Erzeugungskosten gesenkt, der Lebensstandard der Bevölkerung gehoben und bei internationalen Verhandlungen mit größerer Wirksamkeit vorgegangen werden könnte, da eine solche Gruppierung beachtliche kommerzielle Möglichkeiten bieten würde. Der Vertreter Italiens meldete sogleich die Teilnahme seines Landes an der Zollunion an. Schweden und Norwegen billigten den französischen Vorschlag, während sich der Vertreter Großbritanniens auf den Hinweis beschränkte, daß bereits ein Studienausschuß für diese Frage eingesetzt worden sei. Die französische Erklärung wird in den Schlußbericht der Konferenz aufgenommen werden.
Clayton sagte zu den Konferenzteilnehmern, sie hätten einen neuen Weg in der Geschichte Europas beschritten. Er sei erfreut, daß in dem neuen Bericht die amerikanischen Empfehlungen berücksichtigt würden.
Obwohl das französische Kabinett noch keinen Beschluß über den Anschluß ihrer Zone an die britisch-amerikanische Doppelzone gefaßt hat, und am Quai d’Orsay gesagt wurde, die Angelegenheit könnte erst auf der Londoner Außenminister-Konferenz entschieden werden, befassen sich die Pariser Blätter eingehend mit dem Projekt. Die ..Humanite“ hat Bidault bereits vorgeworfen,
er habe vor den amerikanischen Forderungen kapituliert. „Le Populaire“ widerspricht dem, da die derzeitige Wirtschafts- und Währungsverhandlungen nicht mit politischen Forderungen verbunden seien. Es sei nicht richtig, daß Frankreich seine Haltung in der deutschen Frage geändert, seine internationale Politik gewechselt und den Anschluß an irgendeinen Block beschlossen habe. „Le Monde“ schreibt, es wäre sicher, daß die französische Regierung die Möglichkeit der Teilung Deutschlands in Erwägung gezogen habe, und daß in diesem Falle die französische Zone mit ihren sechs Millionen Einwohnern sich nicht von der Bizone mit vierzig Millionen Einwohnern femhalten könnte. Der Anschluß wäre unvermeidlich. Die Folgen wären der wirtschaftliche Anschluß des Saargebietes an Frankreich, Lieferungen von Koks und Kohle aus dem Ruhrgebiet und dessen internationale Kontrolle. Man dürfe Bidault keine Abneigung gegen die Sowjetunion zuschreiben, aber diese habe stets die Zusammenarbeit mit den anderen Mächten in Deutschland abgelehnt. Sie widersetze sich den Potsdamer Beschlüssen, die die deutsche Wirtschaftseinheit vorsähen. Wenn sich Westdeutschland von Ostdeutschland absondere, so habe die Sowjetunion das gewollt. Frankreich habe alles getan, um es zu verhindern, aber schlechten Lohn für seine Bemühungen erhalten. In der Ruhrfrage und bei der politischen Organisation Deutschlands habe sich die Sowjetunion Frankreich widersetzt. Sie habe den wirtschaftlichen Anschluß des Saargebiets nicht zugelassen und den Sicherheitspakt abgelehnt, den Byrnes und Marshall vorschlugen. Frankreich sei verpflichtet, seine Politik nach der seiner westlichen Alliierten zu orientieren, ohne auf seine Freundschaft mit dem russischen Volk zu verzichten. Der Anschluß der französischen Zone wäre nur die Bestätigung eines bestehenden Zustandes. „Le Monde“ schließt die Möglichkeit nicht aus, daß die Sowjetunion auf der Londoner Konferenz ihre Haltung ändern könnte.
Unerläßliche Voraussetzungen
'A München. — Im „Echo der Woche“ schreibt Staatssekretär a. D. Dr. Paul Binder, eine „westliche Währungsreform“ würde zwar wenig zu der bereits bestehenden Teilung Deutschlands zu einer West- und Osthälfte hinzufügen, diese Trennung aber so stark unterstreichen, daß keine deutsche Behörde oder parlamentarische Vertretung einen derartigen Schritt gutheißen könnte, solange eine Hoffnung bestehe, die endgültige Trennung zu vermeiden. Entwickle sich jedoch der Gang der politischen Ereignisse weiter so wie bisher, so müsse mitgerechnet Werden, daß bis zum nächsten Frühjahr die politische Lage eindeutig genug bestimmt sei, um eine „westliche Lösung“ der Währungsfrage nötig zu machen. Ohne Vertrauen in die Haltbarkeit der Lösung, ohne Vertrauen darauf, daß man für das neue Geld auch Ware kaufen könne und die Behörde die Macht habe, die Voraussetzungen für ■ das Funktionieren der neuen Währung aufrechtzuerhalten, gäbe es keine Währungs
gesundung. Das Vertrauen in die Wertbeständigkeit der neuen Währung hänge davon ab, daß zum Zeitpunkt der Reform in den Läden auch wieder Fertigwaren zum Verkauf stehen und die Zeit zwischen Produktionsbeginn und Produktionsausstoß durch die Liquidierung zurückgehaltener Bestände und durch das Angebot ausländischer Fertigwaren auf Kredit überbrückt werde. Die unerläßlichen Voraussetzungen für ein Gelingen der deutschen Wirtschafts- und Währungsreform nennt Dr. Binder Sicherung ausländischer Kredite, Moratorium für Reparationen, Herabsetzung der Besatzüngskosten, Uebemahme der Ernährung der Ostvertriebenen durch die Besatzungsmächte, Ueber- tragung der vollen Souveränität im Bereich der Wirtschaftverwaltung auf die deutschen Instanzen und Wiederzulassung des deutschen Kaufmannes im Ausland. Diese politischen Fragen müßten geklärt werden, ehe an eine Währungsreform gedacht werden könne.
Aufschlußreiche Zonenbilanz
Baden-Baden. — In einer Polemik mit der Stuttgarter „Wirtschaftszeitung“ macht der „Kosmos“-Pressedienst interessante Angaben über die Finanzlage der französischen Zone. Die Ausgaben des Landes Rheinland- Pfalz betragen danach nicht 600, sondern 460 Millionen Mark. In Württemberg sind die ordentlichen Ausgaben nicht 250, sondern 162, die außerordentlichen nicht 500, sondern 292 Millionen. Für Baden betrage das Gesamtdefizit nicht 500, sondern 236 Millionen. Das Gesamtdefizit der drei Länder belaufe sich nicht auf 1425, sondern auf 750 Millionen Mark. Anleihen wurden für ungefähr 600 Millionen begeben, der Zinsfuß beträgt 1*/« und IV4 Prozent für kurzfristige und 2 bis 3 Prozent für langfristige Anleihen und ist niedriger als in der Sowjetzone. Die Länder .sind ermächtigt, für unvorhergesehene Ausgaben kurzfristige Vorschüsse der Landesbank in Anspruch zu nehmen, Rheinland- Pfalz bis zu 20 Millionen, Baden und Württemberg bis zu 10 Millionen. Die Länder der /französischen Zone mit Einschluß des Saar- ,gebiets mußten 1945/46 das Defizit der Eisenbahnen von 123 Millionen decken. Die Beteatzungskosten, die 1946 noch 750 Millionen pe trugen, wurden für 1947/48 auf 400 Millionen gesenkt. Die Besatzungskosten Frankreichs im Kriege lagen ungefähr dreimal so [hoch. Der Umlauf an Besatzungsmark sank von 761 Millionen im Januar 1946 auf 473 Millionen im Januar 1947 und seither auf 250 Millionen.
Die Handelsbilanz der französischen Zone Ist aktiv. Die Zone ist gegenüber dem Ausland Gläubigerin in Dollar. Die Officomex kauft in der Zone zu innerdeutschen Preisen fend verkauft im Ausland su Weltmarkt
preisen und umgekehrt. 63 Prozent der Einfuhr sind Lebensmittel, deren Weltmarktpreise viel mehr gestiegen sind als die der Ausfuhrprodukte. Eine Anpassung der deutschen Preise an die Weltmarktpreise wäre erst nach einer Währungsregelung möglich. Der größte Teil der Ausfuhr geht nach Frankreich, das großes Warenbedürfnis hat. Es wäre aber auch schwer, die Ausfuhr nach Ländern zu leiten, die in Dollar bezahlen könnten. Verträge der Zone wurden abgeschlossen mit .Belgien, Luxemburg, den Niederlanden, Dänemark, der Tschechoslowakei, Schweden, Norwegen und Italien. Die Ausfuhr nach Frankreich betrug 90 Prozent, die Einfuhr aus Frankreich nur 18 Prozent, aus den Vereinigten Staaten hingegen 63 Prozent. Für die Einfuhren aus den andern Ländern mußte Frankreich Dollars vorstrecken.
Revidierte Säuberung 1. Stuttgart. — Für den 23. September ist eine außerordentliche Länderratssitzung einberufen worden, bei der die Ministerpräsidenten der amerikanischen Zone zusammen mit dem parlamentarischen Rat beim Ländör- rat Ergänzungsbestimmungen zum Entnazifizierungsgesetz ausarbeiten und der Militärregierung weiterleiten werden. Der Sitzung ging eine Besprechung voraus, die im Anschluß an die letzte Länderratssitzung die Ministerpräsidenten mit General Clay hatten, wobei der General anscheinend die Grenzen zog, in denen die Militärregierung gewillt wäre, die Abänderungsvorschläge einzelner Länder anzunehmen. Die deutschen Regierungsstellen sollen nun von sich aus die Bestimmungen ausarbeiten.
Besuch Coste-Florets
Paris. — Kriegsminister Paul Coste- Floret hat Paris verlassen und eine Inspektionsreise durch die französische Besatzungszone angetreten.
Cast amerikanischer Arbeiter
Berlin. — Nach Dr. Kurt Schumacher hat der Präsident der American Federation of Labour, William Green, auch den Vorsitzenden der CDU in der Ostzone, Jakob Kaiser, der ehemals Vorsitzender der christlichen Gewerkschaft war, zu dem Kongreß der AFL im Oktober nach San Francisco eingeladen. In CDU-Kreisen hält man es für wenig wahrscheinlich, daß Kaiser nach Amerika fahren wird. Er ist eben erst von der „Täglichen Rundschau“, dem offiziellen Organ'der Roten Armee, als „Komplize des amerikanischen Kapitalismus“ scharf angegriffen worden. Seine Linie ziele auf die Revision der Bodenreform, der Industriereform, der Arbeitergesetzgebung, der Schulreform und alles dessen ab, „was die sowjetische Besatzungszone Deutschlands so vorteilhaft von der wirtschaftlichen Struktur Bizonaliens unterscheidet“. Wenn Kaiser selbständig dächte, schreibt das Blatt und sich nicht von fremden Einflüsterungen- leiten ließe, so hätte er längst zugeben müssen, daß der von ihm so eifrig verkündete unversöhnliche Kampf zwischen West und Ost gar nicht existiere, sondern daß in der ganzen Welt und auch in Deutschland ein Kampf zwischen den Kräften der Reaktion und den Kräften des Fortschrittes vor sich gehe, ein Kampf zwischen den Kräften, die für den Frieden einträten und denen, die aufs neue einen Krieg entfesseln wollten. Nach einem Südena-Bericht glaubt man, daß die Annahme der ameri
kanischen Einladung Jakob Kaiser zwingen würde, als Parteivorsitzender zurückzutreten.
Ein Reformvorschlag Marshalls
New York. — Auf der Vollversammlung der Vereinten Nationen hat Staatssekretär Marshall vorgeschlagen, einen ständigen Friedens- und Sicherheitsausschuß der 58 Mitgliedstaaten zu bilden, der sich mit jeder Lage zu befassen hätte, die den internationalen Frieden gefährden könne. Das Vetorecht der Großmächte sei auf die Fälle zu beschränken, in denen die Vereinten Nationen gezwungen sein könnten, wirtschaftliche oder militärische Maßnahmen zu treffen. Endlich sei ein neuer Exekutivausschuß zu bilden, um aus den Schwierigkeiten einen Ausweg zu finden, in die die Verhandlungen des Sicherheitsrates geraten sind.
Marshall hatte eine mehr als einstündig« Unterredung mit Bidault.
Einigung über Zistersdorf
Paris. — Wie „Le Monde“ erfährt, stehen die Vereinigten Staaten und die Sowjetunion vor einer Einigung in der Frage der österreichischen Oelfelder bei Zistersdorf. Die Sowjetunion beansprucht die Oelfelder als ehemaliges deutsches Eigentum.
Der britische politische Vertreter in Oesterreich, Sir Henry Mack, teilte dem Bundeskanzler Figl mit, daß Großbritannien den Kriegszustand mit Oesterreich als beendet ansehe. Er überbrachte eine Botschaft Bevins zur Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehungen. Großbritannien hat Gesandte in Oesterreich, Ungarn, Bulgarien und Finnland ernannt.
Die Demokratie der Deutschen
S Auf der Jahrhundertfeier für die Achtund- >, vierziger in Offenburg hielt der Präsident des
I Auswärtigen Ausschusses dos französischen
[ Rates der Republik, Salomon Grumbach, eine
* vielbeachtete Ansprache. Seine Ausführungen
‘ erscheinen uns wichtig genug, daß wir sie
’ wenigstens bruchstückweise im Wortlaut wie
dergeben.
„Wenn es schon innerhalb der einzelnen Familien unerläßlich ist, sich zu verstehen, wenn es notwendig ist, daß die einzelnen Individuen einander verstehen, um wieviel notwendiger ist es, daß sich die großen Kollektivismen, die man Völker und Nationen nennt, um das gegenseitige Verständnis bemühen. Wir Franzosen wollen verstehen, was es für Sie heißt, besetzt zu sein, was es für Sie heißt, keine wirkliche Freiheit zu haben, was es für Sie heißt, das doppelte Problem zu lösen, die Demokratie einzuführen, für die eine militärische Besetzung niemals eine gute Schule ist, was es für Sie heißt, mit all diesen Schwierigkeiten zu kämpfen. Ith begreife das. Aber auch Sie Ihrerseits müssen verstehen, was im französischen Volke vor sich geht. Nicht jeder ist verpflichtet, - die Dinge yon der objektiven Warte aus zu sehen wie wir verantwortlichen Politiker, die wir uns bemühen, es zu tun. Verstehen Sie, daß gegenwärtig in Frankreich Not, große Not herrscht. Sie müssen verstehen, daß es da drüben genau so drückende Ereignisse gibt, und daß es, wenn man von Kohle spricht, von der Ruhrkohle, der Saarkohle und dem Ruhrkoks, daß dies keijpe Rachegefühle sind, sondern daß unmittelbarstes Bedürfnis es diktiert, die eigene Produktion wieder in die Höhe zu bringen, die zum zweitenmal durch die deutsche militärische Besetzung völlig zerstört worden ist, dem Land wieder ein wirtschaftliches Gleichgewicht zu geben. Verstehen Sie, daß die Franzosen, wenn sie lesen, die Amerikaner und Engländer wollten zuerst die Ruhrindustrie wieder in die Höhe bringen, sagen: „Die zuerst und erst nachher wir, die wir die Opfer waren?“
Da gilt es, die Dinge objektiv, gleichmütig und sachlich zu erwägen. Und wir sagen: „Einen Wiederaufbau Europas ohne einen Wiederaufbau Deutschlands gibt es nicht.“ Ein Wiederaufbau Deutschlands, der den Völkern, die jahrelang Hitlers Armeen bei sich gesehen haben, als eine Bevorzugung Deutschlands erschiene, wäre eine moralische Gefahr. Es gilt, den Ausgleich zu finden. Er muß so gefunden werden, daß dem deutschen Volk die Möglichkeit gegeben wird, seine neue Demokratie und seine neue Republik auf die Basis einer wiedergesundeten Volkswirtschaft zu stellen. Es muß ihm gelingen, genügend zu arbeiten, um für sich zu produzieren, was es braucht, genügend zu arbeiten, um ins Ausland zu liefern und bezahlen zu können, was es bedarf, und seinen Reparationsverpflichtungen nachzukommen, die kein Gesetz ihm abnehmen kann, die aber die menschliche Vernunft auf das Mögliche beschränken muß. Von diesen Grundsätzen geleitet, müßte es möglich sein, ein Europa, das weit davon entfernt ist, eine Einheit zu sein, wieder ins Gleichgewicht zu bringen und dem Chaos ein Ende zu setzen.
Stellen Sie sich vor, daß zwischen den beiden Kriegen das amerikanische Gold, das nach 1920 in starken Anleiheströmen nach Deutschland floß, daß dieses Gold zu fried
lichen Zwecken verwendet worden wäre und nicht zur Vorbereitung des Krieges und zur Wiederaufrüstung. Stellen Sie sich vor, daß Ihre Industriellen und die Bankiers der Ruhr, des Rheinlandes und der Saar sich nur um die Entwicklung der herrlichen deutschen Industrie und des deutschen Welthandels gekümmert hätten. Welche Stellung für Deutschland! Stellen Sie sich vor, daß di« großen politischen Parteien, angesichts der immer drohender werdenden Hitlergefahr und der Reden, in denen der Führer klar gesagt hatte, daß er den Krieg wolle und ihn gewinnen werde, daß die Millionen von Sozialdemokraten, Kommunisten, christlichen Arbeitern und Mitgliedern des Zentrums, di« zusammen etwa zwanzig Millionen Stimmen hatten, sich trotz der üblichen Meinungsverschiedenheiten in der republikanisch-demokratischen Front zum Kampf gegen Hitler geeinigt hätten. Dann wäre er nie ans Ruder gekommen, Europa wäre nicht verwüstet, Deutschland nicht in Trümmern, Sie hätten keine Besatzung, Frankreich würde nicht Not leiden, England wäre nicht gezwungen, sein Lebensniveau herabzuschrauben und dem Goldbesitzer Amerika zuzurufen: „Hilf un«, denn allein können wir uns nicht mehr helfen.“ Das sind die Verantwortungen, die auf jenen lasten, welche das 70-Millionen-Volk der Deutschen mißbraucht haben, um ihm einen Traum vom Tausendjährigen Reich und von der Weltherrschaft vorzugaukeln, an denen nicht nur Millionen und aber Millionen Deutsche zugrunde gegangen sind, sondern Millionen und aber Millionen anderer Völker, — von den 5% Millionen systematisch verbrannter Juden ganz abgesehen, denn dal gehört zum schauerlichsten aller Kapitel, lastet aber ebenfalls auf dem Ruf des deutschen Volkes. Das ist die Tragödie nicht nur der deutschen Demokratie, sondern des deutschen Volkes.
Niemand weiß, wie lange die Besetzung dauern wird. Sie wird wahrscheinlich mindestens so lange dauern, bis es Deutschland trotz dem Besatzungsdruck aus sich selbst fertig gebracht haben wird, nicht nur sich demokratische Institutionen zu geben, sondern einen demokratischen Geist zu schaffen. Ein« Demokratie, die von außen aufgezwungen wird, hat auf die Dauer keinen Wert. Eine Demokratie ist nicht lebensfähig, wenn man sie nur annimmt, weil die Besatzungsmächt« es fordern. Nur die Demokratie, die aus dem Willen des deutschen Volkes erwachsen wird, Schluß zu machen mit dem Hitlergeist, dem Rassenhaß, den Welteroberungsplänen, sich selbst auf die herrlichen Resultate der deutschen Arbeitskraft zu beschränken, nur die Demokratie, die als der Wille des deutschen Volkes erscheinen wird, seiner selbst würdig zu werden, seiner größten Philosophen, seiner größten Musiker, nur dies« Demokratie wird das Vertrauen der anderen Völker haben. Dann wird Kant, der über den ewigen Frieden schrieb, wieder ruhig schlafen können. Dann wird Schiller sein« Ode an die Freude wieder lesen dürfen, ohn« sie als Hohn auf die Wirklichkeit zu empfinden. Dann wird die Neunte Symphoni» Beethovens endlich so in den Ohren der Menschen in Deutschland klingen, daß sto nicht nur eine Warnung ist oder ein unerfüllbarer Traum. _