FEUILLETON
bcv &4fciäBifd)ett 3ett*tig
Wie ich ein Dichter wurde
Von Paul Keller
„Da woll’n wir mal sehenl Da komm mal mit rein in die Stube!“ sagte der Vater. Er öffnete den Brief und las halblaut:
An Herrn Paul Keller, Hochwohlgeboren
Als ich dreizehn Jahre alt war, war ich wieder einmal von meinem Großvater zu meinen Eltern übergesiedelt. Es hieß, daß das sehr heilsam für midi sei, da der Großvater midi „greulich“ verziehe, insonderheit mich nicht zu der geringsten Arbeit anhalte. Unter „Arbeit“ wurde in unserem Dorf natürlich nur die körperliche Betätigung verstanden, die mir allerdings der Großvater zärtlich vom Leibe hielt. Und ich stimmte mit ihm so ganz und • gar überein, so daß in Amsdorf ein Verslein entstand, das vergleichsweise auf jeden Nichtstuer angewandt wurde: „Er ist so faul wie Keller Paul“.
Diesen Vers hielten mein Großvater und ich für blödsinnig und verachteten ihn. Ich haßte die Arbeit keineswegs. Der Großvater war fleißig von früh bis spät, und ich sah ihm gern und sachkundig zu und war immer in seiner Nähe, manchmal mit einem Buch beschäftigt, viel öfter aber mit meinen Gedanken. Und wenn ich mir eine Geschichte ausgedacht oder gar ein Gedicht gemacht hatte, dann war er der erste, dem ich alles hersagte, und dann pfiff er leise vor sich hin. Das war seine Anerkennung.
Mein Vater war strenger. Er meinte, daß eine straffe Zucht einem Buben nichts schade, rumal wenn er ein so verträumter Geselle sei wie ich. Und wenn ich mir’s heute überlege, so hatte der Vater recht, und der Großvater hatte auch recht.
Eines Tages also nahm mich der gestrenge Herr Vater wieder in eigene Regie und beschloß, wie weiland Pharao mit den Israeliten getan hatte, „mich zu schweren Arbeiten anzutreiben“. Es wurde damals bei uns ein kleiner Schuppen niedergerissen, und es sollte ein neuer an seiner Stelle gesetzt und dazu sollten die noch brauchbaren Ziegelsteine des alten mitverwandt werden.
Wer jemals alte Ziegel, die von rauhem, grauem, greulichem, abscheulichem, bekleck- tem und bedrecktem Kalk starren, gesehen hat, der weiß, daß sie zu den größten Scheußlichkeiten der Welt gehören. Mein ganzes Empfinden empörte sich bei ihrem bloßen Anblick, und ein Grauen durchfuhr mich, als mein Vater auf den großen Ziegelhaufen wies, mir einen Maurerhammer übergab* und sprach: „Die Ziegel wirst du abkratzen! Der ganze alte Kalk muß runter! Wenn von einem Ziegel noch die Hälfte da ist, kann er noch gebraucht werden. Kleine Scherben kannst du beiseite werfen. In einer halben Stunde komme ich nachsehen, wie weit du bist.“
Nach dieser Instruktion ging er von dannen. Ich setzte mich auf den Ziegelhaufen und fing in ohnmächtigem Zorn und Schmerz an zu schluchzen. Ich hatte das Gefühl, daß mir eine entsetzliche Schmach angetan wurde. Ich nahm einen Ziegel in die Hand, ließ ihn aber gleich wieder fallen, denn es war mir, ■ ob ich einen Igel angegriffen hätte.
■Blich band Ich mir ein Taschentüchlein die linke Hand, mit der ich den Ziegel ha.ten mußte, und schlug mit der Rechten mühsam den Kalk von ihm los.
Ich kam mir jämmerlich vor. Noch vor einer Woche hatte ich zwei Gedichte: „Die Träne“ und „Erinnerung“ an die Berliner Dichterlaube gerichtet, und jetzt kratzte ich Ziegel ab! „Die Träne“ tropfte auf alten Kalk, der so tot war, daß er nicht einmal grimmig aufzischen konnte, und nur die „Erinnerung“ an eine verlorene glückliche Zeit war mir geblieben. Ich kam in einen richtige! Dummenjungen zom.
Was gab es doch für prachtvolle Väter in unserem Schullesebuch! Zum Beispiel der, der gesagt hatte: „Sohn, hier hast du meinen Speer, meinem Arm wird er zu schwer.“ Hatte mir mein Vater einen Speer gegeben? Einen Maurerhammer hatte er mir gegeben. Oder jener andere Vater, von dem es so schön hieß: „Ich war ein kleines Bübledn, stand fest kaum auf dem Bein, da nahm mich schon mein Vater mit in das Meer hinein.“ In das Meer! Mein Vater hatte mich reicht in das Me'-- «"setzt, sondern auf ein«! Ziegelhaufen!
s, sieh amal! Der Keller Paul kratzt \ Ab!“ Zwei Schulkameraden waren es:
d dänisch Gustav und der Siegert Karl. „Nu, was fällt'n dir ein?“ fragte der Bänisch Gustav, „daß du amal was tust?“
Ich machte eine vergnügte Miene. „Ach, wir bau‘n ‘n Schuppen, und da läßt mich mein Vater a bissei Ziegel abputzen. Das macht viel Spaß!“
„Na, da würd‘ ich mich schön hüten,“ sagte der Siegert Karl, „ich geh' lieber in a Försterteich baden.“ Da gingen sie und sangen draußen vor dem Tor: „Wir sind so faul Wie Keller Paul!“
Da erschien mein Vater. Ich klagte ihm, daß ich hier gerade zu Hohn und Spektakel auf dem dummen Ziegelhaufea säße, er aber sagte: „Ja, das is, weil du sonst so faul bist. *s war höchste Zeit, daß du amal was tust, du -st mir sonst zu a großer Spanifantel!“ wieder war ich allein. So ging das nk weiter, das war klar! Irgendetwas sollte geschehen. Etwas Gräßliches. Ich beschloß, mich selbst zu verstümmeln. Ich wollte mir vermittels eines gewaltigen Schlages den Daumen der linken Hand zerschmettern, mich dadurch zum arbeitsunfähigen Invaliden mach«!, meine Eltern in Sorge und Gewissensqualen stürzen und sie außerdem zwingen, aus unserer Kreisstadt den teuren Doktor hol«! zu lassen. Gedacht — nicht getan! Denn als ich den linken Daumen auf einen Ziegelstein hielt und mit der hammerbewaffneten Rechten zum vernichtenden Schlage ausholte, geschah es, daß ich im letzten Augenblick den Daumen wegzog und nur den Stein zertrümmerte.
Ich betrachtete den in Scherben liegenden Stein, der stellvertretungsweise geopfert
worden war wie weiland der Widder für Abrahams Sohn Isaak. Ich wunderte mich Uber mich selbst und nutschte meinen linken Daumen ab, der in so gräßlicher Gefahr geschwebt hatte. Ich fühlte ordentlich, wie er weh tat. Dann sah ich wieder auf den zerborstenen Ziegel. Er war ein stattlicher Bursche gewesen. Ihn zu säubern, ihn in den adretten Zustand gebrauchswürdiger Ziegel zu versetzen, würde eine saure Arbeit gewesen sein. Nun lag er in Trümmern, und ich konnte seine Scherben instruktionsgemäß beiseite werfen.
Daß mir dabei ein großes Licht aufging, war klar. Wenn ich jetzt einen Ziegel erwischte, von £em ich vermutete, daß seine Säuberung umständlich und verdrießlich sein könnte, so legte ich ihn mit einem kühnen Hieb in Trümmer und warf die Scherben beiseite.
Daß mich bei diesem Heldenwerk mein Vater beobachtete und erwischte, lag ganz in dem Kismet dieses kohlschwarzen Unglückstages. Er fuhr zornig daher, hielt mir meine Untat vor und sagte, ich solle augenblicklich „rein in die Stube“ kommen. Was das zu bedeuten hatte, wußte ich. Er war durchaus kein Tyrann und auch gerecht, ja, ich hatte bisher nur zweimal im Leben von ihm Prügel bekommen. Aber daß jetzt aller guten Dinge drei werden würde, war mir klar. Ich verlegte mich aufs Heulen und Bitten und stand in erbärmlichstem Zustand vor ihm. Er blieb streng und unerbittlich.
„Wart, du Schlingel, jetzt kommt’s aber mal ordentlich —“
„An Herrn Paul Keller! —“
Der Mann, der den angefangenen väterlichen Strafsatz so unerwartet höflich vollendete, war der Briefträger. Er kam just im kritischen Moment durchs Hoftürchen und brachte einen Brief.
„An Herrn Paul Keller!“ wiederholte er lächelnd. Mein Vater sah den Brief, schüttelte den Kopf und sagte: „Ich heiße August.“
„Und der Großvater heißt doch Johann,“ sagte der Briefträger, „also wird wohl der da gemeint sein.“ Und er wies auf mich. Ich machte einen langen Hals, las auf der Adresse meinen Namen, darüber gedruckt „Deutsche Dichterlaube“ und stieß einen Schrei aus und rief: „Das ist mein Brief!“ Und griff nach dem Brief mit gieriger Hand.
Als man noch auf
Allerlei Kuriosität«
Im Jahre 1841 war die Raupenplage im Schwabenlande wieder einmal wirklich groß. Man sann auf allerlei Mittel, der lästigen Schädlinge Herr zu werden, allein nichts wollte fruchten. Da kam ein besonders Gescheiter, noch dazu ein Bürger der Universitätsstadt Tübingen, auf einen Einfall, der fast unglaublich klingen möchte, wenn wir ihn nicht schwarz auf weiß gedruckt vorfänden. „Das beste Mittel, Raupen zu vertilgen,“ schrieb der Schlaukopf, „ist das Schießen mit einer Flinte oder einer Pistole auf die Mitte des Raupennestes. Man hat es ln den letzten Jahren schon oft mit gutem Erfolge angewendet...“, behauptete er. Und in der Tat fanden sich ein paar Scharfschützen, die diesem absonderlichen Rat Folge leisteten. Ueber ihre Jagdergebnisse aber ist leider nichts bekannt geworden.
Ein „sehr einfaches Mittel gegen Maulwürfe“ wollen wir zu Nutz und Frommen aller derer, die von der Nützlichkeit desselben noch nicht überzeugt sind, hier wiederholen. Es stammt aus dem Jahre 1757, Ist leider ganz in Vergessenheit geraten. Vielleicht versucht es, einer der Leser einmal? — „Man läßt mitten im Garten eine umgekehrte Tonne in eine Grube setzen und den Rand derselben wohl mit Erde belegen. Oben durch den Boden wird eine starke Stange gestoßen, die tief unter die Erde gehen muß, an deren Spitze oben eine Windmühle befestigt ist. So oft nun diese umgetrieben wird und schnurrt, so wird nicht nur die Stange, sondern auch die Tonne erschüttert. Der Maulwurf als schläfriges Thier, das zwischen den Freßstunden Ruhe liebt, kann dieß nicht ertragen, weil er auf diese Art weder Tag noch Nacht Ruhe hat und entflieht diesem unruhigen Ort. Der Erfinder dieses Mittels ist der Pastor Hederström in Schweden. Er hat es im Jahre 1757 zu brauchen angefangen und bis jetzt 1764 keinen Maulwurf mehr in seinem Garten verspürt.“ Schade, daß diese neckischen MUhlchen ganz vergessen wurden. Aber vielleicht macht wieder einmal jemand einen Versuch damit?
Eine Erfindung, die vor 150 Jahren angepriesen wurde, war: Butter aus — Kartoffeln! „Die Kartoffeln wei'den geschält, gekocht, zu Muß verrieben, ins Butterfaß geschüttet, dreiviertel Stunden lang gebuttert und Rahmen dazugeschüttet. Wann die Kartoffeln und der Rahmen coagulirt, werden sie in ein Gefäß geschüttet, ausgedruckt und gesalzen. So hat man eine Art Butter, die der ordentlichen fast gleich kömmt — für das Gesinde." Ein recht feiner Hausvater hat dies entdeckt. Ob er selbst davon aß, verschwieg er leider, und das Ist schade, denn wir hätten noch gar zu gern erfahren, was sein Gesinde zu seinem Experiment gesagt hat.
Böse ist es schon, wenn die Obstbäume erfrieren, und daher kann man es durchaus verstehen, daß Baumbesitzer seit jeher auf Mittel sannen, dieses Unheil zu verhindern. Gleich zwei sind uns aufbewahrt aus der Zelt von ungefähr 1785. Verhältnismäßig einfach, aber selbstverständlich nutzlos, das erste. „Man lege einen oder mehrere Kieselsteine in die Krone des Baumes, und der
Amsdorf, Kreis Schweidnitz, Schlesien. Ihre zwei edngesandten Gedichte „Die Träne“ und „Erinnerung“ hqben unseren Beifall. Sie wer. en in einer der nächsten Nummern der „Dichterlaube“ erscheinen. Weitere Einsendungen sind uns willkommen.
Mit vorzüglicher Hochachtung ergebenst Die Redaktion der „Deutschen Dichterlaube“.
Ich schluchzte und ächzte, ich griff nach dem Wunderbrief, und Tränen liefen mir übers Gesicht. Per Vater fragte, ob ich denn etwas da hingeschickt hätte. Ich vermochte kaum, es zu bejahen. Da schob er den Brief wieder ins Kuvert und sagte betroffen: „Das hätte ich nicht gedacht!“ Einen „hochwohlgeborenen Herrn Dichter“ durchzuhauen, wagte er nicht mehr. Er rief die Mutter, zeigte ihr den Brief und sprach leise mit ihr.
Endlich gab er mir den Brief und sagte: „Na, da geh zum Herrn Lehrer König und zeig ihm den Brief, und dann kannst du zum Großvater gehen. Die Ziegel wird jemand anders abkratzen.“
Das war schön von ihm. Wie in seligem Traum ging ich die Dorfstraße hinab. Der Bänisch Gustav und der Siegert Karl begegneten mir. Sie kamen vom Baden. Sie spotteten, daß ich meine Arbeit schon wieder beendet hatte. Da zeigte ich ihnen stumm meinen Brief. Sie buchstabierten ihn durch und verstanden nicht viel davon, aber sie waren plötzlich stiller und gingen freundlich mit mir bis zur' Schule.
Der Lehrer König war ein junger Mann, der mir Privatstunden gab und dem ich viel freie, reiche Jugendentwicklung verdanke. Er war glücklich über seinen Schulbuben. Am schönsten aber war es doch beim Großvater. Der Mann arbeitete auf seinem Felde. „Großvater, denk’ amal an: von mir werden zwei Gedichte in Berlin gedruckt!“
Ich hielt ihm den Brief hin. Da wischte er sich erst die Hände ab, ehe er das weiße Papier nahm. Dann las er, und ein Leuchten brach aus seinen Augen unter den bauschigen Brauen, und ein leises Pfeifen stieg ywe eine goldene Melodie in die sommerliche Luft. Ich aber legte mich glückselig auf den Feldrain und grub meine arbeitsmüden Hände in das welche grüne Gras.
Raupen schoß . ..
aus alter Zeit
Frost wird ihm nichts anhaben können. Etwas umständlicher, doch nicht minder kurios das zweite. „Man umwinde den Baum mit Strohseilen, deren Ende man in ein auf dem Boden stehendes Gefäß mit Wasser bringt, um dadurch die Kälte vom Baum in das Wasser zu leiten.“ Fünfzig Jahre später schrieb ein Gärtner hierzu: „Wir wären begierig, die Erfahrungen kennenzulemen, die man damit machte.“ Wir auch.
Das ist noch gar nicht so lange her, beiläufig hundert Jahre, daß ein württembergi- scher Professor empfahl, die Maikäfer besser und gewinnbringender zu nützen. „Bereite Fett und Seife aus ihnen,“ hieß sein Ratschlag. „Sie enthalten nämlich in großer Menge ein ölartiges, weißlichtes Fett, das man am einfachsten dadurch gewinnt, daß man einen Topf voll Maikäfer mit Stroh zustopft, ihn umgekehrt über einen anderen stellt, und sodann ein leichtes Feuer von Hobelspänen auf dem ersteren anmacht, wodurch das Fett in den anderen hinabtröpfelt. Acht Schoppen Maikäfer geben ungefähr dpel Schoppen Fett...“ Immerhin mutete der Herr Professor den Leuten wenigstens nicht zu, es zu essen. Er hielt es aber gut als Wagenschmiere und zur Benützung als — Seife.
Herr Schlipf in Weingarten ging vor über 100 Jahren auf die Schneckenjagd. Verschiedene Methoden kannte er, recht seltsame, meinen wir. Zunächst empfahl er Möven zu fangen, diese flugunfähig zu machen und in den Gärten einzusperren, allwo sie alle Schnecken aufpicken würden. Allein, woher die Möven nehmen? Ein bißchen komplizierter waren dann seine Schneckenfallen, die aus kleinen Brettern bestanden. Doch das beste Mittel war unstreitig folgendes: „Man streue von den sogenannten Gerstenageln oder den Grannen der Gerste etliches an den Rand der Gartenbeete. Kriechen die Schnek- ken nachts heraus und kommen auf den mit Grannen besäten Streifen, so bleiben sie an diesen hängen und sie werden dadurch in ainen Zustand versetzt, der ihren Tod zur Folge haben muß.“
Ein ganz kurioses, aber rohes Mittel gegen die Viehseuche erfand man anno 1745 in einer württembergischen Gemeinde. Man begrub, um der Krankheit Einhalt zu tun, ein Kalb lebend, doch so, daß der Kopf des armen Tieres herausschaute, und zwar nach dem Nachbardorfe hin. Wirklich nahm die Seuche ein Ende und brach jetzt dort aus, wohin das sterbende Kalb geblickt hatte. Großer Krach war die Folge. Die Geschädigten verlangten, daß man das Kalb ausgrabe und verbrenne, was der Oberforstmeister auch anordnete. Und nun erlosch die Seuche ganz. Bloß der Streit ging weiter, denn niemand wollte den Schinder für das Ausgraben des Tieres bezahlen und dag Gericht hatte sich endlich mit diesem Fall zu beschäftigen.
Aber am schönsten war das mit dem Blutegel-Barometer! Das erfand ein schwäbischer Bauersmann um 1790 herum. Er schwur Stein und Bein auf seine Gültigkeit. „Setze Blutegel ln eine Bouteill« mit Wasser. Bel anhaltend schönem Wetter liegen sie ruhig auf dem Boden des Glases. Will es regnen, kriechen sie hinauf zum Halse des Behält-
bUUlitC
Gib, dunkler Engel, der zerstörten Veit die Rettung wieder, gib, daß deine Lobr.n nicht länger unsre Gärten, unser Feie, noch alles Glück, das unser war, bedrohen.
Im Angesicht der Erde, die erstand tind sich zurück zum ersten Licht, zum hohen und reinen Werk des Friedens wieder fand, Lobsingen wir zu dir mit tausend Zungen.
Glänzt erst dein neuer Tag am Erdenrand, Dann taucht in rauchverhüllte Dämmerungen der Schwarm des ungesehenen Todesritts, Wenn seiner Ungewitter Ton verklungen.
Der Brand erloschen und versprüht der Blitz, Schenkst du uns neu aus deinem Heiligtums als schönes Gut und eigensten Besitz den schwarzen Acker und die blaue Blume.
Henry von Heiseier (aus dem Gedichtband: die drei Engel)
nisses und bleiben sitzen, bis wieder schönes Wetter ist. Soll Wind kommen, schwimmen sie sehr geschwind umher. Tagelang vor Donnerwettern sind sie stets außer Wasser und sehr unruhig. Bei heiterem Frost und ebensolchem Sommerwetter liegt der Blutegel still im Glase, bei Schnee und Reg«! kriecht er aufwärts in den Hals der Bouteille. Man gebe ihm alle vierzehn Tage frisches Wasser. Es ist dies ein Wetterglas, das sich jeder für geringe Kosten anschaff en kann und das verschiedene Jahre brauchbar bleibt.“ — Wer versucht’* einmal? O. Rothmann.
Nur ein Lüftchen
Wohl nur an einem so heißen Tage, wie sie kürzlich auf uns herniederbrannten, war es möglich, daß mir die kleine Begebenheit, von der ich heut erzählen möchte, zum großen Erlebnis wurde, denn es handelt sich um ein kühlendes Lüftchen, ja, um ein Lüftchen nur. Natürlich habe ich auch schon früher höllisch heiße Hundstage und himmlisch labende Lüftchen erlebt, aber doch niemals mit solcher Ergriffenheit und Dankbarkeit, nie mit so frommem Erschauern, hier sei etwas Wunderbares am Werke. Mußte ich also erst ein alter Mann werden, um den Wundergehalt einer so nichtigen und flüchtigen Sache, als die ein Lüftchen uns gemeiniglich erscheint, zu fassen? Ist Altwerden überhaupt nur das Wachsen der Fähigkeit und Gnade, die Tiefe dessen zu ahnen, was scheinbar ganz einfach ist? Und ist der Tod dann folgerichtigerweise der erste Schritt ins letzte der Wunder und das allertiefste Einfachwerden?
Ja,, das große Erlebnis sah anfangs sehr geringfügig aus, nur wie die willkommene Annehmlichkeit, die ein unverhofftes, kühles Lüftchen dem von schwerster Hochsommerschwüle Erschlafften eben bereitet: In der riesigen, vom grellen Himmel straff überspannten, regungslosen Atmosphäre entstand aus irgendwelchem Grunde eine feine Bewegung, nicht etwa ein richtiger Wind, sondern ein Hauch nur, und liebkoste mir Gesicht und Brust.
Es ist verständlich, daß ich beglückt und dankbar war.
Dankbar? Wem eigentlich dankbar? Ist ein Lüftchen denn ein Jemand, dem der Mensch dankbar sein könnte oder müßte? Ist es nicht eben nur ein kleiner Wind, eine höchst natürliche, meteorologisch sofort erklärbare Sache und zugleich allerdings einer von den vielen Genüssen, wie die Natur sie, ohne zu wissen, ob sie uns Gutes oder Böses antut, an die Menschen verschwendet?
Ich aber fühlte in frohem Erschrecken etwas überaus Sonderbares: Dies Lüftchen schien mir von ganz anderer Art als alle übrigen Naturgenüsse, anders als etwa ein schöner Wipfelschatten, der ja gleichfalls erquickt, oder eine Quelle, die den Durstigen tränkt, oder ein Bach, der den Erhitzten abkühlt. Mit gar nichts, so glaubte ich, ließ sich vergleichen, was dieser Hauch mir Gutes erwies, e* kommt von selber zu mir, ich brauche keinen Schritt zu tun, keine Hand zu rühren; es kommt, als sehe es ein, daß hier jemand seine Hilfe braucht. Es verwöhnt mich, streichelt mich, kitzelt mich lustig, es ist gut zu mir, als habe es ein leibhaftiges Herz.
Und nun geschieht es ganz einfach, daß mir aus bloßer bewegter Luft wirklich ein lebendiges Wesen wird: Es hat ein Herz, das lieben kann, hat Augen, die lächeln, hat Hände, die fächeln, und, wenn ich nur richtig lausche, auch eine Stimme, die flüstern kann: „Sei getrost, denn ich, ich bin ja bei dir!“ Ich weiß nicht genau, welcher Art dies unsichtbare lebendige Wesen ist, ob vielleicht ein Kind, das seinem sorgenvollen Vater die faltige Stirn glätten will, oder eine Mutter, die lautlos ans Bett des fiebernden Kindes tritt und ihm die Hand auflegt, bis alle Aengste schwinden. Nur eines glaube Ich mit Sicherheit zu wissen: Das Lüftchen lebt, es ist beseelt, und es ist mir gut.
Ich schloß die Augen, um nur noch zu fühlen, und in der Tat, die Beglückung vertiefte sich noch, und meine Erkenntnis, die anderen Mensch«! möglicherweise als schwärmende Narrheit erscheint, wurde noch hellsichtiger, denn nun wurde ich auch den übrigen Wohltätern besser gerecht, dem Schatten, den Quellen, den Bächen, dem Licht, der Wärme, den Früchten des Waldes, den Blumen, den Düften, den Sternen, den Farben und allem, allem, wo wir ernten dürfen, ohne gesät zu haben, und in ihnen allen ahnte ich Seele, Willen und Geist. Und unsere große, schmerzenreiche Welt, über die in dieser Stunde das Lüftchen, — ein Lüftchen nur, — liebevoll hinhauchte, erfüllte sich wie mit Lobgesang:
Seid getrost, Brüder und Schwestern, Gott ist uns noch immer gut! Und wenn ihr versag«! wollt, lauschet dem Lüftchen! Es spricht mit seiner Stimme! Arnold Ulltz