Seite 2
g$tp86t|g» gettsttg
„Stadt und Land - Hand in Hand“?
Audi ein Brief aus Obersdiwaben
Es ist Zeit, einmal ein Kapitel aufzugreifen, das zwar nicht ausgesprochen schwäbisch, sondern allgemein menschlich, zum mindesten allgemein deutsch ist: Das Verhältnis von Stadt und Land. Da sind, um mich ausnahmsweise einmal militärisch auszudrücken, die Fronten schon derart verbissen und ineinander verkrallt, daß die klare Linie fast nicht mehr festgestellt werden kann.
Will man die beiden Fronten schildern, so muß das einer tun, der weder Städter noch Bauer ist und doch mit beiden viel zu tun hat. Da sagt also die eine Seite: „O diese hartgesottenöl Bauern! Kann’s überhaupt etwas Profitlicheres, Verfresseneres und Unbarmherzigeres geben? Nennen sich auch noch Christen, rennen dem Herrgott sonntags schier die Türe ein, aber für die armen Stadtleute haben sie kein Herz. Da lebt man noch immer in Saus und Braus, schwimmt nur so in Schmalz und Butter, hat ewig Gebratenes und Gebackenes und alle Tage ein Brot, gegen das das unsere wie Baumrinde aussieht! Aber lieber wirft man’s vor die Säue, als daß man so einem armen Schlucker ein Stücklein davon gäbe!"
Und von der anderen Seite ertönt es nicht weniger grimmig: „Ach ja, die sogenannten armen Hungerleider in der Stadt! Nur das Essen mißgönnen sie uns Bauern, aber nicht das Schaffen, nur das Metzgen, aber nicht das Misten! Haben die so einen „dummen, dreckigen“ Bauern früher überhaupt angeguckt? Nein, damals waren wir den Stadtfräcken viel zu wenig! Heute poussiert man uns, tut uns schön ins Gesicht hinein und hintenrum wünscht man uns die Pest an den Hals und unseren Vieh die Sucht. Nur vespern wollen sie und hamstern, nicht arbeiten, diese vergnügungssüchtigen Kinospringer! Und da sollen wir jetzt auf einmal großmütig helfen? Noi, ha—a!“
Zum modernen Frontenkrieg gehört aber auch die Greuelpropaganda. Auch darin sind die beiden Heerlager sehr rührig und schöpferisch. Da erzählt man sich auf der Bauemseite von tollen Bombenweibem, die es haarsträubend getrieben hätten auf dem Land. Auf der Stadtseite hat man eine andere Methode: Da hausiert man mit bestimmten, fertigen Schauergeschichten. Da ist einmal die immer wieder zugkräftige Geschichte vom hundertsten Leintuch (oder Hemd oder Handtuch usw.) Sie lautet: „Letzte Woche — es war immer in der vergangenen Woche! — hat eine reiche Bauersfrau in . . . (hier ist der Name eines Dorfes im Nachbarkreis einzusetzen!) zu einer halbverhungerten Stadtfrau gesagt: „Grad han P ’s hondertste Leintuach in Schrank g’legt; jetz isch’s aber aus mit *m Hpr™ 1 ”! wo soll i’ denn all dös
tui Skorzeny
Dachau. — Otto Skorzeny, der mii. sieben anderen Offizieren des Heeres und der Marine angeklagt war, in amerikanischen Uniformen als deutsche Soldaten gekämpft zu haben, wurde vom amerikanischen Militärgericht zusammen mit seinen Mitangeklagten freigesprochen. Die Verteidigung konnte im Verlaufe des Prozesses beweisen, daß die Angeklagten das Völkerrecht nicht verletzt hatten. Der amerikanische Verteidiger sagte in seinem Schlußplädoyer, daß es kein Vergehen gegen die Gesetze des Krieges sei, wenn Spione, kleine Aufklärungsabteilungen und Spähtrupps in Uniformen des Gegners verkleidet' hinter die feindlichen Linien gingen, um dort Informationen über die Lage zu erlangen. Wenn die Skorzenyleute in amerikanischen Uniformen hinter der amerikanischen Front gefangen genommen worden wären, so hätte man sie als Spione erschießen können, was mit einigen auch geschehen sei. Nachträglich aber könne man sie nicht mehr für ihre Spionagetätigkeit während des Krieges bestrafen.
Zeugs natua?“ Dann kommt als Zweites die Geschichte vom Perserteppich im Kuhstall. Neuerdings taucht noch die Geschichte mit dem Ehering auf, den sich so ein hartherziger Bauer gegen Kartoffeln habe geben lassen. Als am kommenden Sonntag dann der Pfarrer in einer Strafpredigt verlangt habe, daß der Geizkragen ihm den Ring für die Frau zurückbringe, seien nicht weniger als zwölf Bauern nach Einbruch der Dämmerung ins Pfarrhaus geschlichen und hätten klönlaut ihren eingetauschten Kartoffelehering abgeliefert! Das ist schon deshalb nicht möglich, weil einer, der zu einem solchen Tausch imstande wäre, auf eine Predigt hin und wäre sie noch so gesalzen, seine Beute nicht abgeben würde!
Also: So kommen wir nicht weiter! Zunächst müssen einmal beide Teile ein kräftiges „mea culpa“ sprechen, weil auf beiden Seiten die Schuld sehr groß ist- Freilich gibt es vielzuviele hartherzige Bauern, aber auch ungezählte Städter, die kein Mitleid verdienen, weil sie mit gestohlenem Zeug handeln und dabei selber noch stibitzen. Schuld und Unschuld aber auf beiden Selten in Prozenten auszudrücken, das wird nicht einmal dem Gallupinstitut gelingen. Eigentlich müßten wir die Ueberschrift über unserem Brief wahrheitsgetreuer etwa so ausdrücken: „Bauern und Städter — schlechte Vetter!“, denn von dem „Hand in Hand“ ist nicht viel zu spüren! Muß das so sein?
Ja, es gibt Leute unter den nahrungsuchenden Städtern, die sind ärmer dran als der Dulder Job, denn der konnte wenigstens noch auf den eigenen Misthaufen sitzen und hatte noch sein felsenfestes Gottvertrauen. Aber wer zäfclt jene anderen Städter, die sich in der Dämmerung aufs Land schleichen, um dort sackweise Futter für ihre Vordachhasen zu stehlen und die unreifen Aepfel von den
DIE KURZE
Bäumen zu schlagen, einmal hineinbeißen und Sie wegwerfen? Es gibt Bauern, die über den Umschwung steinreich geworden sind. Von der Schreibmaschine bis zum Mikroskop, vom Fahrrad bis zum Autoreifen haben sie sich alles organisiert, was von dem feldgrauen „Verein“ übrig blieb, und lieber lassen sie es in Erdlöchern und unterm Heu verkommen, als daß sie es gegen bloßes Papiergeld denen geben würden, die es brauchen! Zur Ehre des Landes muß aber auch zugegeben werden: Es gibt immer noch, auch in Oberschwaben, viele Bauern, die mit dem Christentum ernst machen: Die keinen vergeblich an der Türe schnallen lassen, während sie sich hinter den Gardinen verleugnen. Die keinen leer fortschicken. Das ist kein Märchen, sondern tröstliche Tatsache! Ich kann Dir nur keine Namen sagen, sonst kommen diese Samariter von 47 vollends um im Strom der Besucher.
So ist’s eben noch immer gewesen: Ueber- all gibts „sottige und sottige“. Zudem ist es ganz falsch, wenn man glaubt, bei den Bauern würde am besten gegessen. Dann kommt doch mal und setzt euch an den wackligen, mückenumschwärmten Küchentisch und eßt mit, wenn sie, halb schon wieder auf dem Sprung zur-Arbeit, mit ihren rostigen Löffeln dem schwarzen Mus oder der „Mill- supp“ zu Leibe rücken und es sich kaum leisten können, dazu hinzusitzen! Nein, da wird in manchen Stadthäusern weit besser und reichlicher gegessen. Dort nämlich, wo man ein Geschäft hat, in dem der Bauer wohl oder übel einkaufen muß und wo er nie „mit ohne“ kommen darf, sonst kriegt er keinen Nagel und keinen Schuhnestel! Und d ann wollen wir auch die Normalverbraucher auf dem Lande nicht vergessen: Bei allen Sonderzuteilungen gehen sie leer aus; so haben sie die Nachteile der Abgelegenheit, ohne die Vorteile des Landes zu genießen. Es läuft mancher Liter Vollmilch und mancher Butterballen in die Stadt, bis die Normalverbraucher auf dem Lande, die nichts zu bieten haben, auch nebenher was bekommen. Auch das muß einmal gesagt werden. P.W.
NACHRICHT
Nach neun Jahren
J.S. Am 2. April 1938 hat Adolf Hitler der Landeshauptstadt Stuttgart einen Besuch abgestattet. Wenn man den damaligen Zeitungen, glauben soll, so war dies „der schönste Tag in Stuttgarts Geschichte“. Von der Versammlung in der Schwabenhalle hieß es allein: „25 000 Kehlen donnern Heil“, und eine Zeitung stellte sogar fest, daß das Schwabenvolk „ein einziges jubelndes Wesen“ geworden sei. Das war acht Tage vor der Abstimmung über die Heimholung Oesterreichs, aus der nachher eine Heimsuchung geworden ist. Zwar schien die Verkopplung der österreichischen Angelegenheit mit dem Reichstag auf dem Wahlzettel vielen verdächtig, aber Goebbels gab dem ohnehin schon chloroformierten Volke dann noch eine Spritze: Am 5. April stieg der „Großdeutsche Tag“. Die Stimmung überschlug sich, Deutschland schwamm in einem Taumel und strömte zur Wahl. In dieser Stunde des allgemeinen Rausches hatte sich ein Mann sein ruhiges Blut bewahrt. Bk ging nicht zur Wahl, von 18 409 Stimmberechtigten seiner Stadt er allein nicht. Bk hätte dagegen stimmen können, und niemand hätte es gewußt, aber er verhehlte seine Haltung nicht, er machte den Schwindel nicht mit Bk war der Bischof von Rottenburg. Man kann sich denken, daß der Gauleiter Murr, nachdem ihn sein „Führer“ acht Tage vorher ans Herz gedrückt hatte, über das Verhalten des Bischofs nicht gerade erbaut war. Was würde der Führer sagen? Dieser Mann mußte verschwinden. Aber es war eben ein Bischof, und mit der Kirche wagte man jetzt, nachdem Hitler entschlossen war, den Krieg zu machen, nicht anzubändeln. Und darum begann das verlogene Spiel- Im Hintergründe zieht die Partei die Fäden, bestellt Omnibusse und Eisenbahnzüge. Im Vordergründe sollte der Zorn des Volkes sich spontan Luft machen und den Bischof hinwegfegen. Es kam anders. Zwar gab es ein Dutzend Aufputscher, die sich beim Gauleiter beliebt machen wollten, aber das Ganze fiel kläglich aus. So dumm war Murr nicht, daß er nicht merkte, wie dem Bischof immer mehr Sympathien zuströmten. Auch daß er selbst die Feder ergriff und in scheinheiligen Phrasen den Bischof, o wie schrecklich, sogar des Bruches des Konkordates anklagte, half nicht. Mit Widerwillen liest man: „Er (der Bischof) hat nicht erkennen wollen, daß die göttliche Vorsehung Adolf Hitler und die von ihm geprägte Weltanschauung des Nationalsozialismus sichtbar dazu ausersehen hat, dieses Volk vor dem grauenhaften Chaos des Bolschewismus und Antichristen zu retten. Anstatt sich nun demütig unter diese Fügung des Allmächtigen zu beugen und dankbar die Rettung unseres Volkes, und damit auch der Kirche durch den Nationalsozialismus anzuerkennen, spricht er ewig nur von Verfolgung und Märtyrertum.“ — Doch die Sache mußte zu einem Ende kommen. Im August wurde der Bischof des Landes verwiesen. Aber dann kam die Zeit, wo Murr selbst auf Nimmerwiedersehen aus dem Lande verschwand, und der Bischof heimkehrte- Der letzte Akt des Dramas vollzog sich soeben vor der Strafkammer des Tübinger Landgerichtes. Bk hat die Verlogenheit der nationalsozialistischen Praktiken nur bestätigt.
W etterbericht
Meist heiter, tagsüber hochsommerlich warm» Höchsttemperaturen bis 30 Grad Wärme. Gegen Wochenende noch'tiittags Ausbildung einzelner örtlicher Gewitter. Sonst trocken.
arfjroäbifrfir^rilunfi
Redaktion: Albert Komma, Johannes Schmid. Verlag: Schwäbischer Verlag, KG., Friedriohshafen, in Lentkirch. Druck: Hottweiler Verlags- und Druckereigenossenschaft, Kottweil.
Gemeinsame Lebensmittelkarten Einheitliche Lebensmittelkarten mit wechselseitiger Gültigkeit werden von der 106. Zuteilungsperiode ab in der amerikanischen und britischen Zone ausgegeben werden.
Sowjets verbieten Rückkehr Illegale Grenzgänger aus der sowjetischen Zone werden nach einer Anweisung der amerikanischen Militärregierung für Bayern nicht mehr über die Grenze zurückgeschickt, da die sowjetischen Behörden die Rüdekehr in ihre Zone verboten haben. In Berlin sind Verhandlungen im Gange, um die Gründe für die sow.1^'^° zu ermit-
te 1 * '
_ . in Berlin
Die Vertreter der französischen, amerikanischen und britischen Militärregierungen in der alliierten Kommandantur von Berlin waren übereingekommen, eine Delegation der Berliner Stadtverordneten zp empfangen, um ihnen die Auffassung der Kommandantur zur Frage der Berliner Verfassung zu erläutern. Der russische Vertreter jedoch hat sich geweigert, zu diesem Thema Stellung zu nehmen und schlug vor, die Abordnung über die „materiellen Probleme“ berichten zu lassen, die der kommende Winter der Stadt aufgibt. Darauf erklärte der britische Vertreter, daß der britische Verbindungsoffizier beim Magistrat dem Oberbürgermeister che britische Erklärung übergeben werde. Die französischen und amerikanischen Vertreter haben sich Vorbehalten, ebenfalls diesen Schritt zu unternehmen. Die Kommandantur hat es aber ablehnen müssen, eine Berliner Abordnung zu empfangen.
Br flieht aus Europa Einer der Piloten, die im Auftrag der jüdischen Widerstandsbewegung London bombardieren sollten, sagte aus, daß er nur zugesagt habe, zu fliegen, um die jüdischen Pläne zu durchkreuzen. Man wollte London vor dem Bombenabwurf noch durch Flugblätter warnen. Der Flugzeugführer will Frankreich verlassen, weil Europa für ihn nicht mehr sicher genug sei.
Prinz von Monaco zeidmet aus Prinz Louis II. von Monaco hat den Oberkommandierenden der französischen Zone, Armeegeneral Koenig, das Großkreuz des Saint-Charles-Ordens verliehen. Audi der Befehlshaber in der französischen Nordzone und der Kommissar der Republik bei der Militärregierung des Landes Baden wurden durch andere Klassen des Ordens ausgezeichnet.
Nach Amerika eingeladen Doktor Kurt Schumacher ist zum Kongreß der American Federation of Labour eingeladen worden. Er wird Deutschland so schnell wie möglich verlassen, um mit amerikanischen Gewerkschaftlern Besprechungen abzuhalten. Fritz Heine, der Pressechef der SPD, wird ihn begleiten.
„Es könnte zu spät sein“
In einem Schreiben an linen konservativen Kandidaten erklärte Churchill, Großbritannien gehe einem Winter entgegen, der härter sein würde als alle Winter, die es während des Krieges überstanden habe. Churchill beschuldigt dann die sozialistische Regierung, die verschlechterte Lage Englands durch Zwietracht innerhalb der Partei, durch Unfähigkeit und durch die Versuche, ihft „unbritischen Doktrinen“ mit
Kriegsbestimmungen durchzusetzen, herbeigeführt zu haben. Es heißt dann: „Je länger der Ausschluß der sozialistischen Regierung verzögert wird, desto schlimmer wird es werden, und desto schwieriger wird die Wiedergutmachung der von ihr angerichteten Schäden sich gestalten. Wenn wir zu lange warten, könnte alles zu spät sein!**
Rücktritt in Ankara Der türkische Staatspräsident nahm den Rüdetritt des Premierministers Rizep-Peker an und ernannte den Außenminister Hassan Saka zum neuen türkisdien Ministerpräsidenten.
Das Massaker in Indien Pandit Nehru sagte in einer Rundfunkansprache, daß Indien sich seiner jetzigen Situation schämen müsse. Unduldsamkeit und Kastengeist, von denen auch die militärischen Führer nicht frei seien, hätten die schwere Zeit her auf beschworen. Delhi, die Hauptstadt des Dominions Indien, steht in Flammen. Die Straßen der Stadt gleichen einem Schlachtfeld. Die Zahl der Toten und Verwundeten wird auf zehntausend geschätzt. Die Verkehrsverbindungen sind unterbrochen. Die „Südena“ meldet unter Vorbehalt, daß zehntausend Hindus allein in der Stadt Peschawar von Mohammedanern massakriert worden seien.
Teilnahme zugesagt George Marshall, George Bidault und der chinesische Außenminister Wang Chieh haben die Vereinten Nationen davon in Kenntnis gesetzt, daß sie am kommenden Dienstag an der Eröffnung der Vollversammlung teilnehmen werden. Außenminister Marshall wird eine Botschaft Präsident Trumans überbringen.
Ter g&albftetg
17. Ereählang von Adalbert Stifter
„Nein, nein, Maria“, antwortete er, „ich heiße Theodor, ich heiße wirklich Theodor Kneigt. Die Leute haben mir den Namen Tiburius aulgebracht, er kam mir schon ein paarmal zu Ohren, und ein ITreund zu Hause nennt mich unaufhörlich so — wenn du meinen Worten nicht glaubst, so kann ich es dir beweisen — warte, ich habe einige Briefe bei mir, auf welchen die Aufschrift auf meinen Namen gemacht ist — und wenn du dann auch noch zweifelst, so kann ich dir morgen mein Taufzeugnis weisen, in welchem mein Namd unwiderleglich steht.“
Bei diesen Worten griff er in die Brusttasche seines grauen Rockes, in der er mehrere Papiere hatte. Maria aber faßte ihn an dem Arme, hielt ihn zurück und sagte: „Lasset das, Ihr braucht es nicht. Weil Ihr es gesagt habt, so glaube ich es schon.“
Er ließ mit einigem Zögern die Papiere in der Tasche, zog die leere Hand heraus, und Maria ließ dann mit der ihrigen seinen Arm los.
Nach einer Weile fragte Herr Tiburius: „Also hast du mir in dem Bade nachgeforscht?“
Maria schwieg ein wenig auf die Frage, dann sagte sie:: „Freilich habe ich Euch nachgeforscht. Die Leute sagen auch noch andere Dinge — sie sagen, daß Ihr ein sonderbarer und närrischer Mensch seid —, aber das tut nichts.“
Nach diesen Worten richtete sie sich zum Gehen. Herr Tiburius ging mit ihr. Sie sprachen von dem Frühlinge, von der schönen Zeit; und wo der Weg die Gabel bildet, trennten sie sich — ihr Pfad ging links in die Waldestiefe hinunter, der seinige rechts gegen die Wand.
Herr Tiburius ging nun auch einmal auf den Muldenhügel hinauf, wo das Häuschen ihres Vaters stand, und nach diesem ersten Besuche kam er öfter, indem er die Pferde und die Leute auf dem gewöhnlichen Platze der Straße warten ließ. Er saß bei dem Vater und redete von verschiedenen Dingen mit ihm, wie sie dem Manne eben einfielen — und er redete auch mit Maria, wie sie in dem Hause so herumarbeitete oder wenn sie in der Stube waren, zu ihnen an den Tisch trat und zuhorchte — oder wenn sie auf der Gassenbank saßen, daneben stand, die Hand an das Angesicht hielt und auf die fernen Berge oder auf die Wolken hinausschaute. Der Vater verzärtelte das Mädchen, er ließ sie arbeiten, was sie wollte, oder er ließ sie auch, wenn es ihr gefiel, fortwandem und müßig in dem Wald herumgehen. Zuweilen begleitete sie den Herrn Tiburius ein Stückchen auf den Hügel und machte sich gar nichts daraus, ihm zu sagen, wenn sie wieder in den Wald käme, damit sie dort zusammenträfen.
Herr Tiburius versäumte diese Gelegenheit nicht, sie gingen miteinander herum, sie pflückte die Kräuter in ihr Körbchen, zeigte ihm manche von ihnen auf ihrem Standorte und nannte ihm die Namen derselben, wie sie nämlich in ihrer ländlichen Sprache gebräuchlich waren.
Bhidlich zeigte ihr Tiburius seine Zeichenbücher. Er hatte erst spät vermocht, dieses zu tim. Er schlug die Blätter auf und wies ihr, wie er manche Gegenstände des Waldes und der Wand mit feinen spitzigen Stiften nachbilde. Sie nahm den lebhaftesten Anteil an der Sache und geriet in ein sehr großes Entzücken, daß man mit nichts als ledigen schwarzen Strichen so getreu und lieblich und wahrhaftig, als ob sie daständen, die Gegenstände des Waldes nachbilden könne. Sie saß von nun an, wenn er zeichnete, bei ihm, schaute sehr genau zu und ließ die
Blicke auf die Gegenstände und auf die Linien des Buches hin und her gehen.
Nach einer Zeit redete sie sogar schon darein und sagte oft plötzlich: „Das ist zu kurz das steht draußen nicht so.“
Er erkannte es jedesmal als recht, was sie sagte, nahm Federharz, löschte die Striche aus und machte sie, wie sie sein sollten.
Zuweilen begleitete er sie nach solchen Stunden zu ihrem Vater, zuweilen ging sie mit ihm bis an die Steinwand. Von seinem Wagen und daß seine Diener auf ihn draußen warteten, sagte er ihr nichts.
So verging ein geraumer Teil des Sommers. Eines Nachmittags, als schon längstens wieder Erdbeeren waren, als er an der Steinwand saß und zeichnete, als sie, das volle Erdbeerkörbchen neben sich gestellt, hinter ihm in den Steinen saß und zuschaute, als eine langstielige hohe Feuerlilie neben ihnen prangte, sagte er: „Wie kommt es denn, Maria, daß du dich in dem Walde gar nicht fürchtest, und daß du von dem Augenblicke an, da wir zum erstenmal zusammengetroffen sind, auch mich gar nicht gefürchtet hast?“ „Den Wald habe ich gar nicht gefürchtet“, antwortete sie, „weil ich gar nicht weiß, was ich fürchten sollte — ich bin von Kindheit auf da gewesen und kenne alle Wege und Gegenden und weiß nicht, was zu fürchten wäre. Und Euch habe ich nicht gefürchtet, weil Ihr gut seid, und weil Ihr anders seid als die anderen.“
„Ja, wie sind denn die andern?“ fragte Herr Tiburius.
„Sie sind anders“, antwortete Maria. „Ich bin früher zuweilen in das Bad hineingegangen, wie es hier schier alle tun, um mancherlei Gegenstände zu verkaufen — aber dann ging ich gar nicht mehr hin, als wenn die fremden Leute schon alle weg waren; denn sie haben mich immer — und darunter waren Männer, denen es gar nicht
ziemte — an den Wangen genommen und gesagt: .Schönes Mädchen.’“
Herr Tiburius legte nach diesen Worten seinen Stift in das Zeichenbuch, tat das Buch zu, kehrte sich auf dem Steine um und schaute sie an. Er erschrak ungemein; denn sie war wirklich außerordentlich schön, wie er in dem Augenblicke bemerkte. Unter dem Tüchlein, das sie immer auf dem Haupte trug, quollen sanft gescheitelt die dunkelbraunen Haare hervor und zeigten in ihren zwei Abteilungen die feine, schöne Stirne noch feiner und schöner, überhaupt war das ganze Angesicht trotz der frischen und gesunden Farbe unsäglich fein und rein, was durch die groben Kleider, die sie gewöhnlich anhatte, noch eher abhob als gefährdet wurde. Die Augen waren sehr groß, sehr dunkel und glänzend, sie schauten den Menschen, wenn sie aufgeschlagen waren, sehr offen an, und waren, wenn sie sich niederschlugen, von den langen, holden Wimpern demütig bedeckt. Die Lippen waren rot und die Zähne weiß. Ihre Gestalt zeigte selbst jetzt, da sie saß, die dem Antlitze entsprechende Größe und war schlank und sanft gebildet.
Herr Tiburius, da er sie so angesehen hatte, wendete sich wieder um, tat sein Buch wieder auf und zeichnete weiter. Aber er zeichnete nicht mehr gar lange, sondern sagte, halb zu Maria zurückgewendet: „Ich höre heute lieber auf.“
Er steckte den Stift in die Hülse, welche an dem Zeichenbuche angebracht war, tat das Buch zu und schnallte es zusammen, er steckte die Sachen, die herumlagen, zu sich und stand auf. Maria erhob sich ebenfalls aus dem Gesteine, in welchem sie gesessen war, und richtete ihr Körbchen zusammen. Dann gingen sie, er sein Zeichenbuch unter dem Arme, sie ihr volles Körbchen an der Hand tragend, miteinander fort.
(Fortsetzung folgt).