Russische Bilderbogen von heute
— fg. Der Bankerott der Familie ist in Rußland zur Tatsache geworden. Man will keine individuelle Gemeinschaft mehr, man versucht, einen neuen Menschentyp, den Massenmenschen, zu züchten. Alle Schichten des Volkes, alle Winkel der Sowjetunion durchüringt die bolschewistische Lehre immer mehr, die nichts mehr missen will von der Einrichtung der Familie. Aus der staatlichen Entbindungsanstalt geht der neue Russe Lurch den staatlichen Kindergarten zur staatlichen Vorschule bis zur gleichartigen höheren Bildungsstätte. Gemeinsam wirb gegessen, gearbeitet, sich erholt. Der Lebenskreis des Sowjetbürgers beginnt im staatlichen Säuglingsheim und schließt sich wieder im staatlichen Altleutehospital.
Kremdenhaß. Es wird von Jahr zu Jahr ein gewagteres Unternehmen, nach Rußland zu reisen; wie die Lebensmittelknappheit zunimmt, so steigert sich der Ausländerhaß. Die Not der Bevölkerung ist für uns unvorstellbar groß, die Abschaffung der Arbeitslosigkeit steht nur auf dem Papier. Die Menschen darben, sind abgerissen, zerlumpt, hungrig und elend. Man sagt nicht umsonst — Rußland von heute sei das Land ohne Lachen und Freude. Wer freilich an einer der staatlich zugelaffenen und organisierten Besuchsreisen teilnimmt, die der Fremdenverkehr der „Jntourist" inszeniert, der wird das Land jenseits der Stacheldrähie wirklich nicht kennen lernen. In Moskau z. B. wird den Fremden in den wenigen großen Auslänberhotels, die die Behörden zum exteritorialen Gebiet gemacht haben, alles geboten, allerdings nur gegen hohe Preise und in Valuta. Leben und Aufenthalt soll den Fremden so angenehm wie möglich sein, so will es die Sowjetregierung, aber auf den Straßen draußen herrscht bitterer Hunger und grenzenlose Not. Und das erklärt den zunehmenden Fremdenhaß. Posten vor den Hotels haben dafür zu sorgen, daß das Regierungsverbot „Ausländer an- zubetteln, ist streng verboten" durchgeführt wird-
Volksseele. Wenn man die russische Volksseele, wie wir sie von Tolstoi und Dostojewski kennen, sucht, so findet man sie in tiefstem Mystizismus, in einem kindlichen Glauben an die Führerschaft, in tierischer Stumpfheit, Täglichgewohntes hinzunehmen. Dazu kommt die Politisierung des völlig unpolitischen Durchschnittsbürgers. Politik ist in Rußland heute alles; eine überaus raffiniert vorgehende Propaganda, der alle Mittel recht sind, hat es den Kollektivmenschen einge- hämmert, daß es erst bann besser wird, wenn die Weltrevolution kommt.
GPU. Der Terror der GPU. ist wohl in letzter Zeit geräuschloser geworden, dafür arbeitet er aber stillschweigend um so gefährlicher. Man spricht in Rußland nur im Flüsterton von diesen drei Buchstaben. Wie ein Damoklesschwert hängt die GPU. über jedem, der nicht zu den wenigen auserlesenen Machthabern und deren engerem Anhang gehört. Von dem prächtigen, mehrstöckigen Gebäude am Lubjanka- Platz geht ein unglaublich verästeltes Netz über das ganze Land. Dort weiß man alles. In mächtigen Archiven werden Namen, Daten und Vorkommnisse vom In- und Ausland registriert. Man kennt dort jeden Schritt eines Ausländers, der auf russischem Boden weilt. Ein Heer von Spähern und Spitzeln und Agenten füttert die Kartotheken, nnd der Sowjetbürger selbst weiß nicht, wo er in seiner allernächsten Umgebung unter den eigenen Angehörigen seine Angeber zu verinuten hat. Neid, Eifersucht, alte Feindschaft und Liebedienerei haben schon viele unschuldig in die grausigen Keller- gemölbe der Lubjanka gebracht, aus denen sie entweder niemals wieder oder nur als gebrochene Menschen das Tageslicht zu sehen bekamen. Was sie dort erlebten, darüber schweigen dies« Gezeichneten aus Furcht vor erneuter Einkerkerung.
Ehe. Etwas furchtbar Erschütterndes für einen Europäer ist in Rußland heute vor allem die allmähliche Zersetzung der Familie, deren planmäßigen Untergang die Behörde sich angelegen sein läßt. Im „Sazs", dem staatlichen Standesamt, wird durch einfache Erklärung mit Eintragung in die Liste der Ehebund geschlossen. Aber die Scheidung ist noch einfacher; ein« Postkartenmitteilung eines der Ehegatten an Las Standesamt genügt, die Einwilligung des andern Teils ist nicht erforderlich! Und die Wartesäle der „Sazs" sind nie leer. Plakate an den Wänden geben Aufschluß über Ehehygiene, Geschlechtskrankheiten u. a. In den Städten herrscht eine katastrophale Wohnungsnot. Zu Tausenden kamen die Bauern in die städtischen und staatlichen Betriebe und Fabriken; ehemalige Schlösser und Privatvillen, die Sie Behörde nicht für sich benötigte, wurden freigegeben und zu Massenwohnungen umgewandelt. Mehr als eine Familie wohnt oft ln einem Raum; die Wände werden mit gespannten Bindfäden oder mit auf den Boden gemalten Krridestrtchen „gezogen". Ueberall stehen Körbe und Kisten und Truhen, die Treppenhäuser und Gänge riechen nach Ausdünstungen, Speisen und allerhand Unrat verpesten diese niegelüfteten Asyle. Das intimste Familien- und Eheleben muß sich hier vor aller Augen abspielen, wo viele Menschen verschiedenen Alters und Geschlechtes so eng zusammen leben. Die katastrophalen Folgen der Wohnungsnot erkennt die Regierung, aber sie will ja gerade, daß die Familie stirbt, daß diese veraltete bürgerliche Ordnung sich löst. Haß und Neid und Eifersucht lassen Sitte und Schamgefühl, Eigenart und Sauverkett nicht mehr bestehen. Die Kultur stirbt!
Jugend. Aus der Kinderkrippe führt der Weg den jungen Sowjetbürger zu den „Jungpionieren", über diese zum kommunistischen „Jugendbund", dem „Komsomolzen". Ein Arbeiter verdient, wenn es gut geht, 200 bis 250 Rubel im Monat. Man hat 2 bis 3 Kinder und mehr. Lebensmittel gehen auf Karten, sind aber so bemessen, daß kaum ein Erwachsener satt wird, geschweige denn eine ganze Familie. Und oft gibt es nicht einmal etwas auf die Karten, weil nichts da ist. Ein Pfund Butter kostet nach unserem Geld 10 Mark, ein Ei SO Pfennig, Schuhe 60—80 Mark, ein Anzug 700—900 Mark. Jeder Sowjetbürger gehört mindestens einem Klub an. Ehemalige Kirchen ober Paläste in den Städten wurden zu diesen Zwecke» als Klublokale eingerichtet. Die Klubs besitze»
Unterabteilungen, Zirkel für Musik, Politik, Fortbildung und Unterhaltung. Die Klubs veranstalten auch Führungen durch Museen; in den größeren Städten findet man meistens eigene Museen der Noten Armee und der Revolution. Jeder muß, ob Arbeiter oder Angestellter, von seinem Lohn für Prvpagandazivecke, Kulturbeiträge, Ausstattungen usw. sich Abzüge machen lassen, die im Jahr oft mehr als 2 oder 3 Monatslöhne ausmachen. Der Mann führt kein persönliches Leben; von ihm fordert der Arbeitstag 7—8 Stunden, jeder 5. Tag ist Ruhetag. Auch der Abend gehört nicht dem Sowjetbürger, da muß er Vorträge hören über Propaganda, muß Pflichtversammlungen, Diskussionsstunben besuchen. Alles natürlich ist freiwillig, aber weh dem, der sich diesen Pflichten entzieht!
Kultur. Moskau zeigt dem Ausländer ein ganz verzerrtes Gesicht. An den Ufern der Moskawa liegt der große Kulturpark, in dem vergangenes Jahr ein riesiger Ge- bäuückomplex erstellt wurde, der den bürgerlichen Ver-
Der Kronprinz von Schweden und Varer des Bräutigams vor der Ehrenkompagnie, die die Reichswehr zu den Feierlichkeiten gestellt hatte. — Auf die Frage, wie die Reichswehr dazu komme, eine Ehrenwache zur Fttrstenhochzeit in Coburg zu stellen, wird von zuständiger Stelle erklärt, die Ehren-
Hoesch's Abschiedsbesuch bei Herriol
-
. »
MKKWW
WMM
Der langjährige deutsche Notschalter in Paris, v. Hoesch, der bekanntlich nach London geht, hat jetzt dem französischen Ministerpräsidenten Herriot seinen Abschiedsbesuch abgestattet. Bei dieser Gelegenheit überreichte er Herriot die Goethemedaille, die der Reichspräsident dem französischen Ministerpräsidenten verliehen hat. Auf unserem Bild trägt v. Hoesch das Etui mit der Medaille tn der Hand.
Die Mandschurische Frage
Japanische Richtlinien für die Manbschureitagnng des Bölkerbundsrates
Der japanische Sonderdelegierte in Genf hat vom japanischen Kabinett Anweisung für die Haltung der japanischen Abordnung zu den Beratungen des Völkerbundes über den Lytton-Bericht erhalten- Es heißt darin u. a.: Falls der Völkerbund zu einem Beschluß komme, der gegen die japanischen Interessen verstoße, solle sofort amtlich der Austritt Japans aus dem Völkerbund erklärt werden. Falls der Völkerbund die japanischen Interessen berück- sichtige, sollen sämtliche Erörterungen über die mandschurische Frage auf 3 oder 4 Jahre verschoben werde«.
j gnügen mit Thearer, Kino und Vorträgen dient. Für die Jugend sind dort auch große Spiel- und Sportplätze angelegt. Dem Fremden zeigt man im Institut für Mutter- und Kinderschutz auch ein Musterkinderzimmer unter anöerm, mit Tisch und Bänken, Tafel und Lehrutensilien, wo natürlich bas unvermeidliche Leninbild an der Wand nicht fehlt. Einzelne große Fabriken besitzen wohl Kinderkrippen, die tagsüber der arbeitenden Mutter die Sorge sür die Kleinen abnehmen. Mit großem Trara wird auch im Kulturpark die sog. Kinderstaöt gezeigt, aber all dies kommt natürlich nicht in Frage, dem großen Elend der bald an die 10 Millionen zählenden herrenlosen Kinderschar zu steuern. Wohl versucht die Regierung durch Fangtruppen die verwahrlosten Kinder, die „Beßprisorni", Erziehungsanstalten zuzufühven. aber die Maßnahmen sind völlig unzureichend; 10 Millionen sind ein Heer! Sie betteln, stehlen und rauben wo es geht, haben sich sogar teilweise organisiert. Es ist furchtbar, wie dieses kör- perlich und geistig zerrüttete, durch Geschlechtskrankheiten z. T. verheerend befallene Jungvolk lebt.
wache von 30 Mann sei im Einverständnis mit dem Auswärtigen Amte auf der Feste Coburg stationiert worden, weil zur Zeit dort der Sohn eines ausländischen Staatsoberhauptes, nämlich der Kronprinz von Schweden, anwesend sei.
Politische Kurzmeldungen
Der Generalsekretär des Völkerbundes Sir Drummond wird Ende des Monats in Berlin sein, um mit der Neichs- regierung Fühlung wegen der Besetzung des freigewordenen Untergeneralsekretärpostens in Genf zu nehmen. Es handelt sich um die Abteilung für Wirtschaftsfragen. Man rechnet damit, daß der Staatssekretär v. Trendelenburg den Untergeneralsekretärposten übernehmen wirb. — In drei Massenversammlungen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands in Kiel kündigte Prof- Erik Noelting umfangreiche Sozialisierungsanträge der SPD. an. Für diese Anträge werbe man eine Volksbewegung schaffen, der keine Regierung gewachsen sei. — Im Südosten Berlins in der Naunystraße kam es zu Schlägereien zwischen Angehörigen der NSDAP., die von einer Versammlung heimkehrten, und Mitgliedern der SPD. Drei Personen wurden durch Messer' stiche und Hiebe verletzt. — Wenn Frankreich sein Rüstungs- Versprechen von Versailles einlösen wollte, müßte es 45 000 Bomben-, Jagd-, Aufklärungs-, Torpedo-, Schul- usw. Flugzeuge zerstören. Selbstverständlich denkt Frankreich niemals daran, seine Luftflotte abzurüsten. — Einer Meldung der Exchange Telegraph Company zufolge, soll zwischen Bicot, dem Kriegsschuldensachverständigen im französischen Finanz. Ministerium, und Sir Frederic Leith-Noß in Kürze in London eine Besprechung über die Frage der Kriegsschulden und die am 15. Dezember fälligen Zahlungen an Amerika stattfinden. — Nach langwierigen Verhandlungen ist jetzt ein belgisches Uebergangskabinett zustande gekommen. Die Ministersttze verteilen sich wie folgt: Ministerpräsident und Landwirt: Graf de Broqueville (Katholik); Aeußeres: Hy- mans (Liberal); Inneres: Poullet (Christlicher Demokrat); Finanzen: Jaspar (Katholik); Nationale Verteidigung: Theunis (Katholik). — Der Aachener Domchor besuchte kürzlich das Denkmal der gefallenen flämischen Soldaten in Dix- muiden. Hierbei wurde der Vortrag von Liedern, die Kranz, niederlegung und das Halten von Reden verboten. Die Kränze wurden darauf von Flamen vor dem Denkmal niedergelegt. — Der neue rumänische Ministerpräsident Maniu kündigte den Abbau des Unterstaatssekretariats für Minderheiten an. Gerade von Maniu hatte man eine solche Maßnahme am wenigsten erwartet, zumal er selbst ein alter Vorkämpfer der Rechte der Minderheiten gewesen ist. — Der türkische Ministerrat hat beschlossen, die nach dem beut- schen Industrie-Abkommen mit der Türket in Höhe von 40 Millionen Reichsmark im Jahre 1930 begebenen Eisenbahn- Materialbestellungen noch tn diesem Jahre für die Einfuhr außerhalb des Kontingents fretzugeben. — Der Wahlkampf in den Vereinigten Staaten nimmt täglich an Hartnäckigkeit zu. Präsidentschaftskandidat Roosevelt, der auf seiner zweiten Wahlreise den mittleren Westen besucht, spricht täglich an vier Stellen, immer vor riesigen Menschenmengen. — Bet den letzten Uebungen der amerikanischen Flotte im Stillen Ozean sind verschiedene Fälle von ausländischer, besonders japanischer Spionage festgestellt worben- — Nach einer Meldung der Times aus Santiago de Chile haben England, Deutschland und die Vereinigten Staaten von Amerika die neue chilenische Negierung anerkannt.
Ständiges Inserieren bringt Gewinn
(Wird fortgesetzt.)
Die Hm'l^ei<sfeierlichkeiten in Coburq
. 1 *., *' >