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Nr. 215
Mittwoch, den 14. September 1932
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Jahrgang 105
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Die Auflösung des Reichstags ist rechtsgültig
Der Reichspräsident weist den Vorwurf des Verfassungsbruches gegen den Reichskanzler
zurück — Verfassungsmäßige Neuwahlen
— Berlin, 14. Scpt. Der Neichstagsausschuß zur Wahrung der Rechte der Volksvertretung ist gestern unter Vorsitz seines Präsidenten Löbe zusammengetreten. Die Reichsregierung ließ durch Ministerialrat Gottheim er dem Ausschuß erklären, daß sie nur mit ihm zusammenzuarbeiten bereit sei. wenn der Neichstagspräsident in aller Form den Reichstag sür aufgelöst anerkenne. Die Sitzung wurde hierauf vertagt mit dem Beschluß. Kanzler und Neichsinncnministcr vor den Ausschuß rufen zu lassen. Reichskanzler v. Papeu und Neichs- innenministcr v. Gayl haben dieses Verlangen jedoch abgelehnt. Der Ausschuß faßte daraufhin nach seinem Wiedcr- zusammentritt folgende Entschließung:
„Der Ausschuß hat gemäß Artikel 33 der Neichsversassung die Anwesenheit des Herrn Reichskanzlers und des Herrn Neichsministers des Innern zu seiner heutigen Sitzung verlangt. Der Herr Reichskanzler und der Herr Rcichsministcr des Innern haben ihr Erscheinen von Bedingungen abhängig gemacht. Das ist nach dem klaren Wortlaut des Art. 33 der Neichsversassung nicht zulässig. Die Ncichsregierung hat diese Rechtsauffassung auch anerkannt durch ihr Verhalten im Juni vor dem damaligen Ilcberivachungsausschutz. Der Ausschuß stellt fest, daß sich der Herr Reichskanzler und der Herr Neichsininister des Innern durch ihre Handlungsweise eines offenen Bruches der Neichsver- fassung schuldig gemacht haben. Er erwartet, daß der Herr Reichspräsident als der berufene Hüter der Verfassung den Herrn Reichskanzler und den Herrn Reichs- Minister des Innern zur Erfüllung ihrer verfassungsmäßigen Pflichten unverzüglich anhält." — Die Annahme der Entschließung erfolgte gegen die Stimmen der Deutschnationalen. Den letzten Satz lehnten unter allgemeiner Heiterkeit auch die Kommunisten ab.
Ein ähnlicher Vorgang spielte sich im Auswärtigen Ausschuß ab. Auch hier wurde das Verlangen des Ausschusses auf Erscheinen von Negiernngsmitgliedern abge- lehnt, worauf der Ausschuß diese Absage in einer Entschließung als Verfassungsbrnch bezeichnet«:.'
Ein reger Briefwechsel
Neichstagspräsident Göring hatte gestern im Sinne der Entschließung des Reichstagsausschusses zur Wahrung der Rechte der Volksvertretung an den Reichspräsidenten einen Brief gerichtet und darin den Reichskanzler und den Reichsinnenminister des offenen Bruches der Verfassung beschuldigt. Er verlangt von dem Reichspräsidenten als dem berufenen Hüter der Verfassung die Anweisung, daß der Reichskanzler und der Reichsinnenministcr unverzüglich vor dem Ausschuß erscheinen.
Der Reichspräsident hat darauf an den Reichs- iagspräsidenten ein Schreiben gerichtet, in dem er die Beschuldigung gegen den Reichskanzler und den Reichsinnenminister mit Nachdruck znrückweist und Anerkennung seiner, des Reichspräsidenten Order, über die Auflösung des Reichstages und Anerkennung der damit geschaffenen Rechtslage verlangt. In diesem Falle würde dem Erscheinen des Reichskanzlers und des Reichsiniienministers vor dem Ausschuß nichts mehr im Wege stehen.
Kerner hat der Reichskanzler an den Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses, Dr. Fri ck, folgendes Schreiben gerichtet: Der Neichstagspräsident hat mit Schreiben vom 12. bs. Mts., gegen das ich gestern ans verfassungsrechtlichen Gründen Einspruch erhoben habe, unter anderem mitgeteilt. der Reichstag habe beschlossen, der NcichSregiernng das Vertrauen zu entziehen. Der Reichstag steht demnach
auf dem Standpunkt, daß dieser Beschluß rechtswirksam ist. Mit dieser Auffassung unvereinbar ist die Einladung zur zweiten Sitzung des Zweiten Ausschusses am 13. September. Solange der Reichstag an der Auffassung festhält, daß sein Beschluß vom 12. ds. Mts. rechtswirksam ist, sehe ich keine Möglichkeit, die Reichsregiernng durch ein Mitglied des Kabinetts in dem Zweiten Ausschuß vertreten zu lassen.
Göring gibt die Rechtsgiiltigkeit der Reichstagsanslösnng z«
Neichstagspräsident Göring hat an den Reichskanzler von Papen am Ticnstagnachmittag zwei Schreiben gerichtet. DaS erste lautet: Ten Vorwurf des Verfafsungs- bruchcs, den Sie mir in Ihrem gestrigen Briefe gemacht haben, muß ich aufs schärfste zurückweisen. Ich stelle ausdrücklich fest, daß ich bereits die Abstimmung eröffnet hatte, als Sic sich zum Worte meldeten. Ich bin der Auffassung, daß während einer Abstimmung, die eine unteilbare Handlung bedeutet, überhaupt keine Worterteilung gegeben werden darf. Dies beweist die bisherige Praxis aller Parlamente. Ich war also gezwungen, zunächst die Abstimmungs- Handlung abrollen zu lassen. Die Auslösung des "Äeichs- tagcs war daher nach meiner Auffassung erst nach der Abstimmung wirksam. Ich bitte Sie daher, den Vorwurf des B e r f a ff u n g s b ru ch e s z u r ü ck z u n e h m e n, da die Voraussetzungen für eine solch schwere Ehrenkränkung nicht gegeben sind.
Das zweite Schreiben lautet: Nachdem ich mich überzeugt habe, daß auch Minister, denen der Reichstag das Vertrauen entzogen hat, zur Gegenzeichnung eines Auflösungsdekrets berechtigt sind, habe ich meine Auffassung bereits gestern abend dahin korrigiert, daß der Reichstag formal- juristisch zu Recht aufgelöst ist und daher weitere Sitzungen oder Handlungen mit Ausnahme der der vorgesehenen Ausschüsse nicht stattfinöen werden.
Eine amtliche Erklärung zur Reichstagsauflösung
Von Regierungsseite wird erklärt, daß die Negierung nicht von vornherein die Absicht gehabt habe, den Reichstag anfzulösen, um zu verhindern, daß es zu einer Aussprache über die Regierungserklärung im Reichstage komme. Die Auflösungsverorbnung des Reichspräsidenten sei erst in der halbstündigen Pause der Sitzung eingeholt worden. Wäre der Antrag Torgler und Genossen vom Reichstag abgelehnt worden, so hätte die Regierung von der Anflösungsverordnung kein-en Gebrauch gemacht. Nur die Annahme des Antrags Torgler und Genossen habe die Regierung gezwungen, von der Auflösungsverordnung Gebrauch zu machen.
Zu dem Plan auf Aenberung der Verfassung die der Reichskanzler in seiner Rede angekündigt hat, wird erklärt, daß dieser Plan, den der Kanzler nur ganz allgemein erörtert habe, als Abschluß der großen Verwaltungsresom gedacht sei, die die Reichsegierung innerhalb der nächsten zwölf Monate zu vollbringen beabsichtige. Daraus ginge hervor, daß die Verfassungsänderungen nicht für die nächste Reichstagswahl geplant seien. Auch die Behauptung, daß die Regierung das geltende Wahlrecht für die nächste Neuwahl ändern wolle, sei unzutreffend. Auch bezüglich der nicht verfassnngsändernöen Gesetzentwürfe zur Acndcrung des Wahlrechts, die noch vom Reichsinnenminister Wirth her vorhanden seien, wird erklärt, daß es unwahrscheinlich sei, daß die Regierung von diesen Plänen Gebrauch machen werde. Im übrigen sei keine Ausschaltung der verfassungsmäßigen Instanzen, nämlich NeichSrat «nd Reichstag beabsichtigt.
Neue Richtlinien Hitlers
für den „Sozialen Freiheitskampf"
TU. Berlin, 14. Sept. In Berlin fand am Dienstag in Anwesenheit Hitlers eine nationalsozialistische Führertagung statt, lieber den Verlauf der Sitzung gibt die nationalsozialistische Korrespondenz einen Bericht aus, in dem es heißt: Adolf Hitler gab die Richtlinien für die neue Phase des Kampfes bekannt, in den die nationalsozialistische Belegung mit dem gestrigen Tag eingetreten sei und den sie „mit dem Volk und für das Volk gegen eine reaktionäre Clique" durchzuführen entschlossen ist. Die Auffassung und das einmütige Ergebnis der Führer- Tagung wird u. a. wie folgt zusammengefaßt: Heute verbuchten gewisse Kreise über die die Entwicklung in Deutschland längst hinweggegangen sei, noch einmal in letzter Minute die nationale Erhebung des deutschen Volkes auf- .zuhalten. und den Sieg der deutschen Freiheitsbewegung zu
verhindern. Diesen sozialen Frciheitskampf, der mit der nationalen Freiheit untrennbar verbunden sei, habe die NSDAP, ausgenommen und sich an die Spitze des Volkes gestellt. Die NSDAP, werde allen Gegnern so ent- gegcntreten, wie sie es nach ihren eigenen Gesetzen verdienten und erwarten müßten. Mögen deren Gegner aufstellen was immer sie wollen: Jede Unterdrückung des legalen Kampfes der nationalsozialistischen Bewegung werde zur Waffe, die sich gegen die Unterdrücker selbst richte.
Koalilionsbildung in Preußen?
TU. Berlin, 14. Sept. Nach der Auslösung des Reichstags machte sich am Dienstag im preußischen parlamentarischen Kreisen eine stärkere politische Tätigkeit bemerkbar. Die Nationalsozialisten halten sich durch ihre führenden Persönlichkeiten und den Lanütagspräsidenten Kerrl in ständiger Verbindung mit Hitler und der Reichstagsfraktion.
Tages-Spiegel
Reichspräsident v. Hindenburg hat den gegen den Reichskanzler erhobenen Vorwurf des Verfassnngsbruchs mit Entschiedenheit znrückgewiesen.
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Die Rechtsgültigkeit der Auslösung des Reichstages ist nunmehr vom Reichstagspräsidenten Göring zugegeben worden.
Im Uebcrwachungsausschuß ebenso wie im Auswärtigen Ausschuß des Reichstages ries die Ablehnung der Reichs- rcgierung, Vertreter in diesen Ausschüssen erscheinen zn lassen, erregten Widerspruch hervor.
»
Adolf Hitler hat gestern in einer Berliner Führerbesprechung die Richtlinien für den Kampf gegen die Regierung v. Popen sestgelegt.
*
Die Berliner Kriminalpolizei nahm eine Durchsuchung der Arbcitsränme der kommunistischen Fraktion im Reichstags- gebäube vor, da der Tatverdacht eines Sprcngstosfattentats vorlag.
Es heißt, daß die preußischen Koalitionsbesprechungen zwischen Zentrum und Nationalsozialisten beschleunigt werden sollen. Zu dem Gexücht, die Negierung erstrebe, den preußischen Landtag aufzulösen, noch ehe ein preußischer Ministerpräsident gewählt werden könne, wird aus sonst gut unterrichteter Stelle eine Erklärung noch nicht abgegeben.
Bestürzung in Genf
über das voraussichtliche Fernbleiben Deutschlands von det Abrüstungskonferenz
TU. Genf, 14. Sept. Die offiziellen Berliner Verlautbarungen, nach Lenen -er vollständig ablehnende Inhalt der französischen Antwortnote auf die deutsche Gleichberechtigungsforderung die Teilnahme eines deutschen Regierungs- Vertreters an der zum 21. September einberufenen Büro, sitznng der Abrüstungskonferenz unmöglich mache, hat in hiesigen maßgebenden Kreisen große Unruhe und Bestürzung ausgelöst. Man hatte immer noch angenommen, daß die Reichsregiernng nicht diesen Grad von Entschlossenheit in der Durchsetzung der deutschen Ziele zeigen werde und sich auf Grund der diplomatischen Besprechungen noch in irgend einer Form zn einer weiteren Mitarbeit an der Abrüstungskonferenz bereit finden würde. Es wird hier jetzt nicht mehr geleugnet, daß das Fernbleiben Deutschlands für die gesamte Abrüstungskonferenz eine neue und ganz außerordentlich er.nste Lage schaffe.
Auffallend ist, daß immer mehr Sympathien für Sen deutschen grundsätzlichen Standpunkt in neutralen Kreisen laut werden. Es wird die Auffassung vertreten, daß die Noten Deutschlands und Frankreichs noch immer die Möglichkeit einer Einigung offen ließen, obwohl hierfür vorläufig noch wenig Anzeichen vorliegen. Allgemein erwartet man, daß nunmehr die englische Regierung in breitem Umfange eine diplomatische Vermittlungs- tätigkeit entfalten wird, um die durch das Fernbleiben Deutschlands schwer gefährdete Abrüstungskonferenz unter allen Umständen noch zu retten. Gewisse Absichten zeichnen sich gegenwärtig in der Richtung ab, daß das Büro der Abrüstungskonferenz am 21. September von dem deutschen Fernbleiben lediglich amtlich Kenntnis nimmt und hierbei die Hoffnung ausbrückt, daß durch Vermittlung dritter Mächte eine baldige Klärung der deutschen Gleichberechtigungsforderung erfolgt. Auf diese Weise will man bis zum Wicderznsammentritt der Abrüstungskonferenz im Januar das Tor für eine vermittelnde Tätigkeit der englischen Negierung offen lassen.
Japanische Flollendemonstralion vor Nanking
TU. Berlin, 14. Sept. Japanische Marincsoldaten, die von japanischen Kriegsschiffen aus gelandet wurden, haben nach einer Meldung aus Nanking auf dem Kai gegenüber von Nanking Maschinengewehre aufgestellt, die auf den Sitz der chinesischen Zentralregierung gerichtet sind. In der Umgebung von Nanking sind kleinere japanische Kriegsschiffe zusammengezogen. Die chinesischen Behörden haben sofort Schritte unternommen, um die japanischen Kriegsschiffe znm Rückzug zu veranlassen. Man glaubt, daß die japanische Regierung mit dieser Demonstration einen Druck aus die chinesische Regierung ausüben will, damit diese von allen Maßnahmen gegenüber Japan aus Anlaß der bevorstehenden Anerkennung des unabhängigen Mandschureistaates durch Japan absieht.