Zum 85. Geburtslage v. Hindenburgs
Ei« Ansrns der Dentschinmsverbiinde Die Deutschtumsverbände erlassen folgenden Aufruf: „Am 2. Oktober des Jahres begeht Reichspräsident von Hindenburg seinen 85. Geburtstag. In seiner hochragenden, von Geschichte und persönlicher Leistung umwitterten Gestalt sieht die ganze Welt die Verkörperung der besten Kräfte und Eigenschaften des deutschen Volkes. Als sich die Deutschen daheim und draußen im Jahre 1927 verbanden, um den 80. Geburtstag Hindenburgs zu feiern, da bat er, der Notlage des Vaterlandes und Volkes Rechnung zu tragen und von großen äußeren Feierlichkeiten abzu- sehcn. Sein Herzenswunsch war es, an diesem Tage beschenkt zu werden, um selbst schenken zu können. Mit den 8 Millionen Mark, die ihm das deutsche Volk damals in Liebe und Verehrung darbrachte, hat der Reichspräsident das schwere Los der Kriegsbeschädigten und Kriegerhinterbliebenen gelindert. Zu seinem 85. Geburtstag würde es dem Reichspräsidenten sicherlich die größte Freude bereiten, wenn das ganze Volk ihm bei der Fortführung seines Werkes Helsen würde, soweit es auch heute noch die Not einer schwer lastenden Zeit erlaubt. Dem Wunsch vieler Auslands- und Kolonialdeutscher folgend, wenden sich die vom Reiche her die Verbindung mit den außerhalb der Reichsgrenzen lebenden Volksgenossen haltenden Verbände mit der Bitte an alle Deutschen in der Welt, auch diesesmal die Hindenburgspende zu einem Werk der deutschen Gesamtheit »»machen. Hat doch gerade Hindenburg immer wieder mit Wort und Tat den deutschen Gemeinschastsgedanken betont. Aus seinem Munde stammt das Wort: „Die Pflege des Volkstums und der kulturellen Zusammengehörigkeit mit den Volksgenossen im Ausland ist ein unveräußerliches Recht und hohe Pflicht der Nation." Er hat den Ausländsdeutschen zugerufen: „Aus dem Bewußtsein, einem großen, arbeitsamen und tüchtigen Volke anzugehören, können alle seine Glieder Mut schöpfen für die Ueberwindung der gegenwärtigen Not. Not hat Opfersinn geweckt. Opfer und Arbeit werden die deutsche Not brechen."
Am 85. Geburtstag Paul v. Hindenburgs, des ehrwürdigen Führers der Nation, wird Antwort zurückschallen von überall her, wo Deutsche in der Welt wohnen."
Der Aufruf ist unterzeichnet von nachstehenden Verbänden: Bund der Ausländsdeutschen, zugleich im Namen der im Auslände angeschlossenen Vereine und Verbände, Deutsche Akademie, Deutscher Schutzbund, Deutsches Ausland-Institut, Koloniale Reichsarbeitsgemeinschaft, Ostasiatischer Verein Hamburg-Bremen E. V., Hamburg, zugleich im Namen der Deutschen Handelskammern und sonstigen Wirtschaftsorganisationen in den Ländern Ost- und Südostasiens, Reichsverband Deutscher Evangelischer Aus- kandsarbeit. Reichsverband für die Katholischen Ausländsdeutschen, Verein für das Deutschtum im Ausland, Vereinigung Carl Schurz, Vereinigung für Deutsche Siedlung und Wanderung.
Aus Stadt und Land
Lalw, den 25. August 1932.
Berkehrsunsall ans dem Wald.
In der Kurve der Straßenkreuzung Neu weiler— Oberkollwangen ereignete sich am Sonntag abend ein schwerer Verkehrsunfall. Der ledige Schuhmacher Jakob Wahl von Gaugenwald, der an einer Tanzunterhaltung in Breitenberg teilgenommen hatte, stieß dort gegen 7 Uhr abends, mit dem Motorrad auf der Heimfahrt befindlich, mit dem ihm entgegenkommenden Hofstetter Milchauto zusammen. Wahl wurde hierbei vom Motorrad geschleudert und vom Auto überfahren. Der schwere Wagen fuhr dem bedauernswerten Mann über beide Oberschenkel. Der rasch herbeigehvlte Ortsarzt von Neuweiler führte Len Schwerverletzten nach Nagold ins Bezirkskrankeuhaus. Die Schuld an dem Unfall ist noch nicht geklärt.
Aehren sammeln!
Schon naht der Herbst und bald wird auch der Winter vor der Tür stehen. Daß er Heuer wieder ein Notwinter werden wird, darüber besteht wohl kaum ein Zweifel. Auch darüber nicht, daß die von Jahr zu Jahr stärker in Anspruch genommene öffentliche und private Wohltätigkeit nur noch unter außerordentlichen Mühen und Opfern ihr Hilfswerk zu verrichten vermag. Deshalb erscheint es als eine natürliche Pflicht eines jeden Hilfsbedürftigen sich selbst und seinem leidenden Mitgenossen gegenüber, soweit wie möglich aus eigener Kraft für die Winterzeit vorzusorgen. Das kann neben dem Sammeln von Holz in den Waldungen jetzt auch durch das Lesen von Aehren auf den abgeernteten Feldern erfolgen. Das Aehrenlesen, eine in früheren Zeiten von Bedürftigen sehr gesuchte Gelegenheit, einen Teil des Winterbedarss an Frucht zu decken, ist vielerorts fast kanz abgekommen. Man sollte es wieder vermehrt auf- vehmen; Heuer ist die Gelegenheit besonders günstig, da infolge der vollen und schweren Aehrenbildung viel Frucht "bfällt und z. T. auf den Aeckern liegen bleibt.
Die Liebestragödie bei Neusatz ausgeklärt
Wir berichteten vor einiger Zeit, daß im Walde bei Neusatz unweit Herrenalb die Skelette zweier Personen gefunden wurden, die seit über einem Jahre dort im Dickicht gelegen haben mußten. Da am Fundort auch eine Pistole lag, sprach die Vermutung dafür, daß die Beiven — ein junges Mädchen und ein etwas älterer Mann — gemeinsam Selbstmord verübt haben. Die Skelette wurden zur Feststellung der Persönlichkeiten nach der Vermißtenzentrale in Stuttgart verbracht. Die Identifizierung ist nunmehr erfolgt.
Ueber die Vorgeschichte der Liebestragödie erfährt man nun folgende Einzelheiten: Der 25jährige Apothekergehilfe Martin Schönberger war im Jahre 1930 in Langen in Stellung und fing dort mit der Hausangestellten seines Arbeitgebers, der 19 Jahre alten Elisabeth Treidelt aus Egelsbach. ein Liebesverhältnis an. Im Januar 1931 verschwand
das Paar plötzlich aus Langen, und nach einiger Zeit kam ein Brief aus England, in dem Schönberger mitteilte, daß er eine sehr gute Stellung und ein ausreichendes Einkommen habe. Dann hörte man nichts mehr von ihm und seiner Geliebten. Am 20. Juli fand man nun im Walde bei Herrenalb die Skelette zweier Personen. Daneben lag eine Pistole. Die Nachforschungen nach der Herkunft der Waffe ergaben, baß sie im Jahre 1930 in einem Geschäft in Darmstadt gekauft war. Käufer war ein Forstgehilfe aus Mörfelden, der sie für den Schönberger erstanden hatte. Die Kriminalpolizei stellte unzweifelhaft fest, daß die gefundenen Skelette die des Schönberger und der Treidert aus Langen sind. Man fand auch noch eine Uhr, die nach Zeugenaussagen dem Schönberger gehört hat.
Wetter für Freitag und Samstag.
Der Druckanstieg über Mitteleuropa nimmt weiter zu, so daß für Freitag und Samstag Nachlassen der Bewölkung und vorwiegend heiteres und trockenes Wetter zu erwar- ten ist.
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Weildcrstadt, 24. Aug. Am Sonntag abend flüchteten einige Knaben vor einem auswärtigen Fußballspieler, den sie gereizt hatten, aus dem Hof des Gasthauses zum „Hecht" in die Stuttgarter Straße. Dabei liefen der 13jährige Klemens Kappler und der 12jährige Gustav Diebold vor einen vollbesetzten Lastkraftwagen und wurden überfahren. Kappler wurde der linke Fuß zweimal gebrochen, während Diebold innere Verletzungen erlitt.
wp. Stuttgart, 24. Aug. In der Ludwigsburger Straße stießen ein Personenkraftrvagen und ein Motorrad zusammen. Hierbei erlitt der 35 Jahre alte Lenker des letzteren eine Beckenquetschung. Er mußte ins Krankenhaus Cannstatt verbracht werden.
SCB. Ludwigsburg, 24. Aug. Zu dem Großfeuer in der Zelluloid- und Drahtwarenfabrik Kerschbaum Söhne wird noch gemeldet, daß das Feuer im Zurichteraum der Fabrik seinen Ausgang hatte. Die Belegschaft verließ fluchtartig die Arbeitsstätte. Zum Teil sprangen die Arbeiter zu den Fenstern heraus. Das Hauptfabrikgebäude brannte bis auf die Grundmauern nieder, während einige Nebengebäude ausbrannten. In dreistündiger harter, mehr als pflichtgetreuer Abwehr gelang es, eine große nebenan befindliche Schreinerei sowie zwei Wohnhäuser, die stark gefährdet waren, zu retten. An den Lösch- und Aufräumungsarbeiten beteiligte sich auch die Reichswehr. Die Bewohner der Nachbarhäuser waren in großer Aufregung und begannen zum Teil bereits mit der Räumung ihrer Wohnungen. Von den Feuerwehrleuten erlitten einige leichte Rauchvergiftungen. Der Schaden ist sehr groß und geht in die Hunderttausende. Neben Halb- und Fertigwaren wurden auch sonstige Gegenstände, Autos usw., vernichtet.
SCB. Bietigheim, 24. Aug. Immer wieder taucht hier Falschgeld auf. Vorige Woche wurde ein gefälschtes Zweimarkstück festgestellt. Es ist daher im Geldverkehr Vorsicht geboten.
SCB. Heilbronn, 24. Aug. Die Ministerialabteilung für Bezirks- und Körperschastsverivaltung hat zur Ausgleichung des städt. Haushaltplans verfügt, daß die Stadtgemcinde Heilbronn 1. im Rechnungsjahr 1932 bei einer Umlage von 19 v. H. einen Zuschlag zur Bürgersteuer von 200 v. H. des Landessatzes und 2. vom 1. Oktober 1932 ab eine Gemeindegetränkesteuer von 10 v. H. des Kleinhandelspreises zu erheben hat.
SCB. Künzelsa«, 24. Aug. Die 7. (bayerische) Division hält in der Zeit vom 19.— 21 . 9. unter Leitung des bayer. Jn- fänterieführers VII mit dem 21. jbayer.) Infanterieregiment und dem 13. jwürtt.) Infanterieregiment Brigademanöver im Raume Notenburg—Künzelsau—Dvmbühl ab.
SCB. Rottenbnrg, 24. Aug. Nach dem Rechenschaftsbericht über die im Jahre 1931 bei der Kollektenkasse der Diözese Rottenburg eingegangenen Gaben für Zwecke der Missionen, des Peterpfennigs, des Erntedankopfers, -er Kirchenbau- und Sammelkollekten usw. betrug die gesamte Summe der Kollektengelder 525 367 Rm. Gegenüber dem Vorjahr 1930 sind infolge der Wirtschaftsnot die Opfergaben um rund 57 000 Rm. zurückgeblieben.
SCB. Ulm, 24. Aug. Gestern abend ereignete sich auf dem Güterbahnhof ein schwerer Unfall. Eine Kolonne Arbeiter war mit einer Gleisbaumaschine auf dem AblausgleiS beschäftigt. Sie bemerkten das Herannahen eines leeren vierachsigen Wagens auf dem Ablausgleis nicht. Der Wagen fuhr in die Arbeiterkolonne, die nicht mehr rechtzeitig auS- weichen konnte. Dem Rottenführer Ströbel wurde der rechte Arm abgefahren, dem Arbeiter Dambacher ein Fuß. Beide mußten sofort ins Krankenhaus gebracht werden. Der Arbeiter Wagenblast erlitt Kuhverletzungen.
Geld-, Volks- und Landwirtschaft
Börse
SCB. Stuttgart, 24. Aug. Die Börse war bei ruhigem Geschäft etwas freundlicher. Die Kurse waren meist gehalten.
WeUderstadter Marktbericht.
Schweinemarkt. Zufuhr: 82 Läuferschweine und 1040 Milchschweine,- Preise: 36—65 und 12-35 für daS Paar. Handel leblos, größerer Ueberstand.
Viehmarkt. Ochsen 400—510, Stiere 310—393, Kühe 215—400, Kalbeln 290—410, Einstellvieh 60—270 für das Stück. Handel gedrückt.
Saatenmarkt. Dinkel 10—IlchO für 1 Ztr. Markt
geräumt.
Das Opfer des Serge Krojitsch
Skizze von Horst Biernath.
Der Streckenwärter Serge Krojitsch trat am 11. Juli 1926 seinen Dienstweg später als sonst an, denn am Nachmittag war seine Frau mit ihrem Erstgeborenen niedergekommen. Als Krojitsch die Hälfte seines Weges zurückgelegt hatte, brach schon die Nacht ein. Mit geübtem Schritt ging er über die Schwellen des hohen Bahndammes, den die Ingenieure quer durch die Sümpfe geschüttet hatten, von Pelerwardein bis zur Semlmer Brücke hinab, deren rote Ziegelbogen sich über die Save spannen.
Es war eine mondlose, drohende Nacht. Ein kalter Wind stieß von den Karpathen her ins Schilf, und die Wasservögel wollten trotz der späten Stunde keine Ruhe finden. Der klagende Ruf der Rohrdommel hallte über das Moor, und in den Weidenbüschen flötete die Schilfdrossel. Aus dem Sumpf stiegen bleiche Dünste auf, und die Frösche, die sonst ihr Abendkonzert angestimmt hatten, waren heute stumm. Krojitsch lächelte... dachte an sein kleines Fröschlein daheim und ahmte mit vollgeblasenen Backen „Koaaaks — koaaaks" das Sümpforchcster nach. Aber seine Stimme verhallte über dem Schilf, und von nirgends kam eine Antwort. Es wurde kühl, Nebel wallten heran —
Krojitsch schritt schneller aus und schüttelte sich fröstelnd in seinem Mantel. Plötzlich glitt er aus, spie seinen kurzen Schrecken dreimal von sich... und wie nun das Licht der Laterne von der kleinen Froschleiche unter seinem Fuß über die Wand des Dammes huschte, sah Krojitsch, daß die Frösche des Sumpfes zahllos an den Böschungen saßen — und vom Lichtstrahl getroffen mit schnalzendem Laut in das Röhricht zurücksprangen.
Unschlüssig blieb Krojitsch stehen. Sein Blick verfing sich an der schwarzen Mauer der Nacht. Bei Tage hätte er im Osten am Horizont den Dammrücken sehen können, der die Donau absperrte. Seit Menschengedenken hielt er dem Wasser stand, hielt damals stand, als die Dämme bei Widin rissen, und damals, als das Wasser über Swistow hereinbrach. Drohte jetzt Gefahr? Hörte man nicht die Leute sagen, wie stets die Frösche als erste das Hochwasser witterten und die Hügel überschwemmten? — Umkehren? Er schleuderte die kleine Froschleiche mit einem zornigen Fußtritt beifeite und 3>'?g^Elter. Sehnte sich nach seinem Weibe und dem kleinen Menschenbündel, das in seiner Wiege den traumlosen Schlaf
.^uberührtheit schlief. Das Licht der Laterne brannte schon rötlich; er mußte mit der Batterie sparjammer umgehen, wenn sie für den Heimweg noch reichen sollte.
Der Wind blies steif und hohl von Norden heran, er orgelte im Schilf. Eine Kette von Wildenten stieg vor Krojitsch mit raffelndem Schlage empor. Und Frösche, Myriaden brauner Frösche hockten, je weiter die Nacht hereinbrach, stumm und furchtlos in seinem Weg. Und dann kam ein Anblick, der ihm das Gefühl nahenden Unheils schaudernd einjagte: Eine große Ringelnatter sah er neben den Schienen liegen, und rings um sie hockten die Frösche und glotzten an ihrer Todfeindin vorbei, als wäre die Feindschaft der Kreatur ausgelöscht, — als ruhe wieder der Löwe neben dem Oechslein und der Tiger neben dem Jungen der Hirschkuh... Und auch vor ihm, dem Menschen, floh die Natter nicht, flohen die grünen Echsen nicht, floh nichts, was das Moor in dieser unruhvollen Nacht an kaltblütiger Kreatur auf seinen Weg gesandt hatte.
Eine unerklärliche, namenlose Angst schleicht Krojitsch ins Hem. Die Wolken jagen zersetzt über den Himmel, und durch seine schwarzen Tiefen segelt in unheimlicher Stille der Schwan. Das Schilf biegt sich nieder, und die Pappelzweige
klappern wie böse Kastagnetten. Krojitsch stapft vom Entsetzen gepeitscht vorwärts. Flüchtet wie die Kreatur des SunrpfeS zum Lande hin und will nicht wissen, wohin er tritt... Flieht zu den Höhen jenseits der alten Brücke, wo die Türme von Peterwardein hinter dem schmalen Föhrenstrich stehen. Und gleitet aus, stürzt nieder, die Laterne zerschellt am eisernen Schienenstrang, erlischt... seine Hände suchen einen Halt, finden einen feuchtkalten Amphibienklumpen... er springt in furchtbarem Entsetzen empor und rennt, stolpert, stürzt vorwärts.
Endlich umklammert er das Brückengeländer, zieht sich weiter durch eine Dunkelheit, die das phosphoreszierende Moorwasser milchig auffärbt, schaut mit wild klopfendem Herzen zu dem grauroten Schein am Himmel. Das ist Peterwardein, ist die Stadt, Menschen, Sicherheit. ...Und da erfüllt ein Brausen die Luft und kommt heran wie ein Orkan und pfeift und brüllt, donnert und saust. Das Wasser! Ter Damm ist geborsten! — Die Brückenpfeiler erbeben, das Holzwerk kracht und knirscht, die Brücke schwankt wie ein Schiff auf See... hält... hält noch immer. Krojitsch taumelt vorwärts, kriecht wie ein Reptil auf das feste Land, küßt die Erde, die kalte Erde und schaut hinter sich, wie das heranbrausende Wasser wild am Eisenbahndamm emporschäumt und steigt und schwillt, Balken und Bäume wie Mauerbrecher in seinem rasenden Sturz mit sich führt und — den Damm überrennt! Und in dieser Minute sein Haus samt Weib und Kind fortreißt, sein Haus mit Weib und Kind, Krojitsch taumelt vorwärts, hat kein Herz mehr, seit über ihn das Wissen um sein Schicksal hereingebrochen ist, seit er weiß, daß die verfluchten Wasser alles gefressen haben, woran seine Seele hing. Die Roscnstöckc, die sich zum Blühen anschickten — und den Apfelbaum, der Heuer seine ersten Früchte tragen wollte. —
Ein roter, böser Mond steigt wir ein Brand über den Horizont und klettert durch die schwarzen Wolkenberge; spiegelt sich in schäumendem Wasser, soweit das Auge reicht; leuchtet in ein schwarzes Loch, das die Fluten mitten in die Brücke hereingerissen haben.
Ta hineinspringen! oenkt Krojitsch und starrt in die insternis. Längst haben die Wolken den Mond verschluckt, ein Stern will mehr leuchten. Nichts begleitet seine Gedanken als das Rauschen der Wafferstrudel, das Bersten nach- stürzcnder Brückenpfeiler — und irgendwoher der verzweifelte Schrei eines Vogels, der um seine Jungen klagt.
Krojitsch beugt sich über die gurgelnden Fluten herab, tränenlos, versteinert vor Schmerz. Sieht das Kind in der Hand des nassen Todes und sein Weib im grünen, gläsernen Sarge treiben.
In seinem Rücken dröhnt es heran. Krojitsch fährt wild herum. Der Orientcxpreß mit seiner Menschenfracht! Mit .einer Stundengeschwindigkeit von hundert Kilometern — und niemand ahnt, daß er ins Verderben fährt. Haben Peterwardein verlassen, ehe der Telegraph warnen konnte... „Halt!" brüllt Krojitsch und schwenkt die zerbrochene Laterne durch die Luft. Wirft sie fort, rennt dem Zuge entgegen: „Halt! halt!" — Niemand bemerkt den Mann. Mit unverminderter Geschwindigkeit donnert die Lokomotive heran. Krojitsch neben den Schienen brüllt, winkt mit beiden Armen — weiß, daß sein Rufen ungehört, er selbst ungesehen bleibt. Vierzig, dreißig Meter noch trennen ihn von dem Zuge, dessen Laternen ihr Licht nur kurz vor den Fahrweg streuen. Hundcrt- undsechz-.g Menschen schlafen, Wachen, spielen, sprechen und ahnen keine Gefahr. Hundertundsechzig Menschen rasen in den Tod! — — Und da bleibt denn nur eines übrig, das Letzte, Schwerste: Serge Krojitsch springt mitten ins Gleis, mitten in die Lichter hinein. Und der Zug hält...