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Nr. 136
Dienstag, den 14. Juni 1932
Jahrgang 105
Vor neuen Steuern, Lasten und Kürzungen
Heule Bekanntgabe der ersten Notverordnung der Papen-Regierung
DU Berlin, 14. Juni. Die Beratungen des Reichslabi- «etts über di« finanzpolitischen Maßnahmen bauerten gestern bis in die späten Abendstunden und wurden gegen 21.30 Uhr abgeschlossen. Die entsprechende Notverordnung wird heute dem Reichspräsidenten zur Unterschrift oorgelegt und dann der Öffentlichkeit übergeben werden.
Die „Vossische Zeitung" bringt folgende Zusammenstellung der bevorstehenden, in Einzelheiten bereits bekannten Notverordnung:
1. In der Arbeitslos enfürsorge sollen erhebliche Einsparungen im Gesamtbetrag von 520 Millionen vorgenommen werden. Die Sätze der drei Unterstützungszweige werden daher einander erheblich angenähert und im wesentlichen auf den untersten Satz, den der Wohlfahrtsunterstützung, gesenkt werden. Bei der Arbeitslosenversicherung bedeutet das eine Senkung um 23 v. H., bei der Krisensteuer um 10 v. H. Weiter heißt es, daß die Sätze der Woh-lfahrtsunterstützung außerdem um 16 v. H. gesenkt werden sollen. Der Charakter der Arbeitslosenversicherung als Versicherung wird im wesentlichen aufgehoben werden. Es wird eine Bedürftigkeitsprüfung eingeführt, die allerdings erst nach sechswöchigem Unterstützungsbozug vor- zenommen werden soll. In der Krisen- und Wohlfahrtsfür- forge wird die Vedürftigkeitsprüfung unbeschränkt sein.
2. Auch nach diesen Einsparungen fehlen für die Zwecke der Arbeitslosenfürsorge noch rund 400 Millionen, die durch eine besondere Abgabe für Arbeitslosenhilfe aufgebracht werden sollen. Die Kriscnlohnsteuer, die scharf progressiv gestaffelt ist, wird mit der Abgabe für die Arbeitslosenhilfe in Höhe von 1h v. H. zusammengelegt. Die neue Steuer wird also insgesamt betragen: Für Einkommen bis zu 3600 RM. 2,5 Prozent, bis 4800 RM. 8 Prozent, bis 6000 RM 3,6 Prozent usw. Der höchste Satz beträgt 8,6 v. H. bei Einkommen von mehr als 36 000 RM. im Jahr. Die Beamten zahlen eine einheitliche Steuer von 1F Prozent.
8. Zur Deckung von ReiHSausgabe« wird eine Salzsteuer in Höhe von 20 v. H. mit einem Jahresertrag von 10 Millionen eingeführt. Außerdem wirb bei der Umsatzsteuer die Freigrenze sür Umsätze bis 5000 RM. ausgehoben.
4. Die Kriegsbeschädigtenrenten werden gekürzt, aber nur in Fällen geringerer Bedürftigkeit, also fe nach Sem Familienstand und nur bei Leichtbeschädigten.
Dem „Abend" zufolge hat die.Reichsregiernng endgültig auf das von der Regierung Brüning geplante Arbeitsbeschaffungsprogramm verzichtet und aus diesem Grunde auch die von Brüning in Aussicht genommene Prämienanleihe fallen gelassen.
Der ReichshauShalt nächste Woche vor dem Neichsrat.
Wie der „Börsenkurier" meldet, wird Ser Neichshaushalt t« Einnahme und Ausgabe mit etwa 8,2 Milliarden abschlie
ßen. Er werbe damit rund 1,2 Milliarden niedriger liegen als der Haushalt des Jahres 1031. Der Haushalt gelte rückwirkend ab 1. April, umfasse also formell das ganze Haushaltsjahr. Die Reichsratsa-usschüffe wollen am kommenden Montag ihre Beratungen beginnen. Am Samstag, den 26. Juni oder spätestens Montag, 27. Juni, solle dann der Gesamthaushalt in einer öffentlichen Vollsitzung des Reichsrats verabschiedet werden. Erst dann werde der Haushalt, und zwar ans Grund der Beschlüsse des Reichsrats von der Reichsregierung durch Notverordnung in Kraft gesetzt werden, so daß er rechtzeitig am 1. Juli in Kraft treten könne.
Die Aufhebung des SA.- uud SS.-Verbotes
Ueber den Inhalt der bevorstehenden innerpolittschen Notverordnung erfährt die „Deutsche Zeitung" folgende Einzelheiten: Die neue Notverordnung wird sich auf die Notverordnung über die „Militärähnltchen Verbände" vom 5. Mai stützen, wonach solche Verbände und ihre Satzungen einer gewissen Kontrolle des Reichsinnenministers unterliegen, der ermächtigt wird, die entsprechenden Vorschriften zu erlassen. In Ausführung dieser Verordnung wird die neue Verordnung im wesentlichen folgendes bestimmen:
1. Aufhebung des Verbots der SA., SS. und der übrigen verbotenen nationalsozialistischen Organisationen, 2. Aufhebung des Uniformverbotes, 8. Unterstellung der Wehrverbände, einschließlich der SA., usw., unter die Aussicht des Reichsinnenministeriums. Aus dem letzteren und aus der Verordnung vom 6. Mai ergibt sich, daß die Führer der SA. zunächst ihre Satzungen dem Reichsminister zur Prüfung vorzulegen haben. Dabei dürften dann die notwendigen Verabredungen über alle Einzelheiten, insbesondere über die künftige Gliederung und Verwendung der SA., getroffen werden.
Milderung der Pressenotverordnnng
Der Reichsinnenminister, Freiherr von Gayl, teilte bei einer Besprechung mit, daß er beabsichtige, in der bevorstehenden innenpolitischen Notverordnung die Pressenotverordnung zwar nicht ganz aufzuheben, wohl aber wesentlich zu mildern. Eine Beschlagnahme von Zeitnngen soll künftig überhaupt nicht mehr erfolgen.
Die NeichSregierung wird de« Rundfunk z«r Unterrichtung der Oeffentlichkeit benütze«.
Reichsinnenmiuister Freiherr von Gayl hat im Einvernehmen mit dem Reichspostminister bestimmt: „Die Retchsregierung behält sich vor, den deutschen Rundfunk täglich eine halbe Stunde nach Bedarf in Anspruch zu nehmen, um die Oeffentlichkeit über ihre Ziele und Absichten zu unterrichten. Für diese Sendungen, die vom Deutschlandsender ausgehen und von allen anderen deutschen Sendern übernommen werden müssen, kommt Sie Zeit zwischen 18.80 und 10.30 Uhr in Frage."
Die Berliner Aussprache der Länderverlreter
„Die süddeutsche» Regierungen lehnen jede Verantwortung für die neue Notverordnung ab"
TU. München, 14. Juni. Die bayrische Staatszeitung schreibt unter der Ueberschrist: „Aufgeräumte Schwierigkeiten?" zu dem Ergebnis der Berliner Aussprache, daß die Anschauungen der Länder sich in ihrer kritischen Einstellung zu den politischen Maßnahmen der Reichsregierung vollkommen decken. Sachlich sei festzustellen, daß von einer fühlbaren Entspannung im Verhältnis zwischen Reich und Ländern schwerlich die Rede sein könne. Nach bayrischem Urteil habe die Reichsrcgic- r«ng nicht vermocht, Sie süddeutschen Bedenken gegen ihre einzelnen Maßnahmen oder Pläne zu zerstreuen. Zusain- menfassend sei für den Augenblick zu sagen, daß die süd- oeuriyen Regierungen, insbesondere Bayern, für die neue »«z t^e Verantwortung ablehnen
^ die geringste Verantwortung über-
Maßnahmen in derselben, deren Durchführung ihnen nur mittels Gewalt möglich erscheint.
Zum Empfang der Ministerpräsidenten beim Reichspräsi- dentcn glaubt der „Regensburger Anzeiger" zu wissen, daß die süddeutschen Herren rnit allem Nachdruck und sehr freimütig dem Reichspräsidenten ihre Auffassung hätten dar- legcn können. Jedenfalls seien nun die maßgebenden Stellen rechtzeitig unterrichtet worden, wie man in Südöeutschland die Gesawtlage sehe und daß jetzt nicht die Zeit sei, gefährliche Experimente zu machen. Die weiteren Taten der Reichsregierung würden der Prüfstein dafür sein, oh die Anregun- Mngen aus Süddeutschland in Berlin auf fruchtbaren Boden /gefallen seien.
Kabinettsitzung über Lausanne
TU. Berlin, 14. Juni. Das Reichskabinett beschäftigte sich gestern vormittag mit der Vorbereitung der Lau- sannerKonferenz. Nach eingehenden Darlegungen der beteiligten Reichsminister wurde eine völlige Einmütigkeit des Renhskahinetts über die von der deutschen Abordnung einzunehmende Haltung festgestellt.
Die Stellvertretung des Reichskanzlers während seiner Abwesenheit iu Lausanne übernimmt der Reichsinnennrini- ster Freiherr von Gayl.
Die Negierung von Papen ist, wie der diplomatische Korrespondent des „Daily Telegraph" erklärt, aus das äußerste entschlossen, ihren kommerziellen Schuldenverpflichtungen nachznkommen. Der Korrespondent wendet sich aufs schärfste gegen alle in letzter Zeit verbreiteten Gerüchte von einer baldigen Moratoriumserklärung Dentsch- lands auf seine Handelsschulden. Die wirkliche Lage, wie sie Vertretern der interessierten Mächte in amtlichen Besprechungen mitgeteilt worden sei, sei folgende: Di« gegenwärtige deutsche Negierung sei noch mehr als das Kabinett Brüning bemüht, mit allen möglichen Mitteln eine Erklärung der Zahlungsunfähigkeit für die Handelsschulden Deutschlands zu vermeiden. Die Frage werbe allerdings nicht vor Ende August akut werden und auch dann werde sie sich nicht in einer kritischen Form ergeben, wenn bis dahin eine wirkliche Lösung der Reparationsfrage in Aussicht stehe und sich die internationale Lage verbessert habe.
UmdasErgebnisderPariserBesprechungen
Verkoppelung der Tribntsrage mit der Sicherheitssrage?
TU. Genf, 14. Juni. In internationalen Kreisen verstärkt sich nach dem Eintreffen Macdonalds und HerriotS der Eindruck, daß in den Pariser Besprechungen in großen
Tages-Spiegel
Die Regierung von Pape« wird heute ihre erste große Not» Verordnung zur Sicherung -er Reichsfiuauze« erlasse«. Eine politische Notverordnung zum Schutz des inneren Friedens wirb in den nächste« Tagen ergehen.
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Die Reichsregierung hat gestern die Vorbereitungen für die Lansanner Konferenz abgeschlossen. Innerhalb des Kabinetts besteht voll« Einmütigkeit in den antzenpolitische» Fragen.
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Bei de» Pariser Besprechungen zwischen Macdonald und Herrioi ist eine Einheitsfront in der Tributfrage nicht zustande gekommen. Die beide« Ministerpräsidenten reiste« gestern gemeinsam nach Genf.
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Wie ans Genf verlautet, mir- man ans der Lausanner Ko«i- ferenz die Tribntsrage nicht mehr allein mit der Sichcr- heits-, sondern auch mit der Abrüstungsfrage verkoppeln.
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Der Präsideut der Abrüstungskonferenz, Heuderfo«, setzte sich für eine allgemeine «nd wesentliche Herabsetzung de» Rüstungen unter de« gegenwärtigen Rüstungsstand ein.
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Mauen hat eine ErhShnng der EinsnhrzSlle um SO biS 100 Prozent vorgenommen.
Linien ein Kompromiß erwogen worden ist, das die Tributfrage eng mit der Abrüstungsfrage verbindet. Während bisher die französische Regierung die Abrüstungsfrage von der Lösung der Sicherheitsfrage abhängig machte, sollen jetzt englischerseits Versuche im Gang sein, die Lösung der Tribntsrage von einer gleichzeitigen Behandlung der Sicherheitssrage abhängig zu mache». Wie verlautet, sollen die in Paris verhandelten Pläne in der Richtung laufen, daß auf der Abrüstungskonferenz als Gesamtergebnis neben der Herabsetzung der Rüstungsausgaben, dem Verbot der Bombenflugzeuge and der großen Geschütze ein politisches SicherheitS- abkommen abgeschlossen werde. Es muß daher erwartei werden, daß auf der Lausanner Konferenz die deutsche Regierung unter schärfsten Druck gesetzt wirb, einer Regelung der Tributfrage mit der Annahme einer Regelung der Abrüstungsfrage zuzustimmen, die in schroffstem Gegensatz zu der bisherigen deutschen Haltung in der Abrüstungsfrage steht «nd zu einer Ausgabe der moralisch und rechtlich unbestreitbaren Standpunkte in der Gleichberechtigungsfrage führen würde. Die Lausanner Verhandlungen werden jedenfalls nach hiesiger allgemeiner Beurteilung zu außerordentlich schwierigen und ernsten Verhandlungen führen, deren Ergebnis bisher noch in keiner Weise zu übersehen ist.
Berlin zur Aussprache MacdonalL-Herrlot Die Wochenenüaussprache zwischen Macdonald und Herrtot hat naturgemäß in Berlin starkes Interesse erweckt. Auf Grund der Pariser und Londoner Preffestimmen läßt sich jedoch et« klares Bild über ben sachlichen Ausgang dieser Besprechungen noch nicht machen. In Berliner politischen Kreisen werden infolgedessen alle Behauptungen über Annäherung zwischen der englischen und der französischen Auffassung zunächst als Stimmungsmache bezeichnet. Es sei falsch, hieraus schon irgendwelche Schlüffe ziehen zu wollen. Die Reichsregierung betrachte entsprechend ihrer Regierungserklärung als vordringlichstes Problem die endgültige Lösung der Tributfrage im Rahmen einer Gesamtlösung, die der Wett endlich die zur wirtschaftlichen Wiedererhokung notwendige Erleichterung bringen müsse.
Vor der Gründung einer neuen Bürgerpariei
TU. Berlin, 14. Juni. Die Einladungen zur Gründungsversammlung der neuen Bürgerpartei sind ergangen. Sie sind unterschrieben von Dr. Eckener, Geheimrat Wildhagen- Leipzig, Botschafter a. D. Dr. Sols und Ehrenpräsident der Handwerks- und Gewerbekammer, Plate. Für die Neugrün- öung kommen nur noch die bisherigen Mitglieder der Volkspartet, der Wirtschaftspartei, der Bolkskonservative» und der Schlange-Flügel des Landvolks in Frage. Der We- ber-Flügel der Staatspartei, der ursprünglich auch mitmachen wollte, hat unter der Einwirkung von Dietrich sein« Zusage wieder zurückgezogen. Die Form der neuen Grün- düng ist folgendermaßen gedacht: Die neue Partei wird gegründet und die Führer der alten Parteien geben an ihre Organisationen und Parteimitglieder die Empfehlung, sich für die neue Partei einzusetzen. Erst wenn die neue Partei bei den Wahlen einige Erfolge anszmvetsen hat, werden sich die alten Parteien auüösen.