Die Aufgaben der neuen Regierung

I« de« Ministerien wartet eine Fülle von Arbeit

Der neue R e i ch s f i n a n z m i n i st e r, Graf Schwerin, ist zwar lange Jahre Vertrauensmann des Reichsfinanz­ministers im Ministerium gewesen, trotzdem hat er bei sei­nem Amtsantritt eine unerhörte Aufgabe zu bewältigen. Nicht nur findet er den Etat in einem schwimmenden, trotz aller Ankündigungen durchaus unfertigen Zustande vor, auch sind die Berechnungen der Steuereingängc, auf denen dieser Etatsentwurf aufgebaut wurde, inzwischen überholt, haben sich als zu optimistisch erwiesen. Hinzu kommt, daß alle Aenderungen im Regierungskurs, sobald sie sachliche Maßnahmen betreffen, tief in die EtatSbearbeitnng des Mi­nisteriums eingreifen. Man hört zuverlässig, daß die neue Reichsregierung willens sei, mit dem Grundsatz des Zau­derns zu brechen und endlich an jene großen schöpferischen Reformarbeiten heranzugehen, die infolge einer parlamen­tarischen Abhängigkeit und innerer Uneinigkeit im Kabi­nett bisher nicht gelöst werde» konnten. Es handelt sich hier um die Reichsreform ebenso ivie um die Verwaltungsreform, den Ausbau der Osthilfe und den Umbau der Arbeitslosen­versicherung. Alle diese Pläne können nur verwirklicht wer­ben, wenn das Reichsfinanzministerium die feste, ruhige und sachliche Stütze bietet.

Im Reichsarbeits Ministerium, dem größten aller deutschen Ministerien, steht in der Bearbeitung der Referenten ein Problem so stark im Vordergrund, daß alle anderen Probleme daneben verblassen: die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit durch Siedlung. Die Rcferenten-Entwürfe über die Siedlungsfrage, die in den Schubladen der Refe­renten ruhen, sorgfältig und auf Grund praktischer Erfah­rungen ausgearbeitet, sind kaum noch zu zählen. Da der Wohnungsbau mit staatlicher Unterstützung völlig eingeengt ist, da sich verschiedene Arbeitsbeschaffungsprogramme durch Straßenbau, Meliorationen usw. als in großem Ausmaße undurchführbar erwiesen haben, ist tatsächlich nur die Sied­lung als rettender Ausweg übrig geblieben.

Im Auswärtigen Amt gilt es jetzt, nachdem der Posten des Außenministers so lange verwaist war, eine große, einheitliche außenpolitische Linie Deutschlands zu schaffen, die nach den Absichten der neuen Reichsregierung durchaus nicht feindlich gegenüber dem Westen zu sein brauchte. Man spricht offen davon, daß es gerade für eine Regierung von Papen Möglichkeiten einer deutsch-französi­schen Verständigung gäbe. Die Arbeit im Auswärtigen Amt geht jedenfalls über Lausanne, mit dessen Ergebnislosigkeit man rechnet, weit hinaus, verfolgt größere Ziele.

Im Reichsinuenministertum ebenso wie im Reichswehrministerium fordern jetzt vor allem die Fragen der Sicherheit eine dringende Erledigung. Die neue Reichsregierung betrachtet sich als eine Ordnungsregierung und wird in diesem Sinne die Ueberlegenheit der Staats­macht nach außen hin noch deutlicher dokumentieren als es bisher der Fall gewesen ist. Im Sinne dieser Ueberlegenheit wird auch die Frage gelöst werden, ob ein Verbot der SA. weiterhin notwendig und zweckmäßig ist oder nicht.

In den anderen Ministerien ist die Arbeit noch weniger politischer, sondern rein sachlicher Art. Das Rcichswirtschafts- ministerium wird bei den große» Plänen einer Ankurbe­lung der Wirtschaft endlich eine Vereinigung mit dem Reichs­arbeitsministerium finden und so eine wirkliche Aktivität ermöglichen. Das Neichsernährungsministerinm sieht als dringlichste Aufgabe den Ausbau der Osthilfe an. Das Reichsjustizministerium wird die beiden großen Neformarbei- ten, die Strafrechts- und die Aktienrechtsreform, in kürzester Zeit zum Abschluß bringen. Auch bas Neichsverkehrsmini- sterium hat entsprechende sachliche Aufgaben zu lösen. Ueber allem jedoch stehen die großen Fragen der Außenpolitik und der Wirtschaftspolitik, die jeden der neuen Minister auch außerhalb seines Ressorts vor historische Entscheidungen stel­len. An einem Kreuzweg hat das neue Kabinett die Zügel in die Hand genommen.

Reichskanzler von Papen an das Zentrum

Tll. Berlin, 3. Juni. Reichskanzler von Papcn hat an den Vorsitzenden der Deutschen Zentrumspartei, Prälat Dr. Kaas folgenden Brief gerichtet: In einer der schicksalvoll­sten Stunden deutscher Geschichte hat mich der Herr Reichs­präsident berufen, die neue Regierung zu bilden. Die see­lische und materielle Lage des deutschen Volkes verlangt gebieterisch die Synthese aller wahrhaft nationalen Kräfte aus welchem Lager auch immer sie kommen mögen nicht als Parteimann, sondern als Deutscher bin ich ge­wiß nicht leichten Herzens dem Nus des Mannes gefolgt, dem die Nation soeben einen überwältigenden Beweis ihres Vertrauens erteilt hat und dessen wahrhaft historische Per­sönlichkeit auch in den schwersten Stunden deutscher Ge­schichte nie etwas anderes erstrebte, als die Zusammenfas­sung dieser Kräfte zum Wohle des Landes.

Ein solcher Schritt kann nicht im Widerspruch stehen zu der unermüdlichen planvollen und sachlichen Arbeit des Kanzlers Dr. Brüning. Auch die deutsche Zentrumspartei und der in ihr politisch organisierte Katholizismus werden sich der Erkenntnis nicht verschließen können, daß das neue Deutschland nur auf der Grundlage der Kräfte aufgebaut werden kann, die di« gei­stige Wende unserer Tage zur Hoffnung der jungen Generation gemacht hat.

Ablehnung und Mißtrauen für das neue Kabinett

Auch die Staatspartei sagt schärfste Opposition an.

Der geschästsfüHrende Vorstand und die Reichstagsfrak­tion der Deutschen Staatspartei haben eine Entschließung angenommen, in der es heißt: Die Deutsche Staatspartei lehnt mit aller Bestimmtheit das Kabinett von Papen ab, das gegen den Geist der Verfassung ge­bildet und ohne Rücksicht auf außenpolitische, inirenpolitische und wirtschaftliche Gefahren lediglich dazu bestimmt ist, die Weisungen der rechtsradikalen Parteien auszuführen, ohne daß diese selbst a» der Verantwortung sormell,beteiligt smd.

Momentbilder von der Regierungsbildung

Von links nach rechts: Der frühere Reichsbank- prästdent Schacht verläßt den Reichstag nach seinem Besuch bei v. Papen,' der Präsident des Reichslandbundes Graf Kalkreuth mit dem Landbunddirektor v. Kriegs- Heim nach ihren Unterredungen mit dem Reichskanzler vor dem Reichstagsgebüude.

Die neuen Männer der Reichsregierung

Reichojirsiizminister Gürtner.

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Gras Schwerin-Krosigk v. Braun.

Rcichsjustizminister Franz Gürtner, der im 51. Lebensjahr steht, trat nach Abschluß seiner juristischen Studien in den bayrischen Justizdienst ein und war bis zum Kriegsausbruch Personalreferent im Bayrischen Justizmini­sterium. Den Krieg hat er als Hauptmann der Reserve an der Front mitgemacht. Nach seiner Rückkehr im März 1919 war er zunächst Staatsanwalt beim Landgericht München und wurde dann im Jahre 1920 wieder in das Justizmini­sterium berufen. Im August 1922 wurde er als Vertreter der bayrischen Mittclpartei bayrischer Justizminister, welches Amt er in allen folgenden Kabinetten bis zum heutigen Tage beibchielt.

Der neue Reichsfinanzminister Lutz Graf Schwerin von Krosigk steht im. Lebensjahr. Er war nach Ab­schluß des Studiums der Rechts- und Staatswissenschaft zu­nächst bei der preußischen Verwaltung tätig und dann wäh­rend des Krieges von Anfang bis Schluß im Felde. Nach dem Kriege kam er als Regierungsassessor an das Landrats­amt in Hindenburg und 1920 in das Reichsfinanzministerium, wo er zunächst in der Friedensvertragsabteilung tätig war. Er wurde 1924 Ministerialrat, 1925 Generaletatsrefcrcnt und 1929 Ministerialdirektor und Leiter der Etatsabteilung.

Ernährungsminister Freiherr von Braun wurde 1878 als Sohn eines ostpreußischen Ritterguts­besitzers geboren und war bis zum Kriege Lanbrat in Wir- sitz in der Provinz Posen. Im Kriege wurde er in das Innenministerium berufen. Nach dem Zusammenbruch war er Regierungspräsident in Gumbinnen. Von der preußi­schen Regierung wurde er zur Disposition gestellt, da er den Erlaß des damaligen Oberpräsidenten August Winnig, in dem sich dieser hinter die Regierung Kapp stellte, in seinem Bezirk veröffentlichte. Seit 1927 ist er Generaldirektor der Raiffeisengesellschaft und in dieser Eigenschaft Mitglied des Neichswirtschaftsrats.

Der neue Neichsverkehrsminister Freiherr Eltz von Rübenach steht seit 1924 an der Spitze der Reichsbahndirektion Karlsruhe. Er wurde 1875 in Wahn im Rheinland geboren. Von 1911 bis 1914 war er nach längerer Tätigkeit im preußischen Eisenbahndienst technischer Sachver­ständiger beim Generalkonsulat in Neuyork. Er steht der Zentrumspartei nahe.

Das Ausland steht vor einem Rätsel

Der Berliner Vertreter der LondonerTimes" schreibt zur Regierungsueubildung: Die neue Reichsregrerung ist eine Regierung des preußischen Landadels mit einem streng militärischen und industriellen Hintergrund. Sie repräsen­tiert eine Klaffe, die im alten Preußen oft vorherrschend war und von der ein Volkswort sagt, daß die Treue gegen den König von Preußen solange absolut ist, als er ihren Willen tut. Obgleich dies« Regierung keine Partetverbi«-

dungen hat, ist sie ein deutschnationales Kabinett, nachdem das Zentrum Herrn von Papen höslichst verleugnet hat. Mit der Bildung dieser Negierung treten die republikani­schen Parteien in Deutschland in eine Periode der Opposi­tion. Wenige Negierungen sind unter einem schlechteren Stern geboren worden. Das Ausland steht vor einem Rät­sel. In Deutschland selbst findet man in der ganzen Presse kaum ein Wort Ser Zustimmung und das Kabinett wird allgemein als ein Uebergang betrachtet. Es hat den Reichs­tag aufzulösen, Neuwahlen durchzuftthrcn und dann zu ver­schwinden.

Erwähnensivert sind noch folgende Sätze desDaily Telegraph":Deutschland wird in Lausanne d. rch eine Negierung vertreten sein, die niemals vom Par.'r ^ent be­stätigt worben ist. Das war sicherlich nicht die Absicht der In­trigen, die Brüning zu Fall gebracht haben. Die Motive für die Wahl von Papcus sind durchaus nicht klar. Der schlechte Eindruck, den dieser Plan gemacht hat, vor allem in Amerika, kann kaum der Aufmerksamkeit der Gegner des Reichspräsidenten entgangen sein. Andererseits allerdings sagt man dem neuen Kanzler gute Beziehungen zu den ka­tholischen Kreisen in Frankreich nach. Er hat eine führende Rolle gespielt in der anttbolschewistischen Vereinigung für die Verteidigung der bestehenden Zivilisation."

Ein Notruf des Deutschen Städtetages

an die neue Reit^regierung

TU. Berlin, 3. Juni. Der Deutsche Städtetag teilt mtt: Die jetzt zurückgetretene Reichsregierung hatte die Absicht, im Rahmen der vorgesehenen Notverordnung die überaus dringenden Maßnahmen zur Entlastung der Gemeinden und Gemeindeverbände von dem Druck der Erwerbslosenlasten durchzuführen. Es war vorgesehen, den Anteil der Kommu­nen an den Kosten der Arbeitslosenfürsorge, die gegenwär­tig etwa 1,4 Milliarden jährlich betragen, auf rund 680 Millionen zu begrenzen und die Gemeinden durch einen Neichszuschntz von etwa 700 Mill. zu entlasten. Diese Neuregelung sollte bereits am 1. Juni eintreten, weil die damalige Reichsregierung nach genauer Untersuchung der Wtrtschasts- und Finanzlage der Kommunen eine Verzöge­rung der Entlastung der Gemeinden mit Recht nicht mehr vertreten zu können glaubte. Durch den Rücktritt der Reichs- regterung sind diese Hilfsmaßnahmen nicht in Käst getreten. Die Gemeinden kommen dadurch in allergrößte Schwierigkeiten.

Der engere Vorstand des Deutschen Städtetages, der am 2. Juni in Berlin versammelt war, hat sich in großer Sorge mit dieser ganz unmöglichen Sachlage beschäftigt und ein­stimmig beschlossen, an die neue Reichsregierung das drin­gende Verlangen zu richten, die unterbrochene Aktion sofort wieder auszunehmen und auf der damals beschlossenen Grundlage baldigst durchzuführen. Angesichts der sich ständig verschlechternden Lage der Gemeinden und der auch in de« günstigeren Frühjahrsmonaten fortgesetzt steigenden Er­werbslosenzahl ist eine sofortige Reichshilfe not­wendiger als je zuvor, wenn der völlige Zusammen­bruch der Gemeinbefinanzen vermieden werden soll. Die Kommunen sind am Ende ihrer Kraft. Ausgleichmöglichket» teu sind nicht mehr vorhanden. Deshalb ist die Senk««« ihre« Leistung«« i« der Arbeitslosenhilfe «ud die Gewäh­rung einer ausreichenden Reichshilfe i« der vor wenige. Tagen in Aussicht gestellten Höhe unbedingt erforderlich Der engere Vorstand des Deutschen Städtetages hat ein« dahingehende dringliche Eingabe an den Reichskanzler ge- gerichtet.

Politische Kurzmeldungen

In eingeweihten Berliner Kreisen sieht man nicht den Kanzler v. Papen, sondern den Wehrminister v. Schleicher als den führenden Mann im neuen Kabinett an. Schleicher äußerte, daß das Kabinett keine Uebergangslösung darstelle, sondern vier Jahre im Amt zu bleiben gedenke. Ober­bürgermeister Goerdelcr hat seine Berufung in das ReichS- kabinett abgelehnt, weil er bereits für die neue Preußen- regierung vorgemerkt war. In Bayern hat die Bayerisch« Volkspartei offiziell Regierungsverhanblungen eingeleitet und den bisherigen Ministerpräsidenten Held wieder vorge­schlagen. Die Bank von Frankreich hat den 90-Millionen- Dollar-Kredit der Neichsbank bis zum 4. Sept. 1932 verlän­gert. Der Verwaltungsrat der BIZ. hat jedoch auf Wunsch der Bank Deutschland verpflichtet, Rückzahlungen zu leisten, sobald dies die Devisenlage der Reichsbank erlaubt. Bet Ser vom Reichsrat genehmigten Aenderung der Schußwaf- scnbestimmuugen Handelt es sich um die Freigabe hochwer­tiger Jagdgewehre und Scheibenbüchsen für dett Erwerb ohne Waffenerwerbsschein. In Breslau kam es zu schwe­ren politischen Zusammenstößen zwischen Nationalsozialisten und Anhängern der Sozialistischen Arbeiterpartei. Es sind 17 Nationalsozialisten und ein Stahlhelmmann verletzt wor­den. Der bisherige erste Bundesführcr des ReichSban-

ncs Schwarz-Rot-Gold, Otto Hörsing, hat dem Bundesvor- cnd schriftlich mitgeteilt, daß er von der Bundesführung lrücktritt und aus dem Bundesvorstand ausscheidet. Die emühungen der litauischen Regierung, für die am 8. Juni ginnende Memelverhandlung im Haag einen Verteidiger c gewinnen, haben zu keinem Erfolg geführt. Die anfangs ncgesehencn Staatsrechtler von internationalem Ruf haben e Uebernahmc der Verteidigung abgelehnt. Im Unter- csschuß des Finanzausschusses des Völkerbundes, der ge­wärtig in Paris die Mittel für eine finanzielle Hrlfe an e Donaustaaten zu finden sich bemüht, hat die britische Ne- erung sich bereit erklärt, die kurzfristige Anleihe der Bank >n England in einen langfristigen Staatskrcdit irmzuwan- ln, der von englischen Privatbanken unter Bürgschaft der egierung aufgebracht werden soll. Der Danziger Senat ct Polen ersucht, die Verwaltung der polnisch-pommerel- schen Esenbahnlinien spätestens bis zum 31. Dezember 1932 ls dem Gebiet der Freien Stadt zu entfernen. - Einer rsstfchen Meldung aus Schanghai zufolge kam es ans bis- >r noch nicht anfgeklärter Ursache aus eiuem vor schanghai egenden amerikanischen Kriegsschiff zu e.ner Explosion.