Reichskanzler Brüning Zur Notverordnung

Reichskanzler Dr. Brüning sprach Dienstag abend im Rundfunk über die neue Notverordnung. Die zu treffenden Maßnahmen, so führte er u. a. ans, sind bedingt durch Sie Lage der Weltwirtschaft und des Kapitalmarktes, ferner be­dingt durch die unerträglichen Lasten, die uns nach dem Krieg auferlegt wuröcu. Aber sie gehen ebenso auch zurück auf Fehler, die wir selbst in den vergangenen Jahren gemacht haben. Nach einem Hinweis auf die B e r h a n d l u n g e n in Basel richtete der Kanzler noch etmal den dringenden Appell an alle beteiligten Regierungen, dafür zu sorgen, daß die oft von allen Seiten verkündeten Grundsätze ver­ständnisvollen und solidarischen Zusammenwirkens sich jetzt endlich in letzter Stunde in die Tat umsetzen. Dann ging er auf die Einzelheiten der Notverordnung ein.

Es soll überall, was auf der einen Seite allen Schichten der Bevölkerung genommen werden muß, auf der anderen Seite durch Steigerung der Kaufkraft ihr wiedergegcben werben. Schmerzlich sind die Opfer, die von Beamten, Arbei­tern und Angestellten, ja darüber hinaus in erschreckendem Umfange auch von den durch die Sozialversicherung Betreu­ten nun abermals verlangt werden. Wir haben alles versucht und alles daran gesetzt, es zu vermeiden. Aber die Wirt­schaftsnot zwingt jeden im Hinblick auf die höheren gesetz­mäßigen Zusammenhänge auch hier vor Opfern nicht zurück- zuschreckcn. Schmerzlich ist für viele die Zinssenkung der festverzinslichen Wertpapiere. Wenn sie manchen Sparer treffen, so möge er bedenken, daß die Ermäßigung des Zin- sendieustes ihm selbst in seiner Lebenshaltung wieder zugute kommt und daß die erschreckende Höhe des deutschen Zins­fußes eine Gefahr für die Sicherung der Kapitalien dar­stellt. Dieser Gefahr wird durch die Zinssenkung begegnet. Durch die Erhöhung der Umsatzsteuer bet Schonung des Bro­tes, des Mehles und des Getreides als Vollsnahrungsmittcl und Senkung der Ausgaben sind die Voraussetzungen, die an die Etatsgleichgcwichte gestellt sind, gesichert.

Was für jeden einzelnen das Wichtigste ist, ist, daß die Zahlungen desStaates in den kommenden Monaten pünktlich geleistet werden können. Daß sich jeder einzelne von uns innerlich ausbäumt gegen das harte Schicksal unserer Zeit, versteht niemand mehr als ich. Eine Rettung Deutsch­lands ist aber jetzt, wie in dem vergangenen Jahre nur mög­lich, wenn sich die Leitung der deutschen Politik nicht in daS Reich der Illusionen begibt, sondern sich bei heißer Liebe zu Volk und Vaterland von nüchterner Uekerlegung, von klarer Einsicht in die uns nach dem Krieg verbliebenen Mit­tel und Möglichkeiten bestimmen läßt. Wenn die deutsche Politik der Versuchung nachgeben würde, die Leiden der Gegenwart durch Steigerung unklarer Gefühle und durch Herausstellung unklarer Ziele zu mildern, so würde es mit Deutschland zu Ende gehen. Für jeden, der an der Verwirk­

lichung solcher Ziele arbeitet, muß ein schreckliches Erumchen kommen.

Eine Regierung, die sich ihrer Verantwortung für Volk und Vaterland bewußt ist, darf Strömungen dieser Art, so­weit sie auch im Volke um sich greifen, nicht nachgcben. Sie darf und wird nicht davor zurückschrecken, einem drohen­de «Verfall der Volkskräfte mit eiserner Energie entgegenzutreten. Sie duldet keine an­dere Macht als die verfassungsmäßige. Reichspräsident und Reichörcgierung verfügen allein über die Machtmittel des Staates. Sie werden mit unerbittlicher Strenge notfalls auch unter Verhängung des Ausnahmezustandes gegen alle eingesetzt werden, die sich unterfangen würden, in den Stunden stärkster Nervenprobe der verfassungsmäßi­gen Gewalt in Sen Arm zu fallen.

Wenn der Parteiführer der Nationalsozialisten den le­galen Weg seiner politischen Absichten betont hat, so stehen in krassem Kontrast dazu die heftigen Beteuerungen der Führer, die zu sinnlosem Kampf und zu außenpolitischen Torheiten auffordern. Wenn man erklärt, baß man auf legalem Wege zur Macht gekommen, die legalen Schranken durchbrechen werde, so ist das keine Legalität. Dagegen wende ich mich als verantwortlicher Staatsmann aufs schärfste.

Ich werde mich mit allen verfassungsmäßigen Mitteln solcher Parteiversuche entgegensetzen, das deutsche Volk in dieser ungeheuren materiellen und seelischen Not in zwei feindliche Lager zu zerreißen. Ein uralter Instinkt ge­sunder Völker ermahnt uns, den tnncrpolitischen Meinungs­streit zurttcktreten, ja völlig schweigen zu lassen, wenn daS Vaterland in entscheidenden Stunden politischen Handelns steht. Es ist ein abträgigcs Unterfangen, wenn mau mit dem Hinweis ans innerpolitische Verschiebungen in den Tagcs- meinungen der Wähler versucht, im Anslande den Eindruck zu erwecken, als ob es in Deutschland in Wirklichkeit ge­teilte Fronten, ja eine Regierung von morgen gebe, die sich anmaßcn dürfe, für die deutsche Negierung zu sprechen.

Der Reichskanzler schloß: Man hat mir den Vorwurf gemacht, daß ich dcch zu lange schweige. Die Pflicht des gewissenhaften Arbeitens scheint mir trotz allem größer zu sein als alles Reden. Ich werde nie mit Versprechungen und Illusionen über unsere Leiden hinwegzntäuschen ver­suchen. Nur die ganze Erkenntnis der schrecklichen Wirklich­keit und die Versuche, sich danach einzustellen, hat in der Vergangenheit allein die Völker zum Wiederaufstieg gebracht. Die kühle Ucberlcgung ist nicht ein Mangel an tiefstem Mitempfinden mit den Leiden des Volkes. Es ist vielmehr die schwere Verantwortung, die auf den Negierungen ruht und ihnen verbietet, ihr eigenstes Gefühl anders als in der sorgfältigen Unterordnung unter die Pflichten ihres Amtes zu äußern.

Der Preissenkunas-Kl>mmissar

Dem Leipziger Oberbürgermeister Gördeler ist von der Neichsregierung bas Amt eines Preissenkungs-Kommis­sars übertragen worden.

Die Durchführung der Preissenkung

Zugleich mit der neuen Notverordnung gibt die Neichs- regierung Durchführungsbestimmungen für die Preissen­kung heraus. Weiterhin ergeht gleichzeitig eine Erklärung der Reichsregierung über die Motive, die zu der Notver­ordnung geführt haben, sowie über die Schlußfolgerungen für weitere Maßnahmen, die sich aus der Lage ergeben. Ferner wird bekannt, daß die Neichsbahntarife in der Weise gesenkt werden, daß bas Gesamtaufkommen der Reichsbahn um 300 Millionen im Jahr vermindert wird. Aus einer Senkung der Kohlenpreise erwartet man eine Verbilligung um 2S0 Millionen, aus einer Senkung der Eisenpreise eine Verbilligung um rund 150 Millionen. Dazu folgen noch Einzelbesttmmungen für die Kle tschv er­bt lligung, die am. Dezember in Kraft treten. Im Hinblick auf die Balutaänderu.igen im Ausland und das damit zusammenhängende Valutadumping werden auf Grund der bestehenden Zollermächtigung grundlegende neue Zollmaßnahmen zum Schutz der deutschen Wirtschaft für die nächste Zeit in Aussicht gestellt.

Das Echo der Notverordnung in der Presse

DieGermania" bezeichnet die Notverordnung als ein Dokument der Not und hebt hervor, daß an zahlreichen Einzelheiten noch eingehende Kritik zu üben sei, daß man aber dem gesamten Problem nur gerecht werden könne, wenn man die leitenden Gesichtspunkte berücksichtige, die die Reichsregierung bei der Abfassung dieses Gesetzwerkes im Auge gehabt habe, und die von keiner noch so gearteten deut­schen Regierung außer Acht gelassen werden könnten, wenn sie verantwortungs- und pflichtbewußt handle. Die DAZ." kommt nach einer eingehenden Kritik zu dem Schluß, daß die neue Notverordnung für die Tributschlacht eine überaus wertvolle Rückendeckung bilde. Der Patient winde sich freilich zunächst einmal in seine» Schmerzen.

Man müsse jetzt abwarten, ob der letzte, allerdings starke Trumpf der Negierung Brüning in Basel, in Paris, und nicht zuletzt in der Heimat steche. DieKölnische Zei­tung" schreibt zu der neuen Notverordnung unter der UcberschristVorstufe des Staatskapitalismus" u. a.: Unter dem Druck von außen habe die Regierung Brü­ning in ihren Maßnahmen den Grundsatz der freien Wirt­schaft und Ser Privatwirtschaft, der bereits zum erheblichen Teil eine Fiktion geworden war, in wesentlichen Teilen noch iveiter verlassen müssen. Das Abweichen von diesem Grund­satz sei ein vorläufiges, was aber in Zukunft daraus werde, das vermöge niemand zu sagen. Der Weg, den die Reichs- regicrung habe beschreiten müssen, führe in eine immer stär­kere Regelung der Wirtschaftsbewegungen durch den Staat, zu einer schärferen Kontrolle und Eingreifen in das private Handeln.

Deutsche Ostsiedlung ist not!

Es ist eine bekannte Tatsache, daß das Schicksal eines Volkes auf die Dauer grundlegend von seiner Bevölkerungs­bewegung, d. h. von der Zu- oder Abnahme der Bevölke­rungsstärke, beeinflußt wird. Das gilt ganz besonders auch im Hinblick auf das Verhältnis eines Landes zu anderen, besonders benachbarten Ländern. Es ist klar, baß ein Staat, dessen Gebiet dünn bevölkert ist, sich bet allen etwaigen Ver­wicklungen gegenüber einem dichtbevölkerten Nachbarland von vornherein in schwächerer Position befindet. Ein übel­wollendes stark besiedeltes Nachbarland ist geradezu eine ständige Gefahr für die Grenzgebiete eines dünnbesiedelten Landes. Ein solcher Fall liegt zweifellos im deutschen Osten vor. Das andrängenüe Polcntum macht durchaus kein Hehl aus seinen Naubgelüsten nach weiterem deutschen Gebiet, ja, man scheut sich dort nicht einmal, ernsthafte Ansprüche aus das kerndeutsche Ostpreußen zu erheben. Ein Haupterforder- nts der deutschen Bevölkerungspolitik ist daher die stärkere Besiedlung der deutschen östlichen Grenzgebiete. Einen wirk­sameren natürlichen Wall gegen das andrängende Polentum und die Verslawung des deutschen Ostens gibt es schlechter­dings nicht.

Die Notwendigkeit eines solchen natürlichen Schutzwalles an der deutschen Ostgrcnze ist in Deutschland zwar seit lan­gem erkannt worben, seine Verwirklichung macht jedoch nicht solche Fortschritte, wie es angesichts der Bedeutung der Sache wünschenswert wäre. Wenn es heute in Deutschland sogar schon Stimmen gibt, die vor weiterer Siedlungstätigkeit warnen, um angesichts der katastrophalen Lage der Land­wirtschaft die Errichtung neuer Produkttonsstätten zu ver­hindern, so geschieht das in völliger Verkennung des großen Ziels der deutschen Oststeblung. Einen interessanten Beitrag zu diesem Problem bildet eine Berechnung des Statistischen Retchsamtes, die dem Bevölkerungspolitischen Ausschuß des Reichstages vorliegt, und die durchaus dazu angetan ist, die Notwendigkeit der ostdeutschen Siedlung als Gegengewicht gegen eine slawische Invasion in grelles Licht zu setzen.

Vom Statistischen Reichsamt wurde nämlich berechnet, daß tn einer Zeit, in der die germanische» und teilweise

auch die romanischen Völker einen zum Teil starken Hebe». ,chuß der Sterbefälle zu verzeichnen haben, die slawischen Völker immer noch hohe Geburtenüberschüsse erzielen. Stellt man Deutschland und Polen gegenüber, so ergibt sich für Deutschland ein Sterbesallüberschuß von 1,64 auf je 1000 Einwohner, während Polen einen Geburtenüberschuß von 8,4, ebenfalls auf ioog Einwohner, aufwcist. Wenn man diese Zahlen und weiter die Tatsache berücksichtigt, daß im Polen­tum von jeher ein starkes Ausdehnungsbedürfnis nach Westen besteht, so ist damit die ungeheure Bedeutung der Ost- sicdlung für die deutsche Bevölkerungspolitik ohne weiteres gekennzeichnet.

Das Nalionalheiligtum der Russen in die Luft gesprengt

Bauwerke Rußlands, ist auf Anordnung der Somjetregie- rung durch sechs Ladungen Dynamit in die Luft gesprengt worden. Die gewaltige Explosion war in der ganzen Stadt hörbar.^l Stelle der Kathedrale soll bekanntlich das neue riesige <--o-!'7>-l.c»vnar!-'-c>-cmdp

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Die Erlöserkathedrale ist zur Eruincrung an ine Ver­nichtung der Napoleonischen Armee in Rußland erbaut worden und mar nicht nur ein Wahrzeichen Moskaus, son­dern Rußlands schlechthin. Sie bot 7060 Gläubigen Raum. Die fünf großen Kuppeln waren reich vergoldet, und daS Innere der Kathedrale war eine einzige schimmernde Pracht von Gold und Marmor. Ihr Bau hatte 20 Millionen Rubel in alter russischer Währung gekostet.

Kleine politische Nachrichten

Aenderung in der faschistischen Parteileitung. Das Be­fehlsblatt der faschistischen Partei gibt eine grundlegende Aenderung in der Leitung der Partei bekannt. Der bis­herige Sekretär der Partei und gleichzeitige Kammerpräsi­dent Gurtati, der im Oktober 1030 Turati folgte, wird mit seinem Direktorium zurücktreten und durch den bisherigen stellvertretenden Sekretär der Partei, Generalleutnant der Miliz, Starac« ersetzt werden.

Anrechnung -er Kriegsopferrente« auf die Sozialversiche­rung? Nach unwidersprochenen Nachrichten soll die Anrech­nung der Renten aus der Neichsversorgung auf die In­validenrenten geplant sein. Der Bundesvorstand des Nei.bs- bundes der Kriegsbeschädigten, Kriegsteilnehmer und Kric- gerhinterbliebenen hat deshalb sofort nach BekanntwerLen dieser Pläne in Telegrammen an Reichskanzler und Reichs­präsident gegen diese Pläne entschieden protestiert. Die Durchführung solcher Maßnahmen würde keine tatsächlichen Einsparungen bringen, den Grundsatz von Leistung und Gegenleistung tn der Sozialversicherung beseitigen und eine weitere, ntcht zu verantwortende Herabürückung der schon jetzt unzureichenden Lebenshaltung der Kriegsopfer be­deuten.

Waffeufunde bei Kommunisten. Aus Köln wird berichtet: Infolge verschiedener Haussuchungen bet Kommunisten in Troisdorf nach verbotenen Flugschriften versuchten mehrere Kommunisten versteckt gehaltene Waffen nach auswärts zu bringen. Der Polizei gelang es, in einem Walde bet Trois­dorf vier führende Mitglieder der Kommunistischen Partei festzunehmen, die etwa 10 umgearbettete Karabiner sowie vierhundert Schuß Munition und zwei Pistolen in ein siche­res Versteck bringen wollte».

Die Gencralstabschefs der Kleinen Ententebereiten die Abrüstungskonferenz vor". In Prag sind die Generalstabs­chefs der südslawischen und rumänischen Armee eingetrosscn. Sie werden mit den Vertretern der tschechischen Armee über ein gemeinsames Vorgehen der Kleinen Entente auf der Abrüstungskonferenz tn den militärisch-technischen Fragen verhandeln.

Tie französische Kammer gegen Zollerhöhung. Die fran­zösische Kammer behandelte die Einführung Zusatz­

zolles auf Einfuhrwaren. Der Berichterstatter hob vervor. Laß die Vorlage dem Staat eine Einnabme von rund 4M Millionen Franken für S Monate bringe. Wenn die Kammer sie zurückwetsen sollte, so werbe die gleiche Summe im saus- halt für bas Jahr 1082 als Fehlbetrag in Erscheinung treten. Bei der Abstimmung wurde der Antrag der Negierung mit 32g gegen 281 Stimmen abgelehnt. »

Blutige Zusammenstöße in Per». Bei Trujille in Nord- Peru kam es anläßlich der Amtseinführung des neuen Pra- sidentcn Sanchez Cerro zu heftigen Zusammenstößen zwi­schen Sozialisten und Polizei. Dabet wurden 10 Mann ge- tötet und 13 verwundet.

Japanischer Panzerzug zum Entgleisen gebracht. Wie aus Mukden gemeldet wird, wurde in der Nähe ein japanischer Panzerzug zum Entgleisen gebracht, wob« vier japanische Soldaten getötet und 11 verletzt wurden.