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Nr, 285
Samstag, den 8. Dezember 1931
Jahrgang 104
Mine Einberufung des Reichstages
Die Sozialdemokraten erneut beim Reichskanzler — Erzwungener Burgfrieden
über Weihnachten
Politischer Weihnachtsfriede
TU. Berlin» 5. Dez. Der Aeltestenrat des Reichstages beschäftigte sich gestern abend mit dem Antrag der Kommunisten auf Neichstagseinberufung. In der Sitzung, die etwa eine Viertelstunde dauerte, erklärte Staatssekretär Pünder, daß die Reichsregierung um Ablehnung deS Antrages bitte. In der Abstimmung traten für den Antrag auf Retchstagseinberufung nur die Kommunisten, die Nationalsozialisten, die Deutschnationalen und die Deutsche Volkspartei ein, während sich die Vertreter der Wirtschaftspartei und des Landvolks der Stimme enthielten.
Die Stimmenthaltung der Vertreter der Wirtschaftspartei und des Landvolks im Aeltestenrat des Reichstags bei der Abstimmung über den kommunistischen Antrag auf Reichstagseinberufung ist auf die Ansicht dieser beiden Par- tcie» zurückzusühren, dah die Frage der Reichstagseinberu- fung erst nach Bekanntgabe der neuen Notverordnung spruchreif werde.
Die Sozialdemokraten erneut beim Reichskanzler.
Von sozialdemokratischer Seite wird mitgeteilt: „Die Abgeordneten Breitscheid, Graßmann, Hertz und Hilferding erschienen am Freitag nachmittag nochmals beim Reichskanzler, »m sich nach dem Stand -er Arbeiten an der neuen Notverordnung zu erkundigen und dem Reichskanzler mtt- »uteilen, wie es innerhalb der sozialdemokratischen Fraktion außerordentlich verstimmend wirke, daß der Reichsregiernng im Kampf gegen den faschistischen Terror die nötige Einheitlichkeit fehle. Sie machten darauf aufmerksam, daß gegenüber der Absicht der Reichsregierung auf gleichzeitige Preis- und Lohnsenkung in weitesten Volks- kreiscn großes Mißtrauen besteht. Der Versuch, die Löhne w-iter zu senken und die Lohnsenkung durch Eingriffe in das Tarifrecht in kürzester Frist zu ermöglichen, sowie der Abbau -er Sozialversicherung würden nach wie vor aus entschiedensten Widerstand der Sozialdemokraten und der Gewerkschaften stoßen. Der Reichskanzler legte die Absichten dar, von denen sich die Reichsregiernng bei den neuen Notverordnungen leiten laste, versicherte aber, daß über ihre Gestaltung in den Einzelheiten noch nichts Endgültiges feststeht."
Die Besprechungen mit dem Reichskanzler haben, wie der „Vorwärts" mitteilt, keine Klärung der politischen Gesamtlage gebracht. Eine solche werde erst eintrctcn, wenn der Inhalt der neuen Notverordnung bekannt sei. Mit dem Zusammentritt der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion sei für die zweite Hälfte der nächsten Woche zu rechnen.
Die Reichsregierung beabsichtigt, durch Matznahmen in Fühlungnahme mit den Ländern dafür zu sorgen, dah während der Weihnachtszeit alle politischen Versammlungen und Kundgebungen unterbleiben. Man geht nicht fehl in der Annahme, daß hierfür nicht zuletzt die von kommunistischer Seite betättgte Propaganda gegen die weihnachtlichen Gebräuche -er Anlaß gewesen ist. Bekanntlich pflegten in früheren Jahren die Parteien selbst untereinander eine Art politischen Weihnachtsburgsrieüens zu vereinbaren, Demonstrationen, politische Reden, Aufzüge und Kundgebungen unterblieben um diese Zeit ohnehin. Da man offenbar in Kreisen der Reichsregierung angesichts der Heu- Ngen Radikalisierung der politischen Wählermasten solche Vereinbarungen für unmöglich hält, sollen Maßnahmen der Reichs- und der Landesregierungen die politische Weihnachtsruhe, die bis »um «. Januar dauern soll, gewährleisten.
Hitler zur Lage.
Wie die „DAZ." aus London meldet, hat A d o lf H i t l er am Freitag in Berlin die Berichterstatter der englischen Zeitungen empfangen und ihnen Mitteilung darüber gemacht, wie er die Lage auffaßt und wie er sich die Zukunft denkt. Zunächst hat Hitler versichert, daß er selbstverständlich nach wie vor nur auf legalem Wege vorgehen werde. Es wäre ja, so sagte er, auch völlig sinnlos, etwas anderes zu versuchen und alles aufs Spiel zu setzen zu einem Zeitpunkt, wo der Enderfolg vor der Tür stände. Er ging dann auf das „Boxheimer Dokument" über und erklärte, in seiner Partei entscheide nurseinWille allein. Niemand könne ihn verantwortlich machen für die privaten Taten seiner 700 OM Parteimitglieder. Dazu komme, daß in letzter Zeit immer mehr der Versuch gemacht werde, Provokateure in die Partei hinein zu lanzieren. Hitler ging bann auf die Außenpolitik über und erklärte auf eine Zwischensrage über den Ursprung des Krieges, daß weder er noch seine Partei hiermit irgend etwas z« tun hätten. Die Zukunft, nämlich das Verhältnis von Frankreich und Deutschland, hänge von Frankreich ab. Deutschland könne sich aber nicht auf politische Erpressung einlasten. Nach dem Kriege von 1870 sei Frankreich niedergeschlagen, aber doch nicht wehrlos gemacht worden. Mit erhobener Stimme erklärte Hitler: „Deutschlaird ist nicht Karthago und Frankreich ist nicht Rom".
Die geplante Preis- und Lohnsenkungsaktion
Preise und Löhne sollen gleichzeitig abgebaut werden
TU. Berlin, 5. Dez
MM
Berliner Blätter entnehmen einer dem Relchsfinanzminister nahestehenden Korrespondenz über die Pläne des Reichskabinetts, die sich auf die Preis- und Lohnsenkung beziehen, folgende Einzelheiten: «Die Preis- senkung auf den wichtigsten Gebieten soll gewährleistet werden durch einen direkten Eingriff bei Kohlen, Eisen und Baustoffen. Bei der Kohle laste sich ein solcher Eingriff sofort bewerkstelligen, beim Eisen und bei «er Baustoffindustrie werde ebenfalls angenommen, baß es gelingen werde, hier sofort eine fühlbare Preissenkung durch- zusühren. Dabei sei man sich in Regierungskreisen auch dar- klar, daß überall diese Preissenkung nicht schematisch burchgefuhrt werden könne, baß insbesondere dort, wo be- A kühlbare Preissenkung stattgefunden habe, zum
Beijpiel in der Textil- und Lederindustrie, nicht in der Weise vorgegangen werden könne, wie auf den Gebieten, wo hente regiert große Preisspanne vorhanden sei. Die Reichs- v7r" ' » '^"hi" entschlossen, den direkten Eingriff
Tarif - z - "der vornehmen zu lasten auf dem Gebiete der der anderen ' «t l i ch e n U n t - r n e h m.. n g en. Auf
regieruna da?/i in Kreisen der Reichs-
Tarifgehärterv°^7^Eer Eingriff auch bei den
werden wüst« Um ^'"löhnen »vrgenommen
Wendung -er' NotverorV"^ ^er durch eine schematische An-
Mer eine unterst- Grenze se^^ w'eröe^ ^ Arveitneh- Die der Fleischpreise,
üb«» -ie VerbilliaunaEz Velchsernährungsministerinm »ab man b!s7 7 7 KlOschpreise sind soweit gediehen, Verbilligung reck»«, - Minder mit dem Inkrafttreten der Handlungen Vordergründe der Ber-
mlt den Fachkreisen steht die Verbilligung von
Fleisch für Erwerbslose und Unterstützungsempfänger. Hierfür hat das Reich einen Betrag von 1b Millionen zur Verfügung gestellt, die zur einen Hälfte aus -en Erträge« des Maismonopols kommen, zur anderen Hälfte von der Osthilfe und vom Reichsfinanzministerium getragen werden. Darüber hinaus soll aber auch eine allgemeine Preisfen- kungsaktion für Fleisch durchgesührt werden.
Bor dem Ende der freie« Arztwahl.
Zu einer Erklärung, die Ministerialdirektor Nieser ii Haushaltsausschuß des Reichstages über die bevorstehenl Notverordnung bezüglich der Krankenversicherung abgegeben hat, erfährt die Telegraphen-Union ergänzend: Nach dieser Notverordnung wird der ReichSausschuß für Aerzte und Krankenkassen künftig nicht mehr Richtlinien, sondern Bestimmungen über das Vertragsrecht zwischen Aerzten und Krankenkassen und Zulaffnngsvestimmungen herausgeben. Dabet wird verfügt, daß di« bisherige Zahl 1 z» 1000 geändert wird in 1 zu 600, wobei eine zeitweise Aufhebung dieser Ziffer tdas bedeutet vermehrte Zulassung der Jungärzte) für alle bis zum 1. Oktober 1981 in der Arztliste eingeschriebenen Aerzte möglich ist. Die Gebühren der Krankenkassen für die Aerzte find an die kaffenärztltchen Organisationen abznführen. Damit ist die Verpflichtung -er Kaffe gegenüber dem Einzelkastenarzt erloschen. Außerdem wird verfügt, daß die Paragraphen 868 bis 371 der Reichsversicherungsordnung aufgehoben werden, soweit die Bestimmungen des Reichsanöschnsses ihnen entgegenstehen.
Gegen Mißbrauch der Waffen
Die Reichsregierung beabsichtigt, durch eine Notverordnung die Länderrcgierungcn nötigenfalls zu ermächtigen, Maßnahmen gegen Waffenmißbrauch zu ergreifen. Vorgesehen ist u. a. ein«. Anmelde- und Ablieferungspflicht für Waffen, desgl. möglicherweise «ine Konzesstonspfltcht für Waffcnhandlnngcn.
Tages-Spiegel
Die Einberufung des Reichstages wurde gestern im Aelte, steurat mit einer schwache« Mehrheit für die Reichsregie, rung abgelehnt.
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De« Reichskanzler empfing gestern «rneut die Führer de« Sozialdemokratie. Ein« Entscheidung diese« Partei ist erst «ach Bekanntgabe -er neue« Notverordnung -« ermarte«.
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Di« Reichsregierung beabsichtigt, zwangsweise eine« politischen Burgfrieden vom S». Dezember bis S. Januar Lnrchznstihren, d. h. alle politischen Kundgebungen werde« »erboten.
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In der kommenden Notverordnung wird eine gleichzeitige Inangriffnahme der Preis- «nd Lohnsenkung vorgesehen sein.
»
Di« Zollsehde zwischen England «nd Frankreich nimmt schärfere Formen an, so daß sich der englische Handelsminister im Unterhaus z» einer Verwarnung Frankreichs veranlaßt sah.
»
Im amerikanischen Kongreß werden ln nächster Woche die Verhandlungen über die Dauer des Hooverseierjahres beginne«.
Wachsender Abmangel bei der Reichsbahn
Im Oktober 71^ Millionen ^-6 Mehrausgabe«
TU. Berlin, S. Dez. Nach dem Bericht der Deutschen Reichsbahngesellschaft bestanden die durch die allgemein« wirtschaftliche Notlage hervorgerufenen Hemmungen für den Reichsbahnverkehr unverändert fort. Beim Güterverkehr betrug der Rückgang gegen Oktober ISA) 11.4 Prozent und gegenüber dem Oktober 1929 sogar 25 v- H. Der Personenverkehr nahm der Jahreszeit entsprechend weiter ab. Der Berufsverkehr blieb hinter dem Vormonat zurück. Der Ausflugs- und Wochenendverkehr war nur schwach. V
Die Betriebseinnahmen stellten sich im Oktober auf insgesamt 886 788 MO die Ausgaben betrugen insgesamt 497 AI 900 Für Oktober ergibt sich somit ein« Mehrausgabe von 71,5 Millionen Die durch die Betriebseinnnahmen nicht gedeckten Ausgaben erhöhen sich damit für die ersten zehn Monate des Geschäftsjahres auf 80 6, ,1 Millionen Der Personalftand betrug im Oktober ein sch l. der Zeit- und Aushikssarbeiter 675 681 Köpfe.
Französische Drohung in der Tribulfrage
Eine Hetzrede Franklin Bouillons.
TU. Paris» 5. Dez. Der Abg. Franklin Bouillon hielt auf einer Versammlung der radikalen Bereinigung eine außenpolitische Rede, in deren Verlaus er auf -ie Notwendigkeit zur Bildung einer Einheitssront zwischen Frankreich, Amerika und England hinwies, um Deutschland zu zwinge», feine Schulden zu bezahle». Deutschland müsse gezwungen werden, eine Amortisationskaste zu gründen, die sich auf die Zoüeingänge und Tabaksteuer stütze und die es ihm erlaube, auch in 1V oder 1ü Jahren seine Schulden in Höhe von 210 Milliarden. Fran- ken zu bezahlen.
In Paris ist erneut der Plan anfgetaucht, auf -er kommenden Tributkonferenz Deutschland) zu einer Verwen- ng des sogenannten Fluchtkapitals für die Rückzah- ahlung der kurzfristigen Kredite, aber auch «euer Reparationen, zu veranlassen. Man will der Reichsbank die Handhabe geben, über einen Teil der deutschen AuslaHiGgpt» haben zu verfügen, und zwar in Höhe von etwa Ich Milliarden Mark. . ' ,
Moskau befürchtet neu<Verwicklungen
im Ferne« Oste«
TU^AKoska« tüber Kowno), ö. De» In russischen amtlichen Kreisen will man nicht verheimlichen, daß die Ergebnisse der Pariser Beratungen des BölkerbundsratS »wenig dem Interesse des Friedens im Fernen Osten dienen" und daß man jetzt weitere Ereignisse erwarten müsse, die unbedingt auch Rußland in Mitleidenschaft ziehen würden. Durch starken Einspruch der USA. und England fei eS gelungen, die japanische Offensive gegen Kintschau zum Stillstand zu bringen. Das japanische Vorgehen in der Nordwärts schurrt sei aber nicht abgeschlossen und '"At Paris lege man wenig Wert daraus, das japanische Vor- -rLWen in der Mandschurei aufzuhalten. Es sei nun zu erwarten, daß sich Japan auf Kosten der Norbmandschnret schadlos halten werde. Die Arbeit des geplanten Untersuchungsausschusses werde auf die militärischen Operationen Japans tn der Umgebung der chinesischen Ostbahn keinen Einfluß haben.