Aus Stadt «ud Land.

Lalu», den 30. Juni 192b.

Der 3ult.

Mit dem Eintritt des Juli, des 7. Monats des Jahres, findet die erste Jahreshälfte ihren Abschluß. Das Jahr bewegt sich damit wieder auf dem absteigenden Ast. Im alten Rom nahm der Juli nach damaliger Zeitrechnung, die den März als ersten Monat zählte, die 5. Stelle ein. Der Juli war derQuin- tilis". Seit 14 n. Chr. wird der Monat nach Julius Cäsar, dessen Geburtstag in den Quintilis fiel, Julius oder kurz Juli genannt. Nach einer anderen Version steht der Juli wie das Julfest der nordischen Völker mit der Sonnenwende im Zusam­menhang. Die germanischen Sprachen sprechen von ihm als dem Heumonat (Heuert), weil in dieser Zeit gewöhnlich überall die Heuernte zu Ende geht. Mit Beziehung auf den Beginn der Ernte überhaupt oder unter dem Eindruck der abgeernteten Fel­der wird er auch als Ernte- oder Brachmonat bezeichnet. Unter seinen 31 Tagen führt der Juli als Lostage den Maria-Heim­suchung- am 2., den Sieben-Brüdertag am 10., den St. Marga­retentag am 13. und den St. Jakobstag am 25. Juli. Julisonne und Juliregen bringen die Ernte zum Reisen. Die Julisonne wird zwar in diesem Jahr kaum heißer brennen kön­nen als die Junisonne, aber dies genügt vollauf, um den Land­leuten die schwere Feld- und Erntearbeit viel Schweiß kosten zu lassen. Aus den steinernen Gefängnissen der Städte, besonders der Großstadt, fliehen die Menschen ins Gebirge, Höhenkurorte, Bäder und Erholungsheime, um der drückenden Hitze zu ent- geben. Auch all diesen Stätten der Erholung läßt so der Juli, der mit dem August die Hauptferienzeit bildet, ihre Emte rei­fen. Zauberhaft schön sind die Morgen und Abende in der Natur, besonders aber die Julisommernächte. Aus den gelben Kornfeldern leuchtet brennend rot der Mohn; der Duft der Ka­stanien- und Lindenblüte beginnt zu verwehen und auch das liebliche Heckcnröschen schickt sich zum Sterben an, während auf den kühlen Bergeshöhen die Distel ihre eigenartige Schönheit entfaltet.

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Ein Aufruf des Deutschen Eoang. Kirchenausschusses zur

Wohnungsnot.

Der in Eisenach versammelte Deutsche Evang. Kirchenaus­schuß, das Vertretungsorgan der sämtlichen im Kirchenbund zu­sammengeschlossenen Landeskirchen Deutschlands, hat nach ein­gehenden, tiefernsten Beratungen einstimmig eine Kund­gebung zur Wohnungsnot erlassen. Darin weist er auf die er- Mütternden Berichte hin, die auf eine Umfrage in verschiedenen Reichsteilen eingelauscn sind und hebt namentlich die furcht­baren seelischen Wirkungen der Not auf die Jugend, die Ar­beit?- und Lebenslust und das religiöse Leben hervor. In der Bekämpfung der Wohnungsnot erblickt er den Ausgangspunkt aller sozialen Fürsorge, die erste und vornehmste soziale Pflicht. Traft aller vorhandenen Schwierigkeiten könne unter Zurück­stellung aller Sonderinteresien gegen die Wohnungsnot mehr geschehen. Durchgreifendes aber werde nur durch eine um­fassende Herstellung neuer Wohnungen und durch die Förve- rung des Wohnungsbaus mit öffentlichen Mitteln zu errei­chen sein.

Das Zusammenschmelzen der Familie.

ep. Sehr aufschlußreiche Ergebnisse fördert eine kürzlich von der Stadt Zürich aufgelegte Geburtenstatistik zu Tage, die weithin Wohl auch auf deutsche Verhältnisse Anwendung findet. Darnach ist seit der Jahrhundertwende die Durchschnittszahl der jährlichen Eheschließungen von 1720 auf 2 043 gestiegen, gleich­zeitig aber die der ehelich lebendgeborenen Kinder von 4 217 auf 2 461 gefallen, allerdings auch die Säuglingssterblichkeit von 15,4 auf 5,8 Proz. zurückgegangen. Fast 30 Proz. der stehenden Ehen waren nach der Berechnung vom Jahr 1920 kinderlos. Die durchschnittliche Kinderzahl der nicht kinderlosen Familien betrug vor 30 Jahren 2,5, 1920 noch 2,12. Ueberraschend ist es, daß die oberen Stände (Fabrikanten, höhere Beamte und Akademiker usw.) die wenigsten, die Mittelklassen (Lehrer,, mitt­lere Beamte, Privatangestellte) die meisten kinderarmen Familien aufweisen. Die größte Kinderzahl hat allerdings die unterste Klasse (ungelernte Arbeiter) mit durchschnittlich 2,24, die kleinste wiederum die mittlere mit 1,93. Dieser Geburtenstc. .d, der in

erster Linie auf die bewußte Geburtenverhinderung zurückzufüh­ren ist, hat zur Folge, daß heute in Zürich die kinderlose und kinderarme Familie die Normalfamilie ist. Diese Zahlen aus der Schweiz, wo die äußere Not weit geringer war als in Deutschland, weisen darauf hin, daß der Geburtenrückgang nicht nur wirtschaftliche Gründe hat, sondern auch mit der Lebens­auffassung zusammenhängt. Gegen den Schwund der Familie muß daher sowohl Gesinnungspflege wie Fürsorge für bessere äußere Daseinsbedingungen eingesetzt werden.

Wetter» für Mittwoch und Donnerstag.

Der Hochdruck im Norden kommt nicht zur vollen Geltung, weil sich über Mitteleuropa immer noch vereinzelte Teiltiefs be­finden. Für Mittwoch und Donnerstag ist wohl mehrfach auf­heiterndes. aber zu vereinzelten Strichregen geneigtes Wetter zu erwarten.

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(SLV.) Stuttgart, 29. Juni. Auf Veranstaltung des Würit. Frontkämpferbundes versammelten sich gestern nachmittag auf dem Schloßplatz über 600 Kriegsbeschädigte, um in 160 Per­sonenautos und 30 Lastkraftwagen eine schöne Fahrt über die Solituderennstrecke nach der Solitude zu machen. Ein Wagen des außerordentlich langen Zuges war originell mit einem großen eisernen Kreuz verziert, auch die übrigen Wagen rvaren geschmückt. Auf der Solitude erhielten die Kriegsbesäuidigten freie Beköstigung. Dort wurden sie auch von dem Präsidenten des Frontkämpferbundes, Oberst Freiherr von Gemmingen, be­grüßt, während die Grüße des Staatspräsidenten Oberregie- rungsrat Köstlin Lberbrachte. Abends wurde nach Absingen des Deutschlandliedes die Rückfahrt angetreten.

(SCB.) Stuttgart, 29. Juni. Sonntag abend fuhr auf dem Hauptbahnhof der letzte Zug nach Leonberg dem zur Abfahrt bereitstehenden Böblinger Zug in die Flanke. Eine Maschine wurde aus dem Gleis geworfen und mehrere Wagen beschädigt. Erst mit zweistündiger Verspätung konnten diese letzten Züge nach Böblingen und Leonberg abfahren. Der Packwagen des Böb­linger Zuges, in dem sich glücklicherweise keine Personen be­fanden. wurde zertrümmert. Der Sachschaden ist nicht un­bedeutend.

(SLB.) Ergenzingen, 29. Juni. Am Samstag abend ent­gleisten auf dem hiesigen Bahnhof infolge falscher Weichenstel­lung drei Wagen eines Gllterzuges. Personen kamen nicht zu Schaden, doch war die Strecke eineinhalb Stunden lang ge­sperrt. Der Abendzug nach Stuttgart und der Mailänder Schnellzug erlitten einstündige Verspätungen. Der Material­schaden ist gering.

(SCB.) Heilbronn, 29. Juni. Heute früh ist die Arbeiter­schaft der Nahrungsmittelwerke C. H. Knorr in den Ausstand getreten. Es handelt sich um Lohnfragen. Im Streik sind ca. 800 Personen. Die Belegschaft der Firma M. Drehfuß und Söhne befindet sich seit heute im Streik.

(SCB.) Ncutliugen, 29. Juni. Am Sonntag abend wurde der letzte Zug. der eben in Honau aus der Station fuhr, im letzten Drittel von einer Lokomotive in der Flanke augefahre». Die Lokomotive sowohl, als auch der 3.-Klassewagen schoben sich durch die Wucht des Zusammenstoßes gegenseitig in die Höhe, und wenn der Wagen nicht aus der anderen Seite eine Stütze am erhöhten und mit Randsteinen versehenen Bahnhofskörver gesunden hätte, wäre er wahrscheinlich umgekippt und mit ihm der Bor- und Nachwagen. Di« Zugsinsassen sprangen teilweise aus den Fenstern. Die Sache wurde dann lautGeneral­anzeiger" mit Humor ausgesaßt..und Männlein und Weiblein, teilweise mit noch recht kleinen Kindern, machten sich alsbald zu Fuß nach Station Lichtenstein aus, wo ein Hilfszug von Münsingen her di« Fahrgäste aufnahm und weiter beförderte.

(STB.) Schnaitheim a. Br., 29. Juni. Die Breuztalentwäs- serung zwischen hier und Heidenheim ist beinahe vollendet und demnächst wird der Umbruch des Wiesengeländes vor sich gehen. Hiezu hat die Zentralstelle für die Landwirtschaft einen Dodenfräfer und die Firma Siemcns-Schuckert-Berlin einen Zweischarmotorpflug zur Verfügung gestellt.

(SCB.) Gmünd, 29. Juni. In der AmlSversammlung wurde die Frage der Erwerbung des alten Garnisonslazaretts mit anliegenden Grundstücken als Bauplatz für ein Bczirkskran- kenhaus behandelt. Der Vorsitzende, Oberamtmann Paradeis, besprach eingehend die schwierigen Verhandlungen^ die schließ­lich doch zu einem annehmbaren Ergebnis führten. Hienach lei­stet der Bezirk für ein militärisches Gebäude an der Bismavck- straße 165 000 Mark und stellt einen Bauplatz von 2800 qm zur Verfügung, den die Stadt abtritt.' Der mit dem Garnison?-

lazarett eingetauschte Platz umfaßt 14 000 qm. Die Erstellung eines Amtskörperschastsgebäudes wird bis zum nächsten Jahr zu­rückgestellt. Im Laufe der Aussprache wurde verschiedentlich der Sparerlaß der Regierung bemängelt. Es soll ein Protest an die Regierung ergehen mit dem Hinweis daß die Lasten der Wohlfahrtspflege auf die Dauer nicht tragbar seien.

(SCB.) Göppingen, 27. Juni. Die Stadt Göppingen be­findet sich in sehr mißlichen Finanzverhältnissen und scheint zu den Städten zu gehören, die das Sparen noch nicht gelernt ha­ben. Stuttgart und Heilbroim haben eine lüprozentige Um­lage beschlossen. Nach der Göppinqer Zeitung ist von einer halbamtlichen Stelle die Notwendigkeit emer 40prozentigen Um­lage berechnet worden. Darüber mag ja das letzte Wort noch nicht gesprochen sein, aber immerhin rechnet selbst der Stadtpflc- ger mit einer sehr erheblichen Umlage, die schon dadurch bedingt ist, daß allein zur Aufbringung der Amtskörperschaftsumlage etwa 7,2 Prozent und zur Deckung des Abmangels des Vor­anschlags für Wohnungsfürsorge ohne den Aufwand zu den städtischen Bauten etwa 6 Prozent Cemeindeumlage nötig sind.

HSEB.) Geislingen, 29. Juni. Am Sonntag mittag unter­nahmen vier Sportfreunde eine Klettertour auf die Löwin bei der Pumpstation. Der eine war bereits glücklich oben an­gelangt, während ein zweiter, der 24 Jahre alte Kaufmann Schwarz, ein geübter Alpinist, fast den Gipfel erklommen hatte, löste sich ein Stein des Felsen los und der Bergsteiger stürzte in die Tiefe, sich auf einem Vorsprung noch Überschlagens», so daß er sofort tot war. Er hatte sechs Wunden am Kopfe cr balten und das Genick gebrochen. Vorigen Sommer ist an de- selben Stelle ein junger Mann aus Stuttgart ebenfalls tödtto vkrunttiiclt. Klctterpartien an derLöwin" sind wegen Kc- fabr d..' Ausbrechens von verwitterten FelSsiücken sehr gesähr- lich.

wp. Vom Bodcnsee, 29. Juni. In den höheren Lagen de- Berge ist cs seit einigen Tagen fast winterlich kalt geworden Es fiel Schnee bis zur Höhe von 1900 bis 2000 Meter he>" und die Temperatur stand vielfach auf dem Gefrierpunkt. D ' Wetterstation auf dem Säntis meldete gestern 3 Grad Käile und fortdauernden Schnccsall.

Aus Geld-,

Volks» und Landwirtschaft.

Berliner Briefkurse.

1 holländischer Gulden 1686,.1 Ma.

1 französischer Franken 193,0 Ma.

1 schweizer Franken 816.7 Ma.

Börsenbericht.

(SCB.) Stuttgart, 29. Juni. Die Börse lag heute wieo. schwächer, doch waren die Kursrückgänge gering. Zum Sch;: - gb cs eine leichte Besserung.

Landesproduktenbörse. ^

(SCB.) Stuttgart, 29. Juni. Trotz der etwas zurückgegan­genen Kurse Amerikas ist bald greifbare Auslandsware nicht billiger geworden. Die Umsätze beschränken sich auf den nötigen Bedarf. Die Preise sind unverändert. Weizen 2124. Sommer­gerste 2124, Roggen 20,5022, Hafer 1621,50, Weizen­mehl 3840, Brotinehl 3234, Kleie 1212,50, Wiesenhrr (Ernte 1924) 67, Kleeheu (Ernte 1924) 78, drahtgereßtcs Stroh 4,505 Mark, je 100 Klg.

Schweinepreise.

Aalen: Milchschwcine 35-40 Mk. Hall: Milchschweine 30 bis 40, Läufer 4565 Mk. Heilbronn: Milchschweine 25 bis 35, Läufer 4060 Mk. Herrenberg: Milchschweine 3542.50, Läufer 4865 Mk. Vaihingen a. E.: Milchschweine 2843, Läufer 60 Mk. Ravensburg: Läufer 3555, Ferkel 2635 Mk. je das Stück.

Fruchtpresse.

Geislingen a. St.: Gerste 12, Haber 11 Mk. Ravensburg: Weizen 11.5013.50, Dinkel 92510.75, Roggen 11.75, Gerste 11.75, Hafer 11.2512.50, Viktoriaerbfen 1315.50, Speise­erbsen 12.5013, Linsen 1316, Weizenmehl 1919.50, Rog­genmehl 15.5016, Weizenklei« 6.50, Roggenkleie 8.507. Repskuchcn 7.807.90, Leinkuchen 11.2513.50, Wiesenheu 1.7S bis 1.90, drahtgepreßtes Stroh 1251.50 Mk. Reutlingen: Weizen 1414.80, Gerste 121420, Haber 1213, Unterländer Dinkel 910 Mk. Ulm: Weizen 12.3513.50, Kernen 13 bis 13.70, Roggen 11.30 bis 11.50, Gerste 1112.50, Haber alt 12.80, neu 10.7012 Mk.. je der Ztr.

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Vergib.

Original-Roman von H. Courths-Mahler 40. Fortsetzung. (Nachdruck verboten.)

»Daß weiß ich, Baby, und das gefallt mir so an dir. Manchmal muß ich diese jungen Damen mit dir Vergleichen und dann sage fth mir: Nein, die Lori, hie tp doch ein ganz anderer, goldiger Mensch, so rein und wahr und so gesund und klar. Ein prachtvolles Vlädel bist du, wahrhaftig! Und noch etwas bist du, Baby, soll ich dir's sagen?«

Wieder nickte sie stumm. Sie hätte ausjauchzen mögen, und doch weinen, weinen ohne Ende.

.Also, mein Gewissen bist du, Baby! Mein leib­haftiges Gewissen! Wenn ich irgendwo auf Abenteuer ausgehe, überhaupt bei allem, was ich tue, frage ich mich immer erst: Wirst du das der Lori sagen können? Und wenn ich mir dann sagen muß: Nein, das kannst du ihr nicht sagen, dann weiß ich, es ist schlimm, und dann lasse ich's sein. Siehst du, so stehe ich unter deinem Einfluß, auch wenn ich nicht bei dir bin. Was sagst du nun, Baby?«

Loris Augen schimmerten feucht. Seine Worte- sten ein tiefes Glücksgefühl in ihr aus.

»Stolz bin ich, Hans-Georg, daß ich dir so viel gelte.«

Er nickte stolz.

»Nun mußt du mir noch alle meine Torheiten ver­geben, Schwesterlein.«

Da strich sie ihm lächelnd über daS offene Glicht, .has zuweilen noch einen knabenhaften Ausdruck haben konnte, obgleich er schon im dreißigsten Jahre stand. -Und leise sagte sie: »Man kann dir nicht böse sein, ,Hans-Georg, denn dein Herz ist ohne Arg.«

Er küßte ihre Hand zart und andächtig. Aber *ann zuckte es gleich wieder über sein Gesicht.

»Gottlob; mein Gewissen ist nun wieder beruhigt.«

Sie schüttelte den Kopf, er aber lachte fröhlich c.uf.

»Ach Baby, komm ins Haus, geh zu Vater unv laß dich ausschelten wegen deines Auskneisens. Ich ziehe mich rasch um und komme dann zu euch.«

Er führte sie im Sturmschritt durch den Garten und schob sie durch die Pforte ins Haus.

Während Lori ihren Pflegevater aussuchle, sprang er in großen Sätzen die Treppe empor zu seinen Zim- mern, wo sein Diener bereits alles zum Umkleiden zu­rechtgelegt hatte.

»

Wie immer, wenn HanS-Georg zu Hause war. ging ein frischer, froher Zug durch ganz Hohenstein. Singend und pfeifend eilte er durchs Haus, sein La­chen schallte aus allen Ecken. Für jeden hatte er ein aufmunterndes Wort, für jeden einen Scherz, ein lusti­ges Necken. Mutter Klinischen lachte über das ganze Gesicht, wenn er in die Küche kam und Allotria trieb; die Küchenmädchen kicherten; und wenn er es so weit getrieben, daß Mutter Klinischen schalt, dann zog er befriedigt ab. Vom Inspektor bis zum kleinen Reit- knecht hinab war die ganze Dienerschaft wie elektrie- stert, solange er in Hohenstein weilte.

Und mit dem Vater hörte man ihn um die Wette lachen. Tausend Schnurren ließ er los, um den alten Herrn auszuheitern. Nicht selten mischte sich dann ein klares Mädchenlachen anmutig mit den sonoren Män­nerstimmen.

Es war wie «in Wunder seit Hans-Georg im Hause war, hatte sein Vater keine Schmerzen mehr. Mutier Klinischen behauptete freilich, ihr Tee hätte das Zipperlein verjagt, aber das wollte der alte Herr nicht zugeben.

Jedenfalls konnte er schon am vierten Tage nach Hans-Georgs Ankunft auss Pferd steigen und i festen Stiefeln spazieren gehen. Nun wurde die Stimmung im alten Herrenhause noch viel vergnügter. Hans-Ge- org batte ist der Nachbarschaft Besuche gemacht, und nun fehlte es den ganzen Tag nicht an Gästen.

In ven Bekanntenkreisen Hoyenflems herrschte eine anspruchslose Geselligkeit und eine selbstverständliche Gastfreundschaft, wie sie auf dem Lande üblich ist. Auch die Offiziere der nahen Garnison, unter denen HanS- Georg einige Freunde hatte, kamen oft nach Hohen­stein oder auf die nachbarlichen Güter herausgerttten. Man besuchte sich ohne Umstände. Kamen mehrere Herrschaften zusammen, dann wurde ein kleines Fest arrangiert. Dazwischen gab es auch eine formelle Einladung zu einem Diner, einem Gartenfest, einem Hausball, wo eine größere Anzahl von Gästen zusam­mentraf. Aber immer herrschte eine zwanglose Fröh­lichkeit.

Hans-Georg war überall dabet, meistens in Gesell- schaft seines Vaters und Loris. Am meisten hielt er sich in Lankwitz auf, dem nach Westen an Hohenstein grenzenden Gut des Herrn von Lankwitz. Dieser be­saß einen Sohn und zwei Töchter. Die älteste Toch­ter Lena war an den Freiherrn von Glasenapp ver­heiratet, der dem Auswärtigen Amt angehörte. Leo Lankwitz war zwei Jahrs jünger als Lena, die drei- big Jahre zählte. Hans-Georg und Leo waren be­freundet, so wie ihre Väter befreundet waren. Traute, die jüngste Tochter, zählte zwanzig Jahre und war ein bildhübsches, blondes, zartes Persönchen.

In Lankwitz herrschte ein ziemlich steifer Ton. Frau von Lankwitz war in ihrer Jugend Hofdame der Prinzessin Amalie gewesen, die am herzoglichen Hof mehr gefürchtet als beliebt war. Die Herrin von Lankwitz hielt auch heute noch auf strengste Etikette, hrer kaltherzigen Natur war der zeremonielle Ton edürfnis, und ihre Angehörigen beugten sich ihrer Macht, teils aus Ueberzeugung, teils um ves lieben Friedens willen. Herr von Lankwitz litt unter diesem Ton, aber seine friedliebende Natur hatte nach einigen vergeblichen Versuchen, Gemütlichkeit um sich zu ver­breiten, Nein beigeben müssen.

(Fortsetzung folg«.)