Die nächsten Aufgaben der Reichsregierung

Gegenwärtig erwartet man allenthalben ein Programm der rettendenNationalen Selbsthilfe" und erhofft davon eine klare Zielrichtung. Nationale Selbsthilfe heißt jedoch nichts weiter als Arbeit und Vertrauen. Arbeit zu schaffen und Vertrauen zu erwecken, diese Aufgaben sind jetzt -er Reichsregierung gestellt.

Zunächst muß das Vertrauen in den Zahlungsverkehr wieder hergestellt werden. Die Folgen der Zahlungssperre machen sich im Mißtrauen gegen die Währung bemerk­bar. Alle Hinweise auf die Stabilität der Währung, auf die Deflation, sind nicht durchgreifend genug. In Währungsdin- geu appelliert man vergeblich an die Vernunft. Der freie Zahlungsverkehr ist der beste Schutz der Währung. Schutz der Währung ist die erste Voraussetzung einer wirksamen Selbsthilfe. Das Schwergewicht der Selbsthilfe liegt auf kreditpolitischem Gebiet. Das Kredttvolumen ist infolge der Kreditabzüge eingeschrumpft. Es kommt nun alles darauf an, das noch vorhandene Kreditvolumen mit dem höch­sten Nutzeffekt für die Volkswirtschaft zu verwenden. Das kann heute nicht mehr den Banken allein überlassen bleiben. Es muß auch Vorsorge getroffen werden, daß die Banken die Spanne zwischen Soll- und Habenzinsen nicht zu einem Son- üergeschäft benützen. Die hohen Zinse» sind, sobald sie ihre Wirkungen erfüllt haben, abzubauen. Der hohe Dis­kontsatz darf nur währungspolittschcn Zwecken dienen und nicht dazu, wie es einige Anhänger einer Eisenbartkur ver­langen, eine Verschleuderung deutscher Warenlager ans Aus­land zu erzwingen, um den Devisenbestand zu stärken. Die deutsche Wirtschaft wird sowieso die Ausfuhr steigern müssen. Aber sie noch darüber hinaus unter einen erhöhten Zwang zu stellen, heißt deutsche Werte verschleudern, heißt aber fer­ner, das Ausland veranlagen, besondere Sperrmaßnahmen zu ergreifen. Merkwürdig, daß gerade die Kreise den er­höhten Zwang befürworten, die sonst alles verdammen, was den Protektionismus fördern könnte. Der Devisenbe­stand muß dadurch vergrößert werde», baß Deutschland sich vorübergehend auf die Einfuhr der notwendigsten Rohstoffe beschränkt. Der Mangel an Devisen wird die Einfuhr teil­weise von selbst drosseln. Es ist gut, daß das Ausland merkt, wie wir uns cinschränken. Von ausländischen Finanzleuten ist uns oft genug vorgehalten worden, daß wir zu üppig leben und zuviel Devisen für unnötige Einfuhrwaren ver­brauchen.

Ebenso bedenklich wäre es, die schmale Kreöitbasts allein durch Lohn- und Gehaltsabbau zu verbreitern. Zwei­

fellos werden auch die Löhne und Gehälter noch etwas ge­senkt werden. Dieser Abbau hat aber eine Grenze; sie ist für einige Lohnkategorien schon erreicht. Und er muß von allge­meinwirtschaftlichen Gesichtspunkten aus erfolgen und nicht, um abbaureife Teile des Produktivnsapparates am Leben zu erhalten oder um eingefrorene Bankkredit« aufzueisen. Die Krisis wird auch Industrie und Handel zur Revision ihres wirtschaftlichen Handelns veranlassen müssen, wenn die Selbsthilfe wirksam sein soll. Das gilt besonders für Sie Aktiengesellschaften. Es würde Vertrauen erwecken, wenn die Aktiengesellschaften und die Banken gemeinsam die Abänderung des Aktiengesetzes forderten. Der Aktionär muß wieder zu seinem Recht kommen, er muß sich auf den Aufsichtsrat verlassen können. Der Kapitalmangel ist nicht allein an der Schwäche des Aktienmarktes schuld. Die Finanzierungs- und Divtdendenpolitik der Vorstände, die mangelhafte Publizität hat große und kleine Kapitalbesitzer aus der Aktienanlage flüchten lassen. Auch die Kapitalflucht ist teilweise aus dem Bertrauensschwund zu erklären. Der Aktionär will als Kreditgeber nicht von den Banken ver­drängt werden, er wendet sich gegen die Selbstfinanzierung der Gesellschaften, wodurch ihm seine Rente gekürzt wird. Die Selbstfinanzierung verleitet aber auch zu Fehlinvestitionen und führt zu Preissteigerungen, zu Preisbindungen. Der freie Wettbewerb muß wieder Raum gewinnen, sonst schaden Lohnherabsetzungen mehr als sie nützen.

Die Finanzlage des Reiches und der Kom­mun e n ist in den letzten Wochen nicht besser geworben. Wir müssen beim Reich und bet den Kommunen mit Fehlbeträgen rechnen, die mit zwei Milliarden nicht zu hoch geschätzt find. Die Zahl der Arbeitslosen wird im Herbst und Winter noch ctioas steigen, denn die Selbsthilfemaßnahme» wirken nicht sofort. Es ist wohl jedem klar, daß alle diese Ausgaben nicht durch Gehaltsabbau cingebracht werden können. Es ist des­halb dringend erforderlich, daß Reich, Kommunen und Län­der sofort ihre Ausgaben für 1931-32 um 18 v. H. kür­zen. Sage niemand, daß bas unmöglich ist. Es ist alles mög­lich. Die nationale Selbsthilfe darf an den öffentlichen Haus­halten nicht scheitern. Das Vertrauen des In- und Aus­landes kann sofort gehoben werden, wenn die Der wal­tu ngsreform energisch in Angriff genommen wird.

Der Komplex der nationalen Selbsthilfe ist so ineinander­geschachtelt, baß man nicht diese oder jene Maßnahme einzeln in Angriff nehmen und mit den anderen warten kann. Hier heißt es, Zug um Zug zu handeln.

Städte in Not

Duisburg-Hamborn in Schwierigkeiten

Essen, 21. August. Die Stabt Duisburg-Hamborn ist durch die Stillegungen der Industrie, unter anderem beson­ders der Hütte Ruhrort-Meiderich, in eine äußerst schwierige Finanzlage geraten. Der Regierungspräsident in Düssel­dorf hat deshalb zum Ausgleich des Stadthaushaltes einen Zuschlag von 200 Prozent der Bürgersteuer an­geordnet. Es wird also das Dreifache des Lanöessatzes an Bürgersteuer erhoben.

Die Stadt Solingen hat an sämtliche im Ruhestand lebenden Beamten, Angestellten und Arbeiter den dringen­den Appell gerichtet, zum mindesten jetzt jedweden Doppel­erwerb einzustellen. Die ungeheuer große Erwerbslosigkeit mache das Doppelverbienen zu einem Ver­brechen am Volke. Es müsse in erster Linie von den städ­tischen und staatlichen Pensionären verlangt werden, daß sie einsichtig genug seien, um nicht durch Doppelerwerb die Not­lage noch zu verschärfen.

Die Väter

der Baseler Sachverständiaenbenchte

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Der englische Gutachter Lay ton llinks), nach dem der Basler Bericht seinen Namen trägt, und der amerikanische Vorsitzende deL Vankausschufses Wiggin (rechts).

Frankreichs Vertreter in Genf

^ Par's, 21. August. Das französische Kabinett hielt ge­stern eine Sitzung ab, in der die Teilnehmer für die Rats­tagung in Genf benannt wurden. Als Hauptvertreter gehen Brian d, Flandin und R 0 llin nach Genf, denen die Unterstaatssekretäre im Innenministerium und Ministe­rium für schöne Künste, Cathala und Petsche, sowie der Abge­ordnete Gignoux beigegeben werden. Außerdem wird Mas- sigli der Abordnung angehören.

Lava! unterbreitete ferner dem Staatspräsidenten einen Gesetzeserlaß über die Ernennung des bisherigen Unter­staatssekretärs im Wirtschaftsministerium, Francois Pon­cet, zum französischen Botschafter inBerlin. Der bisherige Botschafter de Margerie wurde gleichzeitig in den Ruhestand versetzt. Vor dem Antritt seines neuen Botschafterpostens in Berlin wird Poncet die französische Regierung im Unteraus­schuß für europäische Zusammenarbeit vertreten- der nm 31. August in Geuf zusammeutrete» soll.

Neuer Kurs in Ungarn?

TU. Budapest, 21. Aug. Am Donnerstagmittag erschienen 10 Mitglieder des Unterhauses und zwei Mitglieder des Oberhauses als Abordnung der Regierungsparteien beim Ministerpräsidenten Graf Bethlen und ersuchten ihn, seinen Entschluß in irgendeiner Form abzuändern und zum min­desten dem neuen Kabinett als Außenminister anzugehören. Graf Bethlen erklärte, er werde eine Regierung des Grafen Karolyi gern mit Rat und Tat unterstützen, jedoch kein Mini­sterium übernehmen, da die Lage des Kabinetts Karolyi viel leichter sein werde, wenn er außerhalb des Kabinetts bleibe.

Der Präsident der Regierungspartei, Paul Pest Hy, er­klärte dem Vertreter der TU., es würden nach dem Regie­rungswechsel weder in der inneren, noch in der auswärtigen Politik Kursänderungen eintreten, höchstens würbe auf wirtschaftspolitischem Gebiet eine Neurich- tu « g eiugeschlagen werben. In unterrichteten Kreisen wer­den die Gerüchte, wonach die Franzosen für die Gewährung der vor einigen Tagen »ustandegekommenen Anleihe poli­tische Bedingungen stellte», als unrichtig bezeichnet. Die Franzosen hätten lediglich eine Sicherung des Haushalts­gleichgewichtes gefordert.

In der ungarischen Presse wird in den Kommentaren zum Regierungswechsel hervorgehoben, die Ernennung des Grafen Karolyi zum Ministerpräsidenten gelte als der beste Beweis dafür, daß in der Innenpolitik keine weitgehende Verschiebung nach links, in der Außenpolitik auch keine Ab­kehr von der italienischen Orientierung und keieie Anpassung an Paris erfolgen werbe. Diesen Behauptungen gegenüber führt aber das rechtsoppositionelle BlattMagyarsag" aus, baß Graf Karolyi ein Franzosensreund sei und seiner Ge­sinnung auch die reservierte Haltung Ungarns gegenüber der deutsch-österreichischen Zollunion zuzuschreiben sei.

Parlamenlseröffnung in Bulgarien

TU. Sofia, 21. Aug. Dieser Tage fand die feierliche Er­öffnung der ersten außerordentlichen Session des Parla­ments durch den König statt. Große Menschenmengen be­reiteten dem König einen stürmischen Empfang. Die 32 Ab­geordneten der kommunistischen Partei versuchten eine Gegenkundgebung. Beim Eintritt des Königs in den Sitzungssaal brachen die Kommunisten in Rufe aus: Nieder mit der faschistischen Regierung. Hoch Sowjet- ru bland". Die Rufe wurden durch den dröhnenden Bei­fall aller anderen Parteien zum Schweigen gebracht. Die Kommunisten verließen darauf demonstrativ den Saal.

Der Inhalt der Thronrede erwähnt die ernsten wirt­schaftlichen Schwierigkeiten und die schlechte Finanzlage, die durch energische Unterstützung der Landwirtschaft und bas Gleichgewicht des Haushalts durch Sparsamkeit und Ein­schränkung der Ausgaben bekämpft werben müßten. Die neue Regierung plane wichtige Maßnahmen zum Ausgleich der Klassengegensätze durch soziale Reformen. In der Innen­politik wird besonders Gewicht auf die Aufrechterhaltuug von Ruhe und Ordnung gelegt. Auf außenpolitischem Ge­biet wird die Notwendigkeit guter Beziehungen zu den Nachbarn und der Freundschaft mit den Großmächten im Sinn« «otweudiger euroväischer Zusammenarbeit betont.

Italienischer Flottenbesuch in Kiel

Der alte Brauch der Vorkriegszeit, daß sich die Flotte« der großen Mächte gegenseitig besuchen, bürgert sich wieder ein. Nachdem erst vor einigen Wochen ein englisches Ge- 'chwadcr in Kiel vor Anker ging, steht jetzt Kiel im Zeichen

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eines neuen Flottenbesuches. Vom 20. bis 28. August statten die italienischen SchulschiffeAmerigo Vespucci" und Christofero Colombo" der deutschen Reichsmarine im Kie- ler Hafen einen Freundschastsbcsuch ab. Die beiden italieni­schen Schiffe sind Segelmotorschisfe, die erst im vorigen Jahr :n Dienst gestellt morden sind. Unser Bild zeigt das Schul­schiffChristofero Colombo".

Spanische Marokko-Sorgen

TN. Madrid, 21. August. Die sozialistische Fraktion der Nationalversammlung hat beschlossen, die Negierung wegen der Lage in Marokko zu interpellieren. Nach dem zuverlässi­gen Bericht eines Abgeordneten sei die Fremdenlegion außer­ordentlich demoralisiert. Außerdem werde Waffenschmuggel in größtem Ausmaße getrieben, so baß eine militärische Kata­strophe wie im Jahre 1921 zu befürchten sei. Auch die kommu­nistische Propaganda nehme im ganzen Protektoratsgebtei täglich zu.

Schwere Kämpfe auf Kuba

TU. Neuyork, 21. August. Wie aus Havanna inoffiziell be» richtet wird, wurde die Stadt Gibara in der Provinz Oriente nach vorausgegangener Bombardierung durch Flug­zeuge und Geschütze von den Bunbestruppen erstürmt. Dabei solle» 600 Soldaten der Regierungstruppen von den Auf­ständischen, die sich aus polnischen, amerikanischen, deut­schen und mexikanischen Abenteurern zusammensetzen, ge­tötet worden sein. In den Straßen von Gibara haben sich fürchterliche Kämpfe abgespielt. Britische Meldungen aus Havanna bringen Einzelheiten über schwere Kämpfe »wischen den Regierungstruppen und den Aufständischen um die Stadt Gibara. Danach sollen sich die Verluste auf beiden Seiten auf 600 Tote belaufen. 200 Aufständische wurden nach heftigem Kampf gefangen genommen.

Ausschreitungen gegen Japaner in Tsingtau

London, 21. August. Nach Meldung aus Tokio kam ei am 18. August abends in Tsingtau (der Hauptstadt des frühe­re« deutschen Pachtgebietes) zu ernsten Ausschreitungen ge­gen japanische Einwohner. 3000 Chinesen hätten mehr als 60 Häuser zerstört, viele Japaner hätten schwere Verletzun­gen erlitten.

Der Arbeitsmarkt in Südwestdeutschland

In der ersten Hälfte des August trat, wie das Lanbes- rrbeitsaint Südwestdeutschland schreibt, die bereits in der »weiten Julthälfte beobachtete, aber damals noch geringfügige Serschlechterung des südwestdeutschen Arbeitsmarktes etwas tärker in Erscheinung. Sie erfaßte nunmehr mit ganz weni- ;en Ausnahmen alle Bezirke und mit Ausnahme des Ver­kehrsgewerbes sämtliche männlichen und weiblichen Berufe. Am ganzen stieg die bei den Arbeitsämtern registrierte Ar- ieitsuchendenzahl von Ende Juli bis Mitte August um 5879 Personen oder um 2H v. H. von 209 410 auf 218 289. Dabei ist )as statistisch festgestellte Restangebot an verfügbaren offene« Arbeitsplätzen auf einen bisher noch nicht verzeichnet«« Tief­land zurückgegangen. Dieser Umstand muß in Verbindung mit den vielen sich noch nicht zahlenmäßig auswirkenden vor­sorglich erstatteten Stillegungsanzeigen und der starken Aus­dehnung der Kurzarbeit als besonders besorgniserweckendeS Moment für Sie weitere Entwicklung des Arbeitsmarktes be­trachtet werben. Die Belastung der versicherungsmäßigen Ar­beitslosenunterstützung hat in der Berichtszeit erstmals wieder eine Zunahme um 1832 Personen erfahren. Die Belastung der Krisenfürsorge ist nicht so stark gestiegen wie in der zweiten Julthälfte, die Zunahme der Krisenunterstützten beträgt aber ebenfalls 1688 Personen. Der Stand der unterstützten Arbeits- losen war nach der Statistik der Arbeitsämter am 18. August folgender: In der versicherungsmäßigen Arbeitslosenunter­stützung 66 936 Personen (53 471 Männer, 13465 Frauen), in der Krisenunterstützung 46 366 Personen (40 638 Männer, 5728 Frauen). Die Gesamtzahl der Unterstützten stieg um 3537 Personen oder um 3,2 v.H. von 109 765 Personen (91826 Männer, 18 445 Frauen) auf 113 M Personen (94 109 Man- ner 19193 Frauen), davon kamen auf Württemberg 46 544 gegen 45107 und auf Baden 66 758 gegen 64 668 am 31. Juli 1981 Im Gesamtbezirk des Landesarbeitsamtes Sübwest- deut'schland kamen am 16. August 1931 auf 1000 Einwohner 22H Hauptunterstützungsempfänger in Ler Arbeitslosen»"- stcherung und Krtsenfürsorge gegen 17,6 zur gleichen Zeit " Vorjahres. Außerdem waren noch rund 33 000 Wohlfahr - erwerbslose vorhanden, die von der öffentliche» Fürs r» unterstützt werde«.