Die Kriegsschuld der Entente-Mächte
Neues zur Kriegsschuldfrage: Poincarä 1912
Der soeben erschienene neueste Band der „Dokuments Dtplomatiques Franxais", der großen französischen Aktenpublikation der Vorkriegsdokumente, umfaßt einen der wichtigsten und entscheidungsreichsten Abschnitte der letzten politischen Entwicklungsstufe vor dem Weltkrieg, nämlich die Zeit vom 8. Februar bis 10. Mai 1912. Der Band enthält im wesentlichen Akten über Balkanfragen, den italienisch-türkischen Tripoltskrieg, die französisch-spanische Auseinandersetzung über Marokko und die Stellungnahme der französischen Regierung zu dem durch Haldane vergeblich unternommenen Versuch einer deutsch-englischen Entspannung.
Besonders ist Poincarö >»sit em« Reihe von Aenßerungen über die letzte Frage vertreten, dir in schärfstem Gegensatz zu seinen zahllosen friedfertigen offWellen Nachkriegsänße- rungen stehen. Seine Mitteilungen und Ergüsse zeigen mit so unverhüllter Klarheit die unbedingte Gegnerschaft der französischen Diplomatie und ihres Führers gegen eine Besserung der damaligen deutsch-englischen Beziehungen, daß sie für sich sprechen und PoincarL als einen der Hauptschuldigen am Ausbruch des Weltkrieges hinstellen. Wir lasse« einige der Aeußerungen hier folgen:
„Parts, 27. März 1912. Deutschland wollte eine Neutralitätszusicherung erhalten, und zwar die einer wohlwollenden Neutralität, was sinnlos ist, denn eine wohlwollende Neutralität ist keine Neutralität mehr. Sir Edward Grey hat abgelehnt, aber er ist gegenwärtig sehr schwach und im übrigen von Parteigängern einer Annäherung an Deutschland umgeben. Ich verstehe seine Politik nicht mehr und bin unruhig. Man muß verhindern, daß diese Erklärung aus- gekruscht wird ... und sie kann es in kurzer Zeit werben, wenn Deutschland darauf zurttckkommt. Wir werden sodann gebunden sein. Man wird von uns die Verpflichtung verlangen, neutral zu bleiben, wenn Deutschland angegriffen wird; wer kann nun dafür bürgen, daß Frankreich, durch eine Mobilisierung herausgefordert oder bedroht, nicht gezwungen sein wird, die Offensive zu ergreifen?"
Am gleichen Tage wie diese an den französischen Botschafter in Petersburg gerichtete Note geht ein Brief an Cambon, den Botschafter in Berlin, in dem es heißt- „Herr Bunau-Varilla hat mich vor ungefähr einem Monat um einen Empfang gebeten. Ich habe ihn empfangen, er hat mit mir von verschiedenen Fragen gesprochen und im Lauf der Unterhaltung mir gegenüber den Gedanken ausgedrttckt, daß, sobald wir in Frieden mit Deutschland wären, mir ihm keinen Vorwand zur schlechten Laune bieten dürften. Ich habe ganz einfach geantwortet, daß meine Ansicht sei, Deutschland wie allen anderen Mächten gegenüber eine freimütige Politik zu treiben. Aber wenn Herr Bunau-Varilla das allzu phantastische Programm ausgeführt oder erraten lassen hätte, das er zusammen mit Herrn Charles Renö ausgearbeitet zu haben scheint, würde ich mich beeilt haben, einen Eifer abzukühlen, der nur gefährlich sein könnte, wenn er sich durch irgendeine positive Handlung motiviert."
Am 28. März 1912 schreibt Poincarö an den französischen
Das „bedrohte" Frankreich
Der gefährliche Panzerkreuzer — Die übliche» Hetzrede« gegen Deutschland.
TU. Paris, 3. Juli. Der französische Senat beriet die Gesetzesvorlage über das Flottenbaüprogramm für 1931-32, und zwar derjenigen Einheiten, die im Programm für 1931 vorgesehen waren, infolge der Flottenferien jedoch nicht zur Durchführung kamen. Die französische Kammer, die sich bereits mit diesem Gsetzesvorschlag beschäftigt hatte, der eine Kiellegung von insgesamt 38 000 Tonnen, insbesondere diejenige eines 25 000-Tonnen-Kreuzers vorsah, hat bekanntlich »ur Kredite für 15 000 Tonnen verabschiedet — und den Bau
Botschafter in London: „Es ist ganz außerordentlich wichtig, baß sich England nicht verpflichtet, zwischen Frankreich und Deutschland neutral zu bleiben, selbst den Fall angenommen, daß der Angriff von unserer Seite auszugehen scheint. Um nur ein Beispiel zu nehmen: Könnte man uns mit Recht die Verantwortung für einen Angriff -uschieben, wenn eine Zu- sammenziehung deutscher Kräfte in der Gegend von Aachen uns zwänge, unsere Norbgrcnze dadurch zu decken, daß wir in belgisches Gebiet einbringen?"
Dementsprechend berichtet der französische Botschafter in London über einen kurzen Besuch, den er in Paris gemacht hatte, am 3. April 1912: „Er (Poincarö) war durch die deutschen Schritte in London außerordentlich beunruhigt. Er hatte wie ich geglaubt, daß die Antwort von Sir Edward Grey auf die von Metternich formulierte Neutralitätserklärung endgültig sein würde sd. h. die Ablehnung), und sich dazu beglückwünscht; aber die Kabinettsentschetdung über diese Antwort scheint ihm nicht ausreichend zu sein
Die Angst vor einer deutsch-englischen Verständigung, der nmn in der französischen Diplomatie ganz zu Unrecht einen geheimen Angriffssinn gegen Frankreich unterlegte, spricht auch aus den Worten des französische» Geschäftsträgers in London, Fleuriau, an Poincarö <4. April 1912): „Der gefährlichste Satz der Erklärung, jener, der hauptsächlich die Bedenken Eurer Exzellenz erregt, ist der, l'lnglaoä 8tmll maüo ao uaprovolcoä attselc upon Osrm»n> (England wird keinen unprovozierten Angriff gegen Deutschland unternehmen). Es ist sehr schwierig, die Worte „«»provozierter Angriff" zu umschreiben, und Deutschland vermag durch seine Haltung, Frankreich dahin zu bringen, gewisse Maßnahmen zu treffen, die den Anschein eines Angriffs haben könnten, wenn sie auch in Wirklichkeit nur Vertcidigungsmaßnahmcn sind. Eine solche wäre zum Beispiel der Einmarsch französischer Truppen auf belgisches Gebiet, den der englische und der französische Generalstab in gewissen Fällen für notwendig erachten ..."
Selbstverständlich stießen die englischen Freunde der Entente in das gleiche Horn, nicht nur Grey; der vielleicht noch ztelbewußtere Gegner Deutschlands im Foreign Office, Nicolson, äußerte sich damals folgendermaßen: „Es ist wahr, daß es viele Freunde Deutschlands in England gibt; es finden sich sogar welche im Kabinett, aber die Regierung ist gesund ..."
Nird Fleuriau, der diese Worte als Teil eines Gespräches berichtet, fügt sodann mit sichtlicher Befriedigung hinzu - „Der Unterstaatssekretär (eben Nicolson) hat mir nicht verhehlt, daß er für seinen Teil sehr zufrieden wäre, wenn ein für allemal Verhandlungen beendet würden, die er für wertlos oder gefährlich hält..."
In Paris also mar man 1912 durch die Möglichkeit einer deutsch-englischen Verständigung „beunruhigt", in London hielt man die Verhandlungen für „wertlos und gefährlich". Werfen derartige Aeußerungen, die man bisher sorgsam geheim hielt, nicht ein sehr merkwürdiges Licht auf die Kriegsschuld der Entente?
des Panzerkreuzers für später zurückgestellt. Der Senat schloß sich mit großer Mehrheit dem Beschluß der Kammer an.
Der Generalberichterstatter führte in seiner Rede aus, es sei wohl gut, den Frieden zu suchen. Dies sei aber kein Grund, einem Deutschland gegenüber abzurttsten, das eine Flotte von Panzerkreuzern von ganz besonderem Wert baue, und einem Italien gegenüber, das im Jahre 1930 00 000 Tonnen vom Stapel gelaffen habe und schließlich gegenüber England, das die Herrschaft auf dem Meer betbehalte. Die Kosten für den vorgesehenen Panzerkreuzer würden sich auf etwa 700 Millionen Franken belaufen. Dafür würde bas Schiff aber auch zwei „Deutschland" wert (l) sein. Der Martnemtnifter bezichtigte Deutschland der Ueberffketnns
des Versailler Vertrages und erklärte, daß dt« ReichSregte» ruug au den Haushaltsplan von 1931 «tuen Anhang gebracht Hab«, der Ersatzbauten für 8 Kreuzer, 25 Torpedoboote und 25 Torpedobootzerstörer vorsehe. Es handelt sich hierbei um die Fotte des Versailler Vertrages mit einer 25prozentige« Erhöhung. Es sei notwendig, diesen Punkt einmal ausführlich zur Debatte zu stellen, um zu sehen, wie Deutschland den Versailler Vertrag entstellt habe. Frankreich brauche sofort ein Schiff, um der „Deutschland" entgegenzutreten und ei» anderes, um einer zweiten „Deutschland" entgegenzutreten. (I) Nur das Auftauchen der „Deutschland" nötige Frankreich zum Bau eines Panzerkreuzers (!). Der deutsche Panzer- kreuzer gebe der deutschen Flotte die Möglichkeit, den Atlan- tik zu beherrschen (I!) und Frankreich die Versorgung mit Petroleum und seine Verbindungen nach Dakar abzuschnet- den. Der Berichterstatter des Marineausschusses ließ sich zu der lächerlichen Erklärung hinreiben, baß Frankreich keine» Rüstungswettlauf wünsche. Wenn man in Deutschland der gleichen Auffassung sei, so möge die Reichsregierung den fertigen Panzerkreuzer „Deutschland" und den bereits begonnenen auf Konto der Sachlieferungen Frankreich zur Verfügung stellen (!).
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Der Verlauf der Flottenaussprache im französischen Senat hat in Berlin stark empört. Bei der Aussprache sind sowohl vom französischen Kriegsminister als auch vom Berichterstatter und anderen Persönlichkeiten Behauptungen aufgestellt ivvrdcn, die an amtlicher Stelle in Berlin als eine groteske Verzerrung der Taffachen bezeichnet werben. Die Flotten- bauten des Reiches, so ivird betont, hielten sichgenau an die Bestimmungen des Versailler Vertrages. Die Bestimmungen seien nicht unter unserer Mitwirkung zustandegekommen, sondern uns unter hervorragender Mitwirkung von Frankreich aufgezwungen worden. Aus dem Verhalten Frankreichs auf der Washingtoner und Londoner Flottenkonferenz gehe hervor, baß Frankreich sich eine stärkere Flotte bauen wolle. Wenn Frankreich die geplanten Bauten durchgcführt habe, werde es der italienischen Flotte üerlegen sein.
Sorgen der Reichsbank
Die Folgen der französischen Taktik.
— Berlin, 3. Juli. Der wöchentliche Ausweis der Neichs- bank ist diesmal wegen seiner Zahlenangaben über den Ulti- moverkehr mit besonderer Spannung erwartet worden. Die NeichSbank hat den Bereitschaftskredit mit 318 Millionen in Anspruch nehmen müssen. Die gesamten Wirtschaftskredite, die in der letzten Juniwoche neu gewährt wurden, belaufen sich auf fast 840 Millionen und die Dcckungsgrenze ist trotz der Hilfe des Kredits auf 40,1 gesunken, also an die unterste Grenze. Insgesamt hat die NeichSbank in den letzten vier Wochen mehr als die Hälfte ihres Vorrats an Gold undDevisenverloren. Das war bei der Ankündigung deS Hoovcr-Programms zur Not noch auszuhalten, weil man einen plötzlichen Umschwung erhoffen konnte. DaS eine haben die Franzosen mit ihrer Taktik erreicht, daß der große Auftrieb des Hooverplanes verloren gegangen ist und daß selbst, wenn jetzt etwas zustande kommt, doch mit einem sehr langsamen Tempo in der Ueber- wtndung der Vertrauenskrise zu rechnen sein wirb. Die Reichsbank steht daher vor der Tatsache, daß sie die Deckungsmöglichkeiten ausgeschöpft hat und bis zum 10. Juli den Kredit von 420 Millionen zurückzahlen muß, während gleichzeitig zum 1. Juli bereits wieder Kündigungen über 500 Millio- nen im Juli fälliger Kredite vorlicgen, deren Prolongation ! von der außenpolitischen Lage abhängt. Die Dinge haben s s-ch also leider so verschoben, daß selbst eine Verständigung wischen den Vereinigten Staaten und Frankreich eine rasche Entspannung kaum bringen wird und daß infolgedessen die . teichsbank aller Wahrscheinlichkeit nach in jedem Fall zu neuen scharfen Restriktionsmaßregeln gezwungen ist.
Schlechte Finanzlage der Reichsbahn
Am 30. Juni und 1. Juli 1931 fand in Berlin die regel- ' mäßige Tagung des Vermaltungsrates der Deutschen Reichs- ^ ' ahngesellschaft statt. Der Generaldirektor wurde ermächtigt» E durch die Notverordnung des Reichspräsidenten zur Siche- -ng von Wirtschaft nnd Finanzen bedingte Kürzung der . Gehälter der R e t ch s b a h n b e a m t e n nach den für ! die Reichsbeamten maßgebenden Grundsätzen durchzuführen. Mit der Reichsregiernng ist vereinbart, daß die dadurch im laufenden Jahre eingesparten Mittel in Höhe von rund 40 i Millionen Reichsmark zusammen mit 00 Millionen Reichs- i mark aus dem Krisenfonds der Reichsregierung voll zur Entlastung des Arbeitsmarktes Verwendung finden.
Die Finanzlage der Reichsbahn bleibt also trotz der Gchaltscinsparnng nach wie vor ernst. Gegenüber den im Jahre 1929 mit 5,4 Milliarden Reichsmark verzcichneten Betriebseinnahmen können die Jahrcscinnahmen für das Jahr 1931 nach den bisherigen Ergebnissen nur auf 4,0 Milliarden Reichsmark geschützt werden, ein Rückgang um etiva 1400 Millionen Reichsmark, d. h. um 26 v. H- Dabei ist vorausgesetzt, daß eine weitere Beeinträchtigung des gegenwärtigen Berkehrsbesitzstandes der Reichsbahn infolge Abwanderung zum Kraftwagen verhütet wird. Die Betriebsausgaben sind auf allen Gebieten aufs stärkste gedrosselt, jedoch konnte auf diesem Wege der Ausgleich der Mindereinnahmen auch nicht annähernd herbeigeführt werden.
Der Verwaltungsrat mußte feststellen, daß selbst bei voller Entlastung der Reichsbahn von der ReparationSstener die Sorge um die Aufrechterhaltung des Gleichgewichtes von Einnahmen und Ausgaben keineswegs behoben ist. Auf jeden Fall muß sich die Reichsbahngesellschaft in der Anf- tragserteiluirg für Beschaffungen und bei Anträgen auf Ta- rlfermäßigung die größte Zurückhaltung auferlegen.
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Das Slresemann-Ehrenmal
Am 4. und 6. Juli wird in Mainz das Stresemann- Ehrenmal eingeweiht werden, dessen Grundstein im Sommer 1930 gelegt wurde. Aus allen Gauen des Reiches sind Spenden und Schenkungen eingegangen. Das Ehrenmal trägt auf
der dem Rhein zugewandten Frontseite die Inschrift: „Gewidmet vom dankbaren deutschen Volk".
Unser Bild gewährt einen Blick in das Innere des Ehrenmals mit der von dem Bildhauer Lipp (Mainz) geschaffenen Marmorbüste des Staatsmannes.