Samstag, 6. Juni 1953

Amtsblatt für den Kreis Calw

Nr. 23 / Seite 3

flts Handarbeiter in den USfi

Erlebnisse junger Deutscher, die im Rahmen des MSA«Austausch" Programms ein Jahr in amerikanischen Betrieben arbeiteten

In einer Eisengießerei des Industriezentrums Birmingham im Süden der Vereinigten Staaten arbeitete 1951 ein junger deutscher Gießer, der nach beendeter Fachausbildung in Deutschland be­schlossen hatte, sich einmal anderen Wind um die Nase wehen zu lassen und seine Kenntnisse und Fertigkeiten in einem amerika­nischen Betrieb zu vervollkommnen. Der Anfang war nicht leicht: sein Englisch ging kaum über die allerersten Grundbegriffe hinaus, an den modernen technischen Einrichtungen des Betriebes war manches fremd, und auch das Alltagsleben in der Neuen Welt stellte einige Probleme. Dennoch gelang es ihm recht schnell, sich in der ungewohnten Umgebung durchzusefeen, und bis sein Praktikanten­jahr um war, hatte er sich so viele Freunde geschaffen, daß ihm die Firma als Abschiedsgeschenk eine goldene Uhr überreichte. Dem deutschen Konsul in Atlanta wurde später berichtet, daß durch den deutschen Gastarbeiter eine ausgesprochen deutschfreundliche Stim­mung in diesem Großbetrieb aufgekommen sei.

Der junge Mann, der seine Heimat im Ausland so glänzend vertreten hat, gehörte mit zu den ersten Deutschen, denen der Internationale Rat für Jugendselbsthilfe e. V., Frankfurt am Main, einen Arbeitsplan für einen einjährigen Aufenthalt im Ausland ver­mittelt hat. Den Anstoß zur Gründung dieser Organisation hatten 1949 ehemalige Amerika-Werkstudenten gegeben, die - heute zum großen Teil in leitenden Positionen in der Wirtschaft, der Verwal­tung und an Hochschulen - aus ihrer eigenen Erfahrung heraus zu wissen glaubten, daß einem jungen Menschen, der zu einer selbst­sicheren, verantwortungsfreudigen Persönlichkeit erzogen werden soll, nichts besser bekommt als ein Aufenthalt in einem fremden Land, in dem er ziemlich auf sich selbst gestellt ist.

Mit Unterstütpmg der amerikanischen Hochkommission konnte sich dann im Spätsommer 1950 die erste Gruppe junger Deutscher - 50 Facharbeiter, Ingenieure und Landwirte - nach den USA ein­schiffen. Ein Jahr später leitete die MSA ihr ProgrammWerkarbeit in den USA ein, in das sämtliche OEEC-Länder einbezogen wur­den. Etwa 210 Deutsche, vomInternationalen Rat aus Tausenden von Bewerbern ausgewählt, fuhren bisher innerhalb dieses Pro­gramms nach Amerika. Die ersten vierzig haben ihr Praktikanten­jahr inzwischen beendet und sind in den leisten Wochen nach Deutschland zurückgekehrt.

Dem Gastarbeiter wird nichts geschenkt . . .

Vergleicht man, was sie zu berichten wissen, mit den Remi­niszenzen der alten Amerikafahrer, so zeigt sich manche Parallele. Der Start des heutigen Auslandspraktikanten ist zweifellos risiko- ärmer als der seines Vorgängers vor 25 Jahren, der einige Mühe hatte, die paar Tausend Mark aufzutreiben, die zur Finanzierung der Ueberfahrt nötig waren. Heute kommt die MSA für die Reise­kosten auf, und für die ersten Wochen bis zur Arbeitsaufnahme zahlt sie ein Ueberbrückungsgeld. Das Einleben in Amerika wird dem Werkarbeiter dadurch erleichtert, daß er, zusammen mit seinen Kollegen aus anderen europäischen Ländern, in einem Studenten­heim wohnen kann und zuerst zwei, drei Wochen lang College­kurse über die sozialpolitischen Verhältnisse und in Englisch mit­macht. Wer den Ehrgeiz hat, sich akademisch weiterzubilden, kann das, sofern ihm die Arbeit Zeit dazu läßt, an diesem seinem Stamm­college durch alle Semester hindurch kostenlos tun. Den ersten Arbeitsplag besorgt ein mit der Betreuung derworktrainees be­auftragter Dozent; die Bezahlung und die Arbeitsbedingungen sind die gleichen wie für den amerikanischen Arbeiter in derselben Position.

Flugscheine und eigenes Auto

Das alles ist ein großes Plus und mag aussehen, als brauche sich der Gastarbeiter nur auf seinenSupervisor am College zu verlassen, der ihm alle Schwierigkeiten aus dem Weg räumt. Doch die rauhe Wirklichkeit sieht manchmal anders aus, denn trog der sorgfältigen Planung gibt es Imponderabilien; im Grunde wird dem Praktikanten von 1953 ebensowenig etwas geschenkt wie dem, der 1928 auf eigene Faust loszog. Entscheidend ist heute wie damals dasStehvermögen, die Fähigkeit, vor nichts zu kapitulieren, in jeder Situation eigene Initiative zu entwickeln und mehr als alles andere: die Bereitwilligkeit, ganz unten anzufangen. Wer das In­genieurzeugnis in der Tasche als Privileg für einenwhite collar job betrachtet, d. h, sich auf einen Plag hinter dem Schreibtisch versteift, mag arg enttäuscht werden. Für viele war und ist der ersteJob ein Hilfsarbeiterposten, aber keiner ist es lange geblieben; wer sich unten bewährt, rückt meist schnell auf einen Plag vor, der seinen Fähigkeiter, °ntspricht.

So wurde ich Transportarbeiter bei den Tomkin Brothers, schreibt ein Schriftseger nach Hause, der nicht gleich Beschäftigung in seinem Beruf finden konnte, weil alle örtlichen Betriebeunion shops waren, die keine nicht-organisierten Arbeitskräfte einstellen. Es war die härteste Arbeit, an die ich mich erinnern kann. Ein Paar meiner Arbeitshandschuhe habe ich an einem Tag restlos zer­fegt. Mein französischer Kamerad kapitulierte schon am ersten Tag.

Zementsäcke, Stahlmatten, Glaswolle, Drainageröhren waren zu be­wegen - kein Gegenstand unter 50 Pfund. Nachdem meine Hände und Schuhe aufgerissen waren, gab auch ich am 9. Tag auf und ging zu meinem Supervisor, um ihn um die Vermittlung einer anderen Stelle zu bitten.Werner, ich nehme den Hut vor Ihnen ab, sagte er darauf - und schließlich klappte es auch bei ihm mit einer Stelle, wie er sie sich gewünscht hatte. Nicht jeder wird auf eine so harte Probe gestellt; wer Glück hat, kommt gleich so an, wie er es sich vorgestellt hat.Neben meiner Arbeit in der Montage, berichtet ein Ingenieur,kann ich täglich zwei Stunden in den verschiedenen Büros der Firma tätig sein, wo ich jede nur erdenkliche Auskunft erhalte. Daß sich auch für die Freizeit bei entsprechendem Taten­drang unbegrenzte Möglichkeiten bieten, bewies ein Wuppertaler, der als Transportarbeiter in St. Paul anfing, dann einen Ingenieurs­posten in einem Werk der Flugzeugindustrie bekam und nebenbei die Flugprüfungen für sämtliche Klassen der Zivilluftfahrt machte. Das Geld für sein kostspieliges Steckenpferd hat er sich durch Extra- Arbeit als Anstreicher verdient.

60120 Dollar Wodienlohn

Der Wodienlohn, den die jetjt zurückgekehrten Werkarbeiter nach Hause trugen, lag im Durchschnitt zwischen 60 Dollar und - bei Ueberstunden, die eher die Regel als die Ausnahme sind - 120 Dollar. Für die Wohnung im College sind 5 Dollar pro Woche ab­zuführen, die Lebenshaltung kostet etwa 20 bis 25 Dollar, doch ist j darin bereits der Unterhalt eines Wagens inbegriffen. Für 150 bis | 300 Dollar gebraucht gekauft, gehörte das Auto für den Gastarbeiter

schon genau so zu den Selbstverständlichkeiten wie für seinen ameri- ! kanisdien Kollegen. Die Lohnsteuer ist verhältnismäßig hoch und ! macht etwa 20 Prozent aus, so daß einer der Praktikanten meinte: jAls ich meinen ersten Lohn in Empfang nahm, war mir auf einmal ! klar, woher die Riesensummen für die amerikanische Auslandshilfe i kommen. Dennoch hat fast jeder beträchtliche Ersparnisse nach i Hause gebracht - es sei denn, er habe sie in Reisen investiert wie jener Oberhausener, der während der leisten Monate seines Ame­rika-Aufenthalts kreuz und quer durch die Staaten fuhr und bis nach Alaska hinaufkam.

Vergoldete Fahrradgabeln

Auch auf dem Farbstoffgebiet brachte die Chemie-Halle auf der Hannoverschen Messe Weiterentwicklungen und Ueberraschungen. Vergoldete Fahrradgabeln erwartet man nicht gerade auf dem Stand der Farbenfabriken Bayer. Sie haben eine besondere Be- wandnis: ein neuer FarbstoffCeres - echt Lichtgelb R ergibt be­sonders schöne Goldtöne auf glänzenden metallischen Unterlacken. Man kann mit ihm metallisierte Lacke für Fahrräder und Autos her- stellen, vor allem auch Aluminiumfolien in einem bisher nicht mög­lichen Goldton färben.

Chemische Lärmbekämpfung

| Auf der Technischen Messe in Hannover wurde von der Firma Dr. A. Stankiewicz in der Chemiehalle als Neuheit ein schall­schluckender SpriggußSchallschluck gezeigt. Dieses Erzeugnis, das sich durch bequeme Verarbeitung auszeichnet, ist ein Gemisch i von anorganischem Material und Kunststoffen. Der Put; eignet sich j infolge seiner großen schallschluckenden Wirkung insbesondere für die Lärmminderung in Fabrikhallen sowie zur Verbesserung der Raumakustik in Vortragssälen, Kinos, Kirchen u. a. großen Räumen. Die in- und ausländische Bauindustrie interessiert sich stark für den schallschluckenden Put;.

Chemie hilft Hühner mästen

In den USA ist Geflügelfleisch billiges Volksnahrungsmittel, Allein 900 Mill. Hühner werden dort jährl. verzehrt. Wenn in Europa Geflügel noch zum Luxus-Konsum gehört, so hat das verschiedene Gründe. Der wichtigste ist der Preis. In den USA ist die Geflügel-, besonders die Hühnermast ein richtiger Industriezweig. In Europa hält man an unrationellen, konservativen Fütterungsmethoden fest. Im Bundesgebiet beginnt man erst jetjt damit, Antibiotica dem i Futter zuzuseljen, um gesunde, frohwüchsige Kücken zu erzielen.

I Einen neuen Beitrag zur rationellen Geflügelzucht liefert Methionin, | das die Degussa erstmals auf der Hannover-Messe zeigt. Diese | Aminosäure senkt, in der richtigen Futtermischung, so erheblich die | Kosten, daß vom Ausland bereits große Aufträge erteilt wurden.

Geschäftlich: Die OSRAM GmbH KG Berlin gibt bekannt, daß sie die Preise für OSRAM-Leuchtstoffiampen beträchtlich gesenkt hat. Die erhebliche Ermäßi­gung - sie beträgt rund 20 Prozent - wird allgemein, insbesondere von der Bau­wirtschaft, der Beleuchtungs-Industrie und dem einschlägigen Handwerk mit Be­friedigung vermerkt werden, da in letzter Zeit OSRAM-Leuchtstoffiampen in immer größerem Umfange verwendet wurden und damit eine recht wesentliche Bedeutung erlangt haben.

Hinweis: Unserer heutigen Ausgabe liegt ein Wettschein des Württemberg- Badischen Totos im West-Süd-Block oei. Wir empfehlen die Beilage Ihrer beson­deren Aufmerksamkeit. Die 12 er-Wette brachte oisher die höchsten Quoten, die leichte 10 er-Wette viele lohnende Gewinne.