Zweifel, daß sie ihn erkannt hatte. Er verzog keine Miene, sie konnte ja nicht wissen, daß er sie damals gesehen hatte. Die Zeitungen sprachen nur von einem Täter.
Aber das Mädchen schien entschlossen, kein Risiko zu laufen. Bereits an der 42. Straße stieg sie wieder aus, nahm den nächsten Zug. Ronny tat dasselbe. Er sah, wie sie sich heimlich umdrehte, wie sie erschrak. Und nun begann eine eigenartige verbissene Jagd. Das Mädchen wußte jetzt, daß es verfolgt wurde, er sah ihre immer mehr zunehmende Nervosität. Noch ein paarmal versuchte sie ihn abzuschütteln, indem sie erst im letzten Augenblick plötzlich ausstieg oder auf den Zug sprang. Aber Ronny war ein zäher und gewandter Bursche, immer wieder gelang es ihm, ihr auf den Fersen zu bleiben. Er brauchte jetzt keine Rücksicht mehr darauf zu nehmen, ob sie ihn sähe, das erleichterte seine Aufgabe erheblich. Einmal, als sie auf kurze Entfernung im Wagen nebeneinanderstanden, hatte er sogar die Frechheit, sie mit einem vertraulichen Nicken zu grüßen. Sie wandte sich verächtlich ab.
Schließlich gab das geheimnisvolle Mädchen den hoffnungslosen Versuch, ihren Verfolger auf diese Weise loszuwerden, auf. Am Co- lumbus Circle wandte sie sich zum Ausgang.
Im letzten Augenblick wäre es ihr fast noch gelungen, zu entkommen. Die Station war überfüllt — ein ununterbrochener Strom von Menschen kam aus Lower Manhattan herauf, Zug um Zug spie seine Passagiere aus. Ronny geriet in den Strom, wurde abgedrängt.. „Auf der Straße sah er sich vergeblich nach ihr um. Er fluchte innerlich — nun war sie ihm doch noch entwischt!
Aber noch einmal half ihm sein sprichwörtliches Glück. Er sah sie plötzlich in der Feme — er sah sie gerade noch hastigen Schrittes im Zentralpark verschwinden.
An einer einsamen Stelle des Parkes holte er sie ein. Sie ging ganz ruhig, sie schien zu meinen, daß sie ihn endlich abgeschüttelt habe.
Beim Schall seiner Schritte wandte sie sich um. Sie stieß einen leisen Schrei aus, dann rannte sie in sinnloser Angst davon. Aber Ronnys langen Beinen konnte sie nicht entlaufen. Nach wenigen Minuten schon hatte er sie eingeholt. Er griff sie am Arm.
Ihre braunen Augen sahen ihn erschrocken an, aber es war noch mehr als Schreck, es war die unverkennbare Angst eines schlechten Gewissens.
„Lassen Sie mich los, was wollen Sie von mir?“ keuchte sie. Sie versuchte sich loszureißen — sie rang mit ihm — sie war geschmeidig wie eine Katze.
Ronny hatte nur eine Hand zur Verfügung, die rechte Hand, die ihr linkes Handgelenk umklammert hielt. Und diese Hand hielt sie mit eisernem Griff. Mit einer raschen Bewegung drehte er ihren Arm um — es war ein alter Jiu-Jitsu-Trick — und machte sie wehrlos.
„Oh, Sie tun mir weh...“ Es klang so kläglich, so verzweifelt, daß er sie sofort wieder los ließ. Er schämte sich auf einmal. War er nicht ein Barbar? Ein Rohling? Wie konnte er dieses entzückende ^lilflose Geschöpf so brutal behandeln!
„Sorry“, murmelte er verlegen. „Ich — ich wollte Sie nur etwas • fragen..." Er kam sich auf einmal sehr lächerlich vor. Aber dann fiel ihm ein, daß dieses entzückende Geschöpf ja versuchte hatte, ihn zu töten, ihn kaltblütig zu ermorden. Und sie war ganz gewiß nicht hilflos.
„Warum haben Sie auf mich geschossen?“ fragte er und bemühte sich, seine Stimme recht streng klingen zu lassen.
Das Mädchen schien sich in sein Schicksal zu ergeben. Es machte keinen Versuch mehr, zu entfliehen — es schlug die Augen zu Boden.
„Wollen Sie etwa leugnen, daß Sie auf mich geschossen haben?“ wiederholte er gereizt.
Aber sie dachte gar nicht daran, zu leugnen. Sie schlug den Blick zu ihm auf — in ihren dunklen Augen loderte derselbe Haß, den er damals darin gesehen hatte, damals, in der kritischen Sekunde vor dem Schuß.
„Jawohl — ich habe auf Sie geschossen“, rief sie leidenschaftlich, „und ich bedaure nur, daß ich nicht besser getroffen habe!“
Er hatte sich nicht getäuscht, sie war keine Amerikanerin. Ihr viel zu gutes Englisch verriet es. Er betrachtete sie einen Augenblick schweigend. Bisher hatte er sie für hübsch gehalten, jetzt — aus der Nähe — sah er, daß sie eine Schönheit war. Dieser kleine, schmale Mund, die gerade Nase ... und was das Kind für wunderbare Augen hatte! Sie trug ein helles Sommerkleid, das den schlanken Hals frei ließ — er sah das Blut unter der zarten Haut klopfen. Unter dem dünnen Stoff zeichneten sich ihre jungen Brüste ab, hoben und senkten sich in stürmischer Erregung.
Ronny lächelte... er genoß in diesem Augenblick den eigenartigen Reiz, daß er seiner .Mörderin' gegenüberstand — einer aufreizend schönen .Mörderin'!
„Warum denn so blutdürstig, Kleine?“ fragte er sanft. „Was in aller Welt habe ich dir getan?“
„Sie haben die Ehre meines Bruders besudelt! Meines Bruders, der einen internationalen Ruf genießt! Sie sind ein gemeiner Lump!“ Sie bemühte sich, alle Verachtung, deren sie fähig war, in die Worte zu legen, sie wollte ihn herausfordem.
Bruder... internationaler Ruf... Blitzartig sah er den Zusammenhang. „Ihr Bruder ist der verschwundene Doktor Bruno Fischer?“! fragte er interessiert. 1
„Jawohl, und er ist kein Dieb, wie Sie der ganzen Welt glaubhaft machen wollen.“ j
„Also das ist es.“ Er sah sich um. Nicht weit von ihnen stand; eine Bank.
„Kommen Sie, wir wollen die Sache einmal in aller Ruhe be-| reden...“, sagte er ruhig. Und als sie zögerte, setzte er mit einem! kleinen Lächeln hinzu: „Kommen Sie nur, so eine Bank ist immer! noch bequemer als der elektrische Stuhl..." \
Sie schauderte unwillkürlich, dann setzte sie sich gehorsam neben! ihn. Er fühlte, daß er die Lage beherrschte. Was für eine Copy: ,Ronny; interviewt seine Mörderin!' ,
„So — also Sie schossen, um zu töten?“
Wieder brach ihre Leidenschaft durch. „Jawohl, ich wollte Sie töten“, rief sie heiß. „Und mich danach der Polizei stellen. Ich wollte die Unschuld meines Bruders beweisen." |
„Schöner Beweis. Hm ... Sie wollten sich der Polizei stellen? Warum, haben Sie es nicht getan?“ |
Etwas kleinlaut kam die Antwort. „Mir fehlte der Mut..." j
„Ach so..." !
Es wurde ein richtiges Interview. Fast geschäftsmäßig stellte Ronny seine Fragen. |
% „Sind Sie schon lange in den Staaten?“ ;
„Sechs Monate.“ |
„Was tun Sie hier?“ j
„Ich suche meinen Bruder. Die letzte Nachricht über ihn besagte,| daß er nach Amerika gegangen sei.“ j
„Haben Sie eine Spur?“
„Leider nein. Er ist wie vom Erdboden verschwunden.“
„Hm — das Komische ist, daß wir sozusagen Kollegen sind. Ich; suche ihn nämlich auch ..."
Sie rümpfte nur verächtlich die Nase. j
„ „Wie heißen Sie?“ .
„Fischer.“ 1
„Kann Ich mir denken. Wie noch?“
Sie blickte unschlüssig zu Boden. Dann, leise: „Renate ..
„Oh — Renate. Ein reizender Name. Wo wohnen Sie in New York?“ Sie zögerte mit der Antwort.
„Sagen Sie es ruhig“, grinste Ronny, „es erspart mir eine halbej Stunde Arbeit. Denn länger habe ich nicht nötig, um es zu ermitteln.“' „In Long Island. Bei meinem Onkel van Rijn.“ I
Er pfiff durch die Zähne. Die Sensation wurde immer größer. I „Van Rijn? Doch nicht Dutch Jack, der Wallstreetmann?“
„Ja, so nennt man ihn wohl.“
Der Journalist in ihm erwachte. Er sah eine neue Schlagzeile: ,Dutch Jacks Nichte schießt auf Ronny'. Es ist der größte Skandal des Jahres. „Also van Rijn ist Ihr Onkel? Er ist doch Holländer?“ 1
„Ich nenne ihn nur Onkel. Er war ein guter Freund meines Vaters.'^ „Ach so“, sagte Ronny sichtlich befriedigt. Er stand auf. „So, das; wäre vorläufig alles...“
Das Mädchen sah ihn erstaunt an. „Lassen Sie mich denn nicht verhaften?“
Ronny lachte. „Richtig! Das hätte ich ja beinahe vergessen! Sie wollen natürlich den Märtyrertod für Ihren Bruder sterben — auf dem elektrischen Stuhl...“
Renate Fischer verlor die Geduld. „Lassen Sie doch diese Scherze. Können Sie denn nicht ernst sein?“
„Ich bin doch ernst. Der elektrische Stuhl ist überhaupt eine sehr ernste Angelegenheit.“
„Sie sind lächerlich. Auf so einen kleinen Streifschuß steht höchstens Geldstrafe.“
„Das möchten Sie wohl! Sie scheinen ganz zu vergessen, auf wen Sie vorsätzlich, und mit der Absicht zu töten, geschossen haben. Auf den berühmtesten Journalisten der Vereinigten Staaten.“ |
„Pah ... bilden Sie sich bloß nichts ein ..." j
Ronny grinste. „Kenntnis des eigenen Wertes ist keine Einbildung-' Seine Selbstsicherheit ist zum Verzweifeln. Renate stampfte mit dem Fuße auf. „Wenn Sie wüßten, wie ich Sie hasse...“
Es erschütterte ihn nicht. „Komm, kleine Wildkatze, jetzt gehen wir erst einmal zusammen in eine Cosy Corner und feiern unsere roman -1 tische Bekanntschaft. Wie wär’s mit ,01d Heidelberg 1 ? Das ist ein! gemütliches kleines Lokal, so richtig deutsch und gar nicht weit von; hier...“
„Mit einem Kerl wie Sie? Pah ... lieber gehe ich..." j
„Ins Gefängnis?“ Zufällig tauchte irgendwo in der Nähe eine Uniform auf. „He ... Agent“ rief Ronny kurz.
„Lassen Sie doch — ich gehe ja mit“, kapitulierte Renate erschrocken., .Old Heidelberg' ist ein kleines Cafe. Wenigstens soll es das vorstellen. Es ist ein seltsames Gemisch von deutschem und amerika-i