Samstag, 25. Januar 1969

Zum Zeitgeschehen

Seite 3

puebio-untersuchung Droht dem Kapitän noch das Kriegsgericht?

So wurde Buchers Geständnis erpreßt / Eine menschliche Tragödie im Spiel der großen Politik

Von Hans-Jürgen Höf er, z. Z. Coronado (Kalifornien)

Seit einer Woche kämpft derPueblo-Kapitän, Commander Lloyd Bücher vor fünf Admiralen um seine Offiziersehre. Der 41 Jahre alte Fregattenkapitän in der schlotternden Uniform, der nach schweren Drangsalierungen in Nordkorea wie ein al­ter Mann aussieht, steht im Mittelpunkt einer menschlichen Tragödie, an deren Be­ginn die nationale Sicherheit der USA mit der Möglichkeit eines dritten Weltkrieges auf dem Spiele stand.

Fast genau ein Jahr nach der Aufbringung des FunknachrichtenschiffesPueblo im Japanischen Meer vor der Küste Nordkoreas begannen am Montag im Marinestützpunkt Coronado an der Pazifik-Küste die Untersu­chungen des Havarie-Ausschusses der US-Marine, die fünf Admirale delegiert hat­te. Am Mittwoch, nach dreitägigem Verhör, wurde Bücher darauf hingewiesen, daß er mit der Möglichkeit eines kriegsgerichtlichen Verfahrens rechnen müsse und seine Aussa­gen auch gegen ihn verwendet werden könnten.

Durfte sich diePueblo, die am 23. Janu­ar 1968 von vier nordkoreanischen Schnell­booten, zwei Unterseebootjägern und zwei MIG-Düsenjägem bedroht war, kampflos ergeben? Die Frage, die der amerikanische Marinekode, Absatz 0730, generell verneint, wird letzten Endes auf höchster Ebene im Pentagon entschieden werden. Buchers Aus­sagen in stundenlangen Sitzungen haben die Waagschalen der militärischen Justiz schon angetippt. Die kollektive Ehre der amerika­nischen Marine scheint schwerer zu wiegen als das Dilemma desJungen aus dem Wai­senhaus, der sich als Selfmademan zum Offizier hochboxte.

Mängel wurden nicht behoben

Als diePueblo, die in der US-Presse schlicht ein Spionageschiff genannt wird, 1967 im Westküstenhafen Bremerton ausge­rüstet wurde, monierte Bücher das Fehlen eingebauter Sprengsätze. Ohne Erfolg. Das Schiffsruder, das zeitweise bis zu 60mal in der Woche versagte, sollte grundlegend

Die 'kurzen Halte der D-Züge, vor allem der Trans-Europa-Expreß(TEE)-Züge, lassen dem Lokführer keine Möglichkeit mehr, ein bestimmtes Bedürfnis, genauer: des Leibes Notdurft, zu verrichten. Die modernen Elek­troloks haben, so Josten an Leber, keine Toiletten. Früher, als sie noch mit Kohlen feuerten, sei das kein Problem gewesen, frü­her benutzten sie für daskleine Geschäft die Koksberge, und es wurde mit verfeuert. Jetzt, so MdB Josten, ist der Lokführer eine tragische Figur geworden. Wird Leber ihm Rettung bringen können? Ist die Notdurft der Lokführer ein politisches Problem und wird es womöglich in die Wahlkampfausein­andersetzung geraten?

*

Als in den fünfziger Jahren die Bundes­wehr aufgebaut wurde, hätte es Konrad Adenauer gern gesehen, wenn sein Sohn Dr. Max Adenauer, damals Oberstadtdirek­tor in Köln, eine Übung als Reserveoffizier absolviert- hätte, denn der Adenauersohn war Offizier in der Wehrmacht gewesen.

überholt werden. Keine Reaktion. Verbesse­rungsvorschläge zur Behebung der Topla­stigkeit des 900 Tonnen kleinen früheren Handelsschiffes, zur Installation von neuen Telefonen, dem Einbau von mehr als nur einer abgeschotteten Abteilung alles ver­geblich. Der einzige Erfolg war die Erhö­hung der Bewaffnung von den vorgeschrie­benen vier Karabinern und sieben Pistolen auf zwei schwere MGs. Sogar eine Kanone war anfangs bewilligt worden, aber ihr Ge­wicht hätteuns leicht unter Wasser ge­drückt, sagte Bücher. Die volle Liste der Ausrüstungssünden, die auf die Marine zu­rückfallen, war noch länger und versetzte sicher nicht nur die sowjetischen Militärat­taches in Washington in ungläubiges Stau­nen.

Im Saal vergeht Stunde um Stunde mit den monotonen Aussagen desPueblo-Ka- pitäns. Es ist, als ob seine Gefühle in der Hölle unmenschlicher Torturen abgestorben seien. Wie ein Greis muß er mit einer Lese­lupe Dokumente entziffern. Nach dem Vita­minmangel in Nordkorea sind seine Augen noch nicht wieder voll hergestellt. Nur müh­sam kann er mit geschlossenem Mund at­men.

Hätte für alle den Tod bedeutet

Eingekreist von der nordkoreanischen Übermacht hatte er nur eine Sorge: Die Zer­störung des Geheimmaterials.Unsere Feuerkraft war hoffnungslos unterlegen. Außerdem hingen die eisverkrusteten Schutzüberzüge wie Eisen über den MGs. Bücher versuchte, mit Ausweichmanövern Zeit zu gewinnen.Ich konnte nicht kämp-

Aber Max Adenauer hatte, wie er damals sagte, Wichtigeres zu tun. Der erste Bundes­tagsabgeordnete, der sich in den fünfziger Jahren freiwillig meldete, war der jetzige SPD-Fraktionsvorsitzende Helmut Schmidt; er wollte als Verteidigungsexperte nach außen hin deutlich machen, daß die Sozial­demokraten ihren Frieden mit der Bundes­wehr geschlossen hatten. Inzwischen sind 19 MdBs Angehörige der Bundeswehr, die mei­sten von der CDU/CSU. In dieser Fraktion sind auch die beiden aktiven Soldaten, der Oberstleutnant Ernesti und der Hauptfeld­webel Stahlberg. Sonst gehören ihr als Reserveoffiziere der Oberst Burgemeister, der Oberstleutnant Rommerskirchen, der Kor­vettenkapitän van Delden, die Hauptleute Rasner, Praßler und Konstantin Prinz von Bayern, und die Oberleutnante Damm, Pe- tersen, Kiep und Wörner an. Von der sozial­demokratischen Fraktion sind die Abgeord­neten Schmidt (Würgendorf) Oberstleutnant, Berkhan, Haase und Schmidt (Hamburg) Hauptleute, Killat Leutnant und Dr. Tample Oberstabsarzt. Die FDP-Fraktion hat nur

fen, weil mir dann die Leute zur Zerstörung der geheimen Anlagen gefehlt hätten, und es hätte für alle den sicheren Tod bedeu­tet. Es gab nur einen winzigen Verbren­nungsofen und zwei kleinere Bürozerreiß­maschinen an Bord. Beschwerte Säcke wur­den über Bord geworfen, obwohl dies bei der Wassertiefe von nur 54 Metern eigent­lich verboten ist. In der Geheimabteilung unter Deck, die offenbar auch Kapitän Bü­cher nicht unumschränkt zugänglich war, versuchten die Codebrecher und Radarspe­zialisten des US-Sicherheitsdienstes mit Äx­ten, ihre Geräte zu zertrümmern. Das gelang ebenso unvollständig wie die Vernichtung der Dokumente.

In diesen Stunden, auf die Lloyd Bücher auch theoretisch nie vorbereitet wurde und für die kein Plan existierte, klingelte auch im Weißen Haus in Washington das Alarm­signal. Und dreißigmal hörte das US-Haupt- quartier Japan das verzweifelte SOS und die von Bücher dreifach überprüfte Position in internationalen Gewässern.Wir bleiben dran, versicherte der Funkoffizier in Japan, das letzte, was ich hörte, war, daß die Luft-

Noch vor knapp zwei Jahren im April 1967, bejahte die östliche Teilsynode der EKD in Fürstenwalde demonstrativ das

noch den Luftwaffen-Major Jung 'in ihren Reihen.

*

Einer Tonart, wie sie in Bonn noch nicht vernommen wurde, hat sich in diesen Tagen einer der beiden Pressereferenten des Bun­destagspräsidenten Gerstenmaier, bedient. Dieser Sprecher, der dazu da ist, Informatio­nen zu geben, sagte nicht mehr und nicht weniger, der . Düsseldorfer Landesministef Holthoff habejetzt die Katze aus dem Sack gelassen, Holthoffhabe es gerade nötig, und er sei ein .Trommelbube -Hitlers. ge­wesen. Die Sprecher der Bundesregierung, auch aller Ministerien, die sich solche Ent­gleisungen zuschulden kommen ließen, müß­ten damit rechnen, am selben Tage gefeuert zu werden. Man stelle sich vor, die Regie­rungssprecher Diehl und Ahlers würden sich dieses Vokabulars bedienen. Der Sprecher hat die loyale Pflicht, falsche Behauptungen richtigzustellen und seinen Präsidenten nicht in die Pfanne zu hauen. Aber hier ist längst der Fall erkennbar, daß der Mund des Präsidenten mit dem Mund seiner Spre­cher identisch ist, d. h., was Gerstenmaier meist im Zorn entfährt, übernehmen nach­her seineKnechte, wie er sie zu nennen beliebt, wörtlich. Es ist von Gerstenmaier nicht sehr fair, die beiden Herren, die nur dürftig geschützte Angestellte sind, ausrut­schen zu lassen. Und es ist vor allem unge­wöhnlich und höchst anstößig, das Amt des Pressereferenten mit den persönlichen Afifä- > ren Gerstenmaiers zu verquicken.

waffe mit ein paar Vögeln zu euch kommen will, aber ich kann es nicht genau sagen, sie müssen noch mit (Süd)-Korea sprechen... DieVögel kamen nie, da keine Kampfma­schinen einsatzbereit waren.

Die ersten Salven der Nordkoreaner hatte Bücher und zwei Matrosen verwundet, von denen einer starb. DiePueblo gab auf und wurde in den Hafen Wonsan gedrängt. Dort Unterzeichnete Bücher ein volles Spionage­geständnis. Vorher war ihm erklärt worden, daß er und seine Besatzung erschossen wür­den.

Stundenlang geschlagen

Bücher kniete stundenlang unter Schlägen vor einem Oberst, der ihm erbeutete Ge­heimdokumente vorhielt, während der Übersetzer eine Pistole in den Nacken des Kapitäns drückte.In zwei Minuten wirst du erschossen. Frau Rose Bücher verbarg ihr Gesicht in den Händen, als ihr Mann schilderte, daß er in diesen Minuten immer wiederRose, ich liebe dich, gemurmelt und den Tod herbeigesehnt hatte. Er unter­schrieb noch nicht und wurde mit Gewehr­kolben bewußtlos geprügelt. Dann wurde er zur Besichtigung eines angeblichen südko­reanischen Spions transportiert. Bücher sah einen Mann an eine Wand gebunden, dem ein Auge ausgedrückt worden war, das her­aushing, ein Armknochen spießte durch die Haut und die Unterlippe war vollständig durchbissen. Da unterschrieb Lloyd Bücher.

Festhalten an der kirchlichen Einheit. Ge­trennte Gesellschaftssysteme müßten nicht notwendigerweise zu getrennten Kirchen führen, denn die Kirche sei Gesellschafts­systemen nicht untertan. Nur wenn die Bruderkirche in der Irrlehre verharre, müß­te die kirchliche Gemeinschaft aufgekündigt werden. Dies sei aber nicht der Fall, hieß es damals. Es ist auch heute nicht der Fall. Dennoch trennen sich die acht Landeskir­chen von der EKD. Wie ist diese Wandlung zu erklären?

Die SED übt Druck aus

Der Druck, mit dem die SED die Einheit zerstörte, lastet schon lange auf den östlichen Kirchen. Er äußert sich in mannigfacher Weise: Bereits seit Jahren können keine ge­samtdeutschen Synoden und Ratstagungen mehr abgehalten werden. Die in Mittel­deutschland beheimateten Mitglieder des EKD-Rates erhalten keine Ausreisegenehmi­gungen, auch'nicht zu ökumenischen Tagun­gen. Und abgesehen von einer Ausnahme, wird keinen westlichen Ratsmitgliedern mehr Oie Eitfreise "nach Ostberlin gestattet. 1 <

Auch auf der unteren Ebene bekommen die acht Landeskirchen den Druck zu spü­ren. Für Grund und Boden, den die Kirchen im Zuge von Stadtneuplanungen abgeben, erhalten sie nur selten Ersatzgrundstücke. Baugenehmigungen werden kaum erteilt. In den neuensozialistischen Städten und Stadtteilen können die Kirchen nur mit Mühe tätig werden. Hier und da werden die Kinder am Besuch der Christenlehre gehin­dert.

Der stete Tropfen...

Diese ständigen Drangsalierungen wirkten in den vergangenen Jahren wie der stete Tropfen, der den Stein höhlt. Der Hebel, den das SED-Regime 1968 ansetzte, um diese Entwicklung zu beschleunigen, war die neue Verfassung. Nach ihr haben die Kirchen ihre Tätigkeitin Übereinstimmung mit der Ver­fassung und den gesetzlichen Bestimmungen der DDR auszuüben. Der Staatssekretär für

rm

Vor etwa einem Jahr, am 23. Januar 1968 war diePueblo aufgebracht worden, ver­öffentlichte die nordkoreanische Nachrich­tenagentur dieses Foto von der Unterzeich­nung des Spionage-Geständnisses durch Kapitän Bücher.

Kirchenfragen Seigewasser (SED) und der Vorsitzende der Ost-CDU Gotting fuchtelten bildlich gesprochen den östlichen Kir­chenvertretern mit dieser Verfassung oft­mals vor der Nase herum und drohten mit handfesteren Maßnahmen als bisher.

Mitte vergangenen Jahres wurde es dann deutlich, daß die Zahl der mitteldeutschen Kirchenvertreter wuchs, die nach einem en­geren Zusammenschluß der mitteldeutschen Kirchen riefen, um die schwierige Situation besser meistern zu können. Manche glaubten zunächst, ein solcher regionaler Zusammen­schluß sei unter dem Dach der EKD möglich. Die SED belehrte sie eines Besseren. Die am 5. Juni 1968 gebildete Struktur-Kommission arbeitete deshalb einen Kirchenbund-Ent­wurf aus, der eine organisatorische Tren­nung von der EKD vorsieht. Erhalten blei­ben soll einespezifische Gemeinschaft, ge­wachsen aus einer gemeinsamen Geschichte, Das SED-Regime dürfte über diese Lösung nicht ganz glücklich sein. Denn es ist gegen jeglichen Zentralismus, nur nicht gegen den eigenen. Am liebsten würde der SED-Staat mit jeder Landeskirche einzeln verhandeln. So könnte er eine gegen die andere ausspie­len. Endziel der kommunistischen Bestre­bungen ist es nämlich, die Kirchenorganisa­tion auf die Gemeinden und den Inhalt der Christenlehre auf das zu beschränken, was manKultus nennt. Aber immerhin-ist'der geplante Kirchenbund im Vergleich zur Zu­gehörigkeit der DDR-Landeskirchen ; zur EKD Tn'SED-Äugen das kleinere uhd'des­halb zu duldende Übel.

Auswirkungen noch unklar Mit der Abkehr von der EKD nehmen die mitteldeutschen Kirchen dem SED-Regime die Möglichkeit, ihnen weiterhinBonn-Hö­rigkeit vorzuwerfen und unter diesem Vor­wand Druck auszuüben. Mit dem Zusam­menschluß schaffen sie sich ein Instrument, um dem Staat gegenüber als Einheit aufzu­treten und so ihren Wünschen mehr Nach­druck verleihen zu können. Die Frage ist je­doch, ob die acht Landeskirchen, jeglichen Rückhalts, jeglicher freien Information und Publizität beraubt, noch jenes Gewicht ge­genüber dem SED-Regime haben werden, das sie bisher trotz allem durch ihre institu­tionelle Verflechtung mit einer über die DDR-Grenzen hinweg reichenden Vereini­gung besäßen und das sie davor bewahrte, auf das Niveau der meisten Kirchen in den Volksdemokratien abzusinken.

Bonner Streiflichter von Walter Henkels Leber und die Notdurft des Leibes

19 Bundestagsabgeordnete gehören der Bundeswehr an / DieKnechte" Gerstenmaiers

Im Herzen eines jeden Knaben hatte einst der Lokomotivführer einen festen Platz.

Wer wollte nicht auch Lokführer werden und durch die Geographie brausen. Der Knabentraum ist dahin, der Lokführer ist geblieben. Der Bundestagsabgeordnete Jo­hann Peter Josten (CDU), Schreinermeister aus Oberwesel am Rhein, hat Schlimmes entdeckt und dem Bundesverkehrsminister Georg Leber in diesen Tagen einen Brief geschrieben. Das Thema ist von delikater Art, deshalb möchte er es, so Josten in sei­nem Brief, nicht in die Fragestunde des Bundestages bringen. Schallende Heiterkeit des Plenums wäre ihm gewiß.

Für die sed daskleinere übei: D as Ende der kirchlichen Einheit

Kirchenbund der DDR" in Sicht / Organisatorische Trennung von der Evangelischen Kirche Deutschlands

Von unserer Berliner Korrespondentin Liselotte Müller

Die acht evangelischen Landeskirchen der DDR werden sich im Sommer dieses Jahres von der EKD (Evangelische Kirche in Deutschland) trennen und zu einem eigenen Kirchenbund zusammenschließen. Zwar müssen die Synoden der mitteldeutschen Kir­chen noch den von der Strukturkommission ausgearbeiteten Entwurf des Kirchenbun­des billigen. Aber an ihrer Zustimmung ist kaum zu zweifeln. Damit hört die EKD auf, eine der letzten Verklammerungen zwischen beiden Teilen Deutschlands zu sein.

Copyright by Wilhelm Goldmann-Verlag München

EIN ZUKUNFTSROMAN VON ARTHUR C. CLARKE

16

Irving Schuster, in Weste und Unterhosen nicht allzu gelehrt aussehend, räusperte sich nachdrücklich.

Sie heißen David Barrett?

Richtig.

Ihr Beruf?

Ingenieur, jetzt pensioniert.

Mr. Barrett würden Sie dem Gericht sagen, warum Sie zum Mond gekommen sind.

Ich war einfach neugierig. Außerdem hatte ich Zeit und Geld.

Irving Schuster starrte Barrett schräg durch seine dicke Brille an. Damit konnte man die Zeugen oft nervös machen. In die­sem Zeitalter galt es als exzentrisch, eine Brille zu tragen, aber Ärzte und Rechtsan­wälte hatten die Gewohnheit beibehalten.

Sie waren also neugierig, wiederholte Schuster.Das ist keine Erklärung. Warum waren Sie neugierig?

Diese Frage ist meines Erachtens so ver­schwommen formuliert, daß ich sie nicht be­antworten kann. Warum tut man überhaupt irgend etwas?

Commodore Hansteen lächelte vergnügt. Es war genau das, was er wollte die Pas­sagiere sollten diskutieren, ohne daß sich die Leidenschaften entzündeten.

Ich gebe zu, fuhr der Kronanwalt fort, daß meine Frage ein bißchen spezifischer hätte sein können. Ich werde versuchen, sie neu zu formulieren.

Er überlegte einen Augenblick und blät­

terte in seinen Notizen. Es waren lediglich aus den Broschüren herausgerissene Seiten, aber er trat nicht gern vor Gericht auf, ohne etwas in der Hand zu haben.

Könnte man vielleicht mit Berechtigung sagen, daß die landschaftlichen Schönheiten des Mondes Sie angezogen haben?

Jawohl, das war einer der Gründe. Ich fragte mich deshalb, ob die Wirklichkeit die­ser Reklame entsprechen würde.

Und war das der Fall?

Ich würde sagen, kam die trockene Ant­wort,daß sie meine Erwartungen weit übertroffen hat.

Es gab allgemeines Gelächter, Commodore Hansteen klopfte auf die Rückwand seines Sitzes.

Ruhe! rief er.Wenn die Verhandlung gestört wird, lasse ich den Saal räumen!

Wie vorauszusehen, wurde das Gelächter noch ausgelassener. Als sich die Zuhörer einigermaßen beruhigt hatten, fuhr Schuster streng fort:Das ist sehr interessant, Mr. Barrett. Sie sind unter beträchtlichen Ko­sten zum Mond geflogen, um sich die Land­schaft anzusehen. Sagen Sie, haben Sie je­mals den Grand Canyon gesehen?Nein. Sie vielleicht?

Euer Ehren! beschwerte sich Schuster. Der Zeuge macht Schwierigkeiten.

Hansteen starrte Mr. Barrett grimmig an. Sie führen hier nicht die Untersuchung, Mr. Barrett. Es ist Ihre Aufgabe, Fragen zu be­antworten, nicht sie zu stellen.

Ich bitte das Gericht um Entschuldigung, Mylord, erwiderte der Zeuge.

Äh bin ich Mylord? meinte Hansteen unsicher, zu Schuster gewandt.Ich dachte, ich sei ,Euer Ehren 1 .

Der Anwalt überlegte eine Weile.

Ich schlage vor, Euer Ehren, daß jeder Zeuge sich der Anrede bedient, die in seinem Land üblich ist. Solange dem Gericht die entsprechende Ehrerbietung entgegenge­bracht wird, dürfte das doch wohl genügen. Sehr schön fahren Sie fort.

Schuster wandte sich wieder an seinen Zeugen.

Ich möchte wissen, Mr. Barrett, warum Sie es für nötig hielten, den Mond zu besu­chen, obwohl Sie auf der Erde bei weitem noch nicht alles gesehen hatten. Können Sie uns einen vernünftigen Grund für dieses unlogische Benehmen nennen?

Die Frage war gut gestellt; sie würde na­hezu jeden interessieren, und Barrett be­mühte sich ernsthaft, sie zu beantworten.

Ich habe auf der Erde sehr viel gesehen, sagte er langsam mit seinem englischen Ak­zent.Ich habe im Hotel Everest gewohnt, beide Pole besucht, ja, ich bin sogar auf dem Meeresboden gewesen. Ich kenne also eini­ges von unserem Planeten. Formulieren wir es einmal so. Er hatte die Fähigkeit, mich zu überraschen, verloren. Der Mond anderer­seits war völlig neu eine ganze Welt, nicht einmal vierundzwanzig Stunden ent­fernt. Ich konnte dem Reiz dieser Neuheit nicht widerstehen.

Hansteen hörte nur halb zu; er betrachtete unauffällig die Zuhörer. Inzwischen hatte er sich eine Meinung über Mannschaft und Passagiere derSelene gebildet. Er wußte, auf wen er sich verlassen konnte und bei wem mit Schwierigkeiten zu rechnen war, wenn es ernst wurde.

Die Schlüsselfigur war natürlich Captain Harris. Der Commodore kannte diesen Typ gut. Er war ihm bei den Raumfahrern oft begegnet. Er war ein fähiger, aber nicht

ehrgeiziger junger Mann mit Interesse für technische Dinge, der Glück gehabt hatte, einen passenden Job zu finden, der nicht mehr von ihm verlangte als Höflichkeit und Sorgfalt. Er würde loyal, gewissenhaft und phantasielos sein, seine Pflicht tun und am Ende ohne Hysterie sterben. Das war eine Tugend, die weitaus befähigtere Männer oft nicht besaßen, an Bord aber dringend nötig war, wenn sie in fünf Tagen noch hier sein sollten.

Miß Wilkins, die Stewardeß, fiel beinahe ebenso ins Gewicht wie der Captain. Sie war keinesfalls der übliche Hosteßtyp, der außer schalem Charme und einem starren Lächeln nichts zu bieten hatte. Sie hatte Charakter und war sehr gebildet.

Ja, bei der Mannschaft hatte er Glück ge­habt. Und wie stand es mit den Passagieren? Viele lagen natürlich weit über dem Durch­schnitt, sonst hätten sie sich gar nicht auf dem Mond befunden. Das Ironische an der ganzen Situation war nur, daß weder beson­dere Intelligenz noch technische Fähigkeiten jetzt weiterhelfen konnten. Was man brauchte, war Charakter, Seelenstärke oder, um genauer zu sein, Mut.

Mut war in diesem Zeitalter eigentlich nicht mehr erforderlich. Von der Geburt bis zum Tode stand der Mensch nie einer ernst­haften Gefahr gegenüber. Die Männer und Frauen an Bord derSelene waren auf das Kommende nicht vorbereitet, und er konnte sie nicht mehr sehr lange mit Spielen und Vergnügungen beschäftigen.

Irgendwann in den nächsten zwölf Stun­den würden sich die ersten Risse zeigen. Denn dann ergab sich klar, daß die Suchab­teilungen behindert waren, und selbst wenn sie den Kreuzer fanden, konnte es schon zu spät sein.

Commodore Hansteen sah sich in der Ka­bine um. Abgesehen von ihrer knappen Kleidung und der ein wenig verwahrlosten Erscheinung, waren alle diese einundzwan­zig Männer und Frauen vernünftige, be­herrschte Wesen.

Wer würde wohl als erster zusammen­klappen?

*

Dr. Tom Rawson war nach Chefingenieur Lawrences Meinung eine Ausnahme vom al­ten Sprichwortalles wissen heißt alles ver­zeihen. Die Erkenntnis, daß der Astronom eine lieblose, schwere Kindheit hinter sich hatte und auf Kosten aller anderen mensch­lichen Qualitäten nur auf Grund seiner überragenden Intelligenz hochgekommen war, trug dazu bei, daß man ihn verstand aber man empfand keine Sympathie für ihn. Was für ein Pech, dachte Lawrence, daß er der einzige Wissenschaftler im Umkreis von dreihunderttausend Kilometern war, der ein Infrarotauge besaß und damit umgehen konnte.

Er befand sich jetzt im Beobachtersitz auf dem Staubschlitten Zwei, um die letzten Handgriffe an der primitiven, aber wirksa­men Konstruktion vorzunehmen. Man hatte auf dem Dach des Schlittens ein Kamerasta­tiv angebracht und das Infrarotauge darauf montiert, damit es in alle Richtungen be­wegt werden konnte. Es schien zu funktio­nieren, aber eine endgültige Entscheidung war in diesem kleinen, druckluftgefüllten Hangar mit seinen zahlreichen Wärmequel­len nicht zu treffen. Der wirkliche Test konnte erst auf dem Meer des Durstes statt­finden.

Es ist fertig, sagte Rawson zum Chefin­genieur.Ich möchte noch mit dem Mann reden, der den Schlitten steuern wird.

Lawrence sah ihn nachdenklich an. Es gab wesentliche Argumente für und gegen sein Vorhaben, aber die persönlichen Erwägun­gen durften jetzt keine Rolle spielen. Dafür war die Sache zu wichtig. ,

Sie können doch einen Raumanzug tra­gen, nicht wahr? fragte er Rawson.

Ich hab noch nie einen getragen. Man braucht ihn ja nur, wenn man nach draußen geht, und das überlassen wir den Techni­kern.

(Fortsetzung folgt)