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Politik

Samstag, 25. Januar 1969

EWG hat den Bauern im Lande nicht geschadet

Landwirtschaftsdebatte im Landtag / Flurbereinigung das A und O Von unserer Stuttgarter Redaktion

Stuttgart. Die heimische Landwirtschaft hat durch die Europäische Wirtschaftsge­meinschaft (EWG) keinen Schaden erlitten, erklärte gestern Landwirtschaftsminister Dr. Brünner im Landtag bei der zweiten Beratung des Landwirtschaftsetats. Schlecht weggekommen sind nach Auffassung Dr. Brünners die französischen und italienischen Bauern, die nicht damit gerechnet hätten, daß sich die Produktivität der deutschen Landwirtschaft innerhalb weniger Jahre verdreifache. Vor allem von der FDP war gestern kritisiert worden, die Unterstützung der EWG geschehe im allgemeinen nur auf Kosten des deutschen Bauern.

[ DerGeneralvertrag

(Fortsetzung von Seite 1)

zu und ließ seine Volksarmee mitmarschie­ren.

Solange in Ost-Berlin diese Geisteshal­tung gepflegt wird, die sich ganz auf die Aufrechterhaltung der Gegensätze in Deutschland richtet, kann es kein Rezept ge­ben, das diese Gegensätze beseitigen oder ungefährlich machen würde. Das gilt auch für die Anerkennung der DDR, die seit eini­ger Zeit von so vielen Ratgebern empfohlen wird. Die Vorstellung, daß ein nichtaner­kannter Ulbricht ein Geier, ein anerkannter Ulbricht hingegen eine Taube sei, wider­spricht jeder Erfahrung. Es liegt auf der Hand, daß die Machthaber in Ost-Berlin nicht die Absicht haben, die Position West- Berlins zu festigen, sondern sie zu untergra­ben. Auch eine vollständige oder teilweise Anerkennung würde sie nicht von dieser Absicht abbringen, sondern ihnen, wenn man nicht sehr achtgäbe, nur ein zusätzli­ches Instrument gegen Berlin in die Hand geben.

Rektoren halten zu Studenten

Bonn (dpa). Die Westdeutsche Rektoren­konferenz (WRK) hat den Vorschlag von Bundesinnenminister Ernst Benda abge­lehnt, radikalen oder straffällig gewordenen Studenten die Studienförderung nach dem Honnefer Modell zu versagen.

Die von Benda genannten drei Vorausset­zungen für den Fortfall der Förderung Kampf gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung, Zugehörigkeit zu einer ver­botenen oder kriminellen Organisation oder Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten oder mehrere Vorstrafen rechtfertigten die nicht sachgerechte Sanktion des Stipen-r dienfortfalls nicht. Jede Art von Bestrafung müsse Sache der in einem gesetzlich geregel­ten Verfahren entscheidenden Gerichte blei­ben, denn jede andere Maxime würde nicht nur in der derzeitigen hochschulpolitischen Situation unabsehbare Folgen haben, er­klärte die WRK am Freitag.

Stoltenberg warnt

Bonn (NWZ). Bundesforschungsminister Stoltenberg hat gestern davor gewarnt, den Atomwaffensperrvertrag schon jetzt zu un­terzeichnen. In deutlichem Gegensatz zur Haltung der SPD erklärte Stoltenberg, vor der Unterzeichnung seien noch Klarstellun­gen notwendig, die nur in Gesprächenauf höherer politischer Ebene erreicht werden könnten. Die bisher bestehenden Unklarhei­ten im Vertragstext könnten sonstschwere wissenschaftliche und wirtschaftliche Schä­den für die Bundesrepublik zur Folge ha­ben. Auf diplomatischem Wege sei es nicht gelungen, die Unklarheiten zu beseitigen.

Kein Rechtsschutz für demonstrierende Studenten

Ulm (dpa). Die Versicherungen lehnen einen pauschalen Rechtsschutz für Studen­ten, die bei Demonstrationen mit der Polizei in Konflikt geraten sind, ab. Der AStA der Staatlichen Ingenieurschule Ulm berichtete gestern, daß die Versicherungsgesellschaften keinen über denunverschuldeten EinZel- fall hinausgehenden Rechtsschutz gewähren wollen. Das bedeutet, daß die Studenten die anfallenden Gerichtskosten selbst tragen müssen.

Das südwesteuropäische Hochdruckgebiet hat sich zur Zeit bis nach Deutschland ausgedehnt. Es wird allerdings in seinem nordöstlichen Teil allmählich wieder von atlantischen Störungs­fronten abgeschwächt, die über England und die Nordsee nach Osten Vordringen.

Samstag niederschlagsfrei, teilweise wolkig, in den Niederungen Dunst oder Nebel. Schwa­che Luftbewegung. Mittagstemperaturen um fünf Grad, in den Hochlagen wenig über null Grad. Sonntag wolkig oder neblig, höchstens geringer Niederschlag.

Der Vorsitzende des CDU-Arbeitskreises für Ernährung und Landwirtschaft, Josef Siedler, wandte sich bei der Debatte gegen eineAusverkaufsstimmung in der öffent­lichen Diskussion um die Agrar-Politik. Der tiefgreifende Strukturwandel in der Land­wirtschaft erfordere sowohl elastische So­fortmaßnahmen als auch eine langfristige Zielprojektion. Bei allen Überlegungen müs­se die soziale Seite eine entscheidende Rolle spielen. Ebenso wichtig sei die Schaffung ge­werblicher und industrieller Arbeitsplätze in Problemgebieten für Landwirte, die ihren Beruf aufgeben, wie die soziale Sicherung älterer Landwirte.

Als Sprecher der SPD setzte sich der Ab­geordnete Stephan dafür ein, die zur Verfü­gung stehenden Fördermittel auf wenige Schwerpunkte zu konzentrieren, vor allem für die Betriebs-, Erzeugungs- und Markt­struktur. Den Sonderkulturen und der tieri­schen Veredelung komme in Baden-Würt­temberg besondere Bedeutung zu. Die SPD begrüße es, daß die Mittel für Maßnahmen nach dem Landesanpassungsgesetz auf 25 Millionen DM erhöht werden konnten. Die Flurbereinigung müsse unbedingt im bishe­rigen Umfang fortgeführt werden. Zum Mansholt-Plan sagte Stephan, dieses Memo­randum verliere viel von seiner Schockwir­kung, wenn man nicht nur die Umstruktu­rierungs-Vorschläge sehe, sondern auch die darin enthaltene Analyse der Lage der Landwirtschaft und die Hinweise für die kommende Entwicklung.

Vom FDP-Sprecher Müller wurde kriti­siert, daß jetzt die Forderung erhoben wor­den sei, die zuvielen Bauern einfach aus der landwirtschaftlichen Produktion zu nehmen und sie in der Industrie einzusetzen. Dabei beachte man nicht, daß die deutsche Land­wirtschaft in den letzten Jahren schon zwei Millionen Arbeitskräfte abgegeben habe, jetzt noch zehn Prozent der Bevölkerung ausmache, während man in Frankreich den doppelten Prozentsatz an Bauern habe. Es sei auch falsch, den Bauern vorzumachen, größere Betriebe seien rentabler, die opti-

B o n n (dpa). Der Nachfolger von Bundes­tagspräsident Dr. Eugen Gerstenmaier soll von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion möglichst bald vorgeschlagen und vom Par­lament bis spätestens zum 15. Februar ge­wählt werden.

Bei diesem Termin, der gestern von zu­ständiger Seite der CDU/CSU genannt wur­de, spielt die Überlegung eine Rolle, daß der neue Parlamentspräsident vor der Bundes­versammlung am 5. März in Berlin minde­stens einmal eine Parlamentssitzung in Bonn präsidiert haben sollte. Wen die CDU/ CSU-Fraktion, die als stärkste Parlaments­fraktion das Vorschlagsrecht besitzt, als Nachfolger präsentieren wird, ist bisher noch völlig offen. Der Fraktionsvorstand der

male Betriebsgröße hänge von vielen Fakto­ren ab.

Zum Vorwurf der NPD, die Landwirt­schaftsverwaltung werde weiter ausgebaut, obwohl die Zahl der Bauern abnehme, sagte Dr. Brünner, von den 83 neuen Stellen ent­fielen 50 auf die Flurbereinigung. Die Flur­bereinigung sei aber das A und O einer mo­dernen Landwirtschaft.

Lebach/Saarbrücken (dpa). Im Lebacher Mordfall konzentrierte sich ge­stern die Aufmerksamkeit auf einen 22jähri- gen Steinmetz aus der saarländischen Ge­meinde Heiligenwald (Kreis Ottweiler), in dessen Haus und seiner Umgebung die Poli­zei am Donnerstag mehr als zehn Pistolen vom Typ P 38 sowie Waffeneinzelteile ge­funden hatte. Obwohl sich die Sonderkom­mission zur Aufklärung des Überfalls auf das Bundeswehrmunitions-Depot Lebach weiterhin in strengstes Schweigen hüllt, gilt als sicher, daß der festgenommene Steinmetz Helmut Skupin heißt.

Die bis jetzt sichergestellten Waffen sollen jedoch aus einem früheren Einbruch in eine Bundeswehrkaserne in Koblenz stammen. Dem Vernehmen nach hatte sich Skupin verdächtig gemacht, als er Bekannten in Aussicht stellte, er könne Munition besor­gen.

Keine amtliche Bestätigung war gestern für Meldungen zu haben, daß bereits in der Vorwoche ein Einbruch in die Fallschirm­packerhalle der Lebacher Kaserne verübt worden sei. Die unbekannten Täter sollen sich dabei an einem Teil der Fallschirme zu schaffen gemacht haben, wodurch eine Überprüfung der gesamten Lebacher Fall­schirmbestände erforderlich geworden sei.

Ein Kommando der saarländischen Bereit­schaftspolizei hat gestern in der Umgebung

Partei will sich am 3. Februar erstmals offi­ziell mit dieser Frage befassen.

Bundestagsvizepräsident Erwin Schöttle (SPD) hat gestern den Bundestag offiziell von dem Entschluß Gerstenmaiers unter­richtet, das Amt des Bundestagspräsidenten mit Wirkung vom 31. Januar niederzulegen. Schöttle verlas eine Erklärung, in der Ger­stenmaier ihn bittet, vom 1. Februar 1969 an die Aufgaben des Bundestagspräsidenten als amtierender Präsident in vollem Umfange zu übernehmen.

Die SPD veröffentlichte gestern den Be­richt ihrer zur Prüfung des Falles Gersten­maier eingesetzten Kommission. Darin wird Gerstenmaier bestätigt, daß die Gesetzesno­velle über die Wiedergutmachung im öffent­lichen Dienst nicht unter seinem Einfluß zu­stande gekommen sei.

Gscheidle soll neuer DGB-Yorsitzender werden

Frankfurt (dpa). Die Vorsitzenden der DGB-Gewerkschaften haben gestern in einer Sitzung im Hause der IG Metall in Frankfurt einstimmig beschlossen, Kurt Gscheidle als Kandidaten für den Vorsitz im Deutschen Gewerkschaftsbund vorzuschla­gen.

Wie von der IG Metall gestern abend mitgeteilt wurde, hat der 44 Jahre alte Kurt Gscheidle die Kandidatur angenommen. Gscheidle, zweiter Vorsitzender der deut­schen Postgewerkschaft und SPD-Bundes- tagsabgeordneter, soll danach die Nachfolge des jetzigen DGB-Vorsitzenden Ludwig Ro­senberg antreten, der sein Amt im Mai aus Altersgründen aufgibt.

Es bleibt bei Berlin

Bonn (dpa). Durch den Wechsel im Amt des Bundestagspräsidenten wird sich an den Dispositionen für die Neuwahl des Bundes­präsidenten in Berlin nichts Wesentliches ändern.Es bleibt bei Berlin, erklärte Bun­destagsvizepräsident Erwin Schöttle, der nach dem Rücktritt Gerstenmaiers als Bun­destagspräsident amtieren wird, gestern in einem Interview mit derDeutschen Welle.

des Hauses des Festgenommenen die Suche nach Waffen fortgesetzt. Anschließend durchsuchten die Beamten eine etwa feinen Kilometer von dem Haus entfernte Block­hütte, die dem Steinmetz gehören soll. Die Polizisten setzten Minensuchgeräte und Spürhunde ein, fanden jedoch nichts. Das Gelände ist stark zerklüftet, teils versumpft oder dicht mit Ginstersträuchern bewachsen.

Bundeswehr erörterte Konsequenzen von Lebach

Bonn (dpa). Hohe Offiziere der Bundes­wehr haben gestern die Konsequenzen erör­tert, die sich aus dem Überfall auf das Mu­nitionsdepot in Lebach für die Sicherheits­vorkehrungen bei Bundeswehranlagen erge­ben.

An der Unterredung im Bundesverteidi­gungsministerium, die unter Vorsitz des Ge­neralinspekteurs der Bundeswehr, General Ulrich de Maiziere stattfand, nahm zeitwei­lig auch Verteidigungsminister Gerhard Schröder teil. Dem Vernehmen nach sollen Vorschläge für eine Überprüfung und Ver­besserung der Sicherheitseinrichtungen ge­sammelt und später gemeinsam mit dem Verteidigungsausschuß des Bundestages dis­kutiert werden.

Kurz gestreift

Der Lehrbetrieb an der juristischen Fakultät der Freien Universität Berlin ist mit sofortiger -Wirkung bis zum.Semsterschluß.. am. 15. .Fe­bruar eingestellt worden.

Die Löhne der rund 30 000 Hafenarbeiter wurden am 1. Februar 1969 um 8,1 Prozent er­höht, teilte die Gewerkschaft ÖTV gestern in Stuttgart' mit.

Bundesaußenminister Willy Brandt wird we­gen seiner Erkrankung nicht an der Tagung des Ministerrates der Europäischen Gemein­schaft am 27. Januar in Brüssel teilnehmen. Er wird sich durch Staatssekretär Rolf Lahr ver­treten lassen.

Bundespräsident Heinrich Lübke ist gestern zu seinem zehntägigen Besuch in Berlin einge­troffen. Im Mittelpunkt seines Besuches stehen Besichtigungen der Grünen Woche und die 100- Jahrfeier der Deutschen Gewerkschaften am Montag in der Kongreßhalle.

Einen Tag vor Beginn der Pariser Verhand­lungen über den Vietnam-Konflikt ist der süd­vietnamesische Vizepräsident Nguyen Cao Ky gestern in der französischen Hauptstadt einge­troffen. Ky leitet die Arbeit der südvietname­sischen Delegation in Paris.

Suche nach Parlamentspräsidenten

CDU/CSU will bald Nachfolger Gerstenmaiers vorschlagen

Stammen die Waffen von Lebach?

Untersuchungen konzentrieren sich auf 22jährigen Steinmetzen

Der Deutsche Bundestag muß sich einen neuen Präsidenten wählen. Der jetzige, Eugen Gerstenmaier, tritt am 31. Januar zu­rück, nachdem er seit längerem heftig kriti­siert worden ist. Er hat sich in privaten Dingen recht ungeschickt benommen, u. a. bei einem Grundstücksverkauf in Stuttgart und bei der Durchsetzung seiner Wiedergut- machungs ansprüche als Verfolgter des Drit­ten Reiches. Zum Rücktritt war er erst be­reit, als seine Partei, die CDU, ihm in einer Ehrenerklärung versichert hatte, daß sein Wiedergutmachungsverfahrenrechtlich ein­wandfrei gewesen sei.

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Drei Soldaten der Bundeswehr wurden er­schossen, als noch unbekannte Täter auf ein Munitions-Depot bei Lebach an der Saar einen Überfall verübten, zwei weitere wur­den schwer verletzt. Was dabei gestohlen wurde, ist noch unklar. Von den Ermitt­lungsbehörden wurde vondrei Gewehren, zwei Pistolen und tausend Schuß Munition gesprochen, doch wurden inzwischen in einem Bach u. a. elf Pistolen und 20 dazu passende Magazine gefunden. Der Fundort liegt in der Nähe von Heiligenwald im Kreis Ottweiler. In diesem Dorf ist ein im Zusam­menhang mit dem Überfall festgenommener Mann beheimatet.

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Zu einem Zwischenfall kam es beim Emp­fang der sowjetischen Kosmonauten in Moskau. Als der Wagen-Konvoi sich dem Kreml-Tor näherte, gab aus der Menge ein Mann aus zwei Pistolen mehrere Schüsse ab, durch die ein Chauffeur und ein Motorrad­fahrer verletzt wurden. Der Täter wurde überwältigt, er .wird als schizophren bezeich­net. Es wird angenommen, daß die Schüsse nicht den Kosmonauten, sondern den ihnen dichtauf folgenden prominenten Politikern galten. Das Ereignis wurde mit 24stündiger Verspätung bekannt. Es konnte nicht, wie es sonst in diktatorisch gelenkten Staaten üb­lich ist, vertuscht werden, weil es sich in voller Öffentlichkeit und vor den Augen zahlreicher ausländischer Journalisten zuge­tragen hat.

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Die Unruhe in der Tschechoslowakei stei­gert sich immer mehr. Das Selbstverbren­nungsopfer des Studenten Palach hat die Bevölkerung sehr erregt, es hat aber auch nicht nur in der CSSR zu Nachahmungen geführt, (lenen aber anscheinend keine poli­tischen Motive zugrunde liegen. Die Regie­rung sah sich veranlaßt, die Bevölkerung vor Unruhen zu warnen, und zu betonen, daß sie entschlossen sei, mit allen legalen Mitteln Frieden und öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten.

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Der Nahost-Konflikt wird in Kürze zu einer Konferenz der vier Großmächte füh­ren, die versuchen wollen, eine Lösung zu finden. Es wird jetzt bereits hinter den Ku­lissen eifrig verhandelt und ebenso eifrig dementiert. Bestätigt wurde ein Geheimtref­fen zwischen Israels Außenminister Abba Eban und dem UN-Sonderbeauffragten für den Nahen Osten, Gunnar Jarring, in Zü­rich. Gesucht wird eine Lösung, die auf der Resolution des Weltsicherheitsrats von 1967 basiert. Von arabischer Seite wurde eine sol­che Lösung bereits jetzt abgelehnt, weil sie die Anerkennung des Staates Israel voraus­setzt.

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Erfolg des Bonner Vorstoßes in Seoul: Die südkoreanische Regierung hat bereits zwei der aus der Bundesrepublik Entführten und wegen Spionage zugunsten der Sowjets Ver­urteilten freigelassen, die Freilassung der übrigen steht bevor. Offiziell wird die Haft­entlassung mit Krankheit begründet.

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In Washington wurde der neue US-Präsi­dent Richard Nixon vereidigt. Die feierliche Zeremonie verlief ohne Zwischenfälle, ob­wohl zu Gegenkundgebungen aufgerufen worden war. mi.

FEUILLETON:

Ein Staat vor Gericht

Zur westlichen Erstaufführung von Rolf SchneidersProzeß in Nürnberg

Man ist in Wien vor Überraschungen nicht sicher: da übernimmt ein alter Herr die Di­rektion des Burgtheaters und bringt nach ein paar Monaten ein Stück auf diese ehr­würdige Bühne, das dem Stammpublikum den schwersten Schock zufügt. Er tut dies noch dazu mit dem Werk eines jungen ost­deutschen Autors und beeilt sich, nach der Ostberliner Uraufführung in der westlichen Welt der erste zu sein. Szenen und Worte, wie man sie nun sah und hörte, waren im luxuriösen Milieu dieses von der konservati­ven Regierung hochsubventionierten Hauses bisher unvorstellbar gewesen. Natürlich mußte es dem kühnen Direktor Paul Hoff- mann auch klar sein, daß ein erheblicher Teil des Premierenpublikums vor fünfund­zwanzig Jahren eindeutig auf jener Seite gestanden hatte, die jetzt auf der Bühne vernichtend angeklagt wurde. Mit einem Wort, die Tatsache der westlichen Erstauf­führung von Rolf SchneidersProzeß in Nürnberg spricht nachdrücklich für den Mut und moralischen Emst der neuen Burg­theaterdirektion.

Man hat es mit einem Dokumentarstück nach dem Muster von KipphardtsDer Fall Oppenheimer zu tun. Dramaturgisch steht da wie dort eine Gerichtssituation im Zen­trum, von der aus der Stoff aufgerollt wird. Die Realität kommt zur Wirkung, ohne be­sondere Form, ohne jede Kunst. Die Monta­ge des Materials wurde geschieht durchge­führt, die gebotenen Ausschnitte aus dem welthistorischen Kriegsverbrecher-Prozeß müssen jeden zutiefst erschüttern, der noch einer menschlichen Regung fähig ist.

Rolf Schneider, Jahrgang 1932, beleuchtet in seiner Arbeit den Prozeß als neue ge-

Mittel zum Zweck

In einer Gesellschaft, in der das Alter ver­spottet umrde, sagte der schon recht betagte Komponist Auber:Es ist nicht ganz so schlimm! Übrigens ist es das einzige Mittel, um lange zu leben. , (dpk)

schichtliche Tat, als ein Exempel, das in Zu­kunft nicht mehr übergangen werden könne, denn das Gericht von Nürnberg der Jahre 1945 und 1946 stellt gleichsam für immer je­den Angreifer, jeden Initiator eines An­griffskrieges vor Gericht. Dieser Prozeß, so meint Rolf Schneider, sei nur der Beginn eines nun öffentlich etablierten Gerichts, vor dem sich auch jeder spätere Staatsmann zu verantworten habe. Damit freilich verläßt das Stück den Boden der Realität und schwenkt in die Utopie ein, jedoch in eine Utopie, die im Fundament dieses damaligen Prozesses verankert ist und die anzustreben nie vergessen werden sollte. Man denkt an die verzerrte Form der Fortführung durch das Russell-Tribunal, aber auch an die UNO und all das, was unterlassen wurde. Das

Rolf Schneider ist auch der Autor des Stücks Dieb und König, das Mitte Februar im Klei­nen Haus der Württembergischen Staatsthea­ter in Stuttgart Premiere haben wird.

Werk Rolf Schneiders ist ein moralischer Appell, ein vortreffliches Beispiel für die Möglichkeit eines heutigenTheaters als moralische Anstalt.

Die Anordnung der Rollen und der Texte besticht durch Fairneß und Objektivität. Ge­rade auf diese Weise entsteht stärkste Inten­sität. Wenn der Lagerleiter von Auschwitz, Höß, erklärt, es seien bis zu zehntausend Personen pro Tag und ingesamt zwei Millio­nen vergast worden, und er habe sich wegen des üblen Geruchs bei Hitler beschwert, dann bedarf eine solche Aussage keiner Polemik mehr, Göring, Keitel, Streicher sprechen sich selbst die wirksamsten Anklagen, wobei das Faktum, daß diese Regierung auf demokra­tischem Weg legal an die Macht kam und das Parlament durch Notstandsverordnun- gen ebenfalls legal ausschaltete, besonders schaurig anzuhören ist. Die kaltblütige Tak­tik Hjalmar Schachts gibt dem Zuschauer ebenfalls eine aufschlußreiche Illustration

zum damaligen Geschehen in der Staatslei­tung, die Zeugenaussagen von Paulus, Rundstedt, Milch und anderen fügen Einzel­heiten hinzu, die größtmögliche Authentizi­tät bieten. Eine dramatisierteSpiegel- Lektüre, ein gesprochenes Informations-Ta­schenbuch? Wie dem auch sei, der Eindruck des Abends kann wohl von niemandem mehr vergessen werden.

Kurt Meisel inszenierte mit Piscator-Re- miniszenzen sachgemäß, Lois Eggs nüchternes Gerichtssaalbild wurde durch Projektionen der Originalphotos erweitert. Die Darsteller erreichten nur teilweise eine überzeugende Identität, da sie in manchen Rollen unüber­brückbar zu jung waren. So sehr Heinrich Schweiger als Göring fesselte, er hätte zwanzig Jahre mehr zählen müssen. Auch Edd Stavjanik als Streicher (überhaupt

Das neue Buch, kurz angezeigt:

Illustrierte Weltgeschichte

Es gibt wenig Werke, in denen sich eine abgewogene Darstellung großer historischer Zusammenhänge und eine (im Verhältnis zum Umfang) optimale Information so sinn­voll verbinden wie in Readers DigestIllu­strierter Weltgeschichte. Es handelt sich da­bei um eine Neuausgabe der bewährten Weltgeschichte des 1933 emigrierten und 1947 in den USA gestorbenen deutschen Ge­schichtsprofessors Veit Valentin. Dieses Stan­dardwerk wurde nun wesentlich erweitert, von Albert Wuchter bis zur Gegenwart fort­geführt und durch einen Beitrag von Franz Ansprenger über das heutige Afrika er­gänzt und aktualisiert.

Der Vorzug der zweibändigen Neuausgabe liegt zweifellos aber auch darin, daß der Ab­schilderung weltgeschichtlicher Epochen rot­gedruckte Erläuterungen am Rande hinzu­gefügt sind. Jahreszahlen, Schlachten, Ver­träge, Entdeckungen, Lebens- und Regie­rungszeiten, Ereignisse der Kunst, Statistiken erschließen sich auf diese Weise müheloser und auf einen Blick und befreien überdies den laufenden Text von Datenballast. Diese übersichtliche Gliederung der historischen Fakten gibt insbesondere dem Laien eine hilfreiche Handhabe. Aber selbst derEin­

schwächer in seiner Leistung) fehlten mehr als zwei Jahrzehnte. Gerhard Geissler als Keitel, Karl Blühm als Rundstedt, Erich Auer als Paulus waren glaubhaft, Paul Hoffmann selbst als Schacht bot die interes­santeste und tiefgründigste Gestaltung. Manfred Inger als amerikanischer Staatsan­walt, Paul Hörbiger als alter Jude, Martha Wallner als Widerstandskämpferin hatten erschütternde Momente.

Das Publikum gab zweimal Szenenap­plaus, und die beklemmende Wirkung des Stückes löste sich am Schluß in einem hier fast unpassenden Beifall. Es mag ein erfreu­liches Symbol sein, daß gerade das konser­vative Burgtheater im konservativen Wien dieses wichtige Stück so früh in seinen Spielplan aufnahm und nun seinen zahllo­sen Abonnenten vorsetzt. Wolfgang Kraus

geweihte wird dankbar die Fülle ver­merken, mit der auf 1608 Seiten 526 Bilder und 17 Karten auf 208 teils farbigen Tafeln, 56 Karten im Text und 192 Illustrationen am Rand ausgebreitet sind.

Ein historisches Lesebuch von Qualität und zugleich ein Nachschlagewerk. Unter ver­gleichbaren Büchern ein Schlager!

Readers DigestIllustrierte Weltgeschichte von Veit Valentin, Ganzleinen, zwei Bände 48.50 DM.

Die Galerie Vömel in Düsseldorf stellt gleichzeitig mit einer umfassenden Samm­lung präkolumbischer Terrakotten aus Ecua­dor graphische Blät­ter des 1942 in Dres­den geborenen Klaus Böttger aus (bis 28. Februar). Unsere Ab­bildung zeigt eine Ra­dierung Böttgers aus dem Jahre 1968.

Kostbare Autographen

Der jetzt veröffentlichte Katalog für die am 18. und 19. Februar stattfindende Winter- auktion der Marburger Autographenhand­lung J. A. Stagardt, die größte diesjährige Handschriften-Versteigerung in Deutsch­land, enthält eine Fülle von Dokumenten zur europäischen Geistesgeschichte der letz­ten fünf Jahrhunderte. Zu den herausragen­den Stücken gehören zwei Brieffolgen von Albert Einstein aus der Entstehungszeit der Relativitätstheorie, die Schlußverse von Bertolt Brechts StückDie Mutter, ein Ori­ginalmanuskript von Hermann Hesse und die Urschrift von Heinrich Manns Aufsatz Der Weg der deutschen Arbeiter (1936). Unter den Musikalien nehmen ein Mozart- Streichquartett, drei Lieder von Frederic Chopin, drei Klavierstücke von Schönberg, ein Lied von Hugo Wolf und der Gesang aus demKrämerspiegel von Richard Strauss eine besondere Stellung ein. (AP)

Unbekannter Anton Webern

Anton Webern, einer der strengsten Zwölftöner, stand zeit seines Lebens im Schatten seines Lehrmeisters Arnold Schön­berg. Bei aller formalen Freizügigkeit führte seine zerfasernde Athematik meist nur zum knapp gefaßten Aphorismus oder zur Minia­tur esoterischer Artistik. Der bisher als Fünf Stücke für Orchester op. 10 bekann­te Zyklus konnte durch sechs weitere Stücke, die Hans Moldenhauer, der das We- bem-Archiv in Washington begründete, auf einem Speicher in Wien entdeckte, erweitert werden. Diese gehören in die Stilwelt der Orchesterstücke, die kurze tönende Zeichen setzt. Auch auf dem vokalen Sektor konnten drei posthume Orchesterlieder uraufgeführt werden. Die japanische Sopranistin Emiko Iiyama sang sie mit verhaltener Hingabe und überlegenem Ausdruck. Friedrich Cerha und sein Wiener Ensembledie reihe, das durch Musiker des WDR-Orchesters ver­stärkt war, betonten das konstruktive Ele­ment Webems mit Stilgefühl. fh-

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