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Politik
Freitag, 24. Januar 1969
FDP nominierte Wahlmänner
Stuttgart (dpa). Die FDP/DVP-Fraktion des baden-württembergischen Landtags hat in einer Fraktionssitzung ihre zehn Wahlmänner für die Bundespräsidentenwahl nominiert. Sie wird fünf Landtagsabgeordnete und fünf Nichtparlamentarier in die Bundesversammlung entsenden. Es sind die Landtagsabgeqrdneten Dr. Wolfgang Hauß- mann, zugleich Ehrenvorsitzender der baden-württembergischen FDP, Hans Albrecht, Oskar Marczy, Alexander Nagel, Ernst Rudigier. Als Nicht-Parlamentarier werden der nordwürttembergische FDP-Bezirksvorsit- zende Dr. Helmut Gaiser, FDP-Landesge- schäftsführer K. H. Hummel, der Lenzkir- cher Oberstudienrat Hans Kaiser-Dickhoff, der Ravensburger Rechtsanwalt Dr. Walter Kübler und der frühere Landtagsabgeordnete Friedrich Vortisch nominiert.
ÖTV-Vorsitzender Kluncker in der Bundesversammlung
Stuttgart (dpa). Der Bundesversammlung zur Wahl des Bundespräsidenten wird auch der ÖTV-Vorsitzende Heinz Kluncker angehören. Kluncker ist von der SPD-Fraktion im Landtag als einer ihrer Wahlmänner nominiert worden. Zu den von der SPD-Land- tagsfraktion vorgeschlagenen Vertretern für die Bundesversammlung zählen auch Käthe Erler, die Witwe von Fritz Erler, der stellvertretende Vorsitzende des SPD-Landesver- bandes Baden-Württemberg und Vorsitzende der Stuttgarter Industriegewerkschaft Metall, Karl Schwab, der Landesvorsitzende der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft, Emil Blechschmidt, und der stellvertretende Vorsitzende des SPD-Landesverbandes Baden-Württemberg Dr. Heinz Brückner. Aus den Reihen der SPD-Fraktion wurden nominiert: Heinz Bühringer, Heinrich von Hacht, Kurt Angstmann, Paul Hofstetter, Karl Hauff, Paul Doll, Hanne Landgraf, Josef Schmidt, Klaus Weyrosta und Gottfried Haase. Dazu kommt noch der Fraktionsgeschäftsführer Richard Jäckle. Die Fraktion hat insgesamt 22 Wahlmänner zu stellen. Die eine Hälfte sind Abgeordnete, die andere sind Persönlichkeiten, die dem Parlament nicht angehören.
Brandt: SPD nimmt die Herausforderung der Jugend an
Bonn (AP). Einen aktiven Dialog zwischen der SPD und der jungen Generation in der Bundesrepublik will Bundesaußenminister Willy Brandt erreichen. „Die SPD nimmt die Herausforderung der kritischen jungen Generation an“, erklärte der Vizekanzler gestern in Bonn in einer Stellungnahme zu einem Brief des Bundesjugendringes, in dem Brandt für das Engagement während des SPD-Jugendkongresses „herzlich und aufrichtig“ gedankt wurde. Brandt hatte am SPD-Jugendkongreß trotz seiner Erkältung teilgenommen. Er erklärte in der Erwiderung an den Bundesjugendring ferner, daß sich trotz vereinzelter Unebenheiten auf dem Jugendkongreß manche Anregungen ergeben hätten, die gewissenhaft ausgewertet würden. Die SPD bleibe jedoch dabei, daß dem „antidemokratischen Radikalismus“ in der Bundesrepublik keine Konzessionen gemacht werden würden.
Nach dem Durchzug eines Schlechtwettergebiets am Donnerstag setzt sich in unserem Raum wieder leichter Hochdrudeeinfluß durch. Dabei kann später von Norden her wieder etwas kältere Meeresluft bei uns einsickem.
Am Freitag überwiegend stark bewölkt und teilweise neblig trüb, aber meist niederschlagsfrei. Tageshöchsttemperaturen in den Niederungen bis fünf Grad, auch in den Hochlagen noch leichtes Tauwetter. Tiefsttemperaturen in der Nacht kaum unter null Grad. Am Samstag voraussichtlich noch störungsfrei, aber vor allem in den Hochlagen wieder Temperaturrückgang und im weiteren Verlauf dort auch leichter Frost möglich, in den Niederungen verhältnismäßig mild.
Für Bildungspolitik große Schlachten geschlagen
Zweite Beratung des Kultus-Etats im Landtag / Gemäßigte Kritik an Hahn Von unserer Stuttgarter Redaktion
Stuttgart. In einem großangelegten Überblick über die Schwierigkeiten, die Auseinandersetzungen, Möglichkeiten und Erfordernisse wies gestern Kultusminister Professor Hahn bei der zweiten Lesung des Kultusetats im Landtag darauf hin, daß die Bildungspolitik heute zum umkämpftesten Bereich der Politik geworden sei. Kultusminister und Verwaltung seien die beliebteste Zielscheibe der Kritik geworden. Von dieser Kritik war allerdings in den Reden der Sprecher der Fraktionen nicht allzuviel zu spüren, lediglich Professor Dahrendorf von der Opposition meldete in einigen Punkten Vorbehalte an.
Der Sprecher der CDU, Oberstudiendirektor Uhrig, warnte in seiner Rede vor illusionärer Bildungsromantik und unrealistischer Reformhysterie. Uhrig sprach sich für ein überschaubares und in den Strukturen aufeinander abgestimmtes Bildungssystem aus. Die CDU wolle keinen „Einheitsbrei“, sondern ein Bildungswesen, das den individuellen Belangen des jungen Menschen wie den Erfordernissen der Zukunft optimal gerecht werde. Unter diesen Gesichtspunkten halte das von der SPD propagierte Schul- und Bildungsmodell den Gegebenheiten unserer Zeit und den Erfordernissen der modernen Leistungsgesellschaft nicht stand. Die CDU trete nicht zuletzt deshalb für die differenzierte Leistungsschule ein, weil vereinheitlichende Konstruktionen den Anforderungen der Leistungsgesellschaft nicht gerecht würden.
Zu den Unruhen an den Universitäten sagte Uhrig, die CDU bekunde ihren ausdrücklichen Willen zu Reformen, wende sich jedoch gegen Machenschaften radikaler Gruppen, deren Ziel nicht die Reform, sondern der Umsturz sei. Allerdings müsse man auch künftig mehr die Professoren im Auge behalten, die oft Anlaß für solche Unruhe gäben.
Das Bildungswesen steht nach Auffassung des SPD-Sprechers Lorenz, der sich zur Fortsetzung der Reformpolitik im gesamten Bildungswesen bekannte, im Zeichen weitreichender Entwicklungen. Lorenz empfahl eine Überprüfung des Schulentwicklungsplans im Blick auf einen Abbau des regionalen Bildungsgefälles. Schließlich müsse auch
die Tatsache gesehen werden, daß Baden- Württemberg die höchsten Klassenstärken habe und die Wochen-Stundendeputate der Lehrer höher seien als in anderen Bundesländern. Der Teufelskreis, daß man Lehrer
mangel habe wegen nicht genügender Attraktivität des Berufs und daß man keine Arbeitszeitverkürzung verwirklichen könne, weil Lehrermangel herrsche, müsse durchbrochen werden.
Von der SPD wurden zum Kultusetat Anträge eingebracht, alle Kinder ab dem 6. Lebensjahr einzuschulen, falls gewünscht schon ab fünf Jahren, ferner solle eine der Grundschule zuzuordnende Vorschule für Kinder ab fünf Jahren geschaffen werden. Bis zum Herbst soll eine Ausbildungsvorschrift für die Lehrkräfte der Vorschule dem Landtag vorgelegt werden. Zum Schuljahrbeginn 1971 soll außerdem in den Grundschulen im 3. Schuljahr eine Fremdsprache unterrichtet werden.
Als Sprecher der Opposition anerkannte Professor Dahrendorf zwar die Bemühungen des Kultusministers um eine moderne Konzeption, er warf dem Minister jedoch vor, es sei ihm nicht gelungen, sein Ministerium zu einem fähigen Instrument umzuorganisieren. Ddt Minister habe nicht genügend Kraft und Phantasie aufgebracht, um das Versäumte nachzuholen.
Stimmrecht für Sepp Schwarz
Auf Antrag der Landesregierung mit Stimmen der NPD gewährt
Von unserer Stuttgarter Redaktion
Stuttgart. Der Landtag hat gestern auf Antrag der Landesregierung dem Staatssekretär für Vertriebene, Flüchtlinge und Kriegsegschädigte, Sepp Schwarz (CDU), das Stimmrecht im Kabinett verliehen. Bei der namentlichen Abstimmung stimmten von 107 Abgeordneten 81 für den Regierungsantrag, 23 stimmten mit Nein, drei enthielten sich der Stimme. Außer der FDP stimmten auch fünf SPD-Abgeordnete dagegen. Die Enthaltungen stammten ebenfalls von Sozialdemokraten.
In der Regierungserklärung hatte Ministerpräsident Filbinger, der erst am Vormittag von seinem Amerika-Besuch zurückgekommen war, erklärt, bereits am 11. Juli habe er vor dem Landtag darauf hingewiesen, daß die Frage des Stimmrechts für Staatssekretär Schwarz zusammen mit der SPD einer Lösung zugeführt werden müsse. Es dürfe nicht vergessen werden, daß nach dem Kriege zwei Millionen Flüchtlinge in unser Land gekommen seien, die heute 23 Prozent der Bevölkerung ausmachten.
Im Anschluß an die Regierungserklärung
distanzierte sich Staatssekretär Schwarz entschieden von der NPD und dem Fraktionsvorsitzenden Gutmann, der früher einmal gesagt hatte, die NPD setze sich aus „alter Kameraderie“ für Sepp Schwarz ein. Schwarz bekräftigte gestern, er habe seit seinem Übertritt vom Gesamtdeutschen Block/BHE zur CDU keinen Kontakt mehr mit Gutmann, der früher ebenfalls dem BHE angehört hatte, gehabt.
Für die SPD sagte der Fraktionsvorsitzende Bühringer, bei der Regierungsbildung 1968 sei weder ein Stimmrecht für den Staatssekretär vereinbart, noch ausgeschlossen worden. Nach der Distanzierung des Staatssekretärs von der NPD sei der SPD eine Zustimmung zur Verleihung des Stimmrechts im Kabinett möglich.
Von der NPD war in der gestrigen Sitzung wiederholt darauf hingewiesen worden, daß sie sich als erste für das Stimmrecht des Staatssekretärs eingesetzt habe. Dieses „Erstgeburtsrecht“ lasse sie sich nicht nehmen, auch wenn sie jetzt ihren Antrag zurückziehe und für den CDU-Antrag stimme.
Hilfsfahrzeuge für Kampfpanzer
Benda und Daume gegen „Staatssport“
Bundesinnenminister sagt verstärkte Förderungsmaßnahmen zu
Bonn (AP). Die Bereitschaft der Bundesregierung zu verstärkten Förderungsmaßnahmen im Sport hat Bundesinnenminister Ernst Benda (CDU) gestern in Bonn betont. In einem öffentlichen Hearing des Innenausschusses des Bundestages vertrat der Minister die Auffassung, daß es in der Bundesrepublik auch weiterhin keinen „Staatssport“ geben solle. Der Bund und die Länder müßten jedoch in verstärktem Maße als bisher zusammen mit den Sportorganisationen., das Bestmöglichste im Sportbereich tun.
Benda vertrat vor dem Ausschuß die Ansicht, daß der Sport in der Bundesrepublik künftig nicht mehr ohne hauptamtliche Führungskräfte auskommen werde. Sie sollten die ehrenamtlichen Kräfte entlasten.
Als vordringlich bezeichnete Benda die Förderung der Sportforschung, die Errichtung von Lehrinstituten und Lehrstühlen an Universitäten und von Trainingszentren für alle Sportarten.
Der Präsident des Deutschen Sportbundes (DSB), Willi Daume, begrüßte die Ausführungen Bendas als ermutigend. Er bot die enge Zusammenarbeit der Sportorganisationen mit den öffentlichen Stellen an und bekräftigte erneut seine Absage an den Staatssport. Er wies die weitverbreitete Ansicht zurück, daß der Sport in der Bundesrepublik durch die freiheitliche demokratische Ordnung gegenüber anderen Staaten unterlegen
sein müsse. Es komme vielmehr darauf an, alle Möglichkeiten der Zusammenarbeit auszuschöpfen, um einen höchstmöglichen ökonomischen Einsatz zu erzielen.
U-Hai-Bericht bei der Lübecker Staatsanwaltschaft
Lübeck/Kiel (AP). Das umstrittene marineinterne Gutachten einer Untersuchungskommission zum Fall „U-Hai“ ist bei der Staatsanwaltschaft in Lübeck eingetroffen, die es nach dem Wiederaufleben der Diskussion um den Untergang des U-Bootes am 14. September 1966 in der Nordsee von der Marineführung angefordert hatte. Wie ein Sprecher des schleswig-holsteinischen Justizministeriums gestern in Kiel mitteilte, will die Staatsanwaltschaft in Lübeck den Bericht daraufhin prüfen, ob ein neues Ermittlungsverfahren im Fall „U-Hai“ eingeleitet werden soll.
Die Staatsanwaltschaft hatte vor einer Woche eine Wiederaufnahme des Verfahrens angekündigt, wenn die Untersuchungskommission in ihrem Bericht über die Ursache des Unterganges der „U-Hai“ zu einem anderen Ergebnis gekommen sein sollte, als die bereits damals mit der Sache befaßte Lübecker Anklagebehörde, die ihr Verfahren im August 1967 eingestellt hatte.
Washington (dpa). Das größte gemeinsame Rüstungsprojekt der Bundesrepublik und der USA, der sogenannte Kampfpanzer 70, soll durch eine Reihe gepanzerter Hilfsfahrzeuge ergänzt werden. Die amerikanische Armee hat der Firma Lockheed einen 271 OOO-Dollar-Studienauftrag (rund 1,3 Millionen Mark) erteilt, um Definitionen der Hilfsfahrzeuge zu erhalten. Untersucht werden eine fahrbare Brücke bis zu 30 Metern Länge, um Gräben und Flüsse zu überwinden, ein Pionierfahrzeug mit Kran und Werkstatt und ein ebenfalls gepanzerter Abschleppwagen. ' : **= ,
Kurz gestreift
Die Aussprache zwischen Bundeskanzler Kiesinger und den Vorsitzenden der Kriegsopferverbände wurde auf Bitte eines der Verbände vom 28. Januar auf den 4. Februar verschoben.
Dr. Hans Eisenmann, CSU-Politiker und Landrat von Pfaffenhofen, soll Nachfolger des ausscheidenden bayerischen Landwirtschaftsministers Hundhammer werden.
Ex-US-Präsident Johnson hat Bundeskanzler Kiesinger in einem Brief versichert, daß er auch künftig den „gemeinsamen Zielen unserer beiden Länder verbunden“ bleiben werde.
Der Herrscher von Malaysia, Tuanku Ismail Nasuriddin Schah, und seine Gattin werden im Frühjahr die Bundesrepublik besuchen.
Norwegen hat als 85. Land den Atomwaffensperrvertrag ratifiziert.
August Steuer, der Verleger der in New York erscheinenden deutschsprachigen „Staatszeitung und Herold“, ist im Alter von 66 Jahren in New York gestorben.
Um Gerstenmaiers Nachfolger
Gerstenmaiers nunmehr beschlossener Rücktritt hat in Bonn sogleich eine Flut von Spekulationen über seinen Nachfolger als Präsident des Bundestags hervorgerufen. Als Favorit gilt der 48jährige Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion, Rasner. Es ist unstreitig, daß die CDU als stärkste Partei auch den neuen Parlamentspräsidenten stellen wird. Außerdem besteht in der CDU eine starke Neigung, wieder einen evangelischen Politiker zu wählen, obwohl im Amt des Bundespräsidenten ein Konfessionswechsel bevorsteht, gleich ob Heinemann oder Schröder gewählt wird.
Zunächst ist in der CDU/CSU zu entscheiden, ob nur eine Übergangslösung bis zur nächsten Wahl oder eine Dauerlösung gefunden werden soll, die auch nach den Wahlen aufrechterhalten werden könnte, falls die CDU/CSU die stärkste Partei bleibt. Rasner würde als eine Dauerlösung betrachtet. Ältere Abgeordnete, wie zum Beispiel der Frankfurter Wilhelmi, der schon einmal dem Bundeskabinett angehört hat, kämen dagegen nur als Übergangslösung in Betracht.
EJei Rasner spielt eine wesentliche Rolle, daß seine Fraktion sich ihm verpflichtet fühlt, da er mehr als ein Jahrzehnt hindurch die aufreibende tägliche Kleinarbeit getan hat, die an der Fraktionsspitze notwendig ist, ohne dafür jemals mit einem höheren Amt belohnt zu werden. Bei den anderen Fraktionen dürfte die Vorstellung, Rasner das Parlamentspräsidium zu geben, dagegen auf einiges Unbehagen stoßen, da er als ein besonders eifriger Verfechter seiner Parteiinteressen gilt. W. W.
Nachwehen der Koalitionsbildung
Die Große Koalition in Stuttgart war eine schwere Geburt gewesen. Ganz ausgestanden ist sie erst seit gestern, als im Landtag Staatssekretär Schwarz unter einigen Wehen das Stimmrecht im Kabineft verliehen worden ist. Obwohl die SPD keineswegs zu den Gewinnern der Landtagswahl vom Frühjahr 1968 zu zählen war, wurden den Sozialdemokraten von der CDU trotzdem wieder vier Ministerposten eingeräumt. Allerdings mußten sich die SPD-Unterhändler damals dazu bequemen, als Ausgleich der CDU zwei Staatssekretäre zuzugestehen.
Politisch interessant war dabei vor allem die Position des Staatssekretärs für das Flüchtlingswesen. Im Dezember 1966, als erstmals eine Große Koalition zustande kam, hatte der bisherige Staatssekretär Sepp Schwarz diesen Posten ebenfalls aus Gründen der Koalitions-Arithmetik verloren. Bei den Verhandlungen vor einem Jahr war, wohl um überhaupt eine Koalition zustandezubringen, die Wertigkeit des wiedererstandenen Staatssekretärs offengelassen worden. Die SPD ging davon aus, der Flüchtlingsstaatssekretär werde kein Stimmrecht im Kabinett erhalten, die CDU hatte das Gegenteil im Sinn. So kam es zu der seltsamen Konstruktion, daß Sepp Schwarz Staatssekretär mit Sitz im Staatsministerium wurde, seine Abteilung jedoch zum' Innenmi- .nisterium des SPD-Ministers Krause gehörte.
SPD und CDU war bei dieser Lösung sicher nicht ganz wohl, weil zu allem ausgerechnet die NPD als erste den Antrag stellte, dem Staatssekretär für die Flüchtlinge Stimme im Rat der Minister zu verleihen. Ministerpräsident Filbinger wandte sich deshalb dagegen, daß der Landtag von sich aus einen derartigen Vorschlag mache, der die politische Basis der Regierung verändere. Nur dem Regierungschef stehe die Berufung zu. Gestern wurde nun dem Staatssekretär Schwarz doch das Stimmrecht vom Landtag gegeben, allerdings auf Antrag der CDU und mit Billigung der SPD. Sachlich ändern wird sich dadurch wenig, aber das Kräfteverhältnis im Kabinett heißt jetzt sechs zu vier zugunsten der CDU. Und nicht vergessen werden darf noch eins: In diesem Jahr sind Bundestagswahlen und die Flüchtlingsstimmen sind begehrt. -ill-
FEUILLETON:
Wenn die Kunst anfängt weh zu tun ...
Abendfüllender Einakter von Edward Albee im Münchner Werkraumtheater
Braver Realismus
Schon der deutsche Titel ist ein harter Brocken: „Kiste — Worte des Vorsitzenden Mao Tse-tung — Kiste“. Im amerikanischen Original klingt’s weniger umständlich: „Box — Mao — Box“. Die riesige Kiste, die zu Beginn und am Schluß auf der Bühne steht, ist wohl nur ein zufälliger Einfall des sonst so hochdramatischen Autors von „Wer hat Angst vor Virgina Woolf?“, Edward Albee. In diesem neuen Stück hält er sich dramatisch sehr zurück und dehnt den gut gemeinten Sketch von der Diskrepanz zwischen Kunst und Wirklichkeit in einer korrupten kapitalistischen Gesellschaft zum abendfüllenden Einakter aus.
Personen der Handlung oder vielmehr Nicht-Handlung: Eine unsichtbare Stimme, die zu Beginn einen langen Monolog spricht und von der löblichen Kunst des Kistenma- chens zu den Säuglingen in der Welt übergeht, die sterben müssen, weil um des Geldes willen so viel Milch verschüttet wird; die seufzend feststellt, daß es Zeit wird, sich zu besinnen, wenn die Kunst anfängt, weh zu tun. Therese Giehse sprach das präzise mit viel Nachdruck, bedeutungsschwangeren Pausen und akzentuierenden Seufzern. Nach ihrem langen Monolog wird die Szene hell. In einer Ecke hockt eine alte verhärmte Frau. In zwei bequemen Liegestühlen unterhalten sich in der Mitte der Bühne eine ältere amerikanische Dame und ein Priester, d. h. es spricht ausschließlich die Dame, im Personenregister als die „Langatmige“ ge-
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Der Griff
Emmerich Kälmän berichtete gern von einer originellen Taufsitte der ungarischen Zigeuner. Dem Täufling werden eine Geige und eine goldene Uhr vor die Nase gehalten. Greift er nach der Geige, so wird er später einmal Musiker; greift er nach der Uhr, so wird er ein Dieb. Greift er hingegen nach beidem, so wird er — Operettenkomponist.
(GP)
kennzeichnet. Und schließlich bewegt sich leger Mao Tse-tung, ein rotes Fähnchen an der Brust, über die Szene und zitiert zusammenhanglos aus seiner roten Bibel.
Natürlich haben diese Personen eigentlich nichts miteinander zu tun, sie sollen die Einsamkeit und Grausamkeit der kapitalistischen Welt demonstrieren. Die alte verhärmte Frau rezitiert, sich oft und lange wiederholend, die sentimentale Ballade von der Armenhäuslerin, die den Undank ihrer Kinder erntet (Der Text ist in der Tat ein Gedicht von einem Will Carpenter, den Albee seinem Stüde einmontierte). Unterbrochen werden die Verse immer wieder von dem wirklich sehr langatmigen Geplauder der reichen Amerikanerin über einen Sturz, den sie einmal über die Reeling eines Dampfers tat, über den Krebstod ihres Mannes, über tausend nichtige Einfälle, wie sie die Einsamkeit gebiert. Diesen banalen Text servierte Grete Mosheim allerdings mit großartiger Virtuosität. Die stumme fatale Rolle des sich nur in gestischen Reaktionen äußernden Geistlichen — die Kirche schweigt zu allem Übel — hatte Jörg Schleicher auf sich genommen. Zwischen Armenhaus-Versen und Mosheim-Geplauder brachte Dieter Kirchlechner gelassen und scheinbar wahllos als Mao seine Zitate an, Schlagworte vom notwendigen Tod des kapitalistischen Systems, vom gerechten und ungerechten Krieg, vom unendlichen Sieg des Mao-Kommunismus. Als die Verse aus, die Redeflut der Mosheim ebenfalls und auch Mao endlich schwieg, erklang derselbe Monolog der Giehse vom Beginn noch einmal ohne Variation. Das war’s.
Um Langeweile brauchte man nicht besorgt zu sein. Es war reichlich davon da. Und der junge Regisseur Ulrich Heising konnte da auch nichts machen. Wenn die famose Grete Mosheim nicht gewesen wäre... So bedankte sich das geladene intellektuelle Premierenpublikum des Werkraumtheaters der Münchner Kammerspiele höflich für diese deutsche Erstaufführung. H. Lehmann
Fotografische Bildnisstudien zu Gemälden von Lenbach und Stuck zeigt das Folkwang- Museum Essen in einer Ausstellung bis 16. Februar. Unser Bild zeigt daraus die Fotografie der Frau von Stuck und rechts die Durchzeichnung auf der Rückseite. Nach dieser Durchzeichnung schuf Franz von Stuck dann das Originalgemälde seiner Frau.
Kurt Hübner in Schwäbisch Hall
Auf dem Spielplan der Freilichtspiele Schwäbisch Hall im Sommer 1969 stehen neben dem traditionellen „Jedermann“ von Hofmannsthal (Regie: Achim Plato), Shakespeares „Romeo und Julia“ und Calderons „Das Leben ist ein Traum“. Die Inszenierungen übernehmen die Gastregisseure Generalintendant Kurt Hübner (Romeo und Julia), und Professor Heinz Dietrich Kenter (Das Leben ist ein Traum). Die Spielzeit ist in der Zeit vom 21. Juni bis 23. August 1969 vorgesehen. (dpa)
Maler Erich Waske 80 Jahre
Der Berliner Maler Erich Waske, der sich vor allem durch monumentale Kirchenfenster und Fresken über seine Vaterstadt hinaus einen Namen gemacht hat, vollendet am 24. Januar sein 80. Lebensjahr. Die Monumentaltechnik, die einen Verzicht auf alle anekdotischen Zufälligkeiten erfordert, hat auch die Komposition der Landschaftsbilder und anderer Arbeiten kleineren Formats von Waske beeinflußt. (dpa)
Ein Schauspiel aus
Der rührige Internationale Studenten- Club in Freiburg machte es möglich: in einer „DDR-Woche“ gastierte ein Ostberliner Ensemble im Freiburger Stadttheater. „Barbara“, ein Schauspiel mit dem Untertitel „Drei Biographien“ von dem 56jährigen Harald Hauser, wurde in der Inszenierung des Autors vom „Theater im 3. Stock der Volksbühne Berlin“ vorgeführt. Das originale Programmheft verriet, daß Hauser sein 1964 uraufgeführtes Werk unterdessen zusammen mit der Volksbühne überarbeitet hatte, „um das Stück wieder ganz heutig zu machen“, wie es in klassischem Deutsch hieß. Wie weit sich dadurch das Konzept Hausers verschoben hat, war den spärlichen Angaben des Programmheftes im Vergleich zur Aufführung nicht zu entnehmen.
Immerhin behandelt Hauser das delikate Thema der Flucht in den Westen aus östlicher Sicht; er vermeidet Klischees, wenn er versucht, die Haltung der — vergeblich — Flüchtenden zu motivieren. Einem zynischen Ingenieur, der eigentlichen Zentralfigur des
Tschechische Kunst in Biberach
Die Tschechoslowakei wird sechs Wochen lang in Biberach zu Gast sein. Das Kulturamt der Stadt eröffnet am kommenden Sonntag als Auftakt zu einem umfangreichen Kulturprogramm aus der CSSR die Ausstellung „Moderne und naive Kunst aus der Slowakei“. Im Februar gastieren das „Schwarze Theater Prag“ mit den „Sieben Visionen des Herrn S“, das Novak-Quartett mit Werken zeitgenössischer tschechischer Komponisten und die Schriftstellerin Renata Pandula mit einer Lesung. Im März wird Roman Hemala vom Städtischen Theater in Prag Geschichten von Karel Capek lesen. Den Abschluß bilden Lesungen zeitgenössischer Schriftsteller der CSSR. Das Kulturprogramm soll über Biberach hinaus Kunstfreunde in Oberschwaben ansprechen, (dpa)
der DDR in Freiburg
Dreipersonenstücks, legt er sogar recht „provozierende“ Bonmots über die DDR und ihre Verhältnisse in den Mund. Doch die Argumente in der rückblendenreichen Diskussion mit seiner parteitreuen Frau, die ihn verlassen will, und seiner schnippisch-kritischen Tochter dringen nie recht durch die Oberfläche politischer Thesenreiterei und freundlicher Ermahnungen; die psychologische Deutung der Motive fällt weithin aus. Bemerkenswert unter den Voraussetzungen, unter denen dieses Stück entstand und gespielt wird, ist jedoch der Einfall, keine Lösung anzubieten: die drei — solide spielenden, gut profilierten — Darsteller testen drei Schlußszenen, können sich aber nicht zu einer Lösung entschließen.
Das Freiburger Publikum, das überraschend viel Interesse für das Gastspiel zeigte, nahm die Aufführung als aufschlußreiche Information; es applaudierte freundlich und lachte nur spöttisch, als die politischen Tira- den zu saftig von der Bühne tropften. Bl.
Boulez Chef der BBC-Symphoniker
Der 43jährige französische Komponist und Dirigent Pierre Boulez, mehrfach Dirigent der Ulmer Konzerte, übernimmt von September 1971 an die Leitung des BBC Symphony Orchestra in London. Als Qiefdirigent des Orchesters der British Broadcasting Corporation erhält Boulez einen Dreijahresvertrag, der ihn zu jährlich fünfmonatiger Arbeit mit dem Orchester und mindestens 40 Konzerten im Jahr verpflichtet. Boulez ist gegenwärtig regelmäßiger Gastdirigent beim Cleveland Symphony Orchestra in Ohio und hat in den vergangenen zwei Jahren auch mehrfach das BBC-Orchester geleitet. Beim Britischen Rundfunk wird Boulez Nachfolger von Colin Davis, der zum Royal Opera House Co- vent Garden überwechselt. (AP)