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Politik
Mittwoch, 22. Januar 1969
60000 Mark Belohnung für Aufklärung der Soldatenmorde
150 Spuren des Munitionsdepot-Uberfalls werden verfolgt
Evangelische Ost-Kirchen trennen sich von der EKD
Berlin (dpa). Was bisher nur als Vermutung unter Beobachtern kursierte und von offiziellen evangelischen Kirchenleuten mindestens in der Bundesrepublik bestritten wurde, liegt nun offen zutage: Der geplante Evangelische Kirchenbund in der DDR löst sich von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD). Es wird nach Gründung des Bundes in der DDR in diesem Sommer keine EKD als organisierte Einheit mehr geben. Sie hat gerade 20 Jahre bestanden.
Die acht östlichen Landeskirchen beugen sich der kommunistischen Zwei-Staaten- Theorie. Den unmittelbaren Anlaß gab die neue DDR-Verfassung von 1968, wonach die Kirchen ihre Tätigkeit „in Übereinstimmung mit der Verfassung und den gesetzlichen Bestimmungen der DDR“ auszuüben haben.
Kurz gestreift
Erhebliche Mängel in der Ausrüstung des von Nordkorea gekaperten US-Spionageschiffs „Pueblo“ kamen jetzt vor dem Untersuchungsgericht der US-Marine zur Sprache. U. a. gab es keine Möglichkeit, das Geheimmaterial notfalls durch Sprengen zu zerstören.
Mehrere Verletzte gab es am Montagabend bei Zusammenstößen zwischen der Wiener Polizei und 700 Demonstranten, die vor dem Amerikahaus gegen den Krieg in Vietnam protestierten.
Mildernden „Umständen“ verdankt es der griechische Ex-General Argyropoulos, daß er nicht zum Tode verurteilt wurde. Er war gestern von einem Militärgericht in Athen des Hochverrats für schuldig befunden worden und zu einem Jahr Gefängnis mit Bewährung verurteilt worden.
Unter der Drohung eines neuen Generalstreiks begannen gestern in Italien zwischen Gewerkschaften und Regierung Verhandlungen über eine Renten-Reform um die Erhöhung der Mindestrenten.
Vier Abgeordnete der italienischen KP gehören künftig dem Europa-Parlament in Straßburg an. Sie sind die ersten Kommunisten, die in diesem Gremium einen Sitz haben werden.
Von unserer Bonner Redaktion
Bonn. Der Bundestag wird wahrscheinlich noch vor der Wahl in einer Kampf abstim- mung über das Problem der Verjährung entscheiden. Zuvor soll die Bundesregierung nach dem Wunsch der CDU/CSU-Fraktion dem Parlament ihre Ansicht zu der umstrittenen Frage darlegen. Mit einer entsprechenden großen Anfrage will die CDU/CSU erreichen, daß der Bundestag sich in einer Debatte mit allen Aspekten einer Aufhebung der Verjährung für Mord und Völkermord auseinandersetzt.
Der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU, Barzel, erklärte gestern in Bonn, seine Fraktion wolle zuerst einmal die Sach- und Rechtslage aus der Sicht der Bundesregierung hören. Dazu gehöre auch der kürzlich von den Vereinten Nationen verabschiedete Beschluß, nach dem Völkermord nicht mehr verjähren soll. Dem Bundeskabinett liegt, seit August des vergangenen Jahres ein Gesetzentwurf Bundesjustizminister Heine-
Unter dem Einfluß einer über Mitteleuropa liegenden Hochdruckzone hält bei uns das störungsfreie und in den tieferen Lagen teilweise neblig-trübe Wetter an.
Mittwoch und Donnerstag in den Tallagen stellenweise Nebel oder Hochnebel. Sonst nur geringe Bewölkung und allgemein niederschlagsfrei. Tageshöchsttemperaturen einige Grade über null, in Nebelgebieten um null Grad, später zum Teil auch tagsüber leichter Frost. Tiefsttemperaturen nachts bis minus fünf Grad. Schwacher Wind aus Süd bis Südost. (Mitgeteilt vom Wetteramt Stuttgart.)
L e b a c h (dpa). Rund 150 Spuren werden zur Zeit von der Sonderkommission verfolgt, die den Überfall auf das Bundeswehr- Munitionsdepot in Lebach aufklären soll. Diese Mitteilung machte der Leiter der Kommission, der Karlsruher Oberstaatsanwalt Siegfried Buback, vor Journalisten. Eine „weitere größere Menge“ von Hinweisen werde bei den Landeskriminalämtern bearbeitet.
Belohnungen in Höhe von 60 000 Mark sind inzwischen für die Ergreifung der unbekannten Räuber ausgesetzt worden, die am Montag bei einem blutigen Überfall auf ein Munitionsdepot bei Lebach (Saarland) drei Bundeswehr-Soldaten erschossen und zwei weitere schwer verletzt haben. Gestern setzte Bundesverteidigungsminister Gerhard Schröder 50 000 Mark für sachdienliche Hinweise aus, nachdem schon am Vortag die saarländische Regierung 10 000 Mark für diesen Zweck bereitgestellt hatte.
Die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe schloß am Dienstag nicht die Möglichkeit aus, daß es sich bei dem vermutlich von zwei Männern ausgeführten nächtlichen Überfall um einen bloßen terroristischen Akt zur Demoralisierung der Bevölkerung und der Soldaten handeln könne.
Nach dem Obduktionsbefund ist bei dem Überfall der wachhabende 21jährige Unteroffizier Erwin Poh durch einen Schuß von hinten getötet worden, der ihn wahrscheinlich im Liegen getroffen hat. Bei den Gefreiten Arno Bales (27) und Dieter Horn (21) sei der Tod nach dem Obduktionsergebnis durch je einen Schuß ins Herz eingetreten. Mutmaßliche Tatwaffen waren eine Pistole vom
manns vor. Bundeskanzler Kiesinger ließ ihn bisher aber nicht auf die Tagesordnung setzen, weil er hoffte, die Meinungsverschiedenheiten in der Großen Koalition über dieses Thema beilegen zu können. Doch das ist offensichtlich noch nicht gelungen.
Die Entscheidung über die Verjährung liegt nach Ansicht politischer Beobachter bei der CDU. Die SPD hat sich wiederholt für Heinemanns Gesetzentwurf ausgesprochen. Die FDP und die CSU lehnen ihn ab. Es kommt jetzt darauf an, wie viele CDU-Abgeordnete sich dafür entscheiden, daß die Verjährung bei Mord und Völkermord aufgehoben werden soll. Der Fraktionsvorsit-. zende Barzel hat — wie man hört — nicht die Absicht, in der umstrittenen Frage einen Fraktionsbeschluß herbeizuführen.
Bonn (dpa). Vor der Gefahr einer „weltweiten Isolierung“ der Bundesrepublik warnte der SPD-Bundesgeschäftsführer Hans Jürgen Wischnewski gestern in Bonn für den Fall, daß die Bundesregierung ihre Unterschrift unter den Atomwaffensperrvertrag zu lange hinauszögert.
Der SPD-Politiker bat die Koalitionspartner CDU und CSU eindringlich, sich in dieser Frage nun schnell zu entscheiden. „Diejenigen, die jetzt bremsen, müssen bereit sein, auch die Verantwortung für diese weltweite Isolierung der Bundesrepublik zu übernehmen.“ Die Unterschriften der beiden wichtigsten „Schwellenmächte“ Italien und
Typ „P 38“, Kaliber neun Millimeter, und eine „Schmeissers Patent“, Kaliber sechs Millimeter. Über ein mögliches Motiv für den Überfall machte Buback keine Angaben.
Der Presse wurden am Dienstag Fotos von Gegenständen übergeben, die am Tatort gefunden worden waren. Unter anderem ist es eine blaue Plastikscheibe mit englischer Beschriftung im Durchmesser von acht Zentimetern, die möglicherweise die Blende einer Taschenlampe oder Bestandteil eines Fotoapparates ist. Buback berichtete außerdem,
Von unserem Berliner Korrespondenten
Berlin. In der Kongreßhalle am Ostberliner Alexanderplatz wurde gestern die 22. Tagung des Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe (COMECON) von dem stellvertretenden DDR-Ministerpräsidenten Dr. Weiss eröffnet. An ihr nehmen Delegationen aus der Sowjetunion, Polen, der CSSR, Ungarn, Bulgarien, Rumänien, der Mongolischen Volksrepublik und der DDR teil, die sämtlich von stellvertretenden Ministerpräsidenten geleitet werden. An der Spitze der jugoslawischen Delegation — Jugoslawien ist dem COMECON assoziiert — steht das Mitglied des Exekutivbundesrates Grlickov. Kuba entsandte Beobachter.
Breiten Raum in den Beratungen nehmen, wie gestern bekannt wurde, Sofortmaßnahmen für die Wirtschaft der CSSR ein, die im letzten halben Jahr ihre Verpflichtungen nur unzureichend erfüllen konnte. Die CSSR spielt innerhalb des COMECON als Maschinenlieferant eine wichtige Rolle. Weitere
Bonn (dpa). Die Lohnfortzahlungskommission der CDU/CSU-Bundestagsfraktion tritt dafür ein, daß die Rezeptblattgebühr von bisher einer auf zwei Mark erhöht wird. Außerdem sollen die Pflichtversicherungs- grenze und die Beitragsbemessungsgrenze für den Krankenkassenbeitrag von bisher 900 auf 990 Mark erhöht werden.
Die CDU/CSU-Lohnfortzahlungskommis- sion, die gestern zu ihrer zweiten Sitzung zusammengetreten ist, hat sich außerdem dafür ausgesprochen, daß beim „Einstieg“ in die Krankenversicherungsreform nicht für vier; sondern nur für drei Krankenscheine
Japan seien bald zu erwarten. Im Falle einer zu späten Unterschrift Bonns werde in der Welt der Eindruck entstehen, als sei sie nur unter dem Druck der Weltmeinung zustande gekommen.
Die Führung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion tritt dafür ein, die deutsche Position in der Frage einer Unterschrift unter den Atomsperrvertrag in absehbarer Zeit endgültig und verbindlich festzulegen. Wie die CDU/CSU am Dienstag mitteilte, hat der Fraktionsvorstand in seiner Sitzung am Montag den Bundestagsabgeordneten Dr. Kurt Birrenbach gebeten, für einen Beschluß der Gesamtfraktion einen Entwurf auszuarbeiten.
daß Interpol in die Ermittlungen eingeschaltet worden sei.
Verschiedene Tatmerkmale beim Überfall auf das Munitionslager sind, wie Generalbundesanwalt Martin erkennen ließ, noch ungeklärt. So werde zur Zeit noch die Frage untersucht, ob ein Kasten mit 1000 Schuß Gewehrmunition von den Tätern gestohlen und abtransportiert worden sei oder ob er bereits an die Truppe ausgegeben worden war. Ungeklärt ist ferner, ob der zwischen Munitionslager und Kaserne zu bestimmten Zeiten erfolgende Kontrollruf nach der vermutlichen Tatzeit gegen drei Uhr morgens noch gemacht wurde oder nicht. Bisher lägen keine konkreten Hinweise dafür vor, daß der Überfall einen „nachrichtendienstlichen Hintergrund“ gehabt habe.
Für die Hinterbliebenen der drei im Munitionsdepot Lebach ermordeten Soldaten ist bei der Kreissparkasse Lebach ein Spenden- Sonderkonto eingerichtet worden (Konto-Nr. 26/20 000).
Verzögerungen in den Lieferungen könnten die Erfüllung der nationalen Volkswirtschaftspläne gefährden. 1956 wurde beispielsweise durch den ungarischen Aufstand der 6. Fünf jahrplan der Sowjetunion illusorisch.
Hauptthema der Tagung ist jedoch die Reform des COMECON nach dem Vorbild der EWG mit dem Ziel eines engeren ökonomischen Zusammenschlusses. Dabei geht es um die bessere Abstimmung der Produktionen und der Pläne sowie um Verrechnungsfragen. Grundsätzlich sind vor allem die Staaten mit einer geringeren Wirtschaftskapazität für diese Reform: Polen, Ungarn, die CSSR sowie die übrigen südosteuropäischen Länder. Sie sehen darin ihre einzige Chance, mit den Problemen der technischen Weiterentwicklung, insbesondere auf den Gebieten der Automation, Meß- und Regeltechnik fertigzuwerden. Die Sowjetunion und die DDR sind von den Reformwünschen nicht begeistert. Jedoch hat sich ihre ablehnende Haltung in der letzten Zeit gemildert.
ein Teil des Krankenkassenbeitrages an die Versicherten zurückerstattet wird. Sie hat sich gestern für eine entsprechende Änderung des Entwurfs des Bundesarbeitsministeriums zum Lohnfortzahlungsgesetz eingesetzt, der eine Beitragserstattung für vier Krankenscheine jährlich vorsieht.
Wie aus Teilnehmerkreisen bekannt wurde, befürwortet die Kommission auch zehn Mark Rückerstattung pro Krankenschein. Danach würde ein lediger Versicherter, der den Arzt nicht in Anspruch zu nehmen braucht, am Jahresende 30 Mark erstattet bekommen. Ein verheirateter erhielte ’"6Ö Mark, wenn er und seine Frau keinen Krankenschein brauchten.
Schmuggel mit CSSR-Waffen
Weiden/Oberpfalz (dpa). In Waffenschmuggel und illegalen Waffenhandel sollen ein Metzger und ein Kaufmann aus Weiden verstrickt sein, die von der Polizei in einem Weidener Lokal verhaftet wurden. Wie die Staatsanwaltschaft gestern dazu mitteilte, sind im Auto des Kaufmanns 30 Pistolen vom Kaliber 7,65 mm mit Zubehör und 1 850 Schuß Münition gefunden worden. Die „heiße Ware“ stammt aus der Tschechoslowakei, wo sie von den beiden gekauft und über die Grenze geschmuggelt worden sein soll. Nach einem dritten Beteiligten, einem Türken, wird noch gefahndet. Die Staatsanwaltschaft will vor allem ermitteln, ob man einem internationalen Waffenhändlerring auf die Spur gekommen ist, oder ob es sich nur um „kleine Fische“ handelt.
Die Sache mit der Amtszulage
Alle Fraktionen des Bundestages lehnen zur Zeit Diäten-Erhöhungen für die Bundestagsabgeordneten von mehr als drei Prozent ab, so wurde vor einigen Tagen aus Bonn berichtet. In dieser Woche will sich das Parlament mft dem zweiten Besoldungsneuregelungsgesetz beschäftigen, das den Abgeordneten sozusagen automatisch eine Erhöhung ihrer Diäten nicht nur um drei, sondern gleich um neun Prozent bringen würde. Die Einigkeit der Fraktionen in der Ablehnung einer so hochprozentigen Zulage hat überrascht, da man vom Bundestag in eigener Sache nicht immer solche Bescheidenheit erfuhr.
Das Ganze hat seinen Ausgangspunkt diesmal auch nicht bei den Abgeordneten, sondern bei der hohen Verwaltung. In erster Linie geht es bei diesem Gesetz nämlich um die Bezüge der Staatssekretäre und der Minister „im Zuge der Harmonisierung der Gehälter der Bundes- und der Länderbeamten“. Als störend wurde anscheinend empfunden, daß in einigen Bundesländern das Salär eines Staatssekretärs um einiges über dem eines Staatssekretärs in Bonn liegt. In dem Entwurf zur Neuregelung des Besoldungsrechts für Beamte des Bundes heißt es deshalb, daß der Staatssekretär zu seinem Gehalt von rund 5500 Mark im Monat noch eine „Amtszulage“ in Höhe von 495 Mark (also neun Prozent) erhalten soll, womit der Unterschied ausgeglichen wäre. Nach der Besoldungsregelung liegt das Gehalt eines Bundesministers um ein Drittel höher als das eines Staatssekretärs. D. h., auch ein Bundesminister hätte Anspruch auf eine entsprechende Zulage, also 680 Mark monatlich. Da die Diäten der Abgeordneten wiederum an die Bezüge der Minister gekoppelt sind, müßten auch diese entsprechend heraufgesetzt werden, nämlich um 220 auf 2670 Mark. Hier zeigt sich auch die Kehrseite einer an sich gut gemeinten Regelung, mit der aber Exekutive und Legislative in einer unguten Weise finanziell gekoppelt werden. Minister und Staatssekretäre finden in der Regel — die jetzige Ausnahme ist noch nicht das letzte Wort — in Gehaltsfragen bei den Abgeordneten ein williges Ohr, weil sich dabei auch die Abgeordneten selbst einen Gefallen erweisen können.
Das Kabinett hat den Entwurf in der Fassung, die jetzt von den Abgeordneten abgelehnt wurde, bereits genehmigt. Auch der Bundesrat hatte in seinem ersten Durchgang nichts dagegen einzuwenden. Wenn die Parlamentarier jetzt doch „kalte Füße“ bekommen haben, so vermutlich deshalb, weil Einzelheiten über die geplante Erhöhung in die Öffentlichkeit gedrungen sind. Es kann nur unterstrichen werden, was der Fraktionsvorsitzende der oppositionellen FDP zu der Erhöhung sagte: „Es ist einfach unverantwortlich, daß die Bundesregierung angesichts der gegenwärtigen Finanzlage mit einer solchen Zumutung an das Volk und an das Parlament herantritt.“ R. P.
Gefährliche Berufsarmee?
Deutsche- Verteidigungspolitiker erwarten von dem neuen amerikanischen Präsidenten Nixon entscheidende Impulse auch für die deutsche Bundeswehr. Nixon will in den USA die allgemeine Wehrpflicht aufheben und zu einer Berufsarmee längerdienender Soldaten übergehen. Das Wort, dies sei dann eine Armee von „Söldnern“, lehnt er ab. Nixon: Wenn der Wehrsold von 2900 Dollar, den jetzt der amerikanische Wehrdienstpflichtige im Jahr erhält, für einen freiwillig dienenden Berufssoldaten auf 7300 Dollar erhöht wird — warum soll dann dieser besser bezahlte Soldat ein Söldner sein?
Eine Berufsarmee ist nach Nixons Meinung für einen Staat nicht gefährlicher als ein Heer widerstrebend freiwillig Dienender, die das Wehrsystem für ungerecht halten. Die Gegner der allgemeinen Wehrdienstpflicht in der Bundesrepublik werden durch diese von autoritativer amerikanischer Seite verkündeten Grundsätze sicher Auftrieb erhalten. W. G.
Kampfabstimmung zur Verjährung
Zuvor will Bundesregierung dem Parlament ihre Ansicht darlegen
CDU/CSU sollen Färbe bekennen
Wischnewski drängt auf Entscheidung zum Atomwaffen-Sperrvertrag
COMECON berät über Hilfe für CSSR
Nationale Volkswirtschaftspläne durch Prager Wirtschaftskrise gefährdet
Künftig zwei Mark für ein Rezept?
Neuer Vorstoß der CDU/CSU zur Krankenversicherungsreform
FEUILLETON:
Sadistischer Narziß inszeniert sich selbst
Deutsche Erstaufführung von Sylvano Bussottis „La Passion selon Sade“
Was Sylvano Bussotti, Jahrgang 1931 und avantgardistischer Komponist, mit „La Passion selon Sade“ ins Große Haus des Badischen Staatstheaters Karlsruhe gebracht hatte, wirkte in dem biederen, atmosphärelosen Raume recht fremd. Eine schwarze Messe des Sadismus in der Form eines Kammermysterienspiels, was sollten die braven Badener damit anfangen? Ein alter Herr verließ nach einer Stunde auch mit dem verächtlichen „Feiglinge“ — ans Publikum gerichtet — den für ihn entweihten Musentempel. Eine vulgäre Frauenstimme schrie Bussotti an: „Mensch, hör* auf“ — ihr ging alles zu langsam.
Doch der schöne Ephebe Bussotti ließ sich Zeit für sein „erotisches Ritual“: ein Narziß spiegelte sich im Quell des „totalen Theaters“ und genoß seinen eigenen Anblick. Schon wenn im ersten Teil, dem Vorspiel, vom Tonband immer wieder der Name Bussotti als Komponist, Dirigent, Regisseur, Bühnen- und Kostümbildner und Hauptdarsteller genannt wird, so wirkt das fürs Publikum ironisch, schlägt aber bereits den Ton eitler Selbstbeweihräucherung an. Narziß Sylvano Bussotti inszeniert sich selbst Eine weitschweifende Phantasie liefert ihm den Rahmen eines Theaterabends dazu. Er versucht, durch gleichzeitigen Einsatz von Musik, von Projektionen erotischer Fotos und Partitur-Seiten, pantomimischem Spiel auf der Bühne die Zuschauer aus der Realität zu lösen und in einem Wirbel von „La-
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Das bessere Geschäft
Bei Adlon in Berlin, — lang, lang ist’s her, — trafen einst Richard Strauss und Siegfried Wagner zusammen. „Na, wirft’s Geschäft viel ab, Richard?“ fragte der Herr der Bayreuther Festspiele den Komponisten des „RosenkavaliersV, der seit je als ein Finanzgenie ersten Ranges galt. „Immer noch besser das eigene Geschäft, als das vom Vater!“ war die lakonische Antwort. (GP)
terna magica“-Effekten mitzureißen. Zweifellos hat dieser Cocktail von Sinneseindrücken den Reiz des Ungewohnten fürs Publikum, aber häufiges Lachen zeigte, daß man Bussotti nicht ernst nahm.
Im zweiten Teil wird es dann ernst (wenn auch kein Weihrauch ins Publikum gelangte), denn in geheimnisvollem Spiel werden sadistische Komplexe bedeutungsschwanger zelebriert. Zerdehnt vollzieht sich alles tranceartig — Oscar Wilde und Gabriele d’An- nunzio, Jean Cocteau und Jean Genet könnten die Ahnherren eines pathetischen, makabren Spiels sein, das Frankenstein und „Li- ving theatre“ gleichfalls zu Paten hat. Doch nicht leidenschaftlich oder gar orgiastisch geht es zu — Stichwort „Mysterienspiel“ gilt, so bleibt alles feierlich. Dabei stürzt ein bis auf Stiefel und Suspensorium nackter, junger Mann über die Bühne, wird gepeitscht, liebt eine riesige Papp-Dame aus dem Hause Picasso realistisch — wenn seine Hände die intimsten Stellen liebkosten, prasselte Beifall — und erhängt sich in einer Schlinge, nachdem er dem Publikum den Anblick coitierender Bewegung nicht erspart hatte.
Doch die Düse Neutöner, Cathy Berberian, errettete ihn und strapazierte staunenswert ihre umfangreiche, großartige Stimme im Erzeugen disharmonischer Geräusche und stieg noch mit den Herren des Orchesters abwechselnd und auch gleichzeitig ins Prunkbett. Daran soll das „Zweite Sonett“ der französischen Sappho Louize Labe (1526— 1566) schuld sein, das man gleich in drei Übersetzungen im Programmheft findet; die von Karl Kraus hat Bussotti zum Werk angeregt
Im Gegensatz zur Grausamkeit des „Li- ving theatre“ ist Bussottis Horror verspielt, ästhetisiert, der rituellen Erotik Genets verwandt. Ein Hauch von Plüsch, Snobismus und Irrealität liegt über allem. Bussotti läßt am Schluß dieser von Andreas Meyer-Hanno miterarbeiteten Inszenierung alles wie einen Spuk sich auflösen, wie einen Alp
traum verschwinden: es schaut dann auf der Bühne aus wie bei einem Kammerkonzert.
Die Instrumentalisten haben es schwer, denn Bussotti geht mit Schwierigkeiten noch weiter als Henze.
Alle Details sind nur Mosaiksteine des sadistischen Wunschbildes oder Alpdruckes von Sylvano Bussotti — ein Privatissimum.
Beifall und Buh-Rufe mischten sich; vielen war alles zu fremd, um sich zu äußern.
Wilhelm Ringelband
An der Tür der kleinen Zweizimmerwohnung eines Junggesellen, der Angestellter in einer Buchhandlung ist, sich aber als verkannter Schriftsteller vorkommt, läutet es zu nachtschlafender Zeit Sturm. Ein junges Mädchen bittet flehentlich um Einlaß, um Schutz. Als sie ihm versichert hat, daß sie allein sei, läßt sie der schriftstellemde Junggeselle ein. Nachdem sie glücklich mit Koffer und Fernseher im Zimmer gelandet ist, verwandelt sich die Bittstellerin in eine Furie, die den Wohnungsinhaber ein Ferkel und andere hübsche Dinge nennt. Er hat sie nämlich, nachdem er sie durch sein Fernglas in ihrem Zimmer bei recht eindeutigen Unternehmungen beobachtet hatte, bei ihrem Hauswirt angezeigt, weil „die Gesellschaft dofh zusammengehalten werden muß“. Der Hauswirt aber hat Doris, wie das Mädchen heißt, auf die Straße gesetzt, nicht ohne ihr vorher ihr ganzes Geld abgeknöpft zu haben. Deshalb begehrt Doris, gleichsam als Schadensersatz, bei dem Junggesellen F. Sherman zu übernachten. Was nun, nach allzu kurzem hinhaltendem Widerstand, folgt, das ist In einem Boulevardstück klar.
Um ein solches handelt es sich bei dem „Die Eule und das Kätzchen“ genannten Stück des Amerikaners Wilton Manhoff, das jetzt (bis einschließlich 1. Februar) in der Übersetzung Christian Wölffers von Joachim Teege und Cornelia Froboess unter der Regie von Hellmuth Matiasek in der Stuttgarter Komödie im Marquardt gespielt wird. Da der junggesellige Kauz glaubt, Doris sei intelligent, was bis zu einem gewissen Grade
Theater für Barrault
Jean Louis Barrault, der mit seiner spektakulären „Rabelais“-Inszenierung in einen Boxkampfsaal des Pariser Montmartre aus- weichen mußte, hat das nur 700 Plätze fassende Theatre Recamier gemietet. Dort will er künftig seine Einstudierungen vornehmen und mit Ihnen dann in größere Häuser und auf Reisen gehen. (AR)
zutrifft, versucht er als Intellektueller natürlich, sie nach der Devise „Denken tut nicht weh“ zu bilden, mit neuen Wörtern und Begriffen zu füttern. Nach dreiwöchentlicher „wilder Ehe“ bricht Doris aus, kehrt jedoch wieder zurück, da er immerhin der erste Mensch war, der sie ernst nahm. Mit seinem Eingeständnis, daß er kein großer Schriftsteller, mit dem ihrigen, daß sie kein tolles Photomodell, erst recht keine Schauspielerin sei, endet das Stück. Man kann sich aber nicht vorstellen, daß das ungleiche Pärchen happy weiter Zusammenleben wird.
Cornelia Froboess, die vor allem in ihren Braunschweiger Jahren bewiesen hat, daß sie eine Schauspielerin mit Wandlungsmöglichkeiten ist, lag natürlich von ihrem Temperament her der erste Teil mehr. Joachim Teege stattete den bildungswütigen Kauz liebevoll mit vielen kleinen Einzelzügen aus. Hellmuth Matiasek hatte in dem fast idyllisch realistischen Bühnenbild von Ernst Bruzek wirkungsvoll seine beiden Darsteller gegeneinander geführt, hätte aber den länglichen, den schwachen zweiten Teil des Stückes kürzen sollen. Hermann Dannecker
Premieren in Stuttgart
Als nächste Premiere der Württembergi- schen Staatstheater steht im Kleinen Haus für Mitte Februar die Komödie „Dieb und König“ des ostdeutschen Dramatikers Rolf Schneider bevor. Es handelt sich um eine Erstaufführung in der Bundesrepu
blik. Peter Palitzsch inszeniert, Wilfried Minks entwirft die Bühnenbilder. — „Rigol e 11 o“ von Verdi heißt die Neuinszenierung im Großen Haus. In italienischer Sprache hat die Oper am 16. Februar Premiere, die deutsche Fassung folgt Ende März. Die Regie hat Boleslaw Barlog, der Generalintendant des Berliner Schiller-Theaters, in den Bühnenbildern und Kostümen von Leni Bauer-Eczy. Unter der musikalischen Leitung von Martin Turovsky singt Victor Braun die Titelrolle in Italienisch, Günter Reich die der deutschen Version unter Josef Dünnwald. — Die nächste und schon lange erwartete Ballett-Premiere soll nun endlich Mitte März stattfinden. John Cranko choreographiert „Der Widerspenstigen Zähmung“ nach der Musik von Scarlatti, die Kurt-Heinz Stolze zusammengestellt und instrumentiert hat.
Deutsches Erzeugnis
Das Titelblatt der Streit-Zeit-Schrift (Ausgabe letztes Quartal 68), von Horst Bin- gel nunmehr im Heinrich-Heine-Verlag herausgegeben, verrät das zentrale Thema dieser Ausgabe: in eine Flasche mit dem Aufdruck „Deutsches Erzeugnis“ ist das Brustbild Ernst Jüngers fotomontiert, des in Baden-Württemberg lebenden Verfassers der „Stahlgewitter“ (1920) und der „Subtilen Jagden“ (1967). Die Fotomontage erinnert spontan an den märchenhaften Geist in der Flasche. Die Streit-Zeit-Schrift, kurz SZS, zehrt genüßlich von diesem Einfall und widmet über die Hälfte des Heftes Ernst Jünger. Namhafte Literaten nehmen sich ein Kritikerherz — Helmut Heissenbüttel, Erich Fried, Gerhard Zwerenz, Wolfgang Weyrauch zum Beispiel — und entkorken die Flasche, um alsbald einen Geist entweichen zu sehen, vor dem schon 1930 Klaus Mann gewarnt hat. Die SZS glaubt, auf diesen Essay Manns verzichten zu können, geht es ihr doch um den Nachkriegs-Jünger. An ihm entzündet sich viel ernsthafte Kritik. Schade, daß man andererseits auf Oberflächlichkeit und Comic-Strip-Verulkung nicht verzichten mochte. Ein literarischer Areopag mit Verkaufserfolg: 15 000 Exemplare des Flaschentitels konnten abgesetzt werden.
do-
„D/e Eule und das Kätzchen"
Mit Joachim Teege und Cornelia Froboess in der Komödie im Marquardt