Dienstag, 21. Januar 1969
Zum Zeitgeschehen
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Das Verbrechen von Lebach
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Fünf Soldaten lagen in ihrem Blut
Zehn Minuten von der Kaserne entfernt / „Die Täter müssen sich gut ausgekannt haben" / Von G. P. Fieber
Eine halbe Stunde vor der Wachablösung entdeckte ein Munitions-Abholkommando das Verbrechen, das in der Geschichte der Bundeswehr ohne Beispiel ist: In der Wachstube der Munitions-Niederlage des in Lebach (Kreis Saarlouis) stationierten Fallschirmjäger-Bataillons 261 lagen die fünf wachhabenden Soldaten in ihrem Blut. Der Wachführer und zwei Soldaten waren bereits tot, die beiden anderen — zwei Gefreite — schwer verletzt. Die Toten wiesen Kopfschüsse auf, die beiden Verletzten hatten außer den Schußwunden auch Stichverletzungen.
meter für Haubitzen. Da wegen der Spurensicherung die Bestände des Depots noch nicht überprüft werden konnten, ist noch nicht sicher, wieviel Munition geraubt wurde. Inzwischen wurde jedoch mitgeteilt, daß die Täter die Waffen der Soldaten, drei Karabiner und zwei Pistolen, mitgenommen haben.
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Das Munitionsdepot, auf das es die Verbrecher abgesehen hatten, ist noch keine zwei Jahre alt. In ihm sind, wie in Lebach zu erfahren war, keine militärischen Geheimnisse verborgen. Lediglich die Munition lagert hier, die eine Einheit braucht, um einsatzbereit zu sein.
Das Depot liegt etwa vier Kilometer von der mitten im dem saarländischen Städtchen Lebach gelegenen Kaserne des Bataillons entfernt. Südlich von Lebach geht von der nach Saarbrücken führenden Straße eine Stichstraße ab, die nach etwa einem Kilometer direkt auf das Depot stößt. Die Depotanlage ist relativ offen angelegt, in hügeligem Gelände, das teils von dichtem niedrigem Baumwuchs bestanden ist, teils an offenes Gelände grenzt. Der Wald mit dem dichten Unterholz reicht praktisch bis an den fast drei Meter hohen Maschendrahtzaun heran, der das Depot nach außen absichert. Die Bunker mit der Munition, von denen vier aufgeschlossen worden waren und aus denen die Verbrecher wahrscheinlich größere Mengen Munition gestohlen haben, liegen unter der Erde.
Zwei Löcher im Zaun
Die fünfköpfige Wachmannschaft bestand aus Angehörigen des Fallschirmjäger-Bataillons in Lebach, das zur 1. Luftlande-Divi- sion gehört. Das Munitionslager liegt nur zehn Minuten von der Graf-Haeseler-Kaser- ne in Lebach entfernt. In der Umzäunung des Depots wurden zwei Löcher entdeckt,
Die Witwe des ermordeten amerikanischen Negerführers Martin Luther King, Coretta King, war am Samstag der Ehrengast bei der Einweihung einer Schule in Verona (Italien), die auf den Namen ihres Mannes benannt wurde. Unser Bild zeigt Mrs. King bei der Begrüßung durch Schulkinder. (Foto: AP)
durch die die Täter möglicherweise auf das Gelände gelangt sind. Der Divisionssprecher berichtete vor Journalisten, einer der verletzten Soldaten habe gesagt: „Die müssen sich gut ausgekannt haben.“ Die Kriminalpolizei hat die Bevölkerung um Mithilfe bei der Aufklärung gebeten. Für Hinweise zur Aufklärung des Verbrechens wurde eine Belohnung in Höhe von 10 000 Mark ausgesetzt.
Aus dem Umstand, daß die Opfer sowohl Schuß- als auch Stichverletzungen aufwiesen — so sagte der Sprecher des Verteidigungsministeriums — könne gefolgert werden, daß die Täter schwer bewaffnet gewesen seien. Auch lasse der Umstand, daß sie die Fernmeldeanlage vor dem Überfall unterbrachen, den Schluß zu, daß sie über Kenntnisse der Örtlichkeit verfügten.
Die Opfer des Verbrechens
Nur etwas über ein Jahr war der 21jähri- ge Unteroffizier Erwin Poh verheiratet. Der Verunglückte, der aus Limberg (Kreis Saarlouis) stammte, war erst im Juli vergangenen Jahres nach Nalbach gezogen. Erwin Poh hinterläßt Frau und eine Tochter, die knapp neun Monate alt ist. Das Jüngste von fünf Kindern des Gemeindekassenverwalters Horn war der 21jährige ledige Gefreite Dieter Horn aus Steinbach (Kreis Gießen). Vor einem Jahr war er zur Bundeswehr eingezogen worden. Seine Ausbildung hatte er in Gießen erhalten, ehe er nach Lebach kam. Nur ein knappes Jahr war der 27jährige Obergefreite Arno Bales verheiratet. In Ruwer (Kreis Trier) geboren, war er im März vorigen Jahres als Obergefreiter nach Lebach versetzt worden. Dort ist auch sein vier Monate alter Sohn geboren.
Die Verletzten sind der Gefreite Reinhard Schulz (20) aus Dortmund-Lanstrop und der Gefreite Ewald Marx (20) aus Petersgmünd (Kreis Schwabach) bei Nürnberg. Die beiden hatten außer Schußverletzungen auch Stichwunden. Nach Auskunft des Divisionssprechers schwebt Marx noch in Lebensgefahr.
Bundeskanzler Kiesinger betrachtet den Vorfall als einen der „ernstesten“ der jüngsten Zeit. Der Kanzler erwartet, daß angesichts der Brutalität und der Heimtücke, mit der die Bundeswehrsoldaten ermordet oder verletzt worden sind, die Untersuchungen mit Umsicht und Energie geführt werden, damit die Täter möglichst bald ermittelt und zur Verantwortung gezogen werden können.
„Die Bevölkerung ist wegen dieses gemeinen Verbrechens in begreiflicher Unruhe und Aufregung“, erklärte der saarländische Ministerpräsident Dr. Franz Josef Röder. Nach Angaben des Regierungschefs werden alle Mittel des Landes und des Bundes eingesetzt, um die Täter zu ermitteln.
Kein Hinweis auf Spionage
Es gebe keine Hinweise, daß bei dem Überfall auf das Munitionsdepot Spionage im Spiel sei, erklärte der saarländische Innenminister Schnur nach dem Besuch des Tatortes. Dagegen spräche auch die Methode des Überfalls. Es sei nicht nötig gewesen, die Soldaten zu erschießen, wenn jemand hätte an die in dem Depot lagernde Munition gelangen wollen. In der sogenannten Munitionsniederlage ist nach Auskunft des Pressesprechers der Division nur das eingelagert, was eine Einheit braucht, um kampfbereit zu sein. Es sei hauptsächlich Munition für die Infanterie und bis zum Kaliber 10,5 Zenti-
Einer hatte die Wache getäuscht
Einer der Soldaten ist „stellvertretend“ für einen Kameraden gestorben. Dieser Soldat hatte erst vor wenigen Tagen geheiratet und wollte jetzt die Nacht nicht auf der Wache verbringen. Er fand einen Kameraden, der sich bereit erklärte, für zehn Mark die Wache zu übernehmen. Für diese zehn Mark handelte er sich den Tod ein.
Die fünf Soldaten hatten ihre Wache am Sonntagabend um 21 Uhr angetreten. Am Montagmorgen um 9 Uhr hätten sie abgelöst werden sollen. Nach den Aussagen, die einer der Verletzten noch gegenüber dem Munitions-Abholkommando machen konnte, hat der Überfall etwa um drei Uhr nachts stattgefunden.
Die Opfer
des Verbrechens von Les- bach: Obere Reihe von links nach rechts: Dieter Horn, Arno Bales und Erwin Poh. Untere Reihe (schwer verletzt): Ewald Marx und Reinhard Schulz.
wi “°* Endlich eine Gewerkschafts-Reform
Bisher brauchten Verträge nicht gehalten
zu werden / Geheimabstimmung vor Streiks gefordert
Von unserem Londoner Korrespondenten Edwin Roth
Zum ersten Mal versucht jetzt die britische Regierung, die völlig veralteten britischen Gewerkschaften ins 20. Jahrhundert zu zerren. Doch die neuen Vorschläge für Gewerkschaftsreform, die von der rothaarigen (und früher politisch sehr roten) Ministerin für Beschäftigung und Produktivität, Barbara Castle, soeben in einem Weißbuch unter dem Titel „In Place of Strife“ — „An Stelle von Konflikt“ veröffentlicht wurden, bringen der Labour-Regierung ihren bittersten Kampf, seit sie vor über vier Jahren zur Macht kam.
Die Gewerkschaften sind leidenschaftlich gegen diese Vorschläge, weil sie ihre Macht einschränken. Doch dieselben Vorschläge werden von den Arbeitgebern und von der Konservativen Partei als absolut nicht ausreichend bezeichnet.
Das Bedeutsamste dieser Vorschläge ist, daß alle britischen .Gewerkschaften auch weiterhin wie bisher für Vertragsbrüche nicht rechtlich belangt werden können. Alle britischen Verträge zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften sind unter den gegenwärtigen britischen Gesetzen einseitig und sollen so bleiben. Die Arbeitgeber sind verpflichtet, Verträge einzuhalten. Gewerkschaften sind von den Vertragsgesetzen ausgenommen. Damit sind Gewerkschaften die einzigen Organisationen in England, deren Verträge rechtlich nicht verpflichtend sind.
Dies ist die schwerste Kritik der Arbeitgeber und der Konservativen Partei an den neuen Vorschlägen. Die Arbeitgeber und die Konservative Partei fordern, daß auch Gewerkschaften rechtlich verpflichtet sein sollen, ihre Verträge zu halten. Das Weißbuch ist das vorläufige Ergebnis von' Untersuchungen die (nach englischem Brauch) viele Jahre dauerten. Es soll in nächster Zeit von der Labour-Regierung zu einer Gesetzvorlage im Unterhaus gemacht werden.
Es plant zum ersten Mal eine Kommission für industrielle Beziehungen (auf englisch „Commission for Industrial Relations“, abgekürzt CIR),
Schlichtungspause von vier Wochen
Nach dem Gesetz muß vor allen Streiks eine sogenannte Schlichtungspause von 28 Tagen eingehalten werden. Offizielle Streiks die das nationale Interesse schädigen, dürfen nur stattfinden, wenn dies von der Mehrheit der Mitglieder der betreffenden Gewerkschaft in einer geheimen schriftlichen Ab
stimmung gefordert wird. In Konflikten zwischen verschiedenen Gewerkschaften soll die Kommission entscheiden, was getan werden soll — ohne daß deshalb gestreikt wird.
Den Gewerkschaften gibt das neue Gesetz zum ersten Mal das Recht, bei Lohnverhandlungen Einblick in die Geschäftsbücher der Arbeitgeber zu nehmen, um deren Gewinne zu erfahren. Auch das Recht aller Arbeitnehmer, einer Gewerkschaft anzugehören, wird zum erstenmal gesetzlich verankert — wodurch kein Arbeitgeber das Recht haben wird, zu erklären, daß er keine Gewerkschaftsmitglieder beschäftigen will.
Sowohl Gewerkschaften als Arbeitgebern können von einem neu zu schaffenden Gericht empfindliche Geldstrafen auferlegt werden, wenn sie das neue Gesetz brechen.
Angst vor „Streikbrechern“
Die Gewerkschaftsführer sind ganz besonders gegen die geheimen schriftlichen Abstimmungen vor Streiks. Sie fürchten, daß solche Abstimmungen ihre Macht untergraben würden. Bei offenen Abstimmungen durch Händeerheben stimmen nämlich viele Gewerkschaftsmitglieder für Streiks, nur weil sie nicht von Kollegen als Feiglinge oder Streikbrecher verachtet werden wollen.
Jetzt sagen Gewerkschaftsfunktionäre, daß das neue Gesetz undurchführbar sein wird. Jack Jones, der in kurzer Zeit als Nachfolger von Frank Cousins zum Generalsekretär der großen und sehr weit links stehenden „Transport and General Workers’ Union“ werden soll, sagte verächtlich: „Ein paar tausend Liverpooler Hafenarbeiter in meiner Gewerkschaft können dieses Gesetz jederzeit lächerlich machen.“
Bekanntlich besteht die überwältigende Mehrheit der britischen Labour-Partei aus Gewerkschaften, die als Gewerkschaften zur Partei gehören. Diese Gewerkschaften sind
die Geldgeber der Labour-Partei und werden im Unterhaus von 127 Abgeordneten vertreten.
Die Konservativen stimmen dafür
Doch wenn auch alle diese Labour-Abgeordneten gegen das neue Gesetz stimmen würden, könnte Wilson das Gesetz mit Hilfe der Konservativen Partei durchbringen, denn die Konservativen haben bereits erklärt, daß sie dafür stimmen werden, obwohl es ihnen nicht weit genug geht. Diese Zustimmung der Opposition wäre Wilson im Grunde recht peinlich.
Für nächste Woche droht in der gesamten britischen Stahlindustrie ein für die britische Wirtschaft schwerwiegender Streik, weil viele Vorarbeiter und Manager einer „Gewerkschaft von Managern und Technikern“ angehören, mit der die anderen Gewerkschaften nicht Zusammenarbeiten wollen — obwohl diese Gewerkschaft ein anerkanntes Mitglied des Gewerkschaftsbundes und der Labour-Partei ist.
Um die Einstellung der Gewerkschaften zu verstehen, muß man ihren Hintergrund kennen. Unter dem britischen sozialen Klassensystem wurde die Arbeiterklasse von den anderen „höheren“ sozialen Klassen psychologisch gedemütigt und beschämt. Die Vielfalt dieser Demütigungen ging von verschiedener). Schulsystemen für. Arbeiterkinder ürra' Mit'ftlStancßKmder "bis’ 1 zu "absichtlichen sozialen Differenzierungen zwischen Angestellten und Arbeitern im selben Betrieb. Manches davon wurde in den letzten Jahren abgeschafft, doch sehr viel geht noch immer weiter. Die Rache der britischen Arbeiterklasse für ihre Demütigungen kostet England einen hohen Preis. Kein anderes industrielles Land kennt einen so bitteren Haß zwischen den verschiedenen Gesellschaftsschichten.
Dies wird natürlich von den Kommunisten in ihrem Kampf gegen die Gewerkschaftsreform ausgenützt. Die britische kommunistische Partei hat nur etwa 30 000 Mitglieder, ist jedoch im Gewerkschaftswesen sehr einflußreich. Eine kommunistische Zeitung schrieb: „Frau Castle ist nicht die erste Person mit der Einbildung, daß der Klassenkampf durch ein Gesetz beendet werden kann.“
CoDvriqht by Wilhelm
EIN ZUKUNFTSROMAN VON ARTHUR C. CLARKE Goldmann-Verlag München
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Er war dankbar dafür, daß die Behörden von Port Roris gute Arbeit geleistet hatten. Es lag eine vollständige Liste von Unterschriften der Passagiere vor — mit einer möglichen Ausnahme, über die sich die Rechtsanwälte noch nicht geeinigt hatten.
Der inkognito reisende Commodore war als R. S. Hanson aufgeführt, und es sah tatsächlich so aus, als hätte er mit diesem Namen unterzeichnet. Die Unterschrift war jedoch so unleserlich, daß man sie ebensogut für „Hansteen“ gelten lassen konnte; bis jedoch ein Faksimile von der Erde heraufgefunkt werden konnte, ließ sich eine endgültige Entscheidung nicht treffen. Es war wahrscheinlich auch unwichtig. Da der Commodore in amtlichem Auftrag reiste, mußten die Behörden die Verantwortung übernehmen. Auch für alle anderen Passagiere waren sie, wenn nicht gesetzlich, so doch moralisch verantwortlich.
Überdies mußte man einen Versuch unternehmen, sie zu finden und ihnen ein anständiges Begräbnis verschaffen. Dieses Problem hatte man einfach Chefinspektor Lawrence, der sich immer noch in Port Roris aufhielt, angehängt.
Er war selten mit weniger Begeisterung an eine Aufgabe herangegangen. Solange noch eine Chance bestand, daß die Passagiere der „Selene“ lebten, hätte er alle Hebel in Bewegung gesetzt, um zu ihnen zu gelangen. Aber jetzt, da sie tot sein mußten, sah er keinen Sinn darin, Menschenleben zu riskie
ren, nur um die Leichen zu finden und auszugraben.
Daß sie wirklich tot waren, bezweifelte der Chefingenieur Robert Lawrence nicht im geringsten. Dafür sprachen zu viele Dinge. Das Mondbeben hatte sich gerade zu der Zeit ereignet, als die „Selene“ den Kratersee verlassen wollte. Die Schlucht war von Ge- röllawinen halb verschüttet. Selbst die kleinste davon hätte die „Selene“ wie ein Spielzeug zerquetscht. Wäre sie aber infolge einer unwahrscheinlich kleinen Chance diesem Schicksal entgangen, dann hätte man ihre Funksignale empfangen müssen.
Als erstes mußte man das Wrack finden. Das mochte noch relativ einfach sein, selbst wenn es unter Millionen Tonnen Gestein begraben lag. Für solche Probleme gab es schließlich Metalldetektoren. Wenn der Rumpf aufgerissen worden war, hatte sich die Luft in das Beinahe-Vakuum des Mondes verflüchtigt; selbst jetzt, Stunden später, mußten noch Spuren von Sauerstoff und Kohlendioxyd vorhanden sein, die sich mit einem der Gasmeßgeräte feststellen ließen. Sobald die Staubschlitten zur Überholung und Auftankung zum Stützpunkt zurückgekehrt waren, würde er sie mit den entsprechenden Geräten ausrüsten und dann wieder hinausschicken.
Nein — es mochte durchaus einfach sein, das Wrack zu finden; es herauszuholen, war praktisch unmöglich. Er würde nicht garantieren, daß sich diese Aufgabe für hundert Millionen lösen ließ. Im übrigen konnte er
sich das Gesicht des Chefverwalters vorstellen, wenn er eine solche Summe auch nur erwähnte. Erstens war es technisch unmöglich, schwere Maschinen in das Gebiet zu bringen — die gebrechlichen, kleinen Staubschlitten waren nutzlos. Um diese Felsmassen zu beseitigen, müßte man Bulldozer über das Meer des Durstes transportieren und ganze Schiffsladungen von Sprengstoff anliefern können. Die ganze Idee war absurd. Er konnte den Standpunkt der Behörden verstehen, und er dachte gar nicht daran, seine überarbeiteten Leute mit einem solchen Problem zu belasten.
So taktvoll wie möglich begann er seinen Bericht abzufassen. Zusammengefaßt hätte er lauten können: ,,A) Die Aufgabe ist praktisch nicht zu lösen. B) Wenn überhaupt ein Erfolg möglich ist, dann wird er Millionen kosten und unter Umständen weitere Menschenleben kosten. C) Im übrigen lohnt sich das Ganze nicht.“
Weil ihn aber eine so offene Sprache unbeliebt gemacht hätte, umfaßte der Bericht über dreitausend Worte.
Als er das Diktat beendet hatte, dachte er eine Weile nach, aber es fiel ihm nichts mehr ein. Er fügte hinzu: „Kopien an Chefverwal- ter, Mond; Chefingenieur, Rückseite; Leiter des Kontrollturms; Leiter der Touristenbehörde; Zentralarchiv. Bezeichnung: Vertraulich.“
Er drückte auf eine Taste. Innerhalb von zwanzig Sekunden hatte das Telefaxgerät alle zwölf Seiten seines Briefes, säuberlich getippt und interpunktiert, ausgeworfen. Trotzdem las Lawrence den Bericht noch einmal durch.
Er war nur halb fertig, als das Telefon läutete.
„Lagrange II ist in der Leitung, Sir“, erklärte die Vermittlung. „Ein Doktor Rawson möchte Sie sprechen.“
Rawson? Wer zum Teufel ist denn das? fragte sich Lawrence.
Dann erinnerte er sich. Das war der Astronom, der das Meer des Durstes mit dem Teleskop absuchte. Aber man hatte ihm doch sicher mitgeteilt, wie zwecklos es war...
Der Chefingenieur hatte nie das zweifelhafte Vergnügen gehabt, Dr. Rawson kennenzulernen. Er wußte nicht, daß der Astronom ein sehr neurotischer, überaus intelligenter — und, in diesem Fall das Entscheidende, ein sehr eigensinniger junger Mann war.
Rawson hatte eben damit begonnen, das Infrarotauge abzumontieren, als er auch schon wieder innehielt, um zu überlegen. Nachdem er das verdammte Ding zusammengesetzt hatte, konnte er es ebensogut ausprobieren, schon aus wissenschaftlicher Neugier. Tom Rawson war mit Recht stolz darauf, als experimentierfreudig zu gelten. In einem Zeitalter, da die meisten sogenannten Astronomen in Wirklichkeit Mathematiker waren und ein Observatorium nur von weitem sahen, war das etwas Ungewöhnliches.
Er fühlte sich so müde, daß ihn nur der blanke Eigensinn weitertrieb. Wenn das Gerät nicht beim erstenmal funktioniert hätte, wäre er wohl zuerst schlafen gegangen.
Aber es klappte. Er mußte nur ein paar geringfügige Korrekturen vornehmen, bevor das Abbild des Durstmeer es auf dem Bildschirm auftauchte.
Es erschien Zeile um Zeile, wie ein altmodisches Fernsehbild, als der Infrarotdetektor über der Mondoberfläche hin- und herwan- derte. Die hellen Flecken zeigen relativ warme Gebiete, die dunklen kalte Regionen an. Fast das ganze Meer des Durstes war dunkel, abgesehen von einem hell schimmernden Streifen, hervorgerufen durch das Licht der aufgehenden Sonne. Aber in dieser Dunkelheit konnte Tom ein paar undeutliche, ganz schwach schimmernde Spuren erkennen.
Ohne Zweifel war das der Hitzeschweif der „Selene“. Daneben zeigten sich auch die
Zickzacklinien der Staubschlitten, die jetzt noch nach ihr suchten. Alle Spuren liefen auf das Gebirge der Unzugänglichkeit zu und entschwanden dort seinem Blick.
Die Müdigkeit überwältigte ihn, so daß er die Spuren nicht mehr genau studieren konnte. Außerdem war es ja nicht mehr wichtig, weil sie nur bestätigten, was man schon wußte. Seine einzige Befriedigung lag jetzt im Beweis, daß wieder einmal ein von ihm montiertes Gerät funktioniert hatte. Für das Dokumentenarchiv fotografierte er das Schirmbild — dann taumelte er ins Bett, um den versäumten Schlaf nachzuholen.
Drei Stunden später erwachte er aus einem unruhigen Dahindämmem. Er fühlte sich immer noch müde, aber irgend etwas machte ihm Sorgen und ließ ihn nicht schlafen. Wie das leise Rauschen des aufsteigenden Staubes Pat Harris in der untergegangenen „Selene“ geweckt hatte, wurde fünfzigtausend Kilometer entfernt Tom Rawson durch eine geringfügige Abweichung vom Normalen aus dem Schlaf geholt.
Tom Rawson verließ die kleine Zelle, die ihm auf Lagrange II als Privatkabine diente, hakte sich am nächsten Schwebegürtel ein und ließ sich die von der Schwerkraft unberührten Gänge zum Observatorium hinauftreiben. Er begrüßte säuerlich diejenigen Kollegen, die ihm nicht rechtzeitig auswichen. Dann ließ er sich unter den Instrumenten nieder, denen allein seine Zuneigung galt.
Er riß das Foto aus der Kamera und betrachtete es zum erstenmal. Und dann sah er endlich jene Spur, die aus dem Gebirge der Unzulänglichkeit herausführte und kurz darauf im Meer des Durstes endete.
Er mußte sie gestern nacht gesehen haben, als er den Bildschirm anstarrte — aber sie war ihm nicht aufgefallen. Für einen Wissenschaftler war das ein ernstes, ja unverzeihliches Versehen, und Tom Rawson war sehr wütend auf sich.
(Fortsetzung folgt)