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Politi

Dienstag, 21. Januar 1969

FDP fordert Rücktritt von Eugen Gerstenmaier

Heute Stellungnahme der SPD / CDU hält an Ehrenerklärung fest Von unserer Bonner Redaktion

Bonn. Die FDP hat indirekt den Rücktritt von Bundestagspräsident Gerstenmaier gefordert. Der Bundesvorstand der Freien Demokraten erklärte gestern, es sei zu be­dauern,daß Bundestagspräsident Gerstenmaier nicht schon von sich aus durch seinen Rücktritt die erforderliche Konsequenz gezogen hat, um das Amt des Bundestagspräsi­denten aus dem gegenwärtigen Zwielicht zu befreien. Es wird erwartet, daß sich die Bundestagsfraktion der FDP in ihrer heutigen Aussprache und Erklärung des Par­teivorstandes anschließt.

St. Eugen restauriert? (Aus Süddeutsche Zeitung)

Überfall auf Munitionslager

(Fortsetzung von Seite 1) entdeckt. Der Wachhabende, Unteroffizier Poh (21), sein Stellvertreter, Obergefreiter Bales (27) und der Gefreite Horn (21) waren tot. Der Gefreite Marx (21) hatte zwei Kopf­schüsse erlitten, er schwebt in höchster Le­bensgefahr. Der Gefreite Schultz (21) wurde mit einem Brustschuß, einem Armbruch und Stichverletzungen gefunden. Er soll noch bei Bewußtsein gewesen sein und einige Hin­weise auf die Täter und den Zeitpunkt des Überfalls gegeben haben.

Das Verbrechen war offensichtlich sorgfäl­tig geplant. Die Täter hatten die Telefon­drähte, die vom Lager zur Kaserne führten, durchschnitten. Wahrscheinlich hielt zur Zeit des Überfalls ein Doppelposten Wache, wäh­rend die anderen drei Soldaten Freiwache hatten und vermutlich schliefen.

Kurz gestreift

Der neuseeländische Ministerpräsident Ho- lyoake traf gestern zu einem zweitägigen Be­such. in Bonn ein. Er führte gestern ein Ge­spräch mit Bundeskanzler Kiesinger und wurde von Bundespräsident Lübke empfangen.

Am 29. Januar wird die Bundesregierung den Jahreswirtschaftsbericht 1969 verabschieden. Der Bericht zeigt Zielprojektionen für die Wirtschaftsentwicklung im laufenden Jahr auf und macht Vorschläge für deren Verwirkli­chung.

3500 Telegrafenarbeiter der britischen Post traten gestern in Streik und lähmten damit den Telegrammverkehr zwischen London und den überseeischen Ländern.

IVtf

Das flache mitteleuropäische Hoch schließt sich mit dem größeren Hoch über Rußland zu einer umfangreichen Hochdruckzone zusammen, in deren Randgebiet Süddeutschland während der nächsten Tage bleiben wird. Während sich dabei in der Höhe von Westeuropa her milde Luft durchsetzt, bringt in den Niederungen eine schwache östliche Strömung allmählich etwas kältere Luftmassen heran.

Dienstag örtlich Nebel oder Hochnebel, sonst im Osten des Landes nur leicht bewölkt. In den westlichen und nördlichen Teilen größere Wolkenfelder, aber höchstens geringer Nieder­schlag. Schwache Winde um Ost. Mittagstem­peraturen in den Niederungen zum Teil noch bis nahe fünf Grad, in den Hochlagen kaum über null Grad. Mittwoch im wesentlichen störungsfrei. In den Niederungen nachts mäßi­ger Frost.

Die unbekannten Täter nahmen den Sol­daten ihre Waffen zwei Pistolen und drei Gewehre ab, bemächtigten sich der Schlüssel und schlossen vier der insgesamt 12 Munitionsbunker auf. In drei Bunkern befanden sich Mörser-, Signal- und Übungsmunition, im vierten Pistolen- und Gewehrmunition. Ob und welche Munition entwendet worden ist, konnte das Verteidi­gungsministerium noch nicht sagen. Erst müßten die Spuren gesichert werden, er­klärte ein Sprecher. Auch über die Verlet­zungen der Toten und den wahrscheinlichen Hergang des Überfalls wollten sich offizielle Stellen nicht äußern, um die Ermittlungen nicht zu erschweren.

Um alle Ermittlungen zentral steuern zu können, hat Bundesinnenminister Benda nach Paragraph 4 des Bundeskriminalgeset­zes alle Befugnisse auf das Bundeskriminal­amt in Wiesbaden übertragen. Er teilte die­sen Entschluß den Bundesländern fern­schriftlich mit. Der Generalinspekteur der Bundeswehr, General de Maiziere, flog ge­stern an den Tatort, um sich über das Er­gebnis der ersten Ermittlungen zu unter­richten.

Der Überfall auf das Munitionslager der Bundeswehr wird schon bald den Bundestag beschäftigen. Der CDU-Abgeordnete Rommerskirchen hat die Bundesregierung in einer Dringlichkeitsfrage aufgefordert, Aus­kunft über denin der Geschichte der Bun­desrepublik einmaligen Vorgang zu geben. Auch der Verteidigungsausschuß und der Wehrbeauftragte Hoogen sollen eingeschal­tet werden. Die SPD-Fraktion äußerte eben­falls den Wunsch, über.das Ergebnis der Er­mittlungen genau informiert zu werden.

(Siehe auch S. 3)

Moskau (dpa). Die Sowjetregierung hat gestern ihre Bereitschaft bekräftigt, mit der neuen US-Regierung über eine Einschrän­kung von offensiven und defensiven Rake­ten-Systemen zu sprechen.

Am Tage der Amtseinführung Präsident Richard Nixons erklärte der Sprecher des sowjetischen Außenministeriums, Leonid Samjatin, vor der Presse in Moskau, seine Regierung sei nach wie vor bereitzu einem ernsthaften Meinungsaustausch mit der amerikanischen Regierung über eine beider­seitige Einschränkung und folgende Verrin-

Auch in den anderen Parteien wird gegen­wärtig darüber diskutiert, ob Gerstenmaier der Rücktritt nahegelegt werden soll. Der Vorsitzende der FDP-Fraktion im Bundes­tag, Mischnick, lud die Fraktionsführer der SPD und der CDU/CSU zu einem Gespräch über die Wiedergutmachungsangelegenheit des Bundestagspräsidenten ein. Dabei soll erörtert werden, welche Konsequenzenzur Wahrung des Ansehens der parlamentari­schen Demokratie zu ziehen seien. Misch-

Kiesinger sagt den radikalen Studenten den Kampf an

Bonn (NWZ). Bundeskanzler Kiesinger hat sich erneut für ein härteres Vorgehen gegen radikale Studenten ausgesprochen. Auf einer internen Tagung der CDU sagte Kiesinger gestern zu den jüngsten Demonstrationen und Ausschreitungen in Berlin, man müsse bei den Studenten stets zwischen denen un­terscheiden, die eine Reform der Universität wollten und denen, die nichts als Zerstörung im Sinn hätten. Wörtlich erklärte der Bun­deskanzler:Den Radikalinskis gegenüber sollte das salbungsvolle, ölige Geschwätz von der Unruhe der Jugend jetzt endlich aufhören.

Eppler nach Jordanien

Bonn (NWZ). Der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Eppler, wird auf der ersten Auslandsreise seit seiner Amtsübernahme im vergangenen Herbst einen arabischen Staat besuchen. Eppler fliegt am 27. Januar nach Jordanien, um auf Einladung der Regierung in Amman an den Feierlichkeiten zur Einweihung des mit deutscher Hilfe ausgebauten Hafens von Aquaba teilzunehmen.

Auf Epplers Programm in Jordanien ste­hen außerdem Gespräche mit mehreren Mit­gliedern der Regierung und der Besuch eines Flüchtlingslagers. Für den Ausbau des Ha­fens von Aquaba hat die Bundesregierung seit 1962 insgesamt 41 Millionen DM zur Verfügung gestellt. Eppler wird in den Ver­handlungen mit seinen jordanischen Kolle­gen auch über einen weiteren Ausbau der legendären Hedschasbahn sprechen, den die Bundesregierung mit Krediten unterstützen will.

gerung strategischer Kernwaffenträger ein­schließlich defensiver Systeme.

Samjatin warnte ausdrücklich davor, das Problem der Anti-Raketen gesondert zu be­trachten. Er sagte, beide Waffensysteme, of­fensive und defensive, seien miteinander verknotet. Die Sowjetunion habe sich des­halb niemals damit einverstanden erklärt, ausschließlich über Anti-Raketen zu spre­chen. Die USA und die Sowjetunion hatten im vergangenen Sommer ein Übereinkom­men über den Beginn der Gespräche erzielt. Wegen der tschechoslowakischen Ereignisse wurden sie von den USA verschoben. Die

nicks Einladung wurde von den Fraktions­führern der Regierungsparteien kommentar­los aufgenommen.

Der Fraktionsvorstand der CDU/CSU be­faßte sich gestern hinter verschlossenen Tü­ren mit dem Fall Gerstenmaier. CDU-Ab­geordnete vertraten die Meinung, der Bun­destagspräsident müsse sein Amt zur Verfü­gung stellen, wenn er den gegen ihn gerich­teten Angriffen nicht standhalten könne. In der Parteiführung wird aber an der Eh­renerklärung festgehalten, die der Bundes­vorstand der Partei für den Bundestagsprä­sidenten abgegeben hat. Vor Teilnehmern einer internen CDU-Konferenz betonte CDU-Generalsekretär Heck gestern, Ger­stenmaier habe sich korrekt benommen.

Mit großer Spannung wird in Bonn die Erklärung der SPD erwartet. Die Bundes­tagsfraktion der Sozialdemokraten berät heute über einen Bericht, den die SPD-Mit- glieder des Ältestenrats zusammengestellt haben. Im Bundestag war gestern abend die Vermutung zu hören, die SPD werde mögli­cherweise eine ähnliche Haltung einnehmen wie die Freien Demokraten.

Eine Frau wird Botschafter

Bonn (NWZ). Die Bundesregierung hat zum erstenmal seit Bestehen der Bun­desrepublik einen weiblichen Botschaf­ter ernannt: Profes­sor Ellinor von Putt­kammer, die rang­höchste Beamtin im Auswärtigen Amt, wird Anfang März die Leitung der deut­schen Mission beim Europarat in Straß­burg übernehmen.

Frau von Puttkam­mer war bisher Vortragende Legationsrätin 1. Klasse und Leiterin des UN-Referats.

Die Forderung nach einer weiblichen Bot­schafterin war im Juni des vergangenen Jahres auf einer Frauentagung der SPD er­hoben worden. Bundesaußenminister Brandt versprach damals, bei einer geeigneten Gele­genheit mit der Gleichberechtigung der Frauen auch im Auswärtigen Dienst zu be­ginnen.

Übereinkunft ist nach Meinung Moskaus nach wie vor in Kraft. Wenn Nixon bereit sei, sich an den Tisch zu setzen,dann sind wir auch bereit.

Der Sprecher verneinte allerdings aus­drücklich, daß die Bereitschaftserklärung der Sowjetregierung mit Absicht am Tage der Amtsübernahme Nixons gegeben wurde. Er betonte aber, es werde die Atmosphäre verbessern, wenn die Nixon-Regierung diese Erklärung berücksichtige.

Nachdrücklich setzte sich Samjatin für ein baldiges Inkrafttreten des Atomwaffen­sperrvertrages ein.

Sowjets zu Abrüstungsgesprächen bereit

Moskauer Außenministerium für baldiges Inkrafttreten des Atomsperrvertrages

Ellinor

von Puttkammer

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Lehren aus dem FallGerstenmaier

Der Ältestenrat des Bundestages hat sich nicht den Rehabilitierungsbemühungen der CDU/CSU für Parlamentspräsident D. Dr. Eugen Gerstenmaier angeschlossen. Er hat die von diesem und der CDU/CSU aus­drücklich gewünschte Ehrenerklärung nicht ausgesprochen, weil sowohl die SPD wie auch die FDP nicht dazu bereit waren.

Der Bundestagspräsident hat bereits zu erkennen gegeben, daß er nicht die Absicht hat, wegen der peinlichen Affäre um die Kleinigkeit von 281 000 DM einer Wieder­gutmachungszahlung und des noch keines­wegs geklärten Professor-Titels von seinem Amt zurückzutreten. Das war auch nur von wenigen Politikern in Bonn erwartet worden.

Dennoch ist man sich in Bonn darüber im klaren, daß mit demFall Gerstenmaier bestimmte Veränderungen eingetreten sind, die sich möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt auswirken werden. Am deutlich­sten ist noch zu erkennen, daß Gerstenmaier es sich verscherzt hat, auch dem 6. Bundes­tag als Präsident vorzustehen. Die SPD je­denfalls wird ihm ihre Stimmen nicht mehr geben, und innerhalb der CDU/CSU ist die Verärgerung über das Verhalten des Präsi­denten derzeit so groß, wird so erbittert Klage darüber geführt, daß Gerstenmaier das Ansehen der Wiedergutmachungs-Poli­tik und seiner eigenen Partei geschädigt habe, daß er kaum noch als Parlamentsprä­sident aufgestellt werden dürfte.

Mit dieser Affäre zeichnet sich zugleich in Bonn eine weitere Entfremdung zwischen den beiden Koalitionspartnern ab. Maßge­bende Politiker der SPD sind durchaus der Meinung, die Parteiräson innerhalb der CDU habe Gerstenmaier zum Rücktritt bewegen müssen. Affären dieser Art führen zur immer engeren Annäherung zwischen der Regie­rungspartei SPD und der in Opposition ste­henden FDP.

Heute wird in Bonn bereits damit gerech­net, daß die FDP am 5. März für Dr. Gustav Heinemann stimmen und somit der SPD dazu verhelfen wird, nach der FDP und der CDU nun auch ihrerseits den Bundespräsi­denten zu stellen. -eal

Krawall oder Reformen ?

Um genau drei Monate zu früh bricht der neueStudentenaufstand los. Der SDS und andere radikale Gruppen hatten ihn für den Ostermonat programmiert. Doch was jetzt an den Universitäten geschieht, sind Krawalle, denen die große organisatorische Vorbereitung fehlt. Warum läßt sich der SDS, durch polizeiliche Übergriffe ermun­tert, zu diesem vorgezogenen Abenteuer verleiten? Die Antwort kann man an fast al­len betroffenen Hochschulen hören: Lang­sam aber sicher breitet sich die studentische Gegenbewegung gegen die Radikalen aus. Verfügte sie über die gleiche organisatori­sche Perfektion wie der SDS, dann hätte sie diesen vermutlich schon kassiert.

, Die jüngsten,Vorgänge täuschen nicht dar­über hinweg, daß die Mehrzahl der Studen­ten den Kampf um längst fällige Reformen durch die organisierten Krawalle gefährdet siehf. Die Bilanz des Jahres 1968, das die Universitäten bei weiten Bevölkerungsteilen in Mißkreidt brachte, ohne wesentlich zur Lösung der Probleme beizutragen, sieht freilich düster aus. Der SDS hat es ge­schafft, gute Ansätze zu einer Hochschulre­form in Sit-ins und Straßenkrawallen zu zer­schlagen, fast überall wurde der Lehrbetrieb empfindlich gestört.

Jetzt wird der SDS, was er selbst zugibt, zunehmend eingekreist und isoliert. Schon sprechen seine Funktionäre von einer Konterrevolution, die sich gegen ihn er­hebt. Doch die Dinge liegen anders: Wir brauchen eine friedliche Revolution an unse­ren Universitäten, die einen modernen Lern­betrieb für die siebziger und achtziger Jahre garantiert. Die linksradikale Konterrevolu­tion droht diese Bemühungen zu zerschla­gen, und die Studenten beginnen das zu be­greifen. W. G.

FEUILLETON:

Dachs im Bau

Kafka-Dramatisierung in Baden-Baden uraufgeführt

Der Bau, die kunstvoll dicht verschlüs­selte Erzählung aus Kafkas Nachlaß von einem nicht näher definierten Tier, das sich in Meditation über Sicherheit und Zuverläs­sigkeit seines weitverzweigten, unterirdi­schen Baus mit seinen Seitenausgängen, Ne­benplätzen und Tarnwegen selbst labyrin- thisdi verstrickt und verwirrt diese an denProzeß erinnernde Parabel scheint sich einer szenischen Darbietung weitgehend zu entziehen. Nicht nur das mit dem bedeu­tungsschweren SatzAber alles blieb unver­ändert mitten im fließenden, immer neu voranstoßenden Gedankengang abbrechende Ende des Fragments, scheint der Bühnen­form zu widersprechen; auch der Duktus dieser Erzählung mit ihrem gleichnishaften Charakter erschließt sich in seiner ganzen Fülle und Tiefe wohl nur dem Leser.

Doch der Hamburger Schauspieler Karl Merkatz wagte im Alleingang das Experi­ment: als Bearbeiter des langen Textes, als Bühnenbildner, Regisseur und Darsteller in der Maske eines Dachses turnte er in einer käfigartigen Stellage mit Stangen und Tü­ren umher, die das Labyrinthische seines Baus sinnfällig machte. Nachdem er einige Frühsport-Übungen absolviert hatte, ließ Merkatz die gestenreiche Unterstreichung immer mehr zugunsten des Erzählers zu­rücktreten: die Faszination von Kafkas Wort

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Schlecht bewandert

Als der mit feinem Ohr begabte Richard Strauss auf einerSalome"-Probe vernahm, wie beim Erklingen eines besonders mar­kanten Motivs ein Bratscher seinem Pult­kollegen den NamenHaydn" zuraunte, klopfte er ab und meinte maliziös:Da sieht man wieder einmal, wie schlecht Sie doch in der klassischen Literatur bewandert sind. Das Motiv stammt nämlich immer noch von Rossini!" (GP)

setzte sich auch bei dieser verschlungen-hin- tergründigen Schilderung von Friedensbe­dürfnis und Unsicherheit, Abwehrerwägun­gen und verzweifelter Sorge durch. In Ba­den-Baden, wo Merkatz mit demBau und dem schon bühnenerprobtenBericht für eine Akademie eine Solo-Tournee begann, blieb der Eindruck von der Dachs-Erzählung sogar nachhaltiger als der Affenbericht. Denn Merkatz überzog hier den Aufwand an Sprüngen, Gängen und allerlei äffischer Ge­stik: so vielszenische Unterstützung be­darf der witzig-ironische Text von Kafka nicht. Viel Beifall für ein mutiges Solo-Un­ternehmen. Bl.

Vietnam-Diskurs " abgesetzt

Die Berliner Schaubühne am Halleschen Ufer hat die Neuinszenierung desVietnam- Diskurs von Peter Weiss, die erst am 14. Januar Premiere hatte, aus künstlerischen Gründen abgesetzt. Wie die Leiter des Thea­ters, Jürgen Schitthelm und Klaus Weiffen- bach, mitteilten, haben sie nach der Berliner Erstaufführung noch zwei Vorstellungen in ihrem Hause spielen lassen, um sich von keiner Seite dem Vorwurf auszusetzen, sie hätten die Aufführung aus politischen Gründen abgesetzt. Die Schaubühne identifi­ziere sichvoll und ganz mit der politischen Stellungnahme des Autors zum Vietnam- Problem. (dpa)

Kostenlose Vorstellungen

Im Royal Court, einem der fortschrittlich­sten Theater Londons, wird bis zum Ablauf des StückesLife Price am 1. Februar für die Vorstellungen kein Eintrittsgeld mehr erhoben werden. Diese Entscheidung traf Direktor William Gaskill, nachdem das neue Stück während der ersten Woche nur schwach besucht war. Er erhofft sich da­durch für die Zukunft einen neuen Be­sucherkreis aufbauen zu können. (AP)

Neue Komposition von Reimann

Inane (die Leere), ein Monolog für So­pran und Orchester des Berliner Komponi­sten Aribert Reimann nach einem Text des Münchner Schriftstellers Manuel Thomas wurde in einem Konzert des Senders Freies Berlin uraufgeführt. Dieses 23-Minuten- Stück, eine Auftragskomposition des Sen­ders Freies Berlin, ist eine dramatische Ge­sangsszene, die auch als Opern-Einakter her­auskommen soll, und die psychologische Si­tuation einer Frau nach einer Abtreibung schildert. Der höchst expressiven dichteri­schen Vorlage entspricht eine Vertonung, die ohne Anwendung radikaler Mittel mit wa­cher, gespannter Ausdruckskraft den bild­haften Visionen, Anklagen und Selbstvor­würfen der Frau nachspürt. Die Komposi­tion wurde für die Sopranistin Joan Carroll geschrieben, die bei der Uraufführung den schwierigen Vokalpart mit seinem Wechsel von Singen, Sprechen, Flüstern und Schreien in größtmöglicher Intensität nachgestaltete. Ihre grandiose Leistung wurde mit stürmi­schem Beifall anerkannt, der auch dem Diri­genten Lukas Voss, dem Textdichter und dem Radio-Symphonie-Orchester Berlin galt. Dagegen mischten sich beim Erscheinen des Komponisten auf dem Podium zahlreiche Buh-Rufe in die Ovationen. (dpa)

Bibalos BallettPinocchio"

Als zweites Auftragswerk in dieser Spiel­zeit wurde von der Hamburgischen Staats­oper Bibalos BallettPinocchio uraufge­führt. Das Publikum nahm das abendfüllen­de Werk des aus Italien stammenden Nor­wegers freundlich auf.

Das Ballett schildert die Abenteuer der Gliederpuppe Pinocchio, die schließlich nach vielen, -zumeist traurigen Erlebnissen und langem Faulenzerleben in einen fleißi­gen Jungen verwandelt wird. Die Musik Bi­balos vor allem für Kinder komponiert ist teils tonal, teils atonal, in Rhythmus und Melodie farbig und abwechslungsreich. Vieles erinnert jedoch an Richard Strauss und vor allem im großen Pas de deux am Schluß, an Strawinsky. Die Wege der jungen Moderne geht Bibalo nicht.

Die Ausstattung des Ballettabends von der

Amerikanerin Jane Warfield war bunt wie Disneyland. Der Hamburger Peter van Dyk kam mit seiner Inszenierung und Choreo­graphie nicht über konservativen Tanz hin­aus.

Das Publikum klatschte am Schluß lange Beifall. Die drei Solisten Gerda Daum (Ti­telrolle), Anita Kristina (Fee) und Francis Sinceretti (Gepetto) hatten ihn verdient. Di­rigent war der Franzose Jean-Marie Auber- son. (AP)

Mareks-Ausstellung in Bonn

Großer Andrang herrschte in der Bonner Galerie Wünsche bei der Eröffnung der er­sten Jubiläumsausstellung zum Geburtstag von Gerhard Mareks, der im Februar 80 Jahre alt wird. Mareks, der zu den interna­tional berühmten Bildhauern zählt, kam persönlich zur Eröffnung. Für die Zeichnun­gen und Plastiken wurden bis zu 30 000 Mark geboten. Die Bonner Marcks-Ausstel- lung bleibt vier Wochen geöffnet. (AP)

Maler Theodor Werner gestorben

Der Maler Theodor Werner, einer der be­kanntesten Abstrakten Deutschlands, ist, einen Monat vor seinem 83. Geburtstag, in einer Münchener Klinik gestorben. Der Ma­ler, der während der nationalsozialistischen Zeit in Deutschland alsentartet verfemt war, hat sich erst nach dem Kriege in der Bundesrepublik entscheidend durchsetzen können. Zahlreiche Einzelausstellungen so­wie seine Teilnahme an derDocumenta in Kassel machten sein Werk bekannt. Im Aus­land stellte er in Paris, auf der Biennale in Venedig, auf der Triennale in Mailand, in Pittsburgh und in New York aus. Der am 14. Februar 1886 in Jettenburg bei Tübingen geborene Künstler studierte an der Kunst­akademie in Stuttgart und lebte seit 1930 mehrere Jahre in Paris, wo er mit der Gruppe Abstraction Creation Verbindung an­knüpfte. In den folgenden Jahren befreun­dete er sich mit Juan Gris, Braque und Miro. Zu seinen zahlreichen Auszeichnungen gehörten der Kunstpreis der Stadt Berlin 1951, der Preis des Verbandes der deutschen Kritiker (1954) und die Verleihung des Pro­fessorentitels durch das Kultusministerium des Landes Baden-Württemberg. (dpa)

K ulturnachrichfen

Der Mannheimer Generalmu­sikdirektor Horst Stein wird in Hamburg die Musikaufnahme der Fernseh­produktion derArabella von Richard Strauss leiten. Sie soll in der Inszenierung der Hamburgischen Staatsoper im Laufe dieses Monats aufgezeichnet werden.

Der vielseitige Komponist Vernon Duke ist in Los Angeles im Alter von 66 Jahren an Lungenkrebs gestorben.

Der aus Berlin gebürtige Physiker Fritz Reiche, der Mitarbeiter zweier Nobelpreisträger war, ist im Alter von 85 Jahren in einem New Yorker Krankenhaus gestorben. Dr. Reiche, der im Jahre 1921 Professor an der Universität Breslau wurde, arbeitete in den zwanziger Jahren mit Max Planck an der Quantentheorie und später mit Albert Einstein auf dem Gebiet der Atomphysik.

Dem jungen deutschen Filmregis­seur Jean-Marie Straub ist jetzt die mit dem großen Preis der internationa­len Filmwoche Mannheim verbundene Zu­wendung von 10 000 Mark zugesprochen worden.

Der Berliner Gustav-Mahler- Preis wird in diesem Jahr Sir John Bar- birolli verliehen. Die Auszeichnung wird dem britischen Dirigenten im Anschluß an das von ihm geleitete Berliner Philharmoni­sche Konzert am 8. März 1969 überreicht.

Der Leiter des Bodensee-Sym­phonieorchesters, Generalmusikdi­rektor Günter Neidlinger, hat sich nach Auskunft des Konstanzer Oberbürgermei­sters Dr. Bruno Heimle bereit erklärt, seinen im Sommer auslaufenden Vertrag zu verlän­gern.

Die Angel der Kurtisane von Lope de Vega wird am 10. Februar in der Neubearbeitung und Inszenierung von Alex­ander de Montleart und der Ausstattung von Alexander Blanke am Stadttheater Pforzheim uraufgeführt.

DieDeutsche Oper am Rhein ist zumPrager Frühling 1970 eingeladen worden. Die Düsseldorfer Bühne wird in der tschechoslowakischen Hauptstadt mit der Operninszenierung von Arnold Schönbergs Moses und Aron gastieren.