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Politi
Dienstag, 21. Januar 1969
FDP fordert Rücktritt von Eugen Gerstenmaier
Heute Stellungnahme der SPD / CDU hält an Ehrenerklärung fest Von unserer Bonner Redaktion
Bonn. Die FDP hat indirekt den Rücktritt von Bundestagspräsident Gerstenmaier gefordert. Der Bundesvorstand der Freien Demokraten erklärte gestern, es sei zu bedauern, „daß Bundestagspräsident Gerstenmaier nicht schon von sich aus durch seinen Rücktritt die erforderliche Konsequenz gezogen hat, um das Amt des Bundestagspräsidenten aus dem gegenwärtigen Zwielicht zu befreien.“ Es wird erwartet, daß sich die Bundestagsfraktion der FDP in ihrer heutigen Aussprache und Erklärung des Parteivorstandes anschließt.
St. Eugen — restauriert? (Aus Süddeutsche Zeitung)
Überfall auf Munitionslager
(Fortsetzung von Seite 1) entdeckt. Der Wachhabende, Unteroffizier Poh (21), sein Stellvertreter, Obergefreiter Bales (27) und der Gefreite Horn (21) waren tot. Der Gefreite Marx (21) hatte zwei Kopfschüsse erlitten, er schwebt in höchster Lebensgefahr. Der Gefreite Schultz (21) wurde mit einem Brustschuß, einem Armbruch und Stichverletzungen gefunden. Er soll noch bei Bewußtsein gewesen sein und einige Hinweise auf die Täter und den Zeitpunkt des Überfalls gegeben haben.
Das Verbrechen war offensichtlich sorgfältig geplant. Die Täter hatten die Telefondrähte, die vom Lager zur Kaserne führten, durchschnitten. Wahrscheinlich hielt zur Zeit des Überfalls ein Doppelposten Wache, während die anderen drei Soldaten Freiwache hatten und vermutlich schliefen.
Kurz gestreift
Der neuseeländische Ministerpräsident Ho- lyoake traf gestern zu einem zweitägigen Besuch. in Bonn ein. Er führte gestern ein Gespräch mit Bundeskanzler Kiesinger und wurde von Bundespräsident Lübke empfangen.
Am 29. Januar wird die Bundesregierung den Jahreswirtschaftsbericht 1969 verabschieden. Der Bericht zeigt Zielprojektionen für die Wirtschaftsentwicklung im laufenden Jahr auf und macht Vorschläge für deren Verwirklichung.
3500 Telegrafenarbeiter der britischen Post traten gestern in Streik und lähmten damit den Telegrammverkehr zwischen London und den überseeischen Ländern.
IVtf
Das flache mitteleuropäische Hoch schließt sich mit dem größeren Hoch über Rußland zu einer umfangreichen Hochdruckzone zusammen, in deren Randgebiet Süddeutschland während der nächsten Tage bleiben wird. Während sich dabei in der Höhe von Westeuropa her milde Luft durchsetzt, bringt in den Niederungen eine schwache östliche Strömung allmählich etwas kältere Luftmassen heran.
Dienstag örtlich Nebel oder Hochnebel, sonst im Osten des Landes nur leicht bewölkt. In den westlichen und nördlichen Teilen größere Wolkenfelder, aber höchstens geringer Niederschlag. Schwache Winde um Ost. Mittagstemperaturen in den Niederungen zum Teil noch bis nahe fünf Grad, in den Hochlagen kaum über null Grad. Mittwoch im wesentlichen störungsfrei. In den Niederungen nachts mäßiger Frost.
Die unbekannten Täter nahmen den Soldaten ihre Waffen — zwei Pistolen und drei Gewehre — ab, bemächtigten sich der Schlüssel und schlossen vier der insgesamt 12 Munitionsbunker auf. In drei Bunkern befanden sich Mörser-, Signal- und Übungsmunition, im vierten Pistolen- und Gewehrmunition. Ob und welche Munition entwendet worden ist, konnte das Verteidigungsministerium noch nicht sagen. Erst müßten die Spuren gesichert werden, erklärte ein Sprecher. Auch über die Verletzungen der Toten und den wahrscheinlichen Hergang des Überfalls wollten sich offizielle Stellen nicht äußern, um die Ermittlungen nicht zu erschweren.
Um alle Ermittlungen zentral steuern zu können, hat Bundesinnenminister Benda nach Paragraph 4 des Bundeskriminalgesetzes alle Befugnisse auf das Bundeskriminalamt in Wiesbaden übertragen. Er teilte diesen Entschluß den Bundesländern fernschriftlich mit. Der Generalinspekteur der Bundeswehr, General de Maiziere, flog gestern an den Tatort, um sich über das Ergebnis der ersten Ermittlungen zu unterrichten.
Der Überfall auf das Munitionslager der Bundeswehr wird schon bald den Bundestag beschäftigen. Der CDU-Abgeordnete Rommerskirchen hat die Bundesregierung in einer Dringlichkeitsfrage aufgefordert, Auskunft über den „in der Geschichte der Bundesrepublik einmaligen Vorgang“ zu geben. Auch der Verteidigungsausschuß und der Wehrbeauftragte Hoogen sollen eingeschaltet werden. Die SPD-Fraktion äußerte ebenfalls den Wunsch, über.das Ergebnis der Ermittlungen genau informiert zu werden.
(Siehe auch S. 3)
Moskau (dpa). Die Sowjetregierung hat gestern ihre Bereitschaft bekräftigt, mit der neuen US-Regierung über eine Einschränkung von offensiven und defensiven Raketen-Systemen zu sprechen.
Am Tage der Amtseinführung Präsident Richard Nixons erklärte der Sprecher des sowjetischen Außenministeriums, Leonid Samjatin, vor der Presse in Moskau, seine Regierung sei nach wie vor bereit „zu einem ernsthaften Meinungsaustausch“ mit der amerikanischen Regierung über eine beiderseitige Einschränkung und folgende Verrin-
Auch in den anderen Parteien wird gegenwärtig darüber diskutiert, ob Gerstenmaier der Rücktritt nahegelegt werden soll. Der Vorsitzende der FDP-Fraktion im Bundestag, Mischnick, lud die Fraktionsführer der SPD und der CDU/CSU zu einem Gespräch über die Wiedergutmachungsangelegenheit des Bundestagspräsidenten ein. Dabei soll erörtert werden, welche Konsequenzen „zur Wahrung des Ansehens der parlamentarischen Demokratie“ zu ziehen seien. Misch-
Kiesinger sagt den radikalen Studenten den Kampf an
Bonn (NWZ). Bundeskanzler Kiesinger hat sich erneut für ein härteres Vorgehen gegen radikale Studenten ausgesprochen. Auf einer internen Tagung der CDU sagte Kiesinger gestern zu den jüngsten Demonstrationen und Ausschreitungen in Berlin, man müsse bei den Studenten stets zwischen denen unterscheiden, die eine Reform der Universität wollten und denen, die nichts als Zerstörung im Sinn hätten. Wörtlich erklärte der Bundeskanzler: „Den Radikalinskis gegenüber sollte das salbungsvolle, ölige Geschwätz von der Unruhe der Jugend jetzt endlich aufhören.“
Eppler nach Jordanien
Bonn (NWZ). Der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, Eppler, wird auf der ersten Auslandsreise seit seiner Amtsübernahme im vergangenen Herbst einen arabischen Staat besuchen. Eppler fliegt am 27. Januar nach Jordanien, um auf Einladung der Regierung in Amman an den Feierlichkeiten zur Einweihung des mit deutscher Hilfe ausgebauten Hafens von Aquaba teilzunehmen.
Auf Epplers Programm in Jordanien stehen außerdem Gespräche mit mehreren Mitgliedern der Regierung und der Besuch eines Flüchtlingslagers. Für den Ausbau des Hafens von Aquaba hat die Bundesregierung seit 1962 insgesamt 41 Millionen DM zur Verfügung gestellt. Eppler wird in den Verhandlungen mit seinen jordanischen Kollegen auch über einen weiteren Ausbau der legendären Hedschasbahn sprechen, den die Bundesregierung mit Krediten unterstützen will.
gerung strategischer Kernwaffenträger einschließlich defensiver Systeme.
Samjatin warnte ausdrücklich davor, das Problem der Anti-Raketen gesondert zu betrachten. Er sagte, beide Waffensysteme, offensive und defensive, seien miteinander verknotet. Die Sowjetunion habe sich deshalb niemals damit einverstanden erklärt, ausschließlich über Anti-Raketen zu sprechen. Die USA und die Sowjetunion hatten im vergangenen Sommer ein Übereinkommen über den Beginn der Gespräche erzielt. Wegen der tschechoslowakischen Ereignisse wurden sie von den USA verschoben. Die
nicks Einladung wurde von den Fraktionsführern der Regierungsparteien kommentarlos aufgenommen.
Der Fraktionsvorstand der CDU/CSU befaßte sich gestern hinter verschlossenen Türen mit dem Fall Gerstenmaier. CDU-Abgeordnete vertraten die Meinung, der Bundestagspräsident müsse sein Amt zur Verfügung stellen, wenn er den gegen ihn gerichteten Angriffen nicht standhalten könne. In der Parteiführung wird aber an der Ehrenerklärung festgehalten, die der Bundesvorstand der Partei für den Bundestagspräsidenten abgegeben hat. Vor Teilnehmern einer internen CDU-Konferenz betonte CDU-Generalsekretär Heck gestern, Gerstenmaier habe sich korrekt benommen.
Mit großer Spannung wird in Bonn die Erklärung der SPD erwartet. Die Bundestagsfraktion der Sozialdemokraten berät heute über einen Bericht, den die SPD-Mit- glieder des Ältestenrats zusammengestellt haben. Im Bundestag war gestern abend die Vermutung zu hören, die SPD werde möglicherweise eine ähnliche Haltung einnehmen wie die Freien Demokraten.
Eine Frau wird Botschafter
Bonn (NWZ). Die Bundesregierung hat zum erstenmal seit Bestehen der Bundesrepublik einen weiblichen Botschafter ernannt: Professor Ellinor von Puttkammer, die ranghöchste Beamtin im Auswärtigen Amt, wird Anfang März die Leitung der deutschen Mission beim Europarat in Straßburg übernehmen.
Frau von Puttkammer war bisher Vortragende Legationsrätin 1. Klasse und Leiterin des UN-Referats.
Die Forderung nach einer weiblichen Botschafterin war im Juni des vergangenen Jahres auf einer Frauentagung der SPD erhoben worden. Bundesaußenminister Brandt versprach damals, bei einer geeigneten Gelegenheit mit der Gleichberechtigung der Frauen auch im Auswärtigen Dienst zu beginnen.
Übereinkunft ist nach Meinung Moskaus nach wie vor in Kraft. Wenn Nixon bereit sei, sich an den Tisch zu setzen, „dann sind wir auch bereit“.
Der Sprecher verneinte allerdings ausdrücklich, daß die Bereitschaftserklärung der Sowjetregierung mit Absicht am Tage der Amtsübernahme Nixons gegeben wurde. Er betonte aber, es werde die Atmosphäre verbessern, wenn die Nixon-Regierung diese Erklärung berücksichtige.
Nachdrücklich setzte sich Samjatin für ein baldiges Inkrafttreten des Atomwaffensperrvertrages ein.
Sowjets zu Abrüstungsgesprächen bereit
Moskauer Außenministerium für baldiges Inkrafttreten des Atomsperrvertrages
Ellinor
von Puttkammer
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Lehren aus dem Fall „Gerstenmaier“
Der Ältestenrat des Bundestages hat sich nicht den Rehabilitierungsbemühungen der CDU/CSU für Parlamentspräsident D. Dr. Eugen Gerstenmaier angeschlossen. Er hat die von diesem und der CDU/CSU ausdrücklich gewünschte Ehrenerklärung nicht ausgesprochen, weil sowohl die SPD wie auch die FDP nicht dazu bereit waren.
Der Bundestagspräsident hat bereits zu erkennen gegeben, daß er nicht die Absicht hat, wegen der peinlichen Affäre um die „Kleinigkeit“ von 281 000 DM einer Wiedergutmachungszahlung und des noch keineswegs geklärten Professor-Titels von seinem Amt zurückzutreten. Das war auch nur von wenigen Politikern in Bonn erwartet worden.
Dennoch ist man sich in Bonn darüber im klaren, daß mit dem „Fall Gerstenmaier“ bestimmte Veränderungen eingetreten sind, die sich möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt auswirken werden. Am deutlichsten ist noch zu erkennen, daß Gerstenmaier es sich verscherzt hat, auch dem 6. Bundestag als Präsident vorzustehen. Die SPD jedenfalls wird ihm ihre Stimmen nicht mehr geben, und innerhalb der CDU/CSU ist die Verärgerung über das Verhalten des Präsidenten derzeit so groß, wird so erbittert Klage darüber geführt, daß Gerstenmaier das Ansehen der Wiedergutmachungs-Politik und seiner eigenen Partei geschädigt habe, daß er kaum noch als Parlamentspräsident aufgestellt werden dürfte.
Mit dieser Affäre zeichnet sich zugleich in Bonn eine weitere Entfremdung zwischen den beiden Koalitionspartnern ab. Maßgebende Politiker der SPD sind durchaus der Meinung, die Parteiräson innerhalb der CDU habe Gerstenmaier zum Rücktritt bewegen müssen. Affären dieser Art führen zur immer engeren Annäherung zwischen der Regierungspartei SPD und der in Opposition stehenden FDP.
Heute wird in Bonn bereits damit gerechnet, daß die FDP am 5. März für Dr. Gustav Heinemann stimmen und somit der SPD dazu verhelfen wird, nach der FDP und der CDU nun auch ihrerseits den Bundespräsidenten zu stellen. -eal
Krawall oder Reformen ?
Um genau drei Monate zu früh bricht der neue „Studentenaufstand“ los. Der SDS und andere radikale Gruppen hatten ihn für den Ostermonat programmiert. Doch was jetzt an den Universitäten geschieht, sind Krawalle, denen die große organisatorische Vorbereitung fehlt. Warum läßt sich der SDS, durch polizeiliche Übergriffe ermuntert, zu diesem vorgezogenen Abenteuer verleiten? Die Antwort kann man an fast allen betroffenen Hochschulen hören: Langsam aber sicher breitet sich die studentische Gegenbewegung gegen die Radikalen aus. Verfügte sie über die gleiche organisatorische Perfektion wie der SDS, dann hätte sie diesen vermutlich schon kassiert.
, Die jüngsten,Vorgänge täuschen nicht darüber hinweg, daß die Mehrzahl der Studenten den Kampf um längst fällige Reformen durch die organisierten Krawalle gefährdet siehf. Die Bilanz des Jahres 1968, das die Universitäten bei weiten Bevölkerungsteilen in Mißkreidt brachte, ohne wesentlich zur Lösung der Probleme beizutragen, sieht freilich düster aus. Der SDS hat es geschafft, gute Ansätze zu einer Hochschulreform in Sit-ins und Straßenkrawallen zu zerschlagen, fast überall wurde der Lehrbetrieb empfindlich gestört.
Jetzt wird der SDS, was er selbst zugibt, zunehmend eingekreist und isoliert. Schon sprechen seine Funktionäre von einer „Konterrevolution“, die sich gegen ihn erhebt. Doch die Dinge liegen anders: Wir brauchen eine friedliche Revolution an unseren Universitäten, die einen modernen Lernbetrieb für die siebziger und achtziger Jahre garantiert. Die linksradikale Konterrevolution droht diese Bemühungen zu zerschlagen, und die Studenten beginnen das zu begreifen. W. G.
FEUILLETON:
Dachs im Bau
Kafka-Dramatisierung in Baden-Baden uraufgeführt
„Der Bau“, die kunstvoll dicht verschlüsselte Erzählung aus Kafkas Nachlaß von einem nicht näher definierten Tier, das sich in Meditation über Sicherheit und Zuverlässigkeit seines weitverzweigten, unterirdischen Baus mit seinen Seitenausgängen, Nebenplätzen und Tarnwegen selbst labyrin- thisdi verstrickt und verwirrt — diese an den „Prozeß“ erinnernde Parabel scheint sich einer szenischen Darbietung weitgehend zu entziehen. Nicht nur das mit dem bedeutungsschweren Satz „Aber alles blieb unverändert“ mitten im fließenden, immer neu voranstoßenden Gedankengang abbrechende Ende des Fragments, scheint der Bühnenform zu widersprechen; auch der Duktus dieser Erzählung mit ihrem gleichnishaften Charakter erschließt sich in seiner ganzen Fülle und Tiefe wohl nur dem Leser.
Doch der Hamburger Schauspieler Karl Merkatz wagte im Alleingang das Experiment: als Bearbeiter des langen Textes, als Bühnenbildner, Regisseur und Darsteller in der Maske eines Dachses turnte er in einer käfigartigen Stellage mit Stangen und Türen umher, die das Labyrinthische seines Baus sinnfällig machte. Nachdem er einige Frühsport-Übungen absolviert hatte, ließ Merkatz die gestenreiche Unterstreichung immer mehr zugunsten des Erzählers zurücktreten: die Faszination von Kafkas Wort
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Schlecht bewandert
Als der mit feinem Ohr begabte Richard Strauss auf einer „Salome"-Probe vernahm, wie beim Erklingen eines besonders markanten Motivs ein Bratscher seinem Pultkollegen den Namen „Haydn" zuraunte, klopfte er ab und meinte maliziös: „Da sieht man wieder einmal, wie schlecht Sie doch in der klassischen Literatur bewandert sind. Das Motiv stammt nämlich immer noch von — Rossini!" (GP)
setzte sich auch bei dieser verschlungen-hin- tergründigen Schilderung von Friedensbedürfnis und Unsicherheit, Abwehrerwägungen und verzweifelter Sorge durch. In Baden-Baden, wo Merkatz mit dem „Bau“ und dem schon bühnenerprobten „Bericht für eine Akademie“ eine Solo-Tournee begann, blieb der Eindruck von der Dachs-Erzählung sogar nachhaltiger als der Affenbericht. Denn Merkatz überzog hier den Aufwand an Sprüngen, Gängen und allerlei äffischer Gestik: so viel „szenische“ Unterstützung bedarf der witzig-ironische Text von Kafka nicht. Viel Beifall für ein mutiges Solo-Unternehmen. Bl.
„ Vietnam-Diskurs " abgesetzt
Die Berliner Schaubühne am Halleschen Ufer hat die Neuinszenierung des „Vietnam- Diskurs“ von Peter Weiss, die erst am 14. Januar Premiere hatte, aus künstlerischen Gründen abgesetzt. Wie die Leiter des Theaters, Jürgen Schitthelm und Klaus Weiffen- bach, mitteilten, haben sie nach der Berliner Erstaufführung noch zwei Vorstellungen in ihrem Hause spielen lassen, um sich von keiner Seite dem Vorwurf auszusetzen, sie hätten die Aufführung aus politischen Gründen abgesetzt. Die Schaubühne identifiziere sich „voll und ganz mit der politischen Stellungnahme des Autors zum Vietnam- Problem“. (dpa)
Kostenlose Vorstellungen
Im Royal Court, einem der fortschrittlichsten Theater Londons, wird bis zum Ablauf des Stückes „Life Price“ am 1. Februar für die Vorstellungen kein Eintrittsgeld mehr erhoben werden. Diese Entscheidung traf Direktor William Gaskill, nachdem das neue Stück während der ersten Woche nur schwach besucht war. Er erhofft sich dadurch für die Zukunft einen neuen Besucherkreis aufbauen zu können. (AP)
Neue Komposition von Reimann
„Inane“ (die Leere), ein Monolog für Sopran und Orchester des Berliner Komponisten Aribert Reimann nach einem Text des Münchner Schriftstellers Manuel Thomas wurde in einem Konzert des Senders Freies Berlin uraufgeführt. Dieses 23-Minuten- Stück, eine Auftragskomposition des Senders Freies Berlin, ist eine dramatische Gesangsszene, die auch als Opern-Einakter herauskommen soll, und die psychologische Situation einer Frau nach einer Abtreibung schildert. Der höchst expressiven dichterischen Vorlage entspricht eine Vertonung, die ohne Anwendung radikaler Mittel mit wacher, gespannter Ausdruckskraft den bildhaften Visionen, Anklagen und Selbstvorwürfen der Frau nachspürt. Die Komposition wurde für die Sopranistin Joan Carroll geschrieben, die bei der Uraufführung den schwierigen Vokalpart mit seinem Wechsel von Singen, Sprechen, Flüstern und Schreien in größtmöglicher Intensität nachgestaltete. Ihre grandiose Leistung wurde mit stürmischem Beifall anerkannt, der auch dem Dirigenten Lukas Voss, dem Textdichter und dem Radio-Symphonie-Orchester Berlin galt. Dagegen mischten sich beim Erscheinen des Komponisten auf dem Podium zahlreiche Buh-Rufe in die Ovationen. (dpa)
Bibalos Ballett „Pinocchio"
Als zweites Auftragswerk in dieser Spielzeit wurde von der Hamburgischen Staatsoper Bibalos Ballett „Pinocchio“ uraufgeführt. Das Publikum nahm das abendfüllende Werk des aus Italien stammenden Norwegers freundlich auf.
Das Ballett schildert die Abenteuer der Gliederpuppe Pinocchio, die schließlich nach vielen, -zumeist traurigen Erlebnissen und langem Faulenzerleben in einen fleißigen Jungen verwandelt wird. Die Musik Bibalos — vor allem für Kinder komponiert — ist teils tonal, teils atonal, in Rhythmus und Melodie farbig und abwechslungsreich. Vieles erinnert jedoch an Richard Strauss und vor allem im großen Pas de deux am Schluß, an Strawinsky. Die Wege der jungen Moderne geht Bibalo nicht.
Die Ausstattung des Ballettabends von der
Amerikanerin Jane Warfield war bunt wie Disneyland. Der Hamburger Peter van Dyk kam mit seiner Inszenierung und Choreographie nicht über konservativen Tanz hinaus.
Das Publikum klatschte am Schluß lange Beifall. Die drei Solisten Gerda Daum (Titelrolle), Anita Kristina (Fee) und Francis Sinceretti (Gepetto) hatten ihn verdient. Dirigent war der Franzose Jean-Marie Auber- son. (AP)
Mareks-Ausstellung in Bonn
Großer Andrang herrschte in der Bonner Galerie Wünsche bei der Eröffnung der ersten Jubiläumsausstellung zum Geburtstag von Gerhard Mareks, der im Februar 80 Jahre alt wird. Mareks, der zu den international berühmten Bildhauern zählt, kam persönlich zur Eröffnung. Für die Zeichnungen und Plastiken wurden bis zu 30 000 Mark geboten. Die Bonner Marcks-Ausstel- lung bleibt vier Wochen geöffnet. (AP)
Maler Theodor Werner gestorben
Der Maler Theodor Werner, einer der bekanntesten Abstrakten Deutschlands, ist, einen Monat vor seinem 83. Geburtstag, in einer Münchener Klinik gestorben. Der Maler, der während der nationalsozialistischen Zeit in Deutschland als „entartet“ verfemt war, hat sich erst nach dem Kriege in der Bundesrepublik entscheidend durchsetzen können. Zahlreiche Einzelausstellungen sowie seine Teilnahme an der „Documenta“ in Kassel machten sein Werk bekannt. Im Ausland stellte er in Paris, auf der Biennale in Venedig, auf der Triennale in Mailand, in Pittsburgh und in New York aus. Der am 14. Februar 1886 in Jettenburg bei Tübingen geborene Künstler studierte an der Kunstakademie in Stuttgart und lebte seit 1930 mehrere Jahre in Paris, wo er mit der Gruppe „Abstraction Creation“ Verbindung anknüpfte. In den folgenden Jahren befreundete er sich mit Juan Gris, Braque und Miro. Zu seinen zahlreichen Auszeichnungen gehörten der Kunstpreis der Stadt Berlin 1951, der Preis des Verbandes der deutschen Kritiker (1954) und die Verleihung des Professorentitels durch das Kultusministerium des Landes Baden-Württemberg. (dpa)
K ulturnachrichfen
Der Mannheimer Generalmusikdirektor Horst Stein wird in Hamburg die Musikaufnahme der Fernsehproduktion der „Arabella“ von Richard Strauss leiten. Sie soll in der Inszenierung der Hamburgischen Staatsoper im Laufe dieses Monats aufgezeichnet werden.
Der vielseitige Komponist Vernon Duke ist in Los Angeles im Alter von 66 Jahren an Lungenkrebs gestorben.
Der aus Berlin gebürtige Physiker Fritz Reiche, der Mitarbeiter zweier Nobelpreisträger war, ist im Alter von 85 Jahren in einem New Yorker Krankenhaus gestorben. Dr. Reiche, der im Jahre 1921 Professor an der Universität Breslau wurde, arbeitete in den zwanziger Jahren mit Max Planck an der Quantentheorie und später mit Albert Einstein auf dem Gebiet der Atomphysik.
Dem jungen deutschen Filmregisseur Jean-Marie Straub ist jetzt die mit dem großen Preis der internationalen Filmwoche Mannheim verbundene Zuwendung von 10 000 Mark zugesprochen worden.
Der Berliner Gustav-Mahler- Preis wird in diesem Jahr Sir John Bar- birolli verliehen. Die Auszeichnung wird dem britischen Dirigenten im Anschluß an das von ihm geleitete Berliner Philharmonische Konzert am 8. März 1969 überreicht.
Der Leiter des Bodensee-Symphonieorchesters, Generalmusikdirektor Günter Neidlinger, hat sich nach Auskunft des Konstanzer Oberbürgermeisters Dr. Bruno Heimle bereit erklärt, seinen im Sommer auslaufenden Vertrag zu verlängern.
„Die Angel der Kurtisane“ von Lope de Vega wird am 10. Februar in der Neubearbeitung und Inszenierung von Alexander de Montleart und der Ausstattung von Alexander Blanke am Stadttheater Pforzheim uraufgeführt.
Die „Deutsche Oper am Rhein“ ist zum „Prager Frühling 1970“ eingeladen worden. Die Düsseldorfer Bühne wird in der tschechoslowakischen Hauptstadt mit der Operninszenierung von Arnold Schönbergs „Moses und Aron“ gastieren.