KREISNACHRICHTEN
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Unabhängige Tageszeitung und Amtsblatt für die Stadt und den Kreis Calw
Gegründet 1826 / Nr. 16 Dienstag, 21. Januar 1969 Einzelpreis 30 Pfennig 2 H 2033 A
Richard M. Nixon als US-Präsident vereidigt
Er will alle Kräfte für die Arbeit am Frieden widmen
Washington (dpa). Mit dem feierlichen Versprechen, alle Kräfte für die Arbeit am Frieden in der Welt zu widmen, trat Richard Milhouse Nixon gestern um 19.15 Uhr MEZ sein Amt als 37. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika an. In dieser Sekunde begann der neue 56jährige US-Präsident, die Eidesformel nachzusprechen, die Amerikas oberster Richter Earl Warren vorsprach. Nixon hatte die linke Hand auf zwei alte Familienbibeln gelegt, die an der Stelle aufgeschlagen waren, an der Prophet Jesaja die Umschmiedung der Schwerter in Pflugscharen ankündigt.
DIE LINKE HAND auf zwei Familien-Bibeln, die seine Frau Pat hielt, die rechte zum Schwur erhoben, so legte der neue Präsident der USA, Richard Nixon (rechts) vor dem obersten US-Richter, Earl Warren, seinen Eid ab. (AP-Photofax)
Die Regierungsmannschaft Nixons war vollzählig auf der Tribüne versammelt. Nur wenige Stunden vorher hatte Washington die Meldung aus Moskau über die erneuerte Bereitschaft der Sowjets zu Rüstungsbe- grenzungs-Gesprächen erreicht. (Siehe dazu S. 2)
Die feierliche Zeremonie, die nur alle vier Jahre einmal stattfindet, wurde in den USA und in vielen, durch Nachrichten-Satelliten erreichbaren Teilen der Welt direkt ausgestrahlt.
Die kurze Amtseinführungsansprache des neuen Präsidenten begann mit einem eindringlichen Appell zum Frieden und dem Versprechen, alle seine Kräfte der Arbeit am
Frieden zwischen den Völkern zu widmen. Nixon sah ein Verhandlungszeitalter herauf- dämmern, das die Ära der Konfrontationen ablösen werde. Er versicherte, daß die Stärke der USA unangetastet bleiben werde. Richard Nixon hatte seine Ansprache an „meine Mitbürger in der Weltgemeinschaft“ adressiert.
An der Spitze einer langen Wagenkolonne hatten sich der alte und der neue Präsident zum Kapitol begeben. Für Lyndon Johnson war es die letzte Fahrt als Präsident durch die Straßen der amerikanischen Hauptstadt In den hinteren Limousinen folgten die Familien und Vizepräsidenten.
Unmittelbar nach der Zeremonie hatte
Selbstverbrennung auch in Pilsen und Budapest
Wien (dpa). Der tschechoslowakische Staatspräsident Ludvig Svoboda teilte gestern am späten Abend in seiner Ansprache über den tschechoslowakischen Rundfunk mit, daß sich gestern abend in Pilsen ein zweiter Mann selbst verbrannt habe. Bei dem jungen Mann handelt es sich um den 25jährigen Brauereiarbeiter Josef Hlavaty, einen von seiner Frau geschiedenen Vater von zwei Kindern. Er sei mit Verbrennungen zweiten Grades ins Krankenhaus eingeliefert worden.
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Budapest (dpa). Auf den Stufen des Nationalmuseums der ungarischen Hauptstadt soll sich gestern nachmittag ein junger Mann mit einer Flüssigkeit übergossen und angezündet haben. Nach Gerüchten, die am Abend in Budapest kursierten, wurde der Selbstmordversuch von einem Oberschüler oder Studenten begangen. Es sei gelungen, das Feuer rasch zu löschen und den jungen Männ in ein Krankenhaus einzuliefern. Nach unbestätigten Berichten sollen 60 Prozent seiner Haut verbrannt sein. Die offizielle ungarische Nachrichtenagentur M€T lehnte bisher jede Stellungnahme zu den Gerüchten ab. Radio Budapest erwähnte den Selbstmordversuch in einer seiner Nachrichtensendungen, ohne auf Einzelheiten einzugehen.
Präsident Nixon mit seiner Ansprache begonnen. Die Nationalhymne, die von dem Mormonen-Tabernakel-Massenchor gesungen wurde und die Einsegung der neuen Regierung durch den Erzbischof von New York, Terence J. Cooke, beendeten die Amtseinführungsfeierlichkeiten.
Unmittelbar danach vollzog Nixon als erste Amtshandlung den formellen Schritt, die Kabinettsmitglieder dem Senat zur Ernennung vorzuschlagen. Der Senat hatte bereits eine Sondersitzung anberaumt, um die neuen Minister in ihrem Amt zu bestätigen.
Danach setzte sich Richard Nixon an die Spitze der traditionellen, bunten Parade, die am Weißen Haus endete. Nach über fünfjähriger Amtszeit hatte Lyndon Johnson nun sein Amt abgegeben. Er begab sich zu seinem vertrauten Clark Clifford zu einem Essen und wollte anschließend sofort mit einer Regierungsmaschine auf seine Ranch nach Texas fliegen.
Mehrere Empfänge für Angehörige der neuen Regierung und persönliche Freunde im Weißen Haus sowie der Besuch von mehreren Gala-Bällen beendeten gestern das Programm der neuen Präsidentenfamilie.
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Blutiger Überfall auf Munitionslager : Drei Tote
Kiesinger empört über Brutalität / Täter und Motive unbekannt
Von unserer Bonner Redaktion
Bonn. Der blutige Überfall auf ein Munitionslager der Bundeswehr in Lebach (Saarland), bei dem drei Soldaten den Tod fanden und zwei schwer verletzt wurden, hat in Bonn große Empörung ausgelöst. Bundeskanzler Kiesinger und Bundesinnenminister Benda beauftragten den Generalbundesanwalt in Karlsruhe und das Bundeskriminalamt in Wiesbaden mit den Ermittlungen. Der Sprecher der Bundesregierung, Ahlers, erklärte gestern vor der Presse, der Stand der Ermittlungen erlaube noch keine Hinweise auf die Täter und ihre Motive.
DIES SIND DIE EINGÄNGE zum Bundeswehr-Munitionsdepot in Lebach unweit von Saarbrücken, das unbekannte Täter überfallen haben. (AP-Photofax)
Ahlers sagte weiter, der Bundeskanzler sei empört über den „scheußlichen Überfall“ und bedauere ihn zutiefst. Kiesinger halte den Vorfall angesichts der Brutalität und des betroffenen Objekts für „einen der ernstesten der letzten Zeit“. Bundesverteidigungsminister Schröder hat angeordnet, daß die Sicherungsvorkehrungen bei allen Waffendepots der Bundeswehr überprüft und nötigenfalls verschärft werden.
Nach der Darstellung des Verteidigungsministeriums ergibt sich bisher folgender Sachverhalt: Der Überfall wurde gestern früh durch ein Munitions-Abholkommando
(Fortsetzung auf Seite 2)
Zehntausende Prager bei Trauerdemonstration für Palach
Studenten und Arbeiter verhielten sich äußerst diszipliniert / Wenzels-Denkmal mit Blumen, Kerzen und Aufrufen übersät / Solidaritätsstreik in Brünn
Prag (dpa). Mit einer großen Demonstration gedachten gestern Zehntausende von Pragern des Philosophiestudenten Jan Palach, der am Sonntag seinen schweren Verletzungen erlegen war. Auf dem Wenzelsplatz, wo sich der 21jährige am vergangenen Donnerstag aus Protest gegen die Zensur und die Verbreitung des sowjetischen Nachrichtenblattes „Zpravy“ selbst in Brand gesteckt hatte, formierte sich der mächtige Zug.
An der Spitze der Prozession ging ein Student mit dem tschechoslowakischen Staatswappen. Ihm folgten einige Reihen von Studenten, die die weiß-blau-roten Fahnen der CSSR und große schwarze Tücher trugen. Jede Hochschule und jedes Kolleg hatte einen eigenen Zug gebildet. Im ersten Zug schritten die Rektoren und Prorektoren in ihren Roben mit den schweren goldenen Ketten. Neben großen Fotos von Palach sah man nur vereinzelt Transparente mit der Aufschrift „Wir bleiben treu“. Zehntausende von Menschen säumten die Straßen, durch die sich der Zug zum Altstädter Ring bewegte, auf dem eine Versammlung stattfinden sollte. Die Demonstranten, denen sich später auch sehr viele Arbeiter anschlossen, verhielten sich äußerst diszipliniert. Es wurde kaum ein Wort gesprochen.
Neun Personen im Hungerstreik
Der Verkehr auf dem Wenzelsplatz und in der Innenstadt wurde umgeleitet. Außer den wenigen Beamten, die den großen Menschenstrom dirigierten, sah man in der Innenstadt kaum uniformierte Polizei. Auf dem Wenzelsplatz haben sich gestern sieben Bürger dem Hungerstreik der beiden Studenten Zbynek Prousek und Tornas Roith für einen Tag angeschlossen. Das Standbild des heiligen Wenzel war mit Blumen, brennenden Kerzen und Aufrufen übersät. Immer wieder gab es hitzige politische Debatten.
Zeitungen sprechen von „Heldenmut“
In Nachrufen auf Palach, die in Trauerumrandung erschienen, würdigten gestern die tschechischen Zeitungen . den „Heldenmut“ des Studenten, appellierten zugleich aber an seine Kommilitonen, sein Beispiel nicht nachzuahmen. Das Blatt der katholischen Volkspartei „Lidova Demokracie“ ver
öffentlichte die Worte Palachs, die er nach Angaben eines Studentenführers kurz vor seinem Tode geäußert hat. Danach soll Palach gesagt haben, seine Tat habe ihren Zweck erfüllt, aber niemand solle seinem Beispiel folgen. In der Jugendzeitung „Mla- da Fronta“ erklärte der Vorsitzende des Verbandes der Kinder- und Jugendorganisationen, Zbynek Vokrouhlicky, ein derartiges Selbstopfer sei „kein realistischer Ausweg aus der Situation, in die wir nicht durch eigenes Verschulden geraten sind“.
Palach war kein Träumer
Das sozialistische Parteiorgan „Svobodne Slovo“ hob hervor, daß Palach nur zwei Punkte als Motiv für seinen Selbstmord angegeben habe. Aber dies seien schließlich Symbole. „Eine Zensur der Presse beschränkt immer die Grenzen der Freiheit des Ausdrucks für das Volk und die bisher straflose Propagierung von ,Zpravy“ symbolisiert die Grenzen der staatlichen Freiheit und Souveränität“, meinte die Zeitung. Die
slowakische Jugendzeitung „Smena“ schrieb, Jan Palach habe an die „heiligen Rechte der Wahrheit und Freiheit für uns alle, für die Gesellschaft“ gedacht. Er sei weder ein Träumer noch hysterisch gewesen, sondern im Gegenteil vernünftig in seiner Den- kungsweise.
Sondersitzung der tschechischen Regierung
Inzwischen haben sich die Studenten in der mährischen Hauptstadt Brünn zu einem einwöchigen Solidaritätsstreik für Palach entschlossen, aber gleichzeitig versprochen, die Studienzeit nachzuholen und freiwillig in Fabriken zu arbeiten.
Die tschechische Regierung hat nach einer CTK-Meldung gestern beschlossen, „in Anbetracht der kritischen Lage im Lande“ eine außerordentliche Ministerratstagung für das Ende dieser Woche einzuberufen.
Viele große Betriebe in Böhmen und Mähren hielten gestern nach einer Meldung des Prager Rundfunks Versammlungen ab, die
sich mit der durch den Tod des Studenten Palach im Lande geschaffenen Lage befassen. „Wir kämpfen für die gleichen Ideale und Ziele wie der Student Jan Palach. Für diesen Kampf braucht jedoch unser Land in dieser tragischen Situation gesunde und lebende junge Menschen, aber keine Toten“, heißt es in der von einem Betrieb gefaßten Entschließung.
Svoboda warnt Bevölkerung
In einer knapp 16 Minuten langen Rede bezeichnete der tschechoslowakische Staatspräsident den verstorbenen Prager Studenten Palach als „einen Mann von hervorragendem Charakter und hohen Idealen“. Er fügte hinzu: „Als ehemaliger Soldat kann ich seine Verzweiflungstat verstehen, die ich als Präsident und Bürger dieser Republik nicht billigen kann.“ Svoboda warnte vor Gerüchten und illegalen Flugzetteln, deren Ziel es sei, die Anarchie im Lande herbeizuführen. Zur Wiedererlangung der vollen staatlichen Souveränität der CSSR sei Ruhe notwendig.
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ZUM GEDENKEN an den Tod von Jan Palach, dem 21jährigen Prager Studenten, zogen rund 150 000 Menschen mit Fahnen, Fotos des Toten und Spruchbändern durch Prag. Auf dem Wenzels-Platz legten viele Protestschreiben nieder und entzündeten Kerzen. Palach hatte sich aus Protest gegen die sowjetische Besatzungsmacht verbrannt. (AP-Photofax)
Die Fackel der Freiheit
Von Christian Decius
Den Weg der Diktatoren zeichnen brennende Städte und Häuser. Werden am Weg der Demokratie lebende Fackeln stehen? Der Tod des 21jährigen Jan Palach ist ein Appell nicht nur an seine Landsleute, sondern an die ganze Welt, das Wort Freiheit emstzunehmen. Mehr noch als in der Tschechoslowakei muß die Selbstverbrennung des Prager Studenten in den Ländern der freien Welt zum Nachdenken zwingen. Zum Nachdenken darüber, ob man tatsächlich heute schon den August 1968 vergessen darf, den Sowjets die widerrechtliche Besetzung der Tschechoslowakjei nachsehen kann. Wenn Palachs Tod und die zweite Selbstverbrennung gestern abend in Pilsen einen Sinn haben sollen, dann weniger in der Reaktion seiner Landsleute, als in der Reaktion in aller Welt.
Wie eng die Tschechen und Slowaken mit dem todesmutigen Studenten verbunden sind, bezeugen die Beileidsbekundungen der führenden Reformpolitiker an die Mutter des Toten, bezeugen die schweigenden Demonstrationen in der Prager Innenstadt, der Programmwechsel von Rundfunk und Fernsehen, der Hungerstreik der Kommilitonen.
Jedermann in der CSSR weiß die Bedeutung dieses Opferganges auf dem Wenzelsplatz. Doch nicht nur die führenden Männer in diesem unglücklichen Staat, sondern der todgeweihte Jan Palach selbst erkannten zugleich, welche Gefahr die Fortsetzung solcher Aktionen heraufbeschwört. Wird der sichtbare Protest zur Revolte, werden Ruhe und Ordnung im Land gefährdet, hätten die Okkupanten jenen Vorwand zur Errichtung eines Militärregimes, den ihm Tschechen und Slowaken in den heißen August-Tagen des vergangenen Jahres nicht lieferten.
In Prag wird man weiter taktieren und lavieren müssen. Der Tod Palachs kann dort nur als eine Aufforderung gewertet werden, nicht in Resignation zu fallen und nicht an dem großen Ziel der Januar-Reformen zu verzweifeln, scheint es auch in noch so weite Feme entrückt zu sein.
Die lebende Fackel vom Wenzelsplatz hat Tschechen und Slowaken wieder im passiven Widerstand geeint. Daß die Flammen, die Palach töteten und Hlavaty schwer verletzten, nicht den Brand des Aufruhrs entfachen, darum bemühen sich jetzt alle führenden Männer des Landes.
Selbst wenn Palachs Opfergang nicht zur Aufhebung der Pressezensur, nicht zum Verbot der Besatzerzeitung „Zpravy“ führt, gegen die diese erschütternde Protestaktion gerichtet war, er war nicht vergebens. Dem Kreml kann im Augenblick, da er sich ein wenig nachdrücklicher den unauffälligen, aber durchaus wirkungsvollen Reformbestrebungen in Ungarn zuzuwenden beginnt, nichts unangenehmer sein als eine neuerliche Diskussion um die Besetzung der CSSR und um den demokratischen Weg zum Sozialismus. Das Brandsignal von Prag hat diese Diskussion entfacht.