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Politik

Samstag, 18. Januar 1969

Organisiertes Gewissen

(Fortsetzung von Seite 1)

Kräfte, dem schon eingerückten Soldaten die nachträgliche Dienstverweigerung anzura­ten. Er braucht nur zu sagen, die Waffen, die er gesehen habe, hätten ihn zu der Er­kenntnis gebracht, daß der Kriegsdienst mit seinem Gewissen unvereinbar sei. Dann wiederholt sich dieselbe Szene vor dem Kreiswehrersatzamt und der Kompaniefüh­rer kann sehen, wie er die Lücke stopft. Das ist eine Situation, die früher oder später zum Eingreifen des Gesetzgebers führen muß. Dann aber wird er vielleicht einen Grundgesetzartikel, mit dem die Juristen nichts anzufangen wußten, so formulieren, daß echte Kriegsdienstverweigerer wieder benachteiligt sind.

Theodor Heuss hat vor dieser Entwicklung gewarnt Als am 18. 1. 1949 der Artikel 4 Absatz 3 beschlossen wurde, riet er, ihn er­satzlos zu streichen und dafür den Gesetzge­ber anzuhalten, in ein späteres Wehrpflicht­gesetz das er schon 1949 kommen sah ernst zu nehmende Bestimmungen für Kriegsdienstverweigerer aus religiösen Gründen aufzunehmen. Sie sollten in der Art angelegt sein, wie die der angelsächsi­schen Welt, wo weder Quäker noch Menno- niten Waffendienst leisten müssen, sich an­dererseits aber auch niemand durch gespiel­te Gewissensnot vor einem Wehrdienst drücken kann, den nun ein anderer für ihn leisten muß. Das ist nicht geschehen, die Kriegsdienstverweigerung steht im Grund­gesetz und dieses Grundgesetz wird von sei­nen Gegnern straflos mißbraucht. Die Par­teien werden sich etwas einfallen lassen müssen, oder sie können auf die Wehrpflicht die damit ad absurdum geführt werden soll verzichten.

Wollte Erhard zur IOS?

Bonn/Hamburg (dpa). Eine heftige Kon­troverse zwischen dem Altbundeskanzler Prof. Ludwig Erhard und dem Hamburger MagazinStern hat die Behauptung der Il­lustrierten ausgelöst, Erhard habe erst nach Intervention des CDU-Vorstandes davon Abstand genommen, mit der Investment- Gesellschaft IOS einen Vertrag zu schließen. Während der frühere Kanzler vor allem die­se Behauptung gestern in Bonn alsfrei er­funden zurückwies, hieltSterns-Chef­redakteur Henri Nannen diese Darstellung in einer Stellungnahme aufrecht.

Nannen behauptete, Erhard habe der IOS am Donnerstag erklärt, man möge Ver­ständnis dafür haben,daß er den Bedenken des CDU-Vorstandes Rechnung tragen müs­se und neue Gespräche erst nach der Bun­destagswahl führen könne. Erhard habe diese Erklärung abgegeben, als er von der Veröffentlichung desSterns erfahren habe. Die Ausführungen desSterns, der in die­sem Zusammenhang auch von einem Ange­bot zweier deutscher Großbanken an Er­hard fürhochdotierte Posten sprach, sind nach den Worten des Altkanzlersentstel­lend und offenbar von der Absicht getragen, den früheren Bundeskanzler zu diffamie­ren.

Die Ausläufer eines nach Mittelengland zie­henden Sturmtiefs greifen am Samstag von Frankreich her auf Süddeutschland über und bringen am Wochenende unbeständiges und mildes Wetter.

Samstag zunächst im Westen, später auch im Osten stark bewölkt bis bedeckt und einzelne Niederschläge, die auch in den Höhenlagen von Schnee in Regen übergehen. Temperaturanstieg im Westen auf über fünf Grad. Höchsttempera­turen im Osten und auf den Bergen einige Grad über Null. Lebhaft auffrischender Wind aus Südost bis Südwest. Nachts frostfrei. Sonn­tag bei lebhaften Westwinden sehr wechselhaft und noch einzelne Regenschauer. Weiterhin verhältnismäßig mild. (Mitgeteilt vom Wetter­amt Stuttgart)

Wilson will Schluß machen mit den wilden Streiks

Regierungs-Weißbuch über Reformen der Gewerkschaftsstruktur

London (AP). Die Labour-Regierung unter Premierminister Harold Wilson hat ein politisch heißes Eisen angepackt. In einem gestern veröffentlichten Weißbuch sagt sie den wilden Streiks, die das britische Wirtschaftsleben immer wieder lähmen, ebenso den Kampf an wie der veralteten Struktur der britischen Gewerkschaften. Vorbespre­chungen mit Unternehmern und Gewerkschaftern haben Widerstand von seiten der Tarifpartner erkennen lassen.

Den Arbeitgebern gehen die Vorschläge der Regierung nicht weit genug, den Ge­werkschaften erscheinen sie zu hart. Die Mi­nisterin für die Produktivität, Barbara Castle, mußte das Weißbuch im Kabinett ge­gen den Widerstand von gewerkschafts­freundlichen Ministerkollegen mit ihrem ganzen Prestige verteidigen. Einzelheiten der neuen Arbeitsgesetzgebung dürften erst nach Rücksprache mit den Gewerkschaften und Unternehmern sowie mit den Parla­mentariern ausgearbeitet werden. Mit der Verabschiedung der gesetzlichen Bestim­mungen rechnen Beobachter, wenn über­haupt, kaum vor Herbst.

Die Regierung Wilson geht in ihren Über­legungen von der Tatsache aus, daß 95 Pro­zent aller wilden Streiks in Großbritannien wegen kleiner Verstimmungen ausbrechen, die gewöhnlich die Auflehnung des gewerk­schaftlich organisierten Fußvolkes gegen die Gewerkschaftsführung oder gegen die Be­triebsleitung widerspiegeln. Die meisten die­ser wilden Streiks brechen unvorhergesehen aus und sind nur von kurzer Dauer, aber sie lähmen das Wirtschaftsleben. Statistisch wird in dem Weißbuch nachgewiesen, daß solche Streiks in den Schwerpunkten der Exportindustrien konzentriert sind in den Häfen, in der Automobilindustrie, in der Schiffbauindustrie und dem Kohlebergbau.

Beirat für Versicherungsreform

Bonn (dpa). Bundesarbeitsminister Hans Katzer hat gestern die Bildung eines Beirats für Fragen der Krankenversicherungsreform angekündigt. Wie ein Sprecher des Bundes­arbeitsministeriums mitteilte, bezeichnete es der Minister vor der Lohnfortzahlungskom­mission der CDU/CSU-Fraktion als Aufgabe des Beirats, mit allen Interessierten die Grundsätze für eine große Reform der Krankenversicherung zu entwickeln. Der Beirat solle nach Möglichkeit noch in dieser Legislaturperiode gebildet werden, so daß die Reform in der nächsten Legislaturperio­de in Angriff genommen werden könne. In den Beirat sollten Vertreter aller interes­sierten Kreise, also der Ärzte, Zahnärzte, Apotheker, Krankenhäuser, Krankenkassen, Arbeitgeber, Arbeitnehmer und der pharma­zeutischen Industrie berufen werden.

Von unserer Bonner Redaktion

Bonn. Es ist noch völlig ungewiß, ob es zum Abschluß eines deutsch-sowjetischen Luftverkehrsabkommens und zur Einrich­tung einer Fluglinie Frankfurt Moskau kommen wird. Die Schwierigkeiten, die dem Abkommen entgegenstehen, sind so groß, da erst für März oder April mit der Wiederauf­nahme der Verhandlungen gerechnet wird.

Sollte es gelingen, die neue Fluglinie ein­zurichten, so wird die Lufthansa aber als zweite Fluglinie der Welt die Möglichkeit erhalten, diese Linie über Moskau hinaus bis Tokio und bis Tiflis und Kabul fortzusetzen. Andererseits wird die sowjetische Aeroflot über Frankfurt hinaus weiter nach Westen fliegen wahrscheinlich nach Paris.

Das sowjetische Angebot, die Fluglinie über Moskau nach Tokio fortzusetzen, hat erhebliches Aufsehen erregt. Bisher hatte

Die Untersuchungen der Regierung haben ergeben, daß viele solche Streiks vermieden werden könnten, wenn Gebrauch von den üblichen Beschwerde-Möglichkeiten gemacht würde Mitunter fehlen auch Beschwerde­instanzen zur Austragung solcher Streitig­keiten.

Zur Abwendung unvernünftiger Streiks schlägt die Regierung eine obligatorische 28tägige Besinnungspause vor, um Gewerk­schaften und Unternehmer an den Verhand­lungstisch zu zwingen. In der Zwischenzeit muß auf Anordnung der Regierung weiter­gearbeitet werden. Die Regierung kann auch die Betriebsführung zur Zurücknahme einer umstrittenen Arbeitsmethode veranlassen, bis sie am Verhandlungstisch ausdiskutiert ist. Im Falle der Zuwiderhandlung von der einen oder anderen Seite kann ein noch ein­zurichtendes Amt für Arbeitsbeziehungen Geldstrafen verhängen. Dazu können auch Gewerkschaftsgelder herangezogen werden. Die 28tägige Besinnungspause darf jedoch in derselben Sache nur einmal angeordnet wer­den. Wenn nach Ablauf der Besinnungspau­se gestreikt wird, so ist dieser Streik als le­gal anzusehen.

Bad Godesberg (AP/dpa). Für ein scharfes Vorgehen gegen radikale Elemente in der Studentenschaft hat sich Bundeskanz­ler Kurt Georg Kiesinger ausgesprochen. Zu den Studentenunruhen erklärte Kiesinger ge­stern auf der Delegiertentagung der CDU- Frauenvereinigung in Bad Godesberg, die zerstörenden Gruppen unter den Studenten wollten gar keine geordneten Hochschulen, sondern kranke. Sie seien dann das Wir­kungsfeld für diesekaltschnäuzigen Revo­lutionäre.

Wer heute glaube, die revolutionierenden Gruppen durch Beschwichtigung zur Ver­nunft bringen zu können, der sei ein armer Tor, sagte Kiesinger. Es gelte vielmehr, den extremen Gruppen mit den Mitteln zu be­gegnen, die ihren Taten entsprächen. Kiesin­ger betonte die Notwendigkeit von Refor-

die Sowjetunion eine ähnliche Weiterfüh­rung der Fluglinie nur den Japanern zuge­standen. Allerdings besteht Moskau auch im deutschen Fall darauf, daß das Flugpersonal der Lufthansa beim Weiterflug von Moskau nach Tokio die Maschine verläßt und durch sowjetisches Personal ersetzt wird.

Die Schwierigkeiten liegen nach wie vor in der Linienführung zwischen Moskau und Frankfurt. Die sowjetische Seite hat sich Zwischenlandungen auf dem Ostberliner Flugplatz Schönefeld Vorbehalten. Staatsse­kretär Diehl hat gestern in Bonn erklärt, für die Lufthansa komme eine Zwischenlan­dung in Schönefeld nicht in Betracht. Aber wenn die sowjetischen Maschinen von Schö­nefeld aus direkt nach Frankfurt fliegen sollten, müßten sie den Luftkorridor benut­zen, und es scheint noch keineswegs sicher zu sein, daß die drei Westmächte sich damit einverstanden erklären.

KeinStempeln mehr

Bonn (dpa). Arbeitslose sollen künftig nicht mehrstempeln gehen müssen. Bei der zweiten Lesung des Regierungsentwurfs für ein Arbeitsförderungsgesetz hat sich der Arbeitsausschuß des Bundestages gestern einstimmig dafür ausgesprochen, daß sich Arbeitslose künftig nicht mehr regelmäßig beim Arbeitsamt melden sollen, sondern nur noch dann, wenn sie zu einer Vorstellung aufgefordert werden.

Ersatzlos soll auf Wunsch des Ausschusses künftig die Vorschrift gestrichen werden, daß Arbeitslose nach 26 Wochen nur dann weiter Arbeitslosenhilfe bekommen, wenn sie nachweisen, daß sie sich ernstlich um einen Arbeitsplatz bemüht haben. Nach Mit­teilung der SPD-Fraktion haben ihre Aus­schußmitglieder die Auffassung vertreten, daß es Sache des Arbeitsamtes sei, den Ar­beitslosen Arbeit nachzuweisen und nicht umgekehrt.

Keine Chancen mehr für NPD-Y erbotsantrag

Bonn (dpa). Mit einem Verbotsantrag ge­gen die NPD ist offenbar nicht mehr zu rechnen. Der parlamentarische Staatssekre­tär im Bundesinnenministerium, Heinrich Koppler, sagte gestern abend, die Situation in dieser Frage habe sich geändert.

Inzwischen habe man genaue Kenntnis über die soziologische Struktur der NPD gewonnen, und der Gedanke sei nicht von der Hand zu weisen, daß es nicht das politisch angemessene Mittel wäre, eine Partei mit einem Kern von alten Nazis mit derUltima ratio eines Bundesverfassungsgerichtsur­teilshinwegzufegen. Koppler sprach in der SendungBericht aus Bonn des Deutschen Fernsehens.

men an deutschen Hochschulen, sie könnten jedoch nicht durch Ausschreitungen erreicht werden.

In einer innen- und außenpolitischen Be­trachtung erklärte Kiesinger vor den Frau­en, daß trotz besorgniserregender Dinge des letzten Jahres für 1969 Grund zu Optimis­mus bestehe. Die Bundesregierung werde ihreFriedenspolitik fortsetzen. Zum künf­tigen deutsch-amerikanischen Verhältnis vertrat Kiesinger die Überzeugung, daß die Beziehungen beider Länder unter dem neuen US-Präsidenten Nixon weiter ausge­baut werden würden. Kiesinger betonte, daß die USA die Führungsposition im westlichen Bündnis habe. Den USA dürfe jedoch nicht allein der Schutz des Friedens in der Welt überlassen werden. Europa muß selbst stark genug sein, um ein wichtiges Wort mitreden zu können.

« Kurz gestreift ,.

Zu seiner ersten Sitzung im neuen Jahr ist gestern nachmittag der SPÜ-Vorstand in Bonn zusammengetreten. ' ' ' J "

Für Lohn- und Gehaltsforderungen zwischen neun und zehn Prozent in der Tarifrunde 1969 der chemischen Industrie haben sich gestern in Mainz die Tarifkommissionen der IG Chemie Papier Keramik ausgesprochen.

Bundesaußenminister Willy Brandt hat eine Einladung zum Besuch Koreas angenommen. Ein Termin steht allerdings noch nicht fest. Die Asienreise, die er wegen einer Rippenfell­entzündung zunächst absagen mußte, wird er höchstwahrscheinlich überhaupt nicht antreten.

Vertreter linksstehender Organisationen ha­ben in Bonn ein Vorbereitungskomitee zur Gründung einerGesellschaft für Freundschaft und Verständigung mit der DDR ins Leben gerufen.

Mit einer geladenen Maschinenpistole, die er einem schlafenden Kameraden abgenommen hatte, und mit einem Diensthund ist gestern morgen ein 20jähriger tschechischer Soldat bei Vollmau (Oberpfalz) ohne Zwischenfall in die 1 Bundesrepublik geflüchtet.

Über Sibirien ohne deutsches Personal

Deutsch-sowjetisches Luftfahrtabkommen noch völlig ungewiß

Kampfansage an radikale Studenten

Kiesinger:Zerstörende Gruppen wollen keine geordneten Hochschulen

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Einen großartigen Weltraum-Erfolg kön­nen nun auch die Russen verbuchen: Sie starteten an zwei Tagen hintereinander die Raumschiffe Sojus 4 und Sojus 5, die dann während des Erdumlaufs ein Kopplungsma­növer ausführten. Aus Sojus 5, das mit drei Mann besetzt war, stiegen die Kosmonauten Chrunow und Jelissejew in Sojus 4 zu Kom­mandant Schatalow um, nachdem sie eine Stunde lang außerhalb der Kapseln wissen­schaftliche Aufgaben gelöst hatten. Sojus 4 ist dann mit dreiköpfiger Besatzung gestern morgen genau in einem bestimmten Zielge­biet weich gelandet. Die Sowjets sind damit einen großen Schritt auf dem Weg zum Bau einer Weltraumstation weitergekommen. Sie haben außerdem bewiesen, daß man Besat­zungen solcher Stationen nach Bedarf aus­wechseln und verunglückten Weltraumfah­rern Hilfe bringen kann. Auch die bei der amerikanischen Mondumkreisung an Weih­nachten ausgesprochenen Vermutungen, daß die Russen im Falle eines Zwischenfalls un­ter günstigen Umständen in der Lage gewe­sen wären, Hilfe zu bringen, dürften sich damit bestätigen.

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US-Präsident Johnson hat sich mit einer Botschaft an die Nation in einer feierli­chen Sitzung beider Häuser des amerikani­schen Kongresses verabschiedet. Dabei hat er eine Bilanz seiner Tätigkeit gezogen und zu Vietnam geäußert, daß die Aussichten für eine friedliche Lösung noch nie so groß ge­wesen seien wie jetzt.

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Einen Tag nach Johnsons Botschaft kam aus Paris die Meldung, daß es gelungen ist, bei den Vietnam-Vorgesprächen den toten Punkt zu überwinden. Man hat sich jetzt we­nigstens über denVerhandlungstisch ge­einigt

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Im Nahost-Konflikt suchen die Groß­mächte nach einer Lösung, wobei auch der kleinste Anschein ejnesDiktats vermieden werden soll. Grundlage bildet das sowjeti­sche Memorandum, das sich auf die Resolu­tion des Weltsicherheitsrats vom November 1967 stützt. Diese wird aber von verschiede­nen arabischen Staaten abgelehnt, weil dar­in die Anerkennung des Staates Israel ge­fordert wird.

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Schwere Zeiten für die britische Regie­rung Wilson: Die Commonwealth-Konferenz ging zu Ende, ohne daß es zu einer Einigung über die Einwanderungsfragen und das Rhodesien-Problem kam. Jetzt packt Wilson ein weiteres, sehr heißes Eisen an. In einem Weißbuch sagt er den wilden Streiks und derveralteten Struktur der britischen Ge­werkschaften Kampf an. Das Weißbuch war selbst in Wilsons Kabinett umstritten.

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Auf dem atomgetriebenen amerikanischen FlugzeugträgerEnterprise ereignete sich im Pazifik eine Explosion, bei der 25 Seeleu­te getötet und 85 verletzt worden sind. 15 Flugzeuge wurden zerstört, weitere mehr öder weniger schwer beschädigt. DieEnter­prise ist mit eigener Kraft nach Pearl Ha- bour gefahren, wo jetzt Experten die Un­glücksursache erforschen sollen.

Es kommt immer mehr ans Tageslicht, daß die Sowjets in letzter Zeit auf diploma­tischem Wege offene Drohungen für den Fall ausgesprochen haben, daß die Bundes­versammlung, die den neuen Bundespräsi­denten wählen soll, in Westberlin stattfin­det. Der Sowjetbotschafter in Ostberlin, Ab- rassimow, hat sowohl dem scheidenden US-Botschafter Cabot Lodge als auch dem britischen Botschafter Sir Robert Jackling gegenüber unmißverständlich gesagt, daß die Sowjetunion Ostberlin nicht von Gegenmaß­nahmen abhalten könne. All das dürfte aber auf die getroffene Entscheidung, die Bun­desversammlung nach Berlin einzuberufen, keinen Einfluß mehr haben. mi.

FEUILLETON:

Spiel mit der Geschichte

Der Engländer Philip Toynbee nimmt zu HochhuthsSoldaten Stellung

Jeder moderne Bühnenautor, der etwas taugt, hat sich auf irgendeine Weise den Ruf erworben,umstritten zu sein. Keiner hat mehr Anspruch auf dieses begehrte At­tribut als Rolf Hochhuth. Sein Erstlingswerk, Der Stellvertreter, versetzte Papst Pius XII. einige harte Schläge, insofern als dar­in die Behauptung erhoben wurde, sowohl der Papst wie auch seine Kirche hätten «kläglich darin versagt, den Opfern Hitlers und seiner neuen Ordnung irgendwie zu hel­fen. Natürlich löste dies unter den Katho­liken sehr viel Zorn und Empörung aus. Das StückSoldaten hat bereits nicht min­der reiche Lorbeeren in diesem speziellen Kampfspiel geerntet. Hier steht im Mittel­punkt die Behauptung, daß dasFlugzeug­unglück, bei dem General Sikorski 1943 ums Leben kam, gar kein Unglück war, sondern ein bewußt geplantes politisches Attentat, auf direkte Anweisung Churchills ausge- geführt, der damit Stalin besänftigen woll­te. (Verständlicherweise waren Sikorski und die Westpolen unverkennbar nervös angesichts der Ungewißheit, was Rußland nach dem Krieg mit ihrem Land vorhatte).

Bei der Lektüre früherer Kommentare zuSoldaten hatte ich den vagen Eindruck gewonnen, es könnte sich bei dem Stück um eines jener stark stilisierten Werke han­deln, in denen Gestalten, die Namen wie ter als passende Symbole sind, an denen eine Geschichte moralischen Inhalts aufgehängt wird. Doch das ist genau das Gegenteil von Hochhuths Technik. Im Hauptteil des Stückes wirken alle historischen Persönlichkeiten so realistisch wie nur denkbar, und was immer man sonst über sein Werk sagen mag, es be­steht kein Zweifel, daß Rolf Hochhuth als Autor von Dokumentarstücken eine ganz außergewöhnliche Begabung und Meister­schaft beweist. Es ist eine herausragende Leistung, diese vorwiegend englische Gruppe so völlig überzeugend zu präsentieren: Sein Churchill,Cherwell,Sikorski,Bi­schof Bell usw. tragen, praktisch nichts wei- Churchill,Churchill,Brooke etc, sind

so echt nachgestaltet, wie es dem Autor nur möglich war, und das ist fürwahr sehr echt.

Ein anderes Phänomen, das stark vermu­ten läßt, daß Hochhuths Talent hauptsächlich in der Lebendigkeit seiner historischen Re­konstruktionen liegt, ist sein abgrundtiefes Scheitern, wenn er auf völlig andere Art zu schreiben versucht. Dem Hauptteil des Werks geht ein Prolog voraus, der im Herbst 1964 zwischen den Ruinen der alten Kathedrale von Coventry und einem Trakt der neuen Kathedrale spielt. Zusammen mit einem sehr kurzen Epilog, der am selben Ort gesprochen wird und bei dem einige derselben Charak­tere auftreten, zeigt dieser Prolog Hochhuth in der Rolle des Fabulierers.

Diese etwa 50 Seiten gehören zweifelsohne zu den schlechtesten, die ich je gedruckt ge­sehen habe prätentiös, bombastisch, naiv, langatmig und penetrant substanzlos. Schlimmer noch, sie sind ein moralischer Skandal, denn Hochhuth erlaubt sich einige höchst drastische Schilderungen der Auswir­kungen des Krieges, macht sich jedoch des groben Vergehens schuldig, seine Darstellung dieser Greuel nicht damit zu rechtfertigen, daß er sie mit dem gebührenden künstleri­schen Respekt behandelt.

Nach der Lektüre dieses gräßlichen Pro­logs war ich fast versucht, Hochhuth, gerade als ich bis zum Anfang des eigentlichen Stücks gekommen war, als einen sehr üblen Fall abzuschreiben. Doch sein großes Kön­nen wird offenbar, sobald Churchill der Held des Stückes in weitgehend dem glei­chen Sinn wie Luzifer der Held desPara- dise Lost ist seinen späten Auftritt hat. Von da ab, bis uns der Epilog ungeschickter­weise wieder an die verhängnisvolle Ein­führung erinnert, sind dieSoldaten ge­konnt, durchdacht, leidenschaftlich, fesselnd. In seinen langen Einschüben, in den teils echten, teils erfundenen Dialogen, zeigt sich Hochhuth als ein Meister der von ihm ge­wählten Form. Es ist.etwa die gleiche Form wie die des Sartre-StücksDer Teufel und der liebe Gott mit dem Hauptunterschied,

daß Sartre eine 400 Jahre zurückliegende historische Zeit wählt, um seinen morali­schen und intellektuellen Kommentar zur modernen Welt abzugeben, während Hoch­huth ein Thema aufgreift, das in der moder­nen Welt selber angesiedelt ist.

Was die reine Technik dieses Bühnenau­tors angeht, so möchte ich sagen, daß er ein wirkliches und großes Talent für die Dar­stellung des Historisch-Dokumentarischen besitzt; und ich möchte hinzufügen, daß dies in Händen wie diesen eine legitime und in­teressante Methode ist. Eindeutig besteht der technische Hauptunterschied zwischen dieser Art Stück und einem Stück mit aus­schließlich erfundenen Personen darin, daß Hochhuths Handlung vor einem Publikum beginnt, das bereits bestimmte konkrete Vor­stellungen und Meinungen hat. Das ist ein Vorteil, wie ihn jene griechischen Drama-

Seitdem das SchauspielSoldaten des deutschen Dramatikers Rolf Hochhuth in London gespielt wird, hat sich wie nicht anders zu erwarten eine heftige Kontroverse um Stück und Autor ent­wickelt. Die Diskussion kreist vor allem um den Wahrheitsgehalt der Hochhuth- schen Version, Churchill sei am Tode des polnischen Generals Sikorski schuldig. Der tschechische Pilot des Flugzeugs, mit dem der General 1943 tödlich verun­glückte, hat nunmehr Klage gegen Hoch­huth eingereicht. In diesem Zusammen­hang ist die Stellungnahme des Englän­ders Toynbee aufschlußreich.

tiker genossen, die stets auf weitgehend die­selbe Gruppe vertrauter mythologischer Protagonisten zurückzugreifen pflegten. Der Nachteil von Hochhuths Technik dessen er sich unablässig, und zwar zunehmend be­wußt ist ergibt sich aus der Notwendig­keit, daß er diese Vorstellungen teilweise zerstören muß, wenn er diese mythisch-hi­storischen Gestalten seinen eigenen speziel­len Zwecken dienstbar machen will. Wir sol­len zwar denChurchill behalten, den wir bereits besaßen, aber wir sollen jene un­beugsame Persönlichkeit auch in einem selt­samen, neuen und transfigurierenden Licht sehen.

Ich finde das Ergebnis gelungen und über­zeugend. Mit anderen Worten, Hochhuth überzeugt mich, daß sowohlChurchill wie Churchill der Handlungen, die ihnen hier zugeschrieben, und der Worte, die ihnen in den Mund gelegt werden, fähig waren.Mit Kricketspielen allein euer Empire habt ihr nicht zusammengepaukt, oder?, fragt ein zorniger und unglücklicher Pole nach dem Ereignis, das die Klimax des Ganzen dar­stellt. Nein, bestimmt nicht, und es würde mir seltsamerweise fast als eine Beleidigung von Churchills Andenken erscheinen, ihn einer solchen Tat zu einem solchen Zeitpunkt für unfähig zu halten. Nachdem man sich einmal im Kampf gegen Hitler für die er­barmungslose Methode entschieden hatte, läßt sich schwer sehen, wie der verräterische Mord an einem Verbündeten sich dem Wesen nach von vielen der Handlungen unterschei­det, von denen wir wissen, daß Churchill sie ausgeführt hat. Es ist ein großes Ver­dienst des Stückes, daß in dem leidenschaft­lichen Disput mit Bischof Bell über die Städtetilgung Churchills rein moralischen Argumenten volle Gerechtigkeit widerfährt.

Natürlich bleibt noch der letzte und ein zugleich sehr wichtiger Punkt. Ermordete Churchill tatsächlich Sikorski? Fast alle Hi­storiker scheinen sich darin einig zu sein, daß er es nicht tat. Und da es zumindest höchst wahrscheinlich ist, daß er es nicht tat, glaube ich, daß Hochhuth auf sehr' schwankendem moralischen Boden steht, wenn er die Bühne dazu benutzt, Churchill mit diesem Mord zu belasten. Seine Ant­wort, daß er an seine These glaubt, fällt hier nicht ins Gewicht: Der Platz, sie darzu­legen, ist ein Buch, eine Streitschrift oder eine Abhandlung. Das ist der rechte Weg, eine historische Beweisführung vorzuneh­men, und die Bühne wo ein Fall zwangs­läufig angenommen und nicht bewiesen wird und wo die Funktion aller Beteiligten dar­in besteht, Emotionen zu wecken statt einen Fall zu erörtern ist ein höchst ungeeig­netes Medium für eine fiktive Theorie die­ser Art. Hochhuths eigentliches Vergehen abgesehen von den vielen und verschiedenen, die er in seinem Prolog begeht ist ein Vergehen gegen die Regeln der Historiogra­phie, und das ist meiner Ansicht nach ein wirklich sehr schweres Vergehen.

K ulturnachrichten

Den Ernst-Lubitsch-Preis 1969 hat derClub der Filmjournalisten Berlin an Ulrich Schamoni für die Inszenierung des FilmsQuartett im Bett verliehen. Der Preis geht alljährlich an die beste Leistung auf dem Gebiet der deutschsprachigen Film­komödie.

Bedrich Smetanas OperDas Ge­heimnis wird in der neuen deutschen Fas­sung von Kurt Honolka am 25. Februar beim Landestheater Hannover zum ersten Mal in der Bundesrepublik herausgebracht.

Prof. Hans Gabor, dem künstlerischen Lei­ter der Wiener Kammeroper, ist es gelungen, für das abendfüllende SpätwerkDie Schwalbe (La Rondine), von Puccini, Uraufführung 1917 in Monte Carlo, das in Wien seit 1924 nicht mehr zu hören war, die Aufführungsrechte zu erhalten. Die mit Span­nung erwartete Premiere in der Wiener Kammeroper findet am 27. Februar 1969 unter der musikalischen Leitung von Prof. Hans Gabor statt.

Der amerikanischen Schriftstellerin Ger- trude Steins (1874 1946) Sammlung von 47 Gemälden darunter 38 Wer­ke von Pablo Picasso ist für einen Be­trag zwischen sechs und sechseinhalb Mil­lionen Dollar (24 bis 26 Millionen Mark) vom Museum für moderne Kunst in New York erworben worden. Bei den Bildern Picassos handelt es sich um vor 1915 entstandene Arbeiten. Die übrigen neun Werke stammen von Juan Gris.

Wecker vom Dienst

Hans von Bülow, der unvergessene Diri­gent, studierte eines Tages eine alte Oper ein. Im dritten Akt gab es eine sehr lange Gesangskadenz, danach kamen die Streicher. Hätten vielmehr kommen müssen. Denn Bü­low wartete vergebens.Was ist denn los? fragte er ärgerlich. Wortlos reichte der Konzertmeister dem stets auswendig dirigie­renden Pultgewaltigen die Partitur.Hier müssen die ersten Geigen geweckt werden! stand es da, von der Hand des 'Vorgängers geschrieben. (GP)