Kultur

Faust nicht nach dem Geschmack der SED

Kulturpolitische Grundsatzkritik an einer Inszenierung des Ostberliner D eutschen Theaters

Seit zwei Monaten hadert die SED mit ih­rem Mitglied Wolfgang Heinz. Der Profes­sor, Nationalpreisträger und Intendant des Deutschen Theaters am Ostberliner Luxem­burgplatz, hat sich an einer Symbolfigur vergangen, die kein Geringerer als Par­teichef Walter Ulbricht zu einer Art Monu­ment emporstilisiert hat. Ende September hatte an der vormaligen Reinhardtbühne ein Faust Premiere, der der SED in der Tat nicht schmecken kann, wenn sie ihren kul­turpolitisch-ideologischen Anspruch ernst nimmt.

Auf Fausts Vision von den freien Men­schen auf freiem Grund anspielend, hatte Ulbricht 1962 vor dem Nationalrat verkün­det, einFaust II. habe im Kapitalismus nicht geschaffen werden können.Erst weit über 100 Jahre, nachdem Goethe die Feder für immer aus der Hand legen mußte, haben die Arbeiter und Bauern, die Angestellten und Handwerker, die Wissenschaftler und Techniker, haben alle Werktätigen der Deutschen Demokratischen Republik begon­nen, diesen dritten Teil des Faust mit ihrer Arbeit, ihrem Kampf für Frieden und Sozia­lismus zu schreiben.

Auf dieses Ulbricht-Wort beziehen sich di­rekt oder indirekt jetzt all die Kritiker, die an Heinz Inszenierung Anstoß nehmen. Al­len voran monieren der stellvertretende Mi­nisterratsvorsitzende Alexander Abusch und der Kulturpolitiker des Zentralorgans Neues Deutschland, Klaus Hoepcke, der Faust im Deutschen Theater sei kein klas­senbewußter Tat- und Geistesheroe, von dessen Streben der sozialistische Mensch im Parkett Impulse empfangen könne.

Zweifler, Skeptiker, Greis

Diese Kritik, von Abusch bis vor den Staatsrat getragen, hat bislang nicht zur Absetzung des Stückes vom Spielplan des Deutschen Theaters geführt. Heinz hat einige Passagen geändert oder gestrichen, ohne al­lerdings seine Partei zufriedenstellen zu können. Dies wäre in der Tat nur möglich, wenn er ganz von vorn begönne. Die von der SED gerügten Mängel wurzeln nicht in Details, sondern in der Konzeption.

Zunächst: Es ist im Deutschen Theater ge­lungen, den vom Stück her weniger auffälli­ge Faust und nicht den derb-volkstümlichen Mephisto zur Zentralfigur zu machen. Aber Fred Düren spielt den Doktor nicht so sehr als forschenden, nach Erkenntnis ringenden Titanen. Er ist vielmehr ein hektischer Skeptiker. Ein zögernder Zweifler, ein in sich gesunkener Greis mit kleiner Gebärde. Unterspielte nicht Dieter Franke, der Me­phisto, eine Rolle, das alte Ungleichgewicht der beiden Figuren hätte sich auch hier ein­gestellt. Ganz deutlich hat Heinz versucht das gilt auch für das plappernde Gretchen der Bärbel Bolle seine Schauspieler gegen andereFaust-Inszenierungen zu führen.

Alles in allem ist eine sehr kurzweilige, für herkömmliche Begriffe durchaus unübli­che Aufführung entstanden, die gleichwohl in der Reihe der großen Vorbilder bestehen kann. Das Publikum honoriert die mit viel maschinellem Aufwand, choreographischem Geschick und Sinn für Ironie verwirklichten

...in

Plakate für Beethoven

Mit Entwürfen für Plakate und Embleme zumInternationalen Beethovenfest 1970 hat die Stadt Bonn den Prominentenfoto­grafen Charles Wilp, den . Holzschneider HAP Grieshaber sowie die Schweizer Grafi­ker Herbert Leupin und Celestino Piatti be­auftragt. In einem Wettbewerb sollen bis zum Frühjahr die besten Arbeiten ermittelt werden, die Bundeshauptstadt will mit 500 000 Plakaten in aller Welt für das Beet­hovenfest anläßlich des 200. Geburtstages des Komponisten werben.

Einfälle nicht selten mit Szenenbeifall. Die Sache gefällt den Leuten, scheint es.

Gefallen hat sie eigentlich auch Rainer Kerndl, einem der Theaterkritiker des Neuen Deutschland, der sich Anfang Ok­tober als erster publizistisch zu Wort melde­te. Er schlug nicht ideologisch zu, sondern beschränkte sich darauf, hier und da büh- nen-technische oder schauspielerische Verbes­serungen anzuregen und im übrigen den an­gekündigtenFaust II abzuwarten. Zu die­sem Zeitpunkt war die Parteilinie noch nicht gezogen.

Kulturpolitische Gretchenfrage

Dies geschah erst nach und nach, mehr oder weniger andeutungsweise. DasNeue Deutschland begann damit, negative Leser­briefe und ausschließlich solche zu ver­öffentlichen: In Mitteldeutschland ein un­trügliches Anzeichen für heraufziehende Un­bill. Dann trat Mitte Oktober Hoepke auf den Plan, ein weiterer schon traditioneller Vorbote drohender Ungelegenheiten. (Er hat­te vor drei Jahren zum Generalangriff auf Wolf Biermann geblasen.) Hoepcke befand, der Zuschauer habe keine Möglichkeit, das Bühnengeschehen auf das Hier und Heute zu beziehen. Dieser Faust habe einchaotisches, teilweise fast neurotisches Verhältnis zur Welt. Er sei auch keinRiese an Denkkraft, Leidenschaft, Charakter, Vielseitigkeit und Gelehrsamkeit, als den ihn schon Friedrich Engels empfunden habe.

Wenige Tage später stellte Abusch vor dem Staatsrat diekulturpolitische Grund­frage: Ob hiereine neuartige ,Faust-In- terpretation im Geiste des humanistischen Kampfes und der kühnen Prognose unserer sozialistischen Gesellschaft zustande ge­brachtworden sei. Nein, beantwortete Abusch seine Gretchenfrage gleich selbst, dies sei kein Faust, der dieWidersprüche der Klassen und der Nation als Kampf geistiger Widersprüche in der eigenen Brust erlebe.

In der gleichen Staatsratssitzung übte Heinz begrenzte Selbstkritik und sprach vonUnfertigkeiten in der Realisierung. Er gelobte, man arbeite weiter an dem Stück.

Widerspruch herausgefordert

Dies geschah tatsächlich, wenn auch nur an Einzelheiten, die nicht wesentlich ins Ge­wicht fallen. Gleich nach der Premiere war schon ein hauseigenes Couplet herausge­nommen worden, das sich nicht eben über­schwenglich mit der Situation derDDR- Literatur auseinandersetzte. Später wurde die Walpurgisnachtszene leicht entschärft. An seiner Konzeption zu rühren, hat Heinz bislang vermeiden können. Faust ist eher noch kleiner, noch hutzeliger, noch gestenlo­ser geworden. Dies mag aber daran liegen, daß auf einen sensiblen Schauspieler wie Düren die massiven An würfe, die ja auch ihn trafen, nicht ohne niederdrückenden Einfluß bleiben konnten.

Wie Heinz selbst seine Interpretation rechtfertigt, war dann zum ersten Mal Ende Oktober imNeuen Deutschland zu lesen, nicht ohne daß allerdings sogleich Wider­spruch angemeldet wurde. Heinz meinte in einem Kolloquium desDDR-Verbandes der Theaterschaffenden, dessen Vorsitzender er ist, es heiße die Totalität des Gesamt­werks schon vom ersten Teil fordern, wollte man Fausts Ausbruch aus dem Studierzim­mer in die Welt schon als Tatbereitschaft se­hen.

Übrigens: Unterdessen hat wirklich schon ein mitteldeutscher Schriftsteller eine Art Faust III im Ulbrichtschen Sinne zu schreiben versucht. Am Weimarer National­theater hatte kürzlich einHans Faust des 29jährigen Lyrikers Volker Braun Premiere. Die Parteimeinung dazu ist jedoch noch nicht artikuliert worden. Sonderlich enthu­siastisch jedenfalls ist das Echo nicht.

K. Albrecht Hinze

Die Technik regiert in der Plastik

Die Ergebnisse des Deutschen Kunstpreises der Jugend in Mannheim

Vor drei Jahren hat in Stuttgart den Deutschen Kunstpreis der Jugend ungeteilt der 1935 in Hamburg geborene Jochen Hilt- mann für seineStereo dElefante, also Elefantenkot genannte aufgeplatzte Me­tallkugel erhalten. Diese Preisverleihung hat damals Aufsehen, auch Unwillen erregt. Doch die aufgerissenen Metallkugeln Hilt- manns waren im Gegensatz zur rauhen, kör­nigen Bronzeoberfläche und zum blank po­lierten Stahl nicht nur handwerklich-tech­nisch raffiniert gearbeitet, sondern auch ästhetisch reizvoll. Die aufgedunsenen SchlangenleiberLaokoon nach der Katastro­phe mit den herausragenden Händen und Füßen, die jetzt beim Kunstpreis der Ju­gend, an dem Hiltmann satzungsgemäß außer Konkurrenz teilgenommen hat, in der Mannheimer Kunsthalle ausgestellt sind und die; man schon .von derArs Viva des Kul­turkreises in Freiburg her kennt, sind nicht nur kein ästhetischer Anblick, sondern er­scheinen mir auch formal und kompositio­neil nicht bewältigt.

Zu der Ausstellung des Deutschen Kunst­preises der Jugend vor drei Jahren im Stuttgarter Kunstgebäude schrieb ich:Daß die heute lebenden jungen Menschen vor al­lem von der Welt der Technik berührt, an­gesprochen werden, ist verständlich. Doch brauchen deshalb ihre Plastiken noch nicht wie Maschinen auszusehen. Maschinen zu konstruieren, die aber eine praktische Auf­gabe zu erfüllen haben, ist Sache des Tech­nikers. Die Kunst fordert schöpferische Phantasie. Mich irritiert an der Ausstellung am meisten die Armut an Phantasie, an Formvorstellung. Und das gerade bei der Jugend.

Britischer Jugendstil

Die Art-Nouveau-Ausstellung des Hagener Museums

Dem historisch wie modisch interessanten Jugendstil (Art Nouveau) in England widmet das Karl-Ernst-Osthaus-Museum in Hagen eine Übersicht aus Anlaß der Jahres­tagung der Henry-van-de-Velde-Gesellschaft (noch im Dezember): Das Erlebnis des engli­schen Kunstfrühlings veranlaßte van de Velde, sich endgültig dem Kunsthandwerk und allgemein der Formgestaltung zu ver­schreiben, und es machte ihn zum Fürspre­cher des neuen Stils auf dem Kontinent. Wie die Engländer-Gruppe um William Morris sah er die große Aufgabe in einer schöneren menschlichen Umwelt von Möbeln, Gerät, Kleidung, Schmuck, zeichnerisch gestalteten Wänden und guter Hausform.

Die Erneuerung begann in England kurz nach der Jahrhundertmitte gegen den un­lebendigen Naturalismus, die raumillusioni­stische Ornamentik, die industriell gefertig­ten Gebrauchsgegenstände damals, das hohle Pathos der Historienkunst. Morris packte die Lust, sich Besseres herzustellen. Er ent­warf und führte aus: Möbel, Tapeten, Gobe­lins, Bücher, Glasferister; der Eifer steckte an. Sein einheitlich eingerichtetesThe Red House (1859/60) ist der deutliche Beginn des europäischen Jugendstils. Morris eröffnete einen Laden, eine Fabrik, er betrieb die er­ste der sechs englischen Art-Nouveau-Pri- vatpressen. Er wollte die Hebung des Volks­geschmacks nur, seine Kostbarkeiten konnten sich wieder nur Reiche leisten.

Illustrator seiner Keimscott Press (1891/ 98) wurde Edward Burne-Jones. Mit ihm er­reichte er die Doppelseiten-Einheit von Schrift, Bild und durchwebender und um­rahmender Ornamentik: vorbildlich für zahlreiche andere Buchkünstler, die sich gleichfalls den präraffaelitischen, insbeson­dere gotischen Tendenzen verbunden fühl­ten. Buchbinder war der Morris-Freund T. J. Cobden-Sanderson, der nach dem Tod des Meisters mit den Büchern der Doves Press (1900/16) ohne ornamentalen oder illustrati­ven Sütenschmuck Wege für die weitere buchkünstlerische Entwicklung wies.

Erhebliche Bedeutung für die Entfaltung des deutschen Jugendstils erlangte Walter Crane mit flächigen und phantasievoll deko­rativen Entwürfen, zum Beispiel für Tape­

ten mit stilisierten Blüten und Pflanzen, die Otto Eckmann und andere begeisterten. Im übrigen reformierte Crane mit künstleri­schem Elan die Jugendbuchillustration. Wie geschickt man, beeinflußt von japanischen Holzschnitten, schwungvoll und farbig in der Fläche zu arbeiten verstand, den Witz, aber auch die Sentimentalität, zu der die Künstler fähig waren, ihre romantischen, erotischen, grotesken Neigungen: das offen­baren ganz hervorragend die Plakate, zu de­ren besten in England die Farblithographien Aubrey Beardsleys gehören. Auch die ironi­schen und erotischen, in der Aussage kräfti­gen, in der Darbietung eleganten Illustratio­nen des Wilde-nahen Beardsley lassen wie­der ihren zeitlosen Rang spüren; mancher Besucher stellt verwundert fest, daß Beards­leys Art zu zeichnen schon für Kaufhaus­tüten wurde sie genutzt in den letzten Jahren bekannter geworden ist, als sein Name. Herbert H. Wagner

nf(THV^ UND THE STRANGE HANTLE

Aubrey Beardsley: Arthur".

Illustration inKing (Foto: H. H. Wagner)

Dieser Zug zum Technischen und zu den einfachsten Formen hat sich inzwischen noch verstärkt wohl auch unter dem Einfluß der amerikanischen Minimal-Art, wie die Mannheimer Ausstellung beweist, zu der von der Jury aus 810 Arbeiten von 313 Ein­sendern 100 Arbeiten von 60 Künstlern aus­gewählt wurden.

Der Preis wurde auf einstimmig gefaßten Beschluß der Jury .geteilt und (bei einer Stimmenthaltung) zu gleichen Teilen an Hans j erg Maier-Aichen (Leinfelden) und Ansgar Nierhoff (Köln) gegeben. Zu den letzten Vier im Wettbewerb zählten außer­dem noch Christoph Freimann und Michael Schoenholtz.

Die Arbeiten der beiden Preisträger kom­men aus der technischen Welt von heute. Von Hansjerg Maier-Aichen, der 1940 in Stuttgart geboren wurde und eine sehr viel­seitige Ausbildung hinter sich hat, sieht man eine blaue StellageRaumkörper aus Holz, bei der auch die Hohlform als negative Form mitspricht, einen weiß gestrichenen Röhrenbogen aus Stahl und vier hellgelbe, schräg abgeschnitteneRöhrenobjekte aus Stahl. Diese Objekte sind klar geformt, die Farbe steht im Zusammenhang mit der Form, doch alle sind eben einfachste' Form­reduktionen.

Bei Ansgar Nierhoff, der 1941 in Meschede geboren wurde, kommt ein ironisches Ele­ment hinein. Er zeigt gleichsam eingeknickte Sofakissen aus Edelstahl, die auch auf Stühlen ausgelegt sind, zwei flache große, an ihren Enden eingedrückte Stäbe und einen einfachen geometrischen, wieder von einem Sofakissengekrönten Aufbau aus Edel­stahl.

Bei Michael Schoenholtz ist der Mensch noch darstellungswürdig, wenngleich nur mehr im Torso. Die Formen sind sehr sensi­bel aus weichem, fahlgelbem Sandstein her­ausgeholt und klar einander zugeordnet. Bei Joachim Schmettau erscheint der Mensch unmittelbar. DerKopf ist klar, wenn auch stark mit graphischen Mitteln geformt, während die Form und Farbgebung desReliefs sehr problematisch ist. Karl­heinz BiederbicksFallschirmspringer wirkt bereits als Roboter. In den Reliefs von Doris Waschk-Balz erscheint die menschliche Figur skizzenhaft, bei Edgar Augustin redu­ziert.

Die technischen Formen dominieren je­doch eindeutig. Zu den schönsten Arbeiten der Ausstellung gehören die elegant sich aufschwingendenSpannplastiken von Herbert Oehm. Auch die schwarz-weißen Holzkästen von Christoph Freimann sind in ihrer klaren Einfachheit reizvoll. DieCey- com genannte Arbeit von Klaus Dietrich Boehm besitzt Dynamik. Leicht gefügt die Glasplastiken von Utz Kampmann, von de­nen die eine ans Stromnetz angeschlossen ist und zarte Farbtöne entwickelt (die Ausstel­lung ist bis 6. Januar in der Mannheimer Kunsthalle zu sehen.) Hermann Dannecker

Leonardo da Vinci: Der Londoner Karton. Zur Ikonographie dieser Graphik schreibt Albert Schug im November/Dezember-Heft der ZeitschriftPantheon (Bruckmann Ver­lag München). Wie immer stellen die ausgezeichneten Reproduktionen von Skizzen Leonardos eine unschätzbare Bereicherung des Aufsatzes wie des Heftes dar. Außerdem wird in dieser Nummer über die Porträtmalerei Tintorettos berichtet.und ein Rückblick auf die Augsburger Barockausstellung gegeben.

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Das ungleiche Liebespaar

Antonius und Cleopatra in neuer Übersetzung in Zürich

Noch eine neue Shakespeare-Übersetzung: Bernhard Wicki und Hanno Lünlh nahmen sich der überaus selten gespielten Tragödie yon Antonius und der schönen Cleopatra in einer sprachlich prägnanten, griffigen Ürid klaren Übertragung und Bearbeitung an.

DaßAntonius und Cleopatra überaus seltene Gäste auf den Bühnen sind, liegt si­cherlich nicht an den auch für Shakespeare- Tragödien ungewöhnlich zahlreichen und kurzen Szenen; man kann sie ohne Ein­griff in die Substanz dieses Werkes, das zu den tiefsten und schönsten des englischen Dramatikers zählt, reduzieren, wie Bernhard Wicki bei seiner Bearbeitung für das Züri­cher Schauspielhaus überzeugend bewies. Die Inszenierung braucht auch nicht an der prunkend-romantischen Übertragung Bau- dissins zu scheitern; Wicki lieferte zusammen mit Lunin ein prägnantes Beispiel, wie man einen Shakespeare-Text ohne Experimente dem heutigen Verständnis näherbringen kann.

Aber die Tragödie vom Untergang eines vomLiebeswahnsinn erfaßten Herrschers, der den wahrhaft dämonischen Verfüh­rungskünsten einer ungewöhnlichen Frau halb Königin, halb Hure erliegt, braucht zwei Hauptdarsteller, die eben diese komplexen und exzentrischen Rollen reali­sieren können. Daran ist letztlich auch Bernhard Wicki in Zürich gescheitert.

Seine konsequente, die eigne Bearbeitung präzis in die Bühnenwirlichkeit übertragen­de Inszenierung brachte alle Voraussetzun­gen für einen großen Abend mit: ein En­semble, das die Fülle der Rollen auch in Ne­benpartien noch bemerkenswert besetzen konnte, und ein außerordentliches Bühnen­bild (Jörg Zimmermann), das den perma­nenten Szenenwechsel, die ständige Ände­rung der Blick- und Bezugspunkte in diesem Drama zwischen Italien und Ägypten, zwi­schen römischem Imperiums-Anspruch und orientalischem Prunk mit geschickten, knap­pen Dekorationen bewältigte.

In Wickis Regie bot Peter Arens einen herben, kühl kalkulierenden Octavian, Peter Ehrlich erhielt als redlicher Enobarbus Sonderbeifall. Doch die Hauptrollen konnte Wicki nicht überzeugend besetzen: Agnes

Eine neue Generation

Deutsche Erstaufführung eines Stücks von William Goodhart in München

Der Amerikaner William Goodhart geht, in seinem ersten Broadway-ErfolgGenera­tion, der jetzt unter dem TitelEine neue Generation seine deutsche Erstaufführung in Gerhard Metzners Kleiner Komödie am Max-II.-Monument in München erlebte, den Gegensatz der Generationen von der heite­ren Seite an.

Der Hippie-Photograph Roney Owens hat des erfolgreichen Werbemannes Jim Bolton, aus Chicago, Töchterlein Dorrie kurz vor der Entbindung in New York geheiratet. Denn die Ehe, die bejaht Roney als einzige Einrichtung der Gesellschaft, die Entbin­dung in der Klinik oder auch mit einem Ge­burtshelfer in der Wohnung schon nicht mehr. Das wäre bereits ein Zugeständnis an die korrupte Gesellschaft und damit eigene Korrumpierung. Er ist auch hier, wie bei der Einrichtung der Boheme-Wohnung in einem Lagerschuppen, für Do-it-yourself. In der entscheidenden Minute ist dann aber Roney

ehrlich genug, dem vom Schwiegervater her- eingeschmuggelten, als Zigarrenhändler ge­tarnten Arzt, dem staatlich approbierten Ge­burtshelfer zu gestehen: ich könnte schon Hilfe gebrauchen. Die Sorge um Mutter und Kind haben die alte und die junge Genera­tion zusammengeführt. Die Natur hat wie­der einmal gesiegt.

Das hat William Goodhart zunächst mit netten lobenswerten Einzelzügen ausgestat­tet. Nach der Pause ist ihm aber nicht mehr viel eingefallen, dann gehts zu plötzlich dem Happy-End entgegen. Gespielt wurde unter Gerhard Metzners Regie in dem amü­santen Bühnenbild von Gert B. Fleischer flott. Carl Heinz Schroth servierte selbst in der aufgeregtesten Schusseligkeit noch die Pointen genau. Gundolf Willer gab dem Ro­ney eine reizvolle Mischung von Bockbeinig­keit und Charme, Helga Anders der Dorrie ihre Drolligkei*. Das Publikum amüsierte sich. H.D.

Fink und Ullrich Haupt spielten die Tragö­die und den Untergang eines ungleichen Paares mitunter etwas exaltiert, aber mehr als private Katastrophe die Größe und Würde der Protagonisten vor dem welthi­storischen Hintergrund war nur angedeutet. Trotzdem: stürmischer Beifall für einen auf­schlußreichen Abend. Bl.

75 Jahre Raimund-Theater

Mit einer festlichen Premiere von Karl Millöckers OperetteDer Bettelstudent feierte das Wiener Raimund-Theater sein 75jähriges Bestehen. Erster Direktor des Hauses, das 1893 eröffnet wurde, war der aus dem Banat stammende Schriftsteller Adam Müller-Guttenbrunn. Berühmte Mit­glieder des Ensembles waren unter anderem Alexander Girardi, Lucie Höflich und Tilla Durieux. Nach dem ersten Weltkrieg fanden hier die Uraufführung von Hofmannsthals LustspielDer Unbestechliche und die österreichische Erstaufführung von Emst TollersHoppla, wir leben statt. Den nach­haltigsten Erfolg hatte aber die am 15. Ja­nuar 1916 hier uraufgeführte OperetteDas Dreimäderlhaus von Heinrich Berte mit Melodien von Franz Schubert

Preisgekrönte Schallplatten

Deutsche Orchester, Kapellmeister, Künst­ler und Firmen haben bei den in Paris für 1968 und 1969 verliehenen großen Preisen derAkademie der französischen Schall­platte gut abgeschnitten.

Mit dem Spezialpreis der Akademie zu Ehren des kürzlich gestorbenen französi­schen Kapellmeisters Charles Munch wur­den ausgezeichnetDas Meer und Noctumi von Debussy mit dem Nationalorchester des Französischen Rundfunks und Fernsehens (Internationale Schallplattengilde), das Re­quiem von Berlioz mit dem Orchester des Bayerischen Rundfunks und P. Schreier (Deutsche Grammophon) und die Sinfonie Nr. 1 von Brahms mit dem Orchester von Paris (V.S.M.).

Der Preis des Präsidenten der Republik ging an die Kollektion Erato ORTV für die Aufnahmen zeitgenössischer französi­scher Musik durch Musikgruppen des Fran­zösischen Rundfunks und Fernsehens (ORTF). Der Preis der Stadt Paris wurde an denFliegenden Holländer von Wagner mit dem Philharmonischen Orchester von Phila­delphia unter Otto Klemperer (V.S.M.) ver­geben, der Colette-Preis an die von Feman- del gesprochenenLettres de Mon Moulin (Decca) und der Preis Arthur Honneger an die Concertos Nr. 4, 5 und 6 von Th. Arne, interpretiert durch J. Guillou und das Bran- denburgische Orchester von Berlin unter der Leitung von R. Klopfenstein (Philips).

DenPrix Jacques Roux erhieltenOr- feo von Monteverdi durch das Singensemble von Lausanne unter der Leitung von Corboz (Erato),Figaros Hochzeit, interpretiert von den Solisten, Chören und dem Orchester der Deutschen Oper Berlin unter der Lei­tung von Karl Böhm (Deutsche Grammo­phon) undMelodien von Schumann, De­bussy und Poulenc, interpretiert von R. Cres- pin (Decca). (dpa)

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