Freitag, 17. Januar 1969
Zum Zeitgeschehen
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An, besten hock Boß geht auch ohne schlagen
Londons Polizisten benutzen nur sanfte Gewalt gegen Demonstranten und Aufruhr
Laut schreiend und Holztafeln mit Anti-Kriegs-Parolen schwingend drang eine Menge jugendlicher Demonstranten gegen eine Polizeikette vor und versuchte, sie zu durchbrechen. Ein paar Polizistenhelme flogen zu Boden, aber die Sperre hielt stand. Dann ertönte eine Trillerpfeife und beide Seiten hielten ein. Ein baumlanger Sergeant, der das Kommando führte, rief: „Gut so, Demonstranten. Noch einmal das Ganze, aber ein bißchen kräftiger.“ Die Szene spielte sich auf der Londoner Polizeischule ab, wo die 20 000 Ordnungshüter der britischen Hauptstadt systematisch in der Kontrolle demonstrierender Menschenmassen ausgebildet werden.
1968 war auf der ganzen Welt ein Jahr der Unruhen, die insbesondere von der akademischen Jugend angezettelt wurden. Großbritannien war eines der wenigen Länder, die von solchen Massendemonstrationen relativ verschont wurden. Dennoch sind die blauuniformierten Bobbies auf solche Vorkommnisse gut vorbereitet. Sie lernen eine eigene Taktik, die wesentlich sanfter, aber nicht weniger wirkungsvoll ist als die Polizeimethoden in anderen Ländern.
Weder Schußwaffen noch Wasserwerfer, weder Tränengas noch Schutzschilde oder besondere Helme werden hier benutzt. „Das würde die Massen höchstens noch aufstacheln“, sagt Chefinstrukteur James Harga- don von der Londoner Polizeischule. „Wir verhalten uns gegenüber Demonstranten nicht anders als gegenüber den Menschen, die sich zu einem Fußballspiel oder bei einer Königskrönung drängen.“ Das System besteht ganz einfach darin, daß die Polizisten mehrere dicht hintereinander gestaffelte Ketten mit untergehakten Armen bilden. Eine solche Mauer zu durchdringen, gelingt nur in den seltensten Fällen.
Am Ende ein gemeinsames Lied
Vielleicht trägt auf den Britischen Inseln auch ein wenig die traditionelle Disziplin der Massen dazu bei, den Polizisten die Arbeit zu erleichtern. Nicht Gewalttätigkeit gegen die grundsätzlich unbewaffneten Ordnungshüter, sondern Sportsgeist scheint auch bei Demonstrationen vorzuherrschen: So sangen im Oktober vergangenen Jahres im Anschluß an den erfolglosen Versuch einer Menschenmenge, zur amerikanisbhen Botschaft vorzudringen, Vietnam-Protestierer und Polizisten gemeinsam ein Lied. Die
„sanfte“ Methode, mit erregten Massen umzugehen, hat sich bisher noch immer ausgezahlt.
So ist auch einer der Männer, die auf der Londoner Polizeischule die Rekruten in der Unruhen-Bekämpfung ausbilden, nicht etwa ein Meisterschütze oder Boxchampion, sondern Charlie Fogg, Olympiateilnehmer in der Disziplin des 50-km-Gehens. Neben der „Kette“ lernen die jungen Polizisten bei ihm den „Keil“, eine schon von römischen Legionären angewandte • Taktik, eine gegnerische Menge aufzuspalten. Die einzige Waffe, die ein Polizist in der Regel zu benutzen lernt, ist der Schlagstock. Doch auch er darf nur eingesetzt werden, wenn ein Polizist persönlich in Bedrängnis gerät oder wenn das Entkommen eines Häftlings verhindert werden muß. Das Opfer soll der Vorschrift nach möglichst auf den Körper und nicht auf den Kopf geschlagen werden.
Schußwaffen nicht gefragt
Mit Schußwaffen kommt nur etwa jeder zehnte auf der Londoner Polizeischule in Berührung. Der durchschnittliche Londoner „Bobby“ ist daher wohl einer der wenigen Polizisten auf der Welt, die nicht mit einer „Kanone“ umzugehen wissen. Auf jedem Revier sind es nur ein paar Mann, die zum Schußwaffengebrauch berechtigt sind, und darüber hinaus werden die Pistolen unter Verschluß gehalten und nur in Fällen ausgegeben, in denen etwa ein bewaffneter Verbrecher zu verfolgen ist.
Schon wenn ein Polizist die Pistole aus der Halfter zieht, muß er darüber schriftlich Rapport erstatten, selbst wenn kein Schuß abgefeuert wurde. Der Bobby ist oft ein wirklicher „Freund und Helfer“, wie viele
, Berichte beweisen, wonach ein Polizist Demonstranten das Geld für die Heimfahrt im Bus oder für einen heißen Tee nach langem Umherstehen in der Kälte gab. Und wenn jemand wirklich eine Beschwerde über einen Polizisten vorzubringen hat, dann bekommt er auf jedem Revier ein Merkblatt, in dem das Verfahren hierfür genau beschrieben ist.
208 Polizei-Pferde
Wenn alle Stränge reißen, werden als letztes Mittel gegen Demonstranten die berittenen Polizisten eingesetzt. Einer von diesen „Mounties“ — wie die Bobbies zu Pferde heißen — kann erfahrungsgemäß so viel ausrichten wie ein Dutzend Polizisten zu Fuß. Noch heute erzählt man sich in einge- weihten Kreisen die berühmte Geschichte von dem einzelnen berittenen Polizisten, der im Jahre 1923 einen Massenaufruhr auf einem Fußballplatz beendete, indem er mit seinem gutausgebildeten Vierbeiner das Feld räumte. Die Polizeipferde, von denen es heute 209 bei der Londoner Truppe gibt, sind so gedrillt, daß sie sich von nichts und niemand beirren lassen. Sie gehorchen ihrem Reiter auf jeden Befehl und haben es gelernt, sich sanft, aber nachdrücklich gegen andrängende Menschenmassen durchzusetzen, sich durch Rauch und Flammen zu bewegen und sich weder von fahnenschwenkenden Demonstranten noch von explodierenden Knallkörpern aus der Ruhe bringen zu lassen.
Die Unerschütterlichkeit der Polizeipferde ist so sprichwörtlich, daß sich Königin Elisabeth eines davon ausleiht, wenn sie die alljährliche Zeremonie des „Trooping the Co- lour“ hoch zu Roß abnehmen muß. Die bekannte Tierliebe der Engländer hilft mit, den Mounties ihre Arbeit zu erleichtern. Einer von ihnen mußte sich unlängst vor einem Untersuchungsausschuß verantworten, weil er zu hart mit einem Demonstranten umge- s'prungen sei. Das Argument, das ohne weiteres zu seiner Rehabilitierung führte, lautete: „Er wollte meinem Pferd etwas antun, und das ging doch wohl zu weit.“
D. Lancashire
DIE LONDONER POLIZISTEN haben ihre Methode, um gegen Massendemonstrationen vorzugehen. Sie kennen weder Tränengas noch Wasserwerfer oder Schlagstöcke, sondern dämmen eine Menge pur durch lebende Mauern oder allenfalls mit Pferd und Reiter ein. Auf der Polizeischule werden diese Taktiken eingehend geübt. Unser Bild zeigt solche Übungen mit einer doppelten Sperrkette untergehakter Polizisten.
(Foto: AP)
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Um Spaniens xrone Das Endspie | hat begonnen
Juan Carlos hat sich zum Standpunkt Francos bekannt / Von K. Tichmann
Im Endspiel um die spanische Königskrone, das in den Weihnachtstagen mit der Ausweisung des Prinzen Carlos Hugo von Bourbon-Parma und aller Mitglieder dieser französischen Adelsfamilie begann, hat Francos Thronanwärter, Prinz Juan Carlos, in diesen Tagen den zweiten Zug getan. Er erklärte dem Direktor der offiziellen spanischen Presseagentur EFE, daß er sich vorbehaltlos zu den sogenannten organischen Gesetzen des Regimes bekenne und als Spanier seinem Vaterlande dort zu dienen bereit sei, wohin man ihn berufe.
„Umsteigebahnhof“ im All ^ jp nQU6S Kapitel der Raumfahrt
Sowjet-Experiment eröffnet neue Möglichkeiten / Beobachtungsstation, Labor und Zwischenstation zu ferneren Zielen
Mit der Errichtung von bemannten Raumstationen, wie sie jetzt vier sowjetische Kosmonauten mit zwei Raumschiffen demonstriert haben, erfüllt sich ein neuer Traum der Menschheit zur Eroberung des Kosmos. Es werden jetzt Stationen mit auswechselbarer Besatzung möglich. Wissenschaftliche Institute, Flughäfen und Werften im Kosmos rücken der Wirklichkeit näher.
Die von amerikanischen und sowjetischen Raumfahrzeugen ausgeführten Rendezvous- und Koppelmanöver in der Erdumlaufbahn können verschiedenen Zielen der Weltraum- fährt dienen. Für die USA Waren sie bisher in erster Linie eine Vorbereitung auf das entscheidende Manöver des geplanten Bl Mondlandefluges, bei dem die zurückkehrenden beiden Astronauten mit ihrer Mondfähre das in der Umlaufbahn wartende Apollo-Mutterschiff ansteuern müssen. Mit dem erfolgreichen Ablauf dieses Ankoppelns und des Umsteigens der Astronauten steht und fällt dieses Konzept, den Erdtrabanten durch Astronauten erforschen zu lassen.
Im einzelnen werden die Raumfahrtnationen, die die Rendezvous- und Anlegetechnik beherrschen, einmal auch folgende Aufgaben im Weltraum bewältigen können oder ihrer Lösung zumindest näher kommen:
0 Bau von Raumstationen: Astronauten- Techniker können in die Umlaufbahn geschossene Bauteile oder Satelliten zu Raumstationen zusammenfügen. Handwerkliche Verrichtungen außerhalb der Raumschiffe sind möglich, wie Ausstei- ge-Manöver eines sowjetischen Kosmonauten und mehrerer amerikanischer Astronauten in den Jahren 1965 und 1966 bewiesen haben.
0 Besätzungs-Austausch und Versorgung: In Zubringerdiensten von der Erde werden Besatzungen ausgetauscht und Versorgungsgüter zu Raumschiffen und •Raumstationen transportiert. Auch für den wissenschaftlichen Frachtverkehr bieten sich solche Versorgungsflüge an.
0 Rettungsflüge: Ein „gestrandetes“ Raumschiff kann durch ein Rettungs-Raumschiff angeflogen werden, das die Besatzung übernimmt.
0 Reparaturen: Bei Raumschiff-Havarien bringt eine fliegende „Reparaturwerkstatt“ Hilfe.
0 Inspektionen: Weltraum-Flugkörper
können durch interessierte Mächte inspiziert werden.
0 Landung an Raumstationen: Wenn Raumstationen als Startplattformen für ausgedehnte bemannte Weltraumflüge errichtet werden, können sie auch die Funktion von Zwischenlandestationen bei der Rückkehr solcher Raumschiffe zur Erde übernehmen.
In erster Linie bietet sich nun auch die
Aussicht, die Erde eines Tages ständig aus
der Weltraum-Perspektive zu beobachten,
viel besser und intensiver, als es die Satelliten erlaubten. Der Fächer von Aufgaben, die künftig eine einzige Station bewältigen kann, umfaßt unter anderem die Wetterbeobachtung, die Vermessung der Erdoberfläche, die Erkundung von Bodenschätzen, die Beurteilung von Emteaussichten, das Erkennen ozeanischer Strömungen, die Übermittlung von Nachrichten, Fernseh- und Datensendungen und die Navigationshilfe für den irdischen See- und Luftverkehr.' Das alles sind Aufgaben, die bisher einzelnen Satelliten oder Satelliten-Serien Vorbehalten waren.
Die Astronomen und Astrophysiker erhalten mit der über Monate und vielleicht Jahre arbeitsfähigen Außenstation eine Plattform für Himmelsbeobachtungen, wie sie in gleicher Qualität keine irdische Station bieten kann. Teleskope und Strahlenmeßgeräte werden Einblicke in das Sonnengeschehen, den interplanetaren Raum und in die Weiten anderer Sternsysteme ermöglichen, die von Einflüssen der irdischen Atmosphäre nicht getrübt sind.
Nicht zuletzt wird die bemannte Raumstation das geeignete Laboratorium für die Weltraummediziner sein. Hier erst können langdauernde zuverlässige Untersuchungen über die Auswirkungen der Schwerelosigkeit, der Strahlung und anderer Faktoren auf die Raumfahrer ausgefühst werden, angefangen vom Stoffwechsel bis zur psychischen Belastung des vielleicht zu erwartenden monatelangen Fluges zu anderen Planeten. H. Rieger
Beide Ereignisse stellen nach Ansicht hiesiger politischer Kreise genau abgemessene Schritte auf einem Weg dar, an dessen Ende die Wiederherstellung der Monarchie stehen soll. Dieser Weg war aber keineswegs immer frei von Problemen. Es gab drei Thronanwärter: Don Juan von Bourbon, der erbberechtigte Sohn des letzten spanischen Königs Alfons XIII., sein Sohn Prinz Juan Carlos, den General Franco zu seinem Nachfolger bestimmt hat, und schließlich noch den carlistischen Thronprätendenten Prinz Carlos Hugo von Bourbon-Parma, dessen Ansprüche auf den spanischen Thron zwar sehr umstritten sind, der aber eine ansehnliche Gefolgschaft unter den Carlisten hat. General Franco erteilte ihm in der Verfolgung seiner Pläne nun eine kategorische Absage, indem er ihn, da er nicht die spanische Staatsangehörigkeit besitzt, sich aber trotz- deitt in Spanien politisch betätigte,- wenige Tage vor Weihnachten einfach des Landes verwies. Er dehnte die gleiche Maßnahme kurz nach Weihnachten auf die anderen Mitglieder des Hauses Bourbon-Parma aus.
Francos Favorit ist der Prinz
Niemand, der in den Tagen danach diese Erklärung und die Kommentare der verschiedenen politischen Richtungen dazu in der Presse las, zweifelte daran, daß sich der Prinz auf den spanischen Thron bezog, für den ihn General Franco erziehen ließ. Es zweifelte aber auch niemand daran, daß die Erklärung des Prinzen nicht spontan, sondern nach einem bestimmten Programm der spanischen Regierung erfolgte, in dem die Ausweisung des carlistischen Thronanwärters, des Prinzen Carlos Hugo von Bourbon- Parma, ein ebenso vorbereiteter Programmpunkt gewesen war.
Schwieriger war die Lösung des anderen Problems, nämlich die Frage, ob Don Juan, der erbberechtigte Sohn des letzten Königs, oder sein Sohn, Prinz Juan Carlos,' den Thron besteigen soll. Die spanischen Monarchisten entschieden sich für den ersteren und sahen in dem Prinzen Juan Carlos zwar einen künftigen König, aber erst als Nachfolger seines Vaters, während General Franco den Prinzen zu seinem direkten Nachfolger ausersehen hatte.
Der Vater wird verzichten
Der dadurch aufkommende Konflikt zwischen General Franco und Don Juan, bei dem der Prinz bis vor etwas mehr als einem Jahre als guter Sohn noch an die Seite des Vaters trat, hat nach Ansicht politischer Kreise die endgültige Lösung der Nachfolgefrage bisher verhindert. Sie scheint aber nach den Erklärungen des Prinzen am Dreikönigstag nun möglich geworden zu sein, denn Prinz Juan Carlos hat sich, wenn man seine Worte entsprechend auslegt, zum Standpunkt General Francos bekannt. Er ist bereit, als direkter Nachfolger General Francos den Thron zu besteigen und damit die Erbrechte seines Vaters zu übergehen.
Es ist anzunehmen, daß dies im Einverständnis mit seinem Vater erfolgt, da das Verhältnis zwischen Vater und Sohn stets außerordentlich gut war. Don Juan mag sich zu der Erkenntnis durchgerungen haben, daß es immer noch besser sei, Königsvater zu werden, als einen Prinzen aus anderen Hause oder einen Regenten an der Spitze des Staates zu sehen. Er wird sicherlich demnächst offiziell auf den spanischen Thron verzichten, um seinem Sohn Prinz Juan Carlos freie Bahn im Wettlauf um die spanische Krone zu geben.
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EIN ZUKUNFTSROMAN VON ARTHUR C. CLARKE
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„Ausgezeichnet! Obwohl es hier sehr eng ist, dachte ich schon daran, ob wir nicht ein Stück aufführen könnten.“
Mrs. Schuster sah jetzt so unglücklich drein wie ihr Mann.
„Es ist schon sehr lange her“, meinte sie, „und ich — ich hab’ keine besonders großen Sprechrollen gehabt.“
Man hörte unterdrücktes Lachen, und selbst der Commodore konnte nur mit Mühe ein ernstes Gesicht bewahren. Wenn man Mrs. Schuster so ansah, weit über Fünfzig und einiges über hundert Kilo, fiel es nicht leicht, sie sich als Revuegirl vorzustellen.
„Macht gar nichts“, sagte er, „entscheidend Ist der gute Wille. Wer will Mrs. Schuster behilflich sein?“
„Ich habe ein paar Laienaufführungen inszeniert“, erklärte Professor Jayawardene. „In der Hauptsache allerdings Brecht und Ibsen.“
Das „allerdings“ bewies, wie sehr er sich der Tatsache bewußt war, daß hier etwas Leichtes geboten werden mußte.
Da sich keine weiteren Freiwilligen meldeten, verfrachtete der Commodore Mrs. Schuster und Professor Jayaradene auf nebeneinanderliegende Plätze und bat sie, ein Programm aufzustellen. Ob dabei etwas herauskommen würde, war noch sehr fraglich, aber es kam ja nur darauf an, möglichst für jeden eine Beschäftigung zu finden.
„Für den Augenblick belassen wir’s dabei“, schloß Hansteen. „Wenn Sie irgendwelche guten Einfälle haben, geben Sie sie an den Ausschuß weiter. Inzwischen würde ich
Vorschlägen, daß Sie sich die Beine ein wenig vertreten und miteinander Verbindung aufnehmen. Jeder hat seinen Beruf und seine Heimatstadt bekanntgegeben. Viele von Ihnen werden gemeinsame Interessen oder Bekannte haben. An Gesprächsstoff fehlt es also sicher nicht.“
Er beriet sich mit Pat in der Pilotenkanzel, als Dr. McKenzie, der australische Physiker, hereinkam. Er machte ein sehr besorgtes Gesicht.
„Ich muß Ihnen da etwas sagen, Commodore“, erklärte, er. „Wenn ich mich nicht täusche, ist unsere Sauerstoffreserve für sieben Tage völlig wertlos. Wir schweben in einer weitaus dringenderen Gefahr.“
„Worauf wollen Sie hinaus?“
„Es geht um die Hitze.“ Der Australier deutete zum Fenster. „Wir sind vom Staub völlig eingehüllt, und das ist ungefähr der beste Isolator, den man sich vorstellen kann. An der Oberfläche könnte die von unseren Maschinen und Körpern produzierte Hitze an die Außenwelt abgegeben werden, aber hier unten bleibt sie gefangen. Das bedeutet, daß es heißer und heißer werden wird — bis wir verschmort sind.“
„Mein Gott“, sagte der Commodore, „daran hab’ ich überhaupt nicht gedacht. Wir lange glauben Sie, daß es dauern wird?“ „Lassen Sie mir eine halbe Stunde Zeit, dann liefere ich Ihnen eine ziemlich genaue Schätzung. Ich glaube aber, daß es nicht länger als einen Tag dauern wird.“
Der Commodore starrte hilflos vor sich hin. Wenn diese Schätzung stimmte, bestand
keine Hoffnung mehr. Die Chance einer Rettung war an sich gering genug, aber im Verlauf einer Woche konnte viel passieren. Bei einer Frist von nur einem Tag gab es keinen Ausweg. Selbst wenn man sie fand, konnte man sie nicht retten.
„Vielleicht überprüfen Sie die Kabinentemperatur“, fuhr McKenzie fort. „Das gibt uns dann schon einen Hinweis.“
Hansteen trat ans Armaturenbrett und warf einen Blick auf die Meßgeräte.
„Ich fürchte, Sie haben recht“, meinte er. „Die Temperatur ist bereits um zwei Grad Fahrenheit gestiegen.“
„Also ein Grad pro Stunde. Das hatte ich mir gedacht.“
Der Commodore wandte sich an Harris. „Können wir irgend etwas unternehmen, um die Kühlung zu verstärken? Vielleicht lassen sich aus der Klimaanlage die letzten Reserven herausholen?“
Bevor Harris etwas erwidern konnte, sprach der Physiker.
„Das hilft uns gar nichts“, sagte er ein wenig ungeduldig. „Unsere Kühlanlage pumpt lediglich die Hitze aus der Kabine und strahlt sie nach außen ab. Aber genau das kann sie wegen des Staubs um unser Fahrzeug jetzt nicht tun. Wenn wir die Kühleinrichtung schneller laufen lassen, wird alles nur noch schlimmer.“
Lange herrschte düsteres Schweigen, bis der Commodore schließlich meinte: „Bitte überprüfen Sie Ihre Berechnungen, und geben Sie mir sobald wie möglich eine genaue Schätzung. Und lassen Sie sich um Himmelswillen vor den anderen nichts anmerken.“
Er fühlte sich plötzlich alt. Es hatte ihm beinahe Spaß gemacht, noch einmal das Kommando zu übernehmen. Aber jetzt sah es so aus, als würde er es nur einen Tag führen.
Obwohl niemand von den Beteiligten etwas ahnte, glitt eben in diesem Augenblick einer der Staubschlitten über dem versunkenen Boot dahin. Er hatte wenig Ähnlichkeit mit der „Selene“, denn er war nicht auf die
Bequemlichkeit von Touristen eingerichtet, sondern auf Geschwindigkeit, Zweckmäßigkeit und Rentabilität hin gebaut worden. Er war eigentlich nicht mehr als ein offener Schlitten mit Sitzen für den Piloten und einen Passagier — beide im Raumanzug —, darüber einen Baldachin, der vor der Sonne schützen sollte. Ein einfaches Armaturenbrett, Motor und Doppelschiffsschrauben am Heck, Raum für Werkzeug und Ausrüstung — das war alles. Ein derartiges Fahrzeug zog bei der normalen Arbeit mindestens einen Tragschlitten, wenn nicht zwei oder sogar drei hinter sich her, aber dieser Staubschlitten war ohne Last auf Seereise geschickt worden. Er hatte ein paar hundert Quadratkilometer des Meeres abgefahren und nichts gefunden.
Über das Sprechfunkgerät in seinem Raumanzug unterhielt sich der Pilot mit seinem Begleiter.
„Was kann ihnen nur passiert sein, George? Ich glaube nicht, daß sie hier irgendwo sind.“
„Wo sollen sie denn sonst sein? Aber ich würde mich jetzt beim Stützpunkt melden. Wir haben unser Gebiet abgesucht, und es hat gar keinen Sinn, nochmals von vorne anzufangen. Jedenfalls nicht vor Sonnenaufgang — dann besteht eher eine Chance, etwas zu finden. Dieses verdammte Erdlicht macht mich noch ganz wahnsinnig.“
Er schaltete das Sendegerät ein und gab das Rufzeichen seines Fahrzeugs.
„Staubschlitten Zwei ruft Kontrollturm — bitte kommen.“
„Hier Kontrollturm Port Roris. Haben Sie etwas gefunden?“
.Keine Spur. Was gibt’s bei Ihnen Neues?“
„Wir glauben nicht, daß die ,Selene' im Meer ist. Der Chefingenieur möchte mit Ihnen sprechen.“ — „Gut.“
„Achtung, Staubschlitten Zwei, hier Lawrence. Das Plato-Observatorium hat eben ein Beben in der Nähe des Gebirges der Unzulänglichkeit gemeldet. Es hat um 19.35
Uhr stattgefunden, und ungefähr um dieselbe Zeit befand sich die „Selene“ vermutlich im Kratersee. Man ist der Ansicht, daß sie dort irgendwo von einem Bergrutsch erfaßt wurde. Fahren Sie also ins Gebirge und sehen Sie nach ob Sie einen Bergrutsch feststellen können.“
„Wie groß ist das Risiko, Sir, daß weitere Beben stattfinden?“ fragte der Staubschlit- ; tenpilot besorgt.
„Nach Meinung des Observatoriums sehr gering. Angeblich kann es Tausende von Jahren dauern, bis so etwas wieder vorkommt, nachdem sich die Spannungsverhältnisse jetzt ausgeglichen haben.“
„Hoffentlich stimmt das auch. Ich rufe vom Kratersee aus zurück, also in etwa 20 Minuten.“
Aber schon nach einer Viertelstunde zerstörte Staubschlitten Zwei die letzten Hoffnung der wartenden Männer im Kontrollturm.
„Hier Schlitten Zwei. Ich fürchte, hier muß es passiert sein. Ich habe den Kratersee noch nicht erreicht und fahre immer noch die Schlucht hinauf. Das Observatorium hatte recht. An verschiedenen Stellen hat ein Bergrutsch stattgefunden, und es war nicht einfach, daran vorbeizukommen. Hier müssen Zehntausende Tonnen Felsgestein herumliegen. Wenn die ,Selene' da hineingeraten ist, finden wir sie nie.“
Der Kontrollturm schwieg so lange, daß sich der Staubschlitten noch einmal meldete: „Achtung, Stützpunkt — haben Sie mich empfangen?“
„Verstanden“, sagte der Chefinieur müde. „Versuchen Sie wenigstens die Überreste zu finden, ich schicke Ihnen Schlitten Eins nach. Sind Sie sicher, daß es keinen Zweck ; hat, sie auszugraben?“
„Das kann Wochen dauern, selbst wenn wir ; sie sofort finden. Ich habe einen Bergrutsch ’] gesehen, der mindestens dreihundert Meter lang ist. Wenn man zu graben anfängt, setzt sich das Geröll bestimmt wieder in Bewegung.“ (Fortsetzung folgt)