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Politik
Freitag, 17. Januar 1969
CDU-Präsidium spricht Gerstenmaier Vertrauen aus
Vorwürfe gegen Bundestagspräsident beschäftigen den Partei-Vorstand Von unserer Bonner Redaktion
Bonn. Die CDU-Führung hat sich gestern vor Bundestagspräsident Gerstenmaier gestellt, der seit einigen Tagen heftigen öffentlichen Angriffen ausgesetzt ist, nachdem bekannt geworden ist, daß er aufgrund eines Wiedergutmachungsantrags rund 280 000 DM erhalten hat. Nach Sitzungen des Präsidiums und des Bundesvorstandes der CDU wurde vom Sprecher der CDU erklärt: „Im Zusammenhang mit dem Wiedergutmachungsverfahren des Bundestagspräsidenten Dr. Gerstenmaier hat der Bundesvorstand der CDU unter Vorsitz von Bundeskanzler Kiesinger heute einstimmig erklärt, daß es keinerlei Grund gibt, an der Korrektheit des Verfahrens und an der Ehrenhaftigkeit der Motive Dr. Eugen Gerstenmaiers zu zweifeln. Der Vorstand beschloß wörtlich: „Dr. Gerstenmaier hat unser volles Vertrauen.“
Alle Fraktionen gegen größere Diäten-Erhöhung
Bonn (dpa). Alle Fraktionen des Bundestages lehnen zur Zeit Diäten-Erhöhungen für die Bundestagsabgeordneten von mehr als drei Prozent ab. In diesem Sinne äußerten sich gestern in Bonn Sprecher der Fraktionen. Die Möglichkeit einer größeren Erhöhung der Diäten wäre mit dem zweiten Besoldungsneuregelungsgesetz gegeben, das in der nächsten Woche im Bundestag beraten wird. Die Abgeordneten-Diäten hängen von der Höhe der Bezüge der Minister und Staatssekretäre des Bundes ab. Der Bund der Steuerzahler hatte am Mittwoch die mit dem Gesetzentwurf vorgesehene Diäten-Erhöhung einen politischen Skandal genannt
Bonn kürzt Mittel fiir Zivilverteidigung
Bonn (AP). Die Bundesregierung will im Rahmen der mittelfristigen Finanzplanung bis 1972 jährlich nur 432,4 Millionen Mark für die zivile Verteidigung der Bevölkerung der Bundesrepublik bereitstellen. Wie aus dem gestern in Bonn veröffentlichten Bericht der Bundesregierung über das „Konzept der zivilen Verteidigung“ hervorgeht, liegt damit das Jahresvolumen um 354 Millionen Mark unter den ersten Aufwendungen im Jahre 1962.
Seoul-Verhandlungen verlängert
Seoul (AP). Die von der Bundesregierung im Sonderauftrag nach Seoul entsandte Delegation unter Leitung von Paul Frank, die über eine Beilegung der Spannungen zwischen der Bundesrepublik und Südkorea wegen der Entführungsaffäre verhandeln soll, hat ihren ursprünglich auf drei Tage berechneten Aufenthalt bis zum Wochenende verlängert. Wie gestern zum Stand der Besprechungen bekanntgegeben wurde, die Frank mit hohen südkoreanischen Regierungsvertretern führt, sind beide Seiten bereits mit der Ausarbeitung eines Kommuniques beschäftigt. Aus Kreisen der deutschen Botschaft in Seoul verlautete, man sei „sehr optimistisch“ in bezug auf das Ergebnis der Verhandlungen.
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Zu dem Vorwurf, daß bei der Verhaftungsaktion Presseleute in ihrer Berichterstattung behindert worden seien, versicherte der Innenminister: „Wir wollen auch bei der Ausführung polizeilicher Maßnahmen die Freiheit der Berichterstattung in keiner Weise behindern.“ Der Erklärung, daß einem Femseh-Berichterstatter die Kamera gewaltsam entrissen und der darin befindliche Film absichtlich herausgenommen und unbrauchbar gemacht worden sei, stellte der Innenminister die Aussage des Polizeibeamten gegenüber, er habe die Kamera erst beschlagnahmt, als der Mann, der ihn gefilmt
Auf der Rüdeseite des sehr beständigen Tiefs bei Schottland fließt vom Ostatlantik Polarluft nach Süddeutschland, die hier unter dem Einfluß eines von der Biskaya übergreifenden Hochdruckkfeils liegt. Da diesem aber bald neue Störungen vom Atlantik folgen, ist eine beständigere Witterung noch lange nicht in Aussicht.
Freitag wechselnde Bewölkung, nur noch geringe Schauerneigung und später Aufheiterung. Winde um West, Temperaturen in den Niederungen bis zu fünf Grad, im Osten und Südosten und in den Hochlagen nur wenig über null Grad, Samstag nach kurzer Besserung wie der Übergang zu unbeständigerem Wetter. In der Nacht Frost, am Tage wieder mild. (Mitgeteilt vom Wetteramt Stuttgart)
Die Erklärungen, die Bundestagspräsident Gerstenmaier im Fernsehen abgab, spiegeln seinen Zustand genau wider: Er ist einerseits durch die öffentlichen Angriffe so deprimiert, daß ihm selbst der Gedanke eines Amtsverzichts nicht mehr völlig fernliegt. Andererseits kehrt in jedem Gespräch das Argument wieder, er habe nichts Unrechtmäßiges getan, sondern sich an die Regeln des Rechtsstaats gehalten. Wenn dieser Staat ihm einen Vorteil zuspreche, so habe er auch das Recht, ihn anzunehmen.
Nachdem vorübergehend einige falsche Informationen umliefen, läßt sich jetzt genau rekonstruieren, was geschehen ist: Gerstenmaier hat zunächst mehr als zehn Jahre lang darauf verzichtet, einen Antrag auf Wiedergutmachung zu stellen, obwohl er als Mitglied des als .Widerstandsbewegung anerkannten „Kreisauer Kreises“ nach dem 20. Juli 1944 verhaftet wurde und in der mehrmonatigen Haft, ebenso wie andere Häftlinge, Folterungen ausgesetzt war. Erst als 1963/64 der rechtsextreme Fallschirmjäger- General Ramcke wiederholt Angriffe gegen ihn richtete und dabei sowohl seine Zugehörigkeit zum Widerstand als auch die Berechtigung seiner akademischen Grade in Zweifel zog, beauftragte Gerstenmaier seine Anwälte, von Schlabrendorff und von Bis
habe, keinen Presseausweis vorweisen konnte. Geöffnet habe er die Kamera nicht.
„Ich bin sicher, daß die ganze Bevölkerung in Baden-Württemberg hinter der Polizei steht“, ist die Überzeugung von Kultusminister Hahn, der an die „rebellischen Studenten“ appellierte: „Findet zurück zur Kooperation. Wir sind dazu bereit.“ Hahn äußerte die Überzeugung, daß der Heidelberger AStA, „der mit dem SDS gleichzusetzen ist“ es darauf anlege, die Schließung der Universität zu erreichen.
Der Vorsitzende der CDU-Fraktion, Prof. Ganzerimüller, nannte die SDS-Mitglieder „Wandervogelmarxisten“, die das Studium mit „Partisanentum“ und die Universität „mit dem Urwäld“ Verwechselten. CDU und SPD sprachen sich entschieden für Reformen an den Universitäten aus. „Wer sich gewalttätig und rechtswidrig dem Staat widersetzt, muß mit blauen Flecken rechnen“, betonte der Fraktionsvorsitzende der SPD, Dr. H. Veit
Dr. Leuze, FDP-Fraktionsvorsitzender, erhob den Vorwurf, die Justiz habe die politische Verantwortlichkeit übersehen und „geriet in einen Reizzustand, der sie prestigeempfindlich handeln ließ.“ Eine Lösung des Problems wäre es gewesen, die Provokationen der Studenten ins Leere laufen zu lassen. Justizminister Dr. R. Schieler (SPD) wies die Ausführungen Leuzes als „ungeheuerliche Forderung nach einer Politisierung der Justiz“ zurück. Nach Angaben von Schieler ist der Termin der Verhandlung für die verhafteten Studenten für den 3. Februar vorgesehen.
marck, einen Wiedergutmachungsantrag zu stellen. Entgegen der Auskunft seiner Anwälte, sein Anspruch sei wohlbegründet, zeigte sich jedoch bald, daß das Wiedergutmachungsgesetz keine ausreichende Handhabe bot.
Nun wollte es der Zufall, daß im Jahre 1965 durch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts eine Ergänzung des Wiedergutmachungsgesetzes notwendig wurde. Bei dieser Gelegenheit wurde in das Gesetz auch eine Bestimmung eingefügt, die genau auf den Fall Gerstenmaiers paßte. Der Bundestagspräsident versichert, daß er sich bei niemandem darum bemüht habe. Im Bundeshaus glaubt man sich aber zu erinnern, daß einer seiner Anwälte darüber intensiv mit Abgeordneten verhandelt hat. Jedenfalls be-
Bonn (AP/dpa). Der Verteidigungsausschuß des Bundestages hat sich gestern mit dem Untergang des Unterseebootes „Hai“ der Bundesmarine im Herbst 1966 beschäftigt. In der Sitzung des Verteidigungsausschusses verlangte der FDP-Abgeordnete Fritz-Rudolf Schultz, daß der vollständige und unbearbeitete Bericht der Havarie- Kommission über das Schiffsunglück den Mitgliedern des Ausschusses zugänglich gemacht werde.
Nach Angaben der FDP sicherte der Vertreter der Bundesregierung im Ausschuß zu, daß die Mitglieder des Verteidigungsausschusses den Bericht zusammen mit dem Be-- rieht des Inspekteurs der Marine im Frühjahr erhalten sollen. Nachdem sich herausgestellt hatte, daß Abgeordnete der Koalitionsfraktionen CDU/CSU und SPD den Havariebericht schon zumindest teilweise gekannt hätten, erklärte die FDP, sei auch der Opposition das Recht zugestanden worden, den Bericht schon vorab einzusehen.
■ Es ist jedoch ungewiß, ob alle Mitglieder' des Ausschusses Einblick in den Havarie-Bericht erhalten werden. Wie die CDU-Frak-
Prager Student versuchte Selbstverbrennung
Prag (AP/dpa). Ein Prager Student hat sich gestern nach dem Beispiel buddhistischer Mönche demonstrativ selbst zu verbrennen versucht. Der 21jährige hatte offenbar seinen eigenen Körper in ein flammendes Fanal gegen die gegenwärtigen politischen Verhältnisse in der Tschechoslowakei verwandeln wollen.
In einem Abschiedsbrief soll der Student erklärt haben, daß er „der erste Ausgeloste“ sei. In zehn Tagen werde noch ein Selbstmordversuch folgen. Diese Selbstverbrennungen würden „solange fortgesetzt werden, bis die sowjetischen Besatzungstruppen unser Land verlassen“.
ruhte die betreffende Änderung des Gesetzes auf einem Antrag, den alle drei Fraktionen beschlossen. Nachdem die Novelle am 14. September 1965 in Kraft getreten war, wurde Gerstenmaiers Antrag bereits am 8. Dezember des gleichen Jahres positiv beschie- den, und zwar von dem Staatssekretär des Bundesinnenministeriums, Schäfer (FDP), persönlich.
Die Höhe der Wiedergutmachungszahlung wurde aufgrund einer Stellungnahme des nordrhein-westfälischen Kultusministeriums festgelegt. Obwohl es Gerstenmaier nur auf die Bestätigung seiner akademischen Grade angekommen war, nahm er doch das Geld entgegen. Die Ansichten gehen darüber auseinander, ob eine rechtliche Möglichkeit bestanden hätte, es zurückzuweisen. Es trifft aber jedenfalls zu, daß der Bundestagspräsident einen erheblichen Teil des Geldes zur Unterstützung von Hinterbliebenen der Opfer des 20. Juli verwendet hat.
Brandt sagt auch Asien-Reise ab
Bonn (dpa). Bundesaußenminister Willy Brandt hat auf dringenden Rat seines behandelnden Arztes wegen einer noch nicht ausgeheilten Rippenfellentzündung seine geplante Asien-Reise abgesagt. Brandt wollte am Sonntag zu der zehntägigen Reise aufbrechen, die ihn nach Pakistan, Indonesien, Singapur, Malaysia und Indien führen sollte.
Wie ein Sprecher des Auswärtigen Amtes gestern in Bonn mitteilte, wird Brandt für etwa zwei Wochen das Bett hüten müssen. Anschließend will er einen kurzen Erholungsurlaub nehmen. Ursprünglich wollte der Außenminster bereits gestern zu zweitägigen Gesprächen nach London fliegen. Dieser Besuch war wegen der Krankheit Brandts bereits vor einigen Tagen abgesagt worden.
tion im Anschluß an die Sitzung mitteilte, hat der CDU-Abgeordnete Rembert van Delden vorgeschlagen, daß nur jeweils ein Abgeordneter jeder Fraktion Einblick in den 600 Seiten starken Bericht erhalten soll.
Nachdem schon am Mittwoch der Schles- wiger Staatsanwalt Eduard Nehm um den Havariebericht gebeten hatte, hat sich gestern auch die Lübecker Staatsanwaltschaft mit der Bitte an das Flottenkommando in Glücksburg gewandt, ihr den Bericht zu übersenden. Die Lübecker Staatsanwaltschaft war ebenfalls mit den Ermittlungen über den Untergang der „U-Hai“ betraut gewesen. Besonderen Wert legt die Strafverfolgungsbehörde darauf, daß sie „sämtliche Fassungen des Havarieberichtes“ erhalte, wenn es Hinweise auf verschiedene Fassungen gebe.
Kurz gestreift
Helmut Schmidt, SPD-Fraktionsvorsitzender, hat. sich dafür eingesetzt,, die Frage der Wehr-, dienstzeit-Verkürzung noch einmal zu überprüfen.
Herbert Wehner, Minister für gesamtdeutsche Fragen, hat vor dem Bundestag bestritten, der „Augsburger Allgemeinen“ ein Interview gegeben zu haben; die Zeitung hat dieses Dementi zurückgewiesen.
Prof. Dr. Georg Wannagat wird als Nachfolger des in den Ruhestand getretenen Dr. Joseph- Schneider neuer Präsident des Bundessozialgerichts in Kassel.
Mika Spiljak, Jugoslawiens Ministerpräsident, wurde zum Abschluß seines achttägigen Besuchs in Frankreich von Staatspräsident de Gaulle empfangen.
Janos Kadar, Ungarns Parteichef, hatte mit Sowjet-Verteidigungsminister Gretschko, der sowjetische Truppen in Ungarn besuchte, eine Aussprache.
Raschid Karami, dem neuen libanesischen Ministerpräsidenten, ist es nach neuntägigen Verhandlungen gelungen, ein aus 16 Mitgliedern bestehendes Kabinett zu bilden.
Ein Kriegsgericht in Teheran hat 14 Gegner der persischen Monarchie zu Freiheitsstrafen zwischen drei und 15 Jahren verurteilt.
Wer behält das letzte Wort?
Was man kaum noch für möglich gehalten hatte, ist eingetreten: nooh während der Amtszeit von US-Präsident Johnson beginnt in Paris die Konferenz der Vorgespräche für eine Beilegung des Krieges in Vietnam. Gewiß, Johnson selbst kann wohl kaum etwas dafür, daß zwei Tage, bevor er sein Amt an Nixon offiziell abgibt, alle vier streitenden Parteien am runden Tisch miteinander reden, doch die Geschichte wird es auf sein Erfolgskonto schreiben. War er es doch, der mit dem Bombenstopp auf Nordvietnam überhaupt den Weg für eine mögliche politische Lösung geebnet hat. Doch dieser Weg wird ein verschlungener Pfad von Kompromissen sein, auf dem sich aber, wenn man genau hinsieht, der Rückzug einer gescheiterten amerikanischen Vietnam-Politik vollzieht.
Sieger aus den Pariser Verhandlungen werden, wie auch immer der offizielle Wortlaut etwaiger Ergebnisse sein wird, die Nordvietnamesen und ihre südvietnamesischen Vietkong-Verbündeten sein. Für die Militär-Regierung in Saigon bedeutet allein schon die Tatsache des morgigen Gespräches eine glatte Niederlage. Monate, ja jahrelang haben sich Staatspräsident Van Thieu und sein Vize Ky dagegen gesträubt, mit Vertretern der Vietkong an einem Tisch zu sitzen. Jetzt müssen sie.
Die Glaubwürdigkeit der starken Männer in Saigon hat einen schweren Knacks bekommen. Die Folgen sind noch nicht übersehbar. Denn läßt man sich erst außerhalb der Grenzen auf ein Gespräch mit den Kommunisten ein, wird man es innerhalb des eigenen Landes wohl kaum weiter unter Androhung der Todesstrafe verbieten können.
Um den Schein nach außen zu wahren, lassen die Amerikaner dem südvietnamesischen Vertreter morgen den Vo»tritt. Nguyen Xuan Phong wird als erster das Wort haben. Entscheidend für die Zukunft ist aber, wer das letzte Wort behält. Morgen werden es die Kommunisten sein. Vielleicht ist das bereits ein Omen für die innenpolitische Entwicklung in Südvietnam. Die Vietkong-Ver- treterin Madame Binh hat in den letzten Wochen in dieser Hinsicht keinen Zweifel aufkommen lassen. -kwo-
Commonwealth ohne Glanz
Das Commonwealth hat seine Londoner Konferenz überlebt, ohne in seinem Bestand gefährdet worden zu sein. Die 28 Regierungschefs der Länder des früheren britischen Weltreichs können diese Erkenntnis nach achttägiger Redeschlacht mit nach Hause nehmen.
Zum „großen Knall“, einem Auseinänderbrechen der Gemeinschaft um die Rhodesienfrage, ist es auch diesmal nicht gekommen. Ebensowenig aber hat dieses Gipfeltreffen auch nur ein einziges größeres politisches Problem — sei es Rhodesien, die Einwanderungspolitik oder den nigerianischen Bürgerkrieg — einer Lösung nähergebracht.
Manche Beobachter sehen die Ohnmacht des Commonwealth als Resultat seines Ba- lancierens zwischen der Vergangenheit und einem ungewissen Morgen. Großbritannien, das zunehmend nach Europa blickt und ohnehin genügend eigene Sorgen hat, scheint seiner Rolle als Mutterland etwas müde geworden zu sein. Rhodesien ist für Harold Wilson eine Bürde, die er gern loswerden würde, wenn das mit Anstand möglich wäre. Führungsmangel und Verdrossenheit auf der einen Seite und die unsichere, noch nicht gefestigte Politik junger und wirtschaftlich schwacher Staaten auf der anderen bergen die Gefahr einer langsamen Desintegration in sich.
Ein britischer Kritiker nannte das Commonwealth schon vor Jahren eine „gigantische Farce“. Er hat doch nicht ganz recht behalten. Die Völkergemeinschaft hat ihre Grenzen inzwischen erkannt, und die britische Öffentlichkeit hat es aufgegeben, von ihr Beweise dafür zu erwarten, daß'vom imperialen Glanz vergangener Zeiten noch etwas übrig geblieben ist. G. L.
Die Heidelberger Vorgänge im Landtag
FDP drängt auf „U-Hai“- Bericht
Verteidigungsausschuß befaßte sich mit der Affäre
FEUILLETON:
Vollendete Harmonie
Festlicher „Schwanensee“ mit Haydee und Nurejew in Stuttgart
Ein großes Fest des romantisch-klassischen Balletts bereitete die Württembergi- sche Staatsoper mit Rudolf Nurejew als Gast, der, einen Monat nach den „Giselle“- Abenden wieder mit der Assoluta zumindest des mitteleuropäischen Ballett-Theaters Marcia Haydee „Schwanensee“ tanzte, auf derselben Bühne, die vor über vier Jahren seinen spektakulären Auftritt mit Margot Fonteyn in derselben Rolle erlebt hat. Die sonst so schöne und folgerichtig entwickelte Choreographie und „Einrichtung nach traditionellen Fassungen“ John Crankos verzichtet leider' nicht ganz auf Klamotten. Aber als dann — großer Überraschungseffekt — im ersten Akt Nurejew den Wahrsagermantel abwirft und als strahlender Prinz Siegfried auf der Bühne steht, bereits stürmisch begrüßt, da bricht Natur ein. Wilde Natur, die um so stärker wirkt, als sie mit größtem
K ulturnachrichten
Dr. Werner Hofmann, bisheriger Leiter des Wiener Museums der Kunst des 20. Jahrhunderts, wird als Nachfolger Prof. Alfred Hentzens Direktor der Hamburger Kunsthalle werden.
Der Bariton Hans Hotter, international bekannter Wagner-Sänger und -Regisseur, feiert am 19. Januar seinen 60. Geburtstag.
Der amerikanische Schriftsteller John Steinbeck, der am 20. Dezember im Alter von 66 Jahren in New York starb, hat ein Vermögen von schätzungsweise einer Million Dollar (4 Millionen Mark) hinterlassen.
Der Magistrat der Stadt Bad Hersfeld schloß mit dem Intendanten der Bad Hersfelder Festspiele, Professor Ulrich Erfurth (Frankfurt), einen Drei-Jah- res-Vertrag für die Spielzeiten 1969 bis 1971.
Raffinement der Haltung und Bewegung, der Gestik und des ganzen Ballettzeremoniells verbunden ist.
Unter den Auspizien von Siegfried-Nure- jew zeigten Corps und Solisten, vornehmlich Judith Reyn und Egon Madsen, im sehr schön aufgebauten Divertissement, daß man in Stuttgart heute mit den führenden Compagnien der Welt konkurrieren kann, auch wenn nicht die ganze erste Garnitur auf der Bühne steht. Ganz organisch ergab sich aus solcher Folie der erste große Pas seul für den Gast. Die festliche Stimmung steigerte sich gegenseitig zwischen Bühne und Publikum im zweiten Akt. Die erste Begegnung Odette — Siegfried brachte bereits die unerhörte Spannung, die die beiden Protagonisten durch Gestik und Dynamik, vor allem aber durch Existenz und Essenz ihrer außerordentlichen Persönlichkeit erzeugen.
Vollendete Harmonie in den Pas de deux und den alternierenden Soli, ein Abend bester Disposition weit über die „Giselle“-Auf- führung hinaus. Vollends der dritte Akt, der atemberaubende Gipfel der Ballettliteratur, mit allen erdenklichen Schwierigkeitsgra
den, brachte das Publikum in dröhnendste Begeisterung. Gibt es bei Nurejew gelegentlich Momente nicht äußerster Vollkommenheit, bei der Haydee vielleicht etwas Ängstlichkeit in dem Wirbel der Fouettes: Um so besser, so weiß man, daß auch sie Menschen sind, und was ein solcher Abend an Körperkraft, Konzentration, Nerven und dabei auch geistiger Einfühlung in Musik und Rolle bedeutet.
Nach dem nachtschönen vierten Akt (Bravo dem weiblichen Schwanencorps und den Solisten!!) kann es nur den von Cranko entschiedenen tragischen Schluß geben mit dem Todesringen des Tänzers in den Wellentü- chem.
Das Publikum schrie sich heiser, klatschte und trampelte. Die zierliche Haydee verschwand fast unter der Last der Blumen — der galante Nurejew hat ihr auch die seinen weitergegeben. Er zeigte sich wieder zugleich als der dämonische und ebenso seiner Mittel bewußte Akrobat und Schauspieler, dessen weiche, langsame Sprünge und Figuren immer noch unvergleichlich sind, als wie der traumsichere Partner und Mittler von Atmosphäre; sie als ein Geschöpf, wie eigens für die Odette-Ödile geschaffen, von stupen- der Technik und Ausdruckskraft und bestechendem Port de bras. Der eiserne Vorhang war längst gefallen, da wurde immer nofih im Sprechchor der Name Nurejew skandiert.
Schremmer
Anmerkungen zum zweiten „Schwanensee"-Triumph
Am zweiten Abend des Stuttgarter „Schwanensee“-Gastspiels wiederholte sich der Triumph des ersten und der Beifallsrausch, vielleicht nur um einen Grad gemäßigter. Kleine Änderungen in der Besetzung (Jan Stripling als ausgezeichneter „Benno“, an seiner Stelle Bernd Berg als erster Begleiter des Prinzen, Marianne Krause und Susanne Hanke unter den Bürgerinnen) änderten nichts an der Harmonie und Höhe des Gesamtniveaus. Sie zeigten nur, was Stuttgart zu bieten hat und wie sehr der Gast die „Einheimischen“ anfeuert. Der Rezensent, der Rudolf Nurejew mit verschiedenen Partnerinnen und in verschiedenen Rollen in Stuttgart, Berlin, Paris, Wies
baden und wieder in Stuttgart gesehen hat, muß sagen, daß dieses Doppelgastspiel mit Marcia Haydee zu seinen großartigsten und geschlossensten Leistungen gehört, daß ein idealeres Paar für diese Rolle kaum zu denken ist. Hier bleiben Maßstäbe gesetzt, ist Höchstes erreicht.
Im übrigen hat Nurejew als „Siegfried“ zweifellos auch als Eigenchoreograph sich mit Cranko ebenbürtig und in guter Harmonie erwiesen, dazu kommt noch, daß der mit seinen Anschauungen von Musik und Rhythmus seit Jahren vertraute derzeitige Dirigent der Deutschen Oper Berlin Ashley Lawrence das Orchester sicher um alle Klippen steuerte. Schremmer
Gorkis „Feinde" aus Leipzig
Gastspiel in Frankfurts Schauspielhaus — seltener Theaterkontakt Ost-West
Die wenigen Theater-Kontakte zwischen West- und Mitteldeutschland sollten sorgfältig gepflegt werden, denn jede Gemeinsamkeit unter den Deutschen ist ein Lichtblick für die Zukunft. Das „Städtische Theater Leipzig“ hat sich über zwei Jahre Zeit gelassen, bis es den Besuch der „Städtischen Bühnen Frankfurt a. M.“ mit O’Neüls „Trauer muß Elektra tragen“ erwiderte und zu einem zweitägigen Gastspiel (dem einzigen außer in Kassel) mit Maxim Gorkis kämpferischem Frühwerk „Feinde“ in die Mainmetropole kam. Daß auf den unpolitischen O’Neill mit dem hochpolitischen Gorki geantwortet wurde, überrascht nach der bisherigen Praxis nicht. Aber es dürfte auch in Leipzig bekannt sein, daß Dresden mit einer besseren Aufführung des gleichen Stückes bereits 1966 in der Bundesrepublik zu Gast gewesen ist. Daß dieses Gorki-Drama, 1906 in New York geschrieben und in Berlin ur- aufgeführt, heute offene Türen einrennt, wurde damals bereits konstatiert.
Denn was Maxim Gorki uns in „Feinde“ vorsetzt, hat die Geschichte inzwischen ins Reich der Fabel verwiesen. So einfach ist die Rettung der Menschheit nun auch wieder nicht, daß lediglich die Arbeiter an die Stelle der Kapitalisten zu treten brauchten und alles wäre gut. Und so wenig das Christentum den Krieg ausrotten konnte, so wenig hat der Kommunismus Kampf und Unterdrückung innerhalb seines Machtbereiches beseitigt. Gorki wirkt heute so naiv wie sein Arbeiter Lewschin, der glaubt, wenn man erst das Geld abgeschafft habe, werde schon alles gewonnen sein.
Die krasse Schwarz-Weiß-Zeichnung Gorkis ist verständlich, da das Stück als Kampfmittel zum Erreichen der russischen Revolution geschrieben wurde — dies aber disqualifiziert es heute künstlerisch. Generalintendant Prof. Karl Kayser, Nationalpreisträger, inszenierte in Tschechow-Manier und schadete mit diesem Zerdehnen, denn nun läuft alles in Zeitlupe ab und betont Gorkis Schwäche rigoroser Einseitigkeit. Um dies etwas zu mildern, weicht Kayser zeitweise
ins Komische aus, wenn er den verkalkten General (Max Bernhardt) und den eitlen Schürzenjäger von Rittmeister (Ivan Maire) in Operetten-Karikatur präsentiert. Das trübt aber den Gesamteindruck, steht zu konträr zum eindrucksvollen Ernst des Verschwörers Ssinzow, den Nationalpreisträger Manfred Zetzsche eindringlich unterspielend gestaltet. Zu undifferenziert bleibt der andere Nationalpreisträger Günter Grabbert als versoffener Kapitalist, nichts geht in seinem Gesicht vor. Hans-Joachim Hegewald interessiert stärker als gutwilliger Kapitalist, der das Volk erziehen, nicht verwöhnen will, doch nimmt die Regie der Figur die Tragik. Erich Gerberding, der den Lewschin wie einen Petrus der Arbeiter spielt, lehnt hart auch den gutwilligen Kapitalisten ab — Feinde sind sie alle.
Pathetisch der Schluß. „Diese Menschen werden siegen“, verkündet die Schauspielerin mit Blick auf die Arbeiter, wiederholt es. Schreiend Lewschin ins Publikum: „Wir haben Feuer gefangen, mit keinem Terror löscht ihr das!“ Frenetischer Beifall, denn im Frankfurter Schauspielhaus saßen nur Freunde. Und Ulbrichts Fernsehen filmte noch eifrig im Foyer, damit man in Mitteldeutschland sieht, wie es den Westdeutschen ums Herz ist.
„Wir haben Feuer gefangen, mit keinem Terror löscht ihr das“, wie müßten diese Gorki-Worte bei den Genossen in Prag von der Bühne her klingen?
Wilhelm Ringelband
„ Vietnam-Diskurs " in Berlin
Radikal verkürzt wurde in der „Schaubühne am Halleschen Ufer“ der „Vietnam- Diskurs“ von Peter Weiß in Westberlin vorgestellt. Die Aufführung artete immer wieder in „Straßentheater“ aus mit Zwischenrufen, mehrfachen Unterbrechungen zu Diskussionen zwischen Schauspielern und Publikum, mit Schimpfkanonaden von beiden Seiten. Ein junger Mann spielte tatsächlich eine Welle mit, weil er die Darstellung des Kampfes „umfunktionieren“ wollte. (dpa)