Neue Bücher

Karolinger, Graphik, Alexander-Sarkophag

Drei beispielhafte Kunstbände / Einblick in eine Epoche / Geschenke von bleibendem Wert

Die technische Vervollkommnung bei der Reproduktion von Kunstwerken hat den Buchmarkt mit einem großen Angebot kost­barer Bände bereichert. Drei solcher Bände haben wir ausgewählt, um an ihnen die Vielseitigkeit und hohe Qualität aufzuzei­gen, die Verlage hervorzubringen heute im­stande sind.

Die Welt der Karolinger und ihre Kunst

ist ein Spitzenwerk. Es stellt die Zusammen­fassung einer Epoche dar, wie sie 1965 bei der denkwürdigen Ausstellung des Europa­rats in Aachen erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde. Der Organisator dieser Ausstellung Prof. Dr. Wolfgang Braunfels ist auch der Verfasser des Bild­bandes. Er berücksichtigt die neuesten For­schungsergebnisse. Die hervorragende Aus­stattung des Buches, das auf über 400 Seiten 378 Abbildungen, davon 58 vierfarbige, hat. sucht ihresgleichen. Hier verbindet sich das Ergebnis immenser Archivarbeit mit dem verlegerischen Ehrgeiz, ein Werk von doku­mentarischem Wert zu schaffen. Die Größe und der Formwille des für das Abendland so entscheidenden Frankenreiches spiegelt sich in den erhabenen Zeugnissen des Baustils, der Plastik, der Buchmalerei eine Welt,

die den Leser reichlich entlohnt, der sie sich Seite um Seite erschließt.

Eine Zusammenfassung anderer Art ver­mitteltDas große Buch der Graphik. Nicht die Konzentration auf eine Epoche ist sein Anliegen, sondern ein repräsentativer Quer­schnitt der berühmtesten Sammlungen der Welt. Über 300 Meisterwerke der Graphik werden in beispielhaften Reproduktionen vorgestellt und beschrieben. Das Einfüh­rungskapitel behandelt die Geschichte der Graphik vom 15. Jahrhundert bis zur Ge­genwart und erklärt die verschiedenen Techniken. Den 24 in diesem Band versam­melten graphischen Kabinetten ist jeweils ein eigenes Kapitel gewidmet, in dem aner­kannte Fachleute über Geschichte und Be­deutung der Sammlungen berichten. Ein Re­gister der Künstler macht dieses Buch nicht nur zu einem erlesenen Geschenk, sondern auch zu einem Nachschlagwerk.

Das dritte Werk schließlich ist der ge­glückte Versuch, ein bedeutendes Kunstwerk anhand bislang nie gesehener fotografischer Studien zu interpretieren, seine klassischen Jagd-, Kampf- und Todesszenen stilistisch und historisch einzuordnen:Der Alexan­der-Sarkophag. Er ist einer der größten und kostbarsten Funde von 1887 der Aus-

Gestalten der Geschichte

Die Biographie hervorragender Persön­lichkeiten ist und bleibt ein dankbares The­ma. Seit der Richelieu-Biographie von Burckhardt sind hier Maßstäbe errichtet worden, die so schnell nicht zu übersteigen sind. Doch gibt es eine Reihe von sehr guten bis befriedigenden Versuchen.

Eine Spitzenstellung unter ihnen nimmt Nikolaus von Kues ein. Anton Lübke räumt dem Kirchenfürsten zwischen Mittel- alter und Renaissance jenen Rang ein, der ihm in Verbindung mit Selbstzeugnissen und Deutung seiner Schriften in der Gei­stesgeschichte des 15. Jh. gebührt. Das Buch charakterisiert Cusanus als einen vielseitig gebildeten Mann, der die Umwälzungen vor­ausahnte und sich lange vor Luther mit re- formatorischen Plänen befaßte.

Ein Lebensbild bescheideneren Ausmaßes entwirft Erich Richter inFrundsberg. Der Vater der Landsknechte und Feldherr des Reiches ist bereits eine Gestalt jenes geisti­gen und politischen Umbruchs und der dar­aus sich ergebenden Wirren, die Cusanus vorausahnte. Für uns gewinnt Frundsberg lokale Bedeutung, war er es doch, der die Truppen des Schwäbischen Bundes zum Sieg gegen den territorialhungrigen Herzog Ul­rich führte.

Die Lebensbilder großer Dichter, Philoso­phen und Historiker, ihr Wirken und ihre Zeit faßt das große SammelwerkGenius der Deutschen zusammen. Leibniz, Kant, Goethe, Schiller, Grillparzer, Heine, Momm- sen, Marx, Nietzsche; Rilke,. Kafkä, Brecfet? sind einige der Namen aus diesem monogra­phischen Archiv, dem in gleicher Ausstat­tung ein Buch von 30 Porträts deutscher Forscher, Erfinder und Ärzte gegenüber­steht.

Als aktueller Beitrag gehört in diese Ru­brik schließlich auch das Buch über den diesjährigen Friedenspreisträger des Deut­schen Buchhandels, den Afrikaner Senghor,

dessen unkonventionelle Biographie Gisela Bonn aufgrund langjähriger Zusammenar­beit mit dem senegalesischen Staatsmann verfaßt hat.

Anton Lübke:Nikolaus von Kues", 450 S., 20 Abb., Leinen 34,- DM. Calhvey Verlag, München.

Erich Richter:Frundsberg", 152 S 8 Abb., Einband 12,80 DM. Callwey Verlag, München.

Genius der Deutschen, 460 S., 24 Abbild., Leinen 20,- DM. Propyläen Verlag, Berlin.

Gisela Bonn:Leopold Sedar Senghor, 206 S., 13 Abb., Leinen 15, DM. Econ Verlag, Düsseldorf.

Geschichte einer Familie

Mit einer fast grimmigen Menschlichkeit schildert David Stacton die Geschichte einer Familie, die heute nicht ganz 300 Nachkom­men zählt Das wäre nichts besonderes, wenn es nicht eine Familie wäre, die den Namen Bonaparte trägt Wenn auch Napo­leon I. zur bestimmenden Persönlichkeit des Buches wird, so gibt es doch noch genügend Raum für die Familie und deren Schicksal nach 1814, von der der Verfasser sagt:Un­ter anderen Umständen wären die Bonapar­tes das Hauptspektakel ihres Dorfes gewor­den. David Stacton ist Engländer, ein re­spektloser und bissiger dazu. Wenn man dieses Buch gelesen hat, weiß man erst wie gut diese Eigenschaften der Familienbiogra­phie bekommen sind. Dieser Respektlosig­keit, die nie den Takt vermissen läßt, ver­dankt es der Leser, daß er das Bild der Bo­napartes nicht nur aus der Nähe, -sondern auch aus einem Blickwinkel sieht, die ihm feei öef Beurteilung geschichtlicher Ereignis­se, die durch Angehörige dieser Familie aus­gelöst wurden, zugute kommt und das ist kein Fehler. Daß ihm dieses Wissen in einer meisterlich geschriebenen Biographie zuteil wird, macht das Buch gleichermaßen zu einem historischen, wie auch vergnüglichen literarischen Erlebnis.

David Stacton:Die Bonapartes. Ln., 430 S 26, DM, Paul Zsolnay Verlag Wien Hamburg.

Aufbruch in ein neues Zeitalter

Denkmaschinen

Elektronengehim ist kein fremder Be­griff mehr. Doch was hinter diesem Begriff steht, wissen nur wenige. Nur wenige wissen auch, wie soein Ding funktioniert Fest steht man liest und hört es jede Woche neuElektronengehime werden von Tag zu Tag wichtiger. Was sind die Vorausset­zungen einer solchenDenkmaschine? Was die Fakten? Wie die Prognosen? Das vorlie­gende Buch Knaurs Buch der Denkma­schinen beantwortet solche und andere Fragen der heutigen Informationstheorie und Kybernetik in einer Sprache, die auch der Nichtfachmann versteht. Kundig führt es den Leser durch die Landschaft der Ky­bernetik (und damit durch eine ganz und gar mathematische Landschaft), ohne daß der für die meisten Menschen so domenrei­che Pfad komplizierter Formgebilde began­gen werden muß. Die Art, wie hier Informa­tionstheorie und Kybernetik mathematisch behandelt werden, ist fast ein geistiges Ver­gnügen denn vergnüglich lernt man, wie Denkmaschinen arbeiten, was sie leisten. Wer dieses Buch gelesen hat, verfügt über eine solide Basis an Information über Infor­mationstheorie.

Walter R. FuchsKnaurs Buch der Denkmaschinen. Informationstheorie und Kybernetik. Mit 200 Ab­bildungen, davon 128 meist farbige Zeichnungen von Klaus Bürgle. Droemer-Knauer-Verlag, 19,80 DM.

Was ist das der Mensch?

Mit dieser Frage hat sich eine Vortrags­reihe des Süddeutschen RundfunksStudio Heidelberg beschäftigt. Zu Wort kamen namhafte Mediziner, Theologen, Biologen, Zoologen, Juristen. Von ihrem Fachgebiet aus rangen sie um Antwort. Die Vorträge sind nun bei Piper erschienen. Für denjeni­gen, der die Sendereihe im Rundfunk ver­folgt hat, wird das Buch eine wülkommene Gelegenheit der Vertiefung des Gehörten sein; für alle anderen Leser bietet sich hier die möglichkeit unter Anleitung von Gelehr­ten und Wissenschaftlern neue Aspekte zu gewinnen und einen Standort zu beziehen, von dem aus eine Orientierung und Selbst­bestimmung erfolgen kann.

Was ist das - der Mensch?, 12 Vorträge. 190 S., Piper-Paperback,, 9,80 DM.

Was erwartet uns?

Aus dem Fernsehen ist er vielen bekannt: Rüdiger Proske. In zahlreichen Fernsehsen­dungen hat er Material darüber zusammen­getragen, wie unsere Zukunft aussehen wird, und das nicht in utopischen Phantaste­reien, sondern mit den Zeichen der Glaub­würdigkeit. Dieses Material hat der bekann­

te Publizist nun in einem Buch zusammen­gestellt. Es gibt u. a. Auskunft, unter wel­chen Umständen wir im Jahr 2000 leben, wie bis dahin unsere Lebenserwartung steigt, wann wir zu anderen Sonnensystemen flie­gen werden, wann wir das Klima beeinflus­sen können oder gar unsere seelische Ver­fassung, wann wir das Geschlecht ungebore­ner Kinder bestimmen können. In der im Franz Schneider Verlag neugegründeten Sachbuchserie 2000 gibt dieses spannend und kritisch geschriebene Werk Auskunft auf Fragen, wie wir noch nicht beantworten können, deren Antwort sich aber in unserer Gegenwart bereits abzeichnen. Nicht nur dem technisch interessierten Menschen wird dieses Buch viel Neues eröffnen.

Rüdiger Proske:Auf der Sudle nach der Welt von Morgen, aus der Sachbuchserie 2000, 300 Seiten, mit aukführlidiem Literaturverzeichnis, Franz Schneider Verlag, München, 14,90 DM.

Otto Hahn: Mein Leben

Vor kurzem ist Lise Meitner gestorben. Sie war die engste Mitarbeiterin des Atom­wissenschaftlers Prof. Otto Hahn. Im selben Jahr also verschieden zwei Forscher, deren Tätigkeit die Welt veränderte. Welche Sum­me zieht ein Wissenschaftler aus seiner so bedeutenden Arbeit wie der Kernspaltung? Was hat er über sich selber zu sagen? Die posthum erschienenen Memoiren Otto Hahns geben darüber Aufschluß und sind gleichzeitig ein Gedenkblatt für Lise Meit­ner, Fritz Straßmann und andere Wissen­schaftler. Das Buch mit vielen Abbildungen enthält auch den Festvortrag, den Prof. Hahn 1946 in Stockholm bei der Verleihung des Nobelpreises gehalten hat.

Otto Hahn:Mein Leben, Leinen 25 DM, Bruckmann

Verlag, München.

Walpurgisnacht

Zum 100. Geburtstag des österreichischen Schriftstellers Gustav Meyrink erscheint in einer preiswerten Neuausgabe sein Roman Walpurgisnacht. Der durch den, auch ver­filmten,Golem bekannte Autor verwebt Realität und Vision zu einer dichten Atmo­sphäre. Das Prag des ersten Weltkriegs ist der Schauplatz einer Handlung, die sich zu einer fiktiven Revolution steigert und eine beklemmende Aktualität erzeugt. Dem äuße­ren Aufruhr entspricht die innere Wandlung des kaiserlichen Leibarztes, dessen Bemü­hungen um eine Revision des bisherigen Le­bens im Banne eines Gauklers stehen. Ein Buch, dessen Neuauflage nicht nur durch das Jubiläum des Verfassers gerechtfertigt ist.

Gustav Meyrink:Walpurgisnacht, Roman, 280 S.,

Leinen 14.80 DM, Langen Müller Verlag, München

Wien.

grabungsstätte von Sidon im Vorderen Orient. Prof. Karl Schefold hat aber nicht nur für Liebhaber geschrieben. Der Sarko­phag, der das rlteste bekannte Bildnis Alex­anders des Großen aufweist, überträgt, auch wenn er wahrscheinlich nicht die Gebeine des Mazedoniers geborgen hat, die Erhaben­heit eines universalen antiken Menschen auf den Betrachter.

Wolfgang Braunfels:Die Welt der Karolinger und ihre Kunst, Leinen 98 DM, Verlag Georg D. W. Call­wey, München.

Das große Buch der Graphik, Leinen 58 DM, Wester­mann Verlag, Braunschweig. In gleicher Ausstattung und als Ergänzungsband ist im selben VerlagDas große Buch der Malerei erschienen.. Beide Bände zu­sammen haben bis 31. 12. 1968 den Vorbestellpreis von 98 DM.

Karl Schefold:Der Alexander-Sarkophag, Leinen 68 DM, Ullstein Verlag, Berlin.

Von der Romantik bis Picasso

Hier ist erneut ein großer Überblick über die europäische Kunst; zugleich ein neuer Arena-Großbrand. Jedem, der sich ein Bild von den großen Zusammenhängen, von Stil­richtungen und Künstlern machen möchte, fällt die Wahl angesichts des reichhaltigen Angebots an ähnlichen Bänden nicht leicht. Das vorliegende Werk zeichnet sich durch Prägnanz und lebendige Schilderung aus. Die einzelnen Kapitel geben nicht trockenen Lehrstoff wieder, sondern wirken wie eine spannende Erzählung, in der die Künstler mit Hilfe biographischer Abrisse und auto­biographischer Skizzen ebenso zu Wort kommen wie ihre Zeitgenossen; das Bau­werk, das Gemälde, die Plastik tritt ebenso unmittelbar vor das Auge des Lesers wie die jeweilige Epoche. Der gut gewählte Titel umreißt den Weg der Kunst vom kollekti­ven Formwillen des Mittelalters zum indi­viduellen künstlerischen Ausdruck. Das Buch kann bereits Jugendlichen ab 14 Jahren in die Hand gegeben werden, es leistet je­doch auch jedem erwachsenen Kunstfreund wertvolle Dienste, zumal es einerseits als einführendes Werk betrachtet werden kann, andererseits durch sein Quellenverzeichnis Hinweise auf weiterreichende, vertiefende Lektüre vermittelt. Der Text wird außerdem lehrreich ergänzt durch 32 Fotos und über 70 Strichzeichnungen.

Barbara Gehrts:Von der Romantik bis Picasso. Tausend Jahre europäische Kunst in Geschichte und Dokumenten. 440 S., Leinen, 24,- DM (Subskrip­tionspreis 19,80 DM), Arena-Verlag WUrzburg.

Theater der Jahrhunderte: Ödipus

Die großen Gestalten aus mythischer oder halbmythischer Vergangenheit, die die Dra­matiker aller Zeiten und Nationen als Moti­ve und Themen aufgegriffen haben, gehören zum lebendigen Besitz des Theaters in unse­rem Jahrhundert. Diesen Gestalten und der wechselnden Ausprägung, die sie im Drama der Weltliteratur gefunden haben, gilt eine neue Reihe des Langen-Müller Verlags, München und Wien. Der erste nun erschie- tiene Band ist der Gestalt des Ödipus Vorbe­halten. Sechs Dramen, die sich mit seinem Schicksal auseinandersetzen, haben Eingang in dieses Buch gefunden,' die von Sophokles (König Ödipus und Ödipus auf Kolonos) Se- neca, Corneille, Voltaire und Platen (der ro­mantische Ödipus). Die Vorteile einer sol­chen Zusammenstellung liegen auf der Hand, besser konnte man noch nicht Unterschiedli­ches in der Auffassung durch die Jahrhun­derte oder Gemeinsames feststellen, und nie trat offenkundiger das Genie des Sophokles zu Tage. Eine große Hilfe, in den Komplex der durch die Person des unglückseligen Thebanerkönigs aufgeworfenen Probleme einzudringen, bietet das ausgezeichnete Vor­wort von Karl Kerenyi, das auf engem, aber nicht zu knappem Raum die wesentlichsten Züge herausarbeitet und kritisch verglei­chend die einzelnen Interpretationen neben­einanderhält, wobei auch deren künstleri­sche Formen eine eingehende Würdigung er­fahren. Dieser Band stellt, das kann man ohne Einschränkung sagen, eine Bereiche­rung auf dem Gebiet kritisch edierter Thea­terliteratur dar, die gleichzeitig zu selbstän­diger Auseinandersetzung mit dem Ödipus- Stoff anregt.

Theater der Jahrhunderte: Ödipus. Vollständige Dramentexte von Sophokles, Seneca, Corneille, Vol­taire, Platen. Herausgegeben von Joachim Schon­dorff und mit einem Vorwort versehen von Karl Kerenyi. Verlag Langen-Müller, München und Wien. 311 Seiten Kartoniert, 10,80 DM, Leinen 19,80 DM.

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Marc Chagall (geb. 1887 in Wittebsk). Die Kirche in Chambon. Aus dem KunstbandDas große Buch der Graphik (Westermann). Besprechung nebenstehend.

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Pubertärer Protest

Das Kannibalenfest überschreibt Günter Seuren seinen neuen Roman, den der Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln und Berlin, herausgebracht hat. Nun, das Buch hält, was der Titel verspricht, es geht stellenweise ganz kannibalisch zu in diesem Band, oder soll man besser sagen unappetitlich? Man mag argumentieren, die Emanzipation des Sexuellen sei nun einmal derzeit en vogue, doch leisten Kolie und Konsorten auf dem ihnen zur Verfügung stehenden Papier schon ein deutliches Übersoll. Vollends läßt sich die Form, in der Seuren seinen Beitrag zu diesem Thema liefert und dabei weniger mit dem Geschmack als mit der Lüsternheit des Publikums rechnet, nur mit einiger Überwindung goutieren. Was wird nun eigentlich erzählt? Nach Auskunft des Ver­lags die brandaktuelle Geschichte von der Flucht eines Mannes aus Protest gegen seine mißlungene Ehe, tatsächlich, ein genialer Einfall. Ein Mann also fährt mit seiner Ge­spielin ans Meer, an die Küste der Norman­die, wo sie es dann zunächst in den Dünen, später dann im Bett oder auch anderswo ganz munter treiben: einkörperliches Fest. Zwar betrügt wenn dieses Wort hier überhaupt am Platze ist sie ihn zwi­schenzeitlich mit einem heimischen Kunst­jünger, doch tut dies der allgemeinen freu­digen Besessenheit keinerlei Abbruch. Am Ende jedöch wird 4er Ausreißer, der sich allzu sehr pubertär knabenhaft denn männ­lich gebärdet, von der herbeigeeilten Gattin nach Hause geholt eine vielleicht harte, aber keineswegs kannibalische Maßnahme.

Günter Seuren:Das Kannibalenfest, Roman. Lei­ne, 212 Seiten, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln und Berlin, 16, DM.

Die Welt des Theaters

Das Theater steht gegenwärtig im Brenn­punkt der Diskussion. Die einen sagen ihm Untergang, die andern neue Dimensionen voraus. Der Laie verliert langsam die Orien­tierung. Da ist es gut, wenn er bei erfahre­nen Leuten vom Bau Rat sucht. Ernst Lo­thar ist einer. Als Regisseur am Burgtheater und Direktor des Theaters in der Josefstadt legt er seine Erfahrung in einem Buch Macht und Ohnmacht des Theaters nieder. Vor allem aber sucht er Antwort auf die Fragen: Was ist das Theater heute? Was darf es nicht sein? Was sollte es sein? Ein Buch, das jeder lesen sollte, bevor er leicht­fertig urteilt.

Theater im Spiegel persönlichen Erlebens vermittelt Herbert Maisch in dem Buch Helm ab Vorhang auf. Maisch, 1890 in Nürtingen am Neckar geboren, begann in Ulm als Schauspieler, ging nach Stuttgart, wurde in Mannheim und Köln Generalin­tendant und machte sich durch den Schiller- Film mit Horst Caspar und denAndreas Schlüter mit Heinrich George einen Namen. Einen wichtigen lokalen Bezug haben seine Lebenserinnerungen, wenn er von seiner Zeit bei der Württembergischen Volksbühne berichtet der Vorläuferin der heutigen Württembergischen Landesbühne Esslingen, die ins 50. Jubiläumsjahr geht. Das Buch ruft aber auch die Erinnerung an viele fast vergessene Schauspieler im Lande wach.

Theater in seiner unmittelbarsten Form freilich liefern immer noch die Stücke sel­ber. Einer der erfolgreichsten Amerikaner unter den Dramatikern der Gegenwart ist Edward Albee, dessenWer hat Angst vor Virginia Woolf auch bei uns zu recht Furo­re gemacht hat, weil es mit der Meister­

schaft eines Chirurgen eine verrottete Ehe bloßlegt. Dieses Albee-Drama undDie Zoo­geschichte,Der Tod von Bessie Smith, Der Sandkasten,Der amerikanische Traum undDie Ballade vom traurigen Cafe sind in Deutsch von Pinkas Braun er­schienen.

Emst Lothar:Macht und Ohnmacht des Theaters, 330 S., Leinen 19.80 DM, Paul Zsolnay Verlag Wien. Herbert Maisch:Helm ab Vorhang auf, 470 S., 21 Bildtafeln, Leinen 24.80 DM, Verlag Lechte Ems­detten.

Edward Albee:Stücke I, Leinen 24. DM, S. Fi­scher Verlag, Frankfurt/Main.

Formgeschichte der Dichtkunst

Vermögen wir bei der Lektüre eines Ge­dichtes auf Anhieb zu sagen, ob es sich um eine Hymne, Ode, Elegie oder Ballade han­delt, sofern der Titel keinen Hinweis ent­hält? Wer sich über die verschiedenen For­men der Dichtung, über die literarischen Gattungen informieren möchte, wird in der Formgeschichte der Dichtkunst einen vor­trefflichen Einblick erhalten. Der Erlanger Professor für Neue deutsche Literaturge­schichte Helmut Prang liefert in der Reihe Sprache und Literatur des Kohlhammer Verlags die theoretischen Grundlagen zum Verständnis sprachkünstlerischer Formen. Darüber hinaus leistet Prang wertvolle Ar­beit, indem er die verschiedenen Ausdrucks­mittel der Sprache in den geschichtlichen Zusammenhang stellt. Der Leser erfährt also nicht nur etwas über literarische Formen, sondern auch, wann und durch wen sie ihre höchste'Blüte erreichten.

Helmut Prang:Formgeschichte der Dichtkunst, 231 S kart., 14,80 DM, W. Kohlhammer Verlag Stuttgart.

Das Gottfried-Benn-Buch

Zwei Bände unterschiedlichen Charakters sind in diesen Wochen in der Fischer Büche­rei erschienen. Der eine, Gottfried Benn- Buch benannt mit dem UntertitelEine in­nere Biographie in Selbstzeugnissen, wird herausgegeben von Max Niedermayer und Marguerite Schlüter. Es vereinigt Äußerun­gen Benns zu einem geistigen Porträt des Dichters und verhilft zugleich zu einem tie­feren Verständnis seines Werkes. Die Texte sind nach Leit-Themen geordnet und mit Kommentaren versehen. In der Reihe Informationen zur Zeit nennt Peter Ben­derZehn Gründe für die Anerkennung der DDR, so auch der Titel dieses Bandes. In der öffentlichen wie veröffentlichten Mei­nung mehren sich die Befürworter der An­erkennung. Gegenüber rechtlichen Bedenken und gefühlsbestimmten Argumenten enthält dieses Buch politische Überlegungen, die für eine Anerkennung des anderen deutschen Staates sprechen. Den Maßstab gibt dabei das Interesse der Deutschen wie aller Euro­päer, die Ost-West-Trennung zu überwin­den.

Das Gottfried Benn-Buch. Eine innere Biographie in Selbsterzeugnissen. Herausgegeben von Max Niedermayer und Marguerite Schlüter. Fischer Bü­cherei, Frankfurt, Band 923, 2,80 DM.

Peter Bender:Zehn Gründe für die Anerkennung der DDR, Fischer Bücherei, Frankfurt, Band 951, ReiheInformationen zur Zeit, 2,80 DM.

Rassenproblem in der Ehe

Als John Lincoln, ein junger Arzt, die schöne Barbara Wakely aus den Südstaaten trifft, ist sie in ihrem letzten Universitäts­jahr; sie heiraten, ziehen nach New York und sehen sich den normalen Problemen der Ehe gegenüber doch mit einem großen Unterschied: John ist Neger. Es hat schon einige Romane über das Rassenproblem ge­geben, aberIch will eine schwarze Puppe ist der erste über die gesellschaftlichen Spannungen, denen eineMischehe sowohl von weißer wie von farbiger Seite unterwor­fen ist. Sogar diese Ehe zwischen zwei lie­benden, intelligenten, hochzivilisierten Men­schen, die sich der erniedrigenden Diskrimi­nierung bewußt sind, muß an der Peinlich­keit für die eigene Gruppe oder der Beherr­schung durch die Gruppe des Partners Scha­den nehmen. Bei aller Intensität ist der Ro­man ohne Bitterkeit geschrieben oft sogar mit leisem Humor und einem scharfen Blick, für das Lächerliche.

Frank Hercules:Ich will eine sdiwarze Puppe.

Roman, 376 S. Leinen 20 DM, Claassen Verlag, Ham­burg/Düsseldorf.

Analysen eines polnischen Kritikers

Eine mit kritischem Intellekt und spitzer Feder geschriebene Analyse der Werke we­sentlicher Schriftsteller der Moderne aus Ost und West von einem jüngeren polnischen Kritiker, der uns neue Perspektiven eröff­net. Der Roman über die Karriere ist für Gren das große ungeschriebene Buch der bei­den Nachkriegsjahrzehnte. Auf der Suche danach durchforscht er die zeitgenössische Literatur und geht besonders auf diejenigen polnischen Schriftsteller ein, deren Werke in den letzten zehn Jahren auch bei uns durch Übersetzungen bekannt, geworden sind wie etwa Andrzejewski, Brandys, Dygat, Iwas- ziewicz, Wazyk, wobei er zu manchen recht unkonventionellen Ergebnissen kommt. Grön durchdenkt aber auch das Werk der großen europäischen Autoren wie Dostojewskij, Kafka, Thomas Mann, Sartre, Camus, Faulkner und Hemingway. Eine in vieler Hinsicht aufschlußreiche Lektüre.

Zygmunt Gren:Das ungeschriebene Buch, Literarische

Notizen, 227 S. Leinen 12 DM, Claassen Verlag, Ham-

burg/Düsseldorf.