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Politik
Dienstag, 14. Januar 1969
Plakate zur Heidelberger Polizeiaktion
Kontroverse zwischen Innenministerium und Süddeutschem Rundfunk wegen beschlagnahmter Filmkamerai
Stuttgart/Heidelberg (dpa). Auf Plakaten antworteten gestern in Heidelberg der baden-württembergische Innenminister Walter Krause, Kultusminister Prof. Dr.
Wilhelm Hahn, Oberbürgermeister Reinhold Zundel und der Rektor der Universität,
Prof. Dr. Kurt Baidinger, auf die Kritik an der Festnahme von zwölf Heidelberger Studenten durch die Polizei. Auf den Plakaten, die an allen Anschlagstellen und in der Universität ausgehängt wurden, heißt es: .Jedermann hat das Recht, seine Meinung frei zu äußern und Kritik zu üben sowie Forderungen aufzustellen.“ Niemand aber habe das Recht, „seinen Willen mit Gewalt durchzusetzen, Verfassung und Recht zu mißachten sowie Lehre und Forschung zu behindern“. Wer Verfassung und Recht verletze müsse wissen, daß er dafür zur Verantwortung gezogen werde.
Tief see-Rausch
(Fortsetzung von Seite 1)
Eigentlich müßte sich „Europa“ der Sache (und seiner eigenen Zukunft) annehmen. Geschieht es nicht, kann für uns die Frage entstehen, ob wir an der Seite der Entwicklungsländer mit der Forderung nach einer starken internationalen Behörde nicht richtiger liegen als an der Seite unserer industriellen Freunde.
Es gibt noch eine militärische Seite. Die Entwicklungsländer möchten eine völlige Demüitarisierung des Meeresbodens. Die Seemächte fürchten, daß es von da nicht weit zur Demilitarisierung der Meeresoberfläche ist Sie können den Boden sehr gebrauchen, wenn nämlich Atom-U-Boote geortet werden können. Unbemannte unterseeische Plattformen wären dann der nächste Schritt. Der mittelatlantische Rücken mit nur 150 Meter Tiefe bietet sich dafür an.
Amerikaner und Russen möchten das Thema unter sich in Genf behandeln. Die Entwicklungsländer mißtrauen der Genfer Runde als Instrument der großen Mächte. Man kann auf alle Fälle annehmen, daß militärische Macht unter See die industrielle Nutzung mehr beeinflussen wird als oben. Noch mehr als aus dem Weltraum kommt aus der Tiefe der See die Botschaft, daß man entweder mitbestimmend zum Lager eines Großen gehören muß, — oder zum Lager von Außenseitern, auf die auch von den Großen Rücksicht genommen werden muß. Es wäre gut, sich bald mit der vergessenen Dimension zu befassen.
Garmisch-Partenkirchen (dpa). Unter Vorsitz von Bundesfinanzminister Franz Josef Strauß haben gestern die Finanzminister der Mitgliedsländer der EWG ihre zweitägigen Beratungen über wichtige Fragen der Finanzverfassung der Europäischen Gemeinschaften und der Steuerharmonisierung aufgenommen. Gleichzeitig trafen in Garmisch die Notenbankpräsidenten der EWG-Länder zu einer routinemäßigen Sitzung zusammen.
Die Finanzminister setzen auf der Konferenz ihre Bemühungen fort, künftig stärker bei allen Vorschlägen der EWG-Kommission eingeschaltet zu werden, die finanzielle Auswirkungen besitzen. Das deutsche Mitglied der Kommission, Hans von der Groben, berichtete gestern über die Steuerharmonisierung innerhalb der Gemeinschaft, insbesondere im Kapitalverkehr und bei Unternehmenszusammenschlüssen über die Landesgrenzen hinweg. Dem Vernehmen nach soll die Kommission zur Begünstigung von Fusionen von Unternehmen einzelner Mitgliedsländer der EWG gewisse steuerliche Erleichterungen vorschlagen.
Keine Einmütigkeit über E WG-Reiseerleichterungen
Garmisch-Partenkirchen (AP). Die Finanzminister der Sechsergenjeinschaft konnten sich auf ihrer turnusmäßigen Konferenz gestern in Garmisch-Partenkirchen nicht über
Auf der Südseite eines umfangreichen, mit seinem Kern über den Britischen Inseln liegenden Tiefdruckgebietes strömt milde Meeresluft nach Mitteleuropa und verdrängt die hier noch liegenden Reste der alten Kaltluft. Randstörungen halten dabei die Unbeständigkeit aufrecht.
Dienstag und Mittwoch wechselnde, meist starke Bewölkung und strichweise Regen. Höchsttemperaturen in den Niederungen zwischen sechs und zehn Grad, nächtliche Tiefst- temperaturen meist etwas über dem Gefrierpunkt. Auch in Hochlagen Tauwetter. Mäßige, zum Teil lebhafte südwestliche Winde. (Mitgeteilt vom Wetteramt Stuttgart.)
Wegen der Beschlagnahme der Kamera kam es außerdem zu einem Gegensatz zwischen dem Innenministerium und dem Süddeutschen Rundfunk. Das Innenministerium veröffentlichte eine Darstellung des betreffenden Polizisten, in dem dieser dem Kameramann vorwarf, er hätte sich nicht als Pressevertreter ausweisen können. Zudem habe er sich danach geweigert, den Film beschlagnahmen zu lassen. Von Gewaltanwendung ihm gegenüber könne keine Rede sein. Der Süddeutsche Rundfunk entgegnete, der Polizist habe dem Kameramann das Aufnahmegerät entrissen, bevor er sich nach dem Ausweis erkundigt habe. Der Kameramann habe auf ein Papier verwiesen, das seine Beschäftigung für eine Rundfunkanstalt be-
einen weiteren Abbau der Zollkontrollen an den Grenzen innerhalb der Gemeinschaft einigen. Wie Bundesfinanzminister Franz Josef Strauß in seiner Eigenschaft als derzeitiger Vorsitzender der Konferenz im Anschluß an die Beratungen des ersten Tages vor der Presse berichtete, hat die Bundesrepublik einem Vorschlag der Kommission voll zugestimmt, im Reiseverkehr die Mitnahme von umsatzsteuerpflichtigen Waren im Wert bis 100 US-Dollar (400 Mark) zu gestatten und eine Sonderregelung für Waren zu treffen, die in einem Land einer besonders hohen Verbrauchssteuer unterliegen.
Mit einer solchen Regelung könnten nach der von dem Mitglied der EWG-Kommission vorgetragenen Auffassung die Zollkontrollen an den Grenzen auf Stichproben beschränkt werden. Nach Mitteilung von Strauß haben sich bisher jedoch nicht alle Finanzminister diesem Vorschlag anschließen können. Er lehnte es aber ab, die Länder zu nennen, von denen der größte Widerstand gegen eine Lockerung der Zollkontrollen ausgegangen ist.
Von unserer Bonner Redaktion
Bonn. Die Einberufung der Bundesversammlung nach Berlin ist entgegen anderslautenden Vermutungen nicht gefährdet. Bundestagspräsident Gerstenmaier und der Sprecher der Bundesregierung, Staatssekretär Diehl, erklärten gestern übereinstimmend, daß keine neuen Anzeichen für östliche Gegenaktionen vorlägen. Auch die drei Westmächte sollen ihren Standpunkt nicht geändert haben.
Der Beginn der parlamentarischen Arbeit nach den Weihnachtsferien stand ganz im Zeichen der Diskussion um die Bundesversammlung. Eine angebliche Erklärung des Bundesministers für gesamtdeutsche Fragen, Wehner, er rechne mit Druck auf Berlin, veranlagte den Ältestenrat des Bundestages zu einer ausführlichen Debatte über dieses Thema.
weisen könnte. Dessen ungeachtet habe der Polizist sich mit der Kamera und den Worten entfernt: „Die Kamera ist beschlagnahmt“.
FDP: War der Aufwand sinnvoll?
Für die Opposition erklärte der stellvertretende Vorsitzende der FDP/DVP-Land- tagsfraktion, Dr. Wolfgang Vogt, schon bei der Beratung des Hochschulgesetzes Anfang 1968 habe er warnend auf die Gefahr eines Umschlagens evolutionärer Strömungen durch unzulängliche Maßnahmen im Hochschulbereich hingewiesen. Zum Vorgehen der Polizei bezweifelt Dr. Vogt, daß der Erlaß eines mit so viel Aufwand vollzogenen Haftbefehls überhaupt sinnvoll und dem strafbaren Verhalten der Studenten angemessen war. Er befürchte, daß durch eine solche außergewöhnliche Maßnahme die Unruhe nicht gebannt, sondern eher in Richtung auf eine gefährliche Zuspitzung angeheizt werde, sofern man sich nicht notwendigen Reformen ehrlich stelle. In der Landtagsdebatte am Donnerstag will die FDP die Regierung zwingen, „Farbe zu bekennen“.
Vorlesungen in Heidelberg gestört Während in Tübingen über 80 Studenten das Dienstzimmer des Rektors, Prof. Ludwig Raiser solange versperren wollten, bis er sich gegen seinen Heidelberger Kollegen wende, gingen am Nachmittag nach AStA- Angaben in Heidelberg rund 800 Studenten auf die Straße. Einige Vorlesungen wurden bereits vormittags gestört. Die Studenten gaben bekannt, sie wollten das juristische Seminar in ein „gesellschaft-wissenschaftlich-demokratisches Agitations- und Diskussionszentrum“ umwandeln, da die juristische Fakultät zu den Vorfällen geschwiegen habe.
Cohn-Bendit wirkte mit Wie zu erfahren war, haben an den Beschlüssen zu dieser Aktion außer Frankfurter SDS-Vertretem auch der im Mai 1968 in Paris bekannt gewordene Studentenführer Daniel Cohn-Bendit in der Nacht zum Montag mitgewirkt. Er sei aber inzwischen wieder abgereist.
Bundestagspräsident Gerstenmaier brachte das Thema Berlin auf einer kurzfristig ein- berufenen Pressekonferenz zur Sprache. Er dementierte mit Entschiedenheit Berichte, daß er mit der künftigen amerikanischen Regierung Kontakt aufgenommen habe, um sie dahingehend zu beeinflussen, von einer Einberufung der Bundesversammlung nach Berlin abzuraten. Das Gegenteil sei der Fall. Er habe die Bundesregierung sogar davon abhalten wollen, eine offizielle Stellungnahme der drei Westmächte in dieser Angelegenheit einzuholen.
Der Bundestagspräsident berichtete von einer vertraulichen Aufzeichnung des Auswärtigen Amtes, in der festgestellt werde, eine befreundete ausländische Macht habe Bedenken gegen die Wahl in Berlin angemeldet. Gerstenmaier hielt das Schriftstück vor der Presse hoch, gab aber nicht bekannt, um welche Macht es sich handele.
Wie ein Sprecher des AStA mitteilte, seien die zwölf Studenten über das gesamte Mannheimer Landesgefängnis verstreut „eingekerkert“ worden. Man behandle sie also wie „Verbrecher“, fügte der Sprecher hinzu, denn nur bei Verbrecherbanden würden die einzelnen Mitglieder getrennt untergebracht werden.
Jungsozialisten: Krause soll gehen '
Der Vorstand der Freiburger Jungsozialisten hat gestern Innenminister Walter Krause aufgefordert, sein Amt zur Verfügung zu stellen. Das Vorstandsgremium begründete seine Rücktrittsforderung mit der Ansicht, daß Krauses uneingeschränkte Billigung des Heidelberger Polizeiaktes gegen Studenten und vor allem Journalisten das „ganze politische Unvermögen dieses Ministers“ gezeigt habe. Der politische Weg Krauses zeigte in der jüngsten Vergangenheit ein „hohes Maß an Fehlleistungen und Blindheit“ gegenüber den Anliegen der kritischen Jugend. „Solange solche Repräsentanten der SPD in höchsten Staatsämtern politisch tätig sind, werden alle Versuche der Parteiführung, eine Brücke zur jungen Generation zu schlagen, erfolglos bleiben“, meinte der Vorstand.
Solidaritätstelegramm aus Hanoi
Nordvietnam hat dem Heidelberger AStA gestern ein Solidaritätstelegramm zugesandt. Der Inhalt des Telegramms wurde den Studenten in einem Teach-in am Montagvormittag bekanntgegeben. Darin wird erklärt, der „Kampf gegen den Imperialismus“ sei in den Ländern des Westens genau so wichtig wie in der sogenannten dritten Welt. Aus diesem Grunde solidarisiere sich Hanoi mit den „linksstehenden Studentengruppen“ in Deutschland.
... und aus Paris
Der Pariser Studentenverband UNEF, der bei den Sommerunruhen in der französischen Hauptstadt eine führende Rolle gespielt habe, erklärte sich in einem Telegramm an den Heidelberger AStA mit den deutschen Kommilitonen solidarisch. Das Telegramm schließt mit den Worten: „Der Kampf der Studenten in Mexiko, Paris und Heidelberg geht weiter.“
Journalistenverband protestiert
Der Deutsche Journalisten verband (DJV) hat gestern beim baden-württembergischen Innenminister Walter Krause energischen Protest wegen polizeilicher Übergriffe gegen Journalisten angemeldet.
Kurz gestreift
Der Streit um eine französische Beteiligung an der Gelsenkirchener Bergwerks AG stand gestern im Mittelpunkt von Wirtschaftsgesprächen in Bonn zwischen dem Leiter der wirtschaftspolitischen Abteilung im französischen Außenministerium, Brunet, und dem Staatssekretär im Auswärtigen Amt, Rolf Lahr.
An einer Rippenfellentzündung ist Bundesaußenminister Brandt erkrankt und muß das Bett hüten. Ob er am Wochenende zu politischen Gesprächen nach London reisen kann, steht noch nicht fest.
Völkerrechtliche Anerkennung der DDR sowie Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze forderte der SPD- und der Bezirksvorstand Frankfurt in einem 18seitigen Dokument zu den „Perspektiven der SPD im Übergang zu den siebziger Jahren“.
Mehr als 650 000 Mark wurden 1968 den deutschen Schulen im Ausland von der deutschen Wirtschaft zur Verfügung gestellt.
Noch in diesem Jahr will Italien den Atomsperrvertrag unterzeichnen.
Den 263. Satelliten der Kosmos-Serie hat gestern die Sowjetunion gestartet.
Schweden, das erst kürzlich volle diplomatische Beziehungen zu Nordvietnam aufgenommen hat, wird die bisherige diplomatische Vertretung in Kuba zu einer Botschaft erheben.
Finanzminister: Mehr Mitbestimmung
Konferenz der EWG-MUgliedsländer in Garmisch-Partenkirchen
Bundespräsidentenwahl in Berlin
Gerstenmaier: Keine neuen Anzeichen für östliche Gegenaktionen
Heidelberg eine SDS-Hochburg?
Es ist gyt, daß die Landesregierung schnell zu den Vorgängen in Heidelberg Stellung genommen hat. Selten hat man von Ministerpräsident Filbinger, Innenminister Krause und Kultusminister Hahn derart eindringliche Worte gehört, wie gestern, als sie die Situation in Heidelberg schilderten.
Ohne Zweifel sind die Zustände an der Heidelberger Universität ernst. Radikale Studenten scheinen dort weitgehend das Heft in der Hand zu haben, Professoren werden schikaniert, mit unflätigen Ausdrücken belegt, kurzum, in Heidelberg proben die Studenten nicht mehr den Aufstand, sie praktizieren bereits Revolution. Nach Ansicht von Kultusminister Hahn soll Heidelberg zur Hochburg des SDS werden.
Trotzdem versicherte die Landesregierung, sie werde weiterhin das mildeste, der Sachlage angemessene Mittel einsetzen. Allerdings, Recht müsse Recht bleiben, auch wenn die Radikalen mit Terror und Gewalt Recht und Freiheit Andersdenkender schmälerten und hysterisch reagierten, wenn die Polizei dem Recht Gehör verschaffe. Nach Auffassung der Landesregierung hat die Bevölkerung diese Taktik längst durchschaut. Die Mehrheit der Studenten und 95, ja 98 Prozent der Bevölkerung „wende sich gegen diesen Terror“.
Damit hat Ministerpräsident Filbinger ohne Zweifel recht, er muß aber auch Verständnis dafür aufbringen, daß eben diese Mehrheit der Bevölkerung auf der anderen Seite besorgt darüber ist, daß womöglich der Staat durch seine Polizei Gleiches mit Gleichem vergilt. Dem Terror der radikalen Studenten kann und muß mit rechtsstaatlichen Mitteln begegnet werden, Gewaltakten des Staates ist die Bevölkerung schutzlos ausgeliefert.
Nur diese Befürchtung allein, daß in Heidelberg unter Umständen die Polizei nicht richtig vorgegangen ist und das so schnelle Eintreten der Regierung für die Polizeiaktion hat Bedenken ausgelöst. Diese Bedenken können übrigens nicht allein mit Erklärungen beseitigt werden, überzeugende Taten sind das richtige Mittel. -ill-
Einseitiger Zeitungsaustausch
Noch in der ersten Sitzungswoche des Bundestages nach den Winterferien wird Bundesminister Herbert Wehner dem Gesamtdeutschen Ausschuß des Parlaments einen Erfahrungsbericht über die Einfuhr von Zeitungen aus der DDR in die Bundesrepublik geben. Während bis vor einigen Monaten Zeitungen und Zeitschriften aus der DDR noch als „Propagandamaterial“ der Beschlagnahme durch die westdeutschen Zolldienststellen unterlagen, hatte der Bundestag beschlossen, vom 1. August an durch das 8. Strafrechtsänderungsgesetz die Einfuhr von DDR-Zeitungen bis zum 31. März 1969 ohne Beschränkung zu gestatten.
Allerdings erwies sich die dahinter stehende Hoffnung, damit einen freien Zeitungsaustausch zwischen beiden Teilen Deutschlands in Gang zu setzen, als trügerisch. Ostberlin ging nicht auf den Bonner Vorstoß ein. Im Gegenteil: Die Anforderung westdeutscher Zeitungsgrossisten nach mehr Zeitungen aus der DDR, wurde abschlägig beschieden. Das „Neue Deutschland“ sei kein Exportartikel, hieß es. So ging denn auch trotz der offiziell genehmigten Zeitungseinfuhr der Vertrieb von DDR-Zeitungen in der Bundesrepublik zurück: 1967 kamen noch 6500 Exemplare, 1968 waren es lediglich 6300 Stück.
Obwohl auch in diesem Fall die DDR nicht gleichgezogen hat, dürfte Minister Wehner dafür plädieren, die freie Einfuhr über den 31. März hinaus zu verlängern. Es ist anzunehmen, daß sich der Bundestag ln gleichem Sinne ausspricht. Anders als offenbar die DDR, braucht die Bundesrepublik einen unbegrenzten Zeitungsaustausch nicht zu fürchten. Jede ßegrenzung wäre ungeschickt und würde von der Gegenseite zweifellos propagandistisch ausgewertet. -ed
FEUILLETON:
Fünf Balleff-Uraufführungen in Stuftgart
Zum Jubiläum der Noverregesellschaft / Das deutsche Wunder: Ballett
Genug Grund zu feiern: Fritz Höver als Vorsitzender der Noverregesellschaft dankt beim Zehnjahresjubiläum im Stuttgarter Kleinen Haus allen, die geholfen haben, so dem früheren Kultusminister Storz, den Tänzern, vor allem Marcia Haydee und — natürlich — dem ebenso stürmisch gefeierten John Cranko. Ihn stellt Heinz-Ludwig Schneiders, der Festredner, nicht ohne Begründung neben Belanchine (USA), Ashton (Großbritannien), Petipa (Rußland, immer noch!), Boumonville (Dänemark) zweifellos mit Recht in die Reihe der Choreographen, die den Tanz in der Welt der Gegenwart bestimmen. Er ging in seiner schnoddrigklug vereinfachenden Rede, die traf und danebentraf, von des einstigen Stuttgarter Ballettchefs Jean George Noverre (1727—1810) stolzem Wort „Ich habe in der Tanzkunst eine Revolution ausgelöst“ aus und folgerte skeptisch, daß nach dieser „Revolution“ praktisch das Ballett in Deutschland 150 Jahre geschlafen (trotz „German dance“!) und nach 45 dann zusammen mit den „Fräuleins“ das eigentliche deutsche Wunder hervorgerufen habe. Der Ausdruckstanz habe dann gegenüber dem klassischen Ballett Rückzugsgefechte geliefert. Schneiders hofft, daß viele kleine Crankos sein Erbe übernehmen werden.
Dann sprach er über Fragen der Kunst und der Revolution und sagte unter anderem: Ballett und Revolution, das zusammenzubringen, sei zum Totlachen, spätestens seit Balanchine wisse man, daß es nur auf die
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Luxus
Yvan Rebroff, Bassist von Weltrang, den seine Freunde den „zweiten Schaljapin“ nennen, hat sich in Paris eine Luxuswohnung gekauft. Preis: Eine halbe Million Francs (400 000 DM). Sein Kommentar: „Macht nichts. Dann trete ich fünfmal in der Carnegie Hall von New York auf und schon ist das Geld wieder herbeigeholt.“ (A.R)
reine Korrespondenz von Bewegung und Musik ankomme und „Die Revolution in der Kunst wird nicht mit roten Fahnen gemacht, sondern mit neuen Formen“.
Schneiders, mit Zitaten nicht sparend, sprach gegen das platonisch-jüdisch-christlich-germanische Vorurteil und Verdikt der Sinnenfeindlichkeit und für eine neue revolutionäre Moral und warf die Frage auf, ob Noverres Ästhetik heute noch Gültigkeit besitze.
Darum schienen die Jubiläumschoreographen besorgt zu sein, denen man lediglich aufgetragen hatte, die Noverre-Titel zu übernehmen. Auch die Musik, da sowieso kaum auffindbar, stand frei. Mit einer Ausnahme: , JL.es Petits Riens“ von Mozart, ur- aufgeführt 1778 in Wien. Für Egon Madsens Choreographie (er war trotz Unsicherheiten der eigentliche Star der Matinee) wurde entschuldigend gesagt, daß er wegen seiner auswärtigen Verpflichtungen „Les Petits Riens“ nicht ganz ausbauen konnte (wird nachgeholt). Immerhin war der Torso mit den Paaren Gudrun Lechner/Max Midinet (harlekinesk) und Marianne Kruuse/Mad- sen sehr hübsch und locker hingetupft, daß man sich auf das verheißene Ganze sehr freuen kann.
Eine entzückende Blödelei, die man gerne wiedersähe und die sich für Tournees anbietet, ist Alan Beales auf Strawinski-Musik choreographiertes Cappriccio „Fetes Chinoi- ses“ mit bunten Sonnenschirmen. Reinen Genuß mit pantomimisch sicherem, dabei wie zufälligem Augenzwinkern bereiteten Lee-Anne Griffith, Fiorma Fairrie, Sharon Koshley, Dieter Ammann, Joseph Mailovich (schon die Namen sagen, wie erfreulich und unkompliziert international man in Stuttgart ist!)
Und noch mal freute man sich nach der Pause über David Sutherlands sehr sympathische Choreographie von „II Matrimonio Per Concorso“ (Musik: Jacques Ibert), der ich die Krone geben möchte. Mit drei roten
Stuhlpaaren und drei mimisch-tänzerisch köstlichen Paaren (Gudrun Lechner, Marianne Kruuse, Lee-Anne Griffith / Peter Marcus, Ulrich Behrisch, Max Midinet) huscht er eine Sache hin, die sich selbst nicht ernst nimmt, aber ernst genommen werden sollte in der unkonventionellen Verbindung amerikanischer und französischer Elemente, von 19. Jahrhundert und Goldenen Zwanzigern, von Revue-Persiflage, Spaß an der Freud und kecken Blackouts.
Aber dann ging’s rapide bergab, dann kam „Bedeutung“. Warum mußte der so sympathisch schlichte Tänzer Jan Stripling den „Tod des Herkules“ so wörtlich nehmen zu Withold Lutoslawskis so schöner biblischer Musik, seinen französischen Texten, den großartig engagierten Heinz Clauss (Titel-
Abschied von Anton Nowakowski
Viele nahmen Abschied von Anton Nowakowski auf dem Neuen Friedhof in Stuttgart-Degerloch, Vertreter des öffentlichen und des künstlerischen Lebens, Dirigenten, Komponisten, Kollegen der Hochschulen, Organisten, Schüler und Freunde, die zum Teil von weither gekommen waren. Was er weit über Deutschlands Grenzen hinaus bedeutet hat, als Dirigent und Organist, als Lehrer, als Pianist, als Mensch und väterlicher Freund, das sagte Stadtpfarrer Breucha in einer herzlichen Ansprache, aus jahrzehntelanger persönlicher Kenntnis. Er würdigte ihn als großen Meister der „ars sacra“. Sein Tod habe für zahlreiche Menschen so etwas bedeutet wie den Schluß eines festlichen Konzertes. es
20 Jahre,,Berliner Ensemble "
Das von Bertolt Brecht gegründete „Berliner Ensemble“ in Ostberlin feiert 1969 sein zwanzigjähriges Bestehen. Der Planwagen der „Mutter Courage“ rollte am 11. Januar 1949 zum ersten Male über die Bühne des Deutschen Theaters in Ostberlin. Brecht, der kurz zuvor aus dem Exil heimgekehrt war, inszenierte seine „Mutter Courage und ihre Kinder“ gemeinsam mit Erich Engel. Von dieser denkwürdigen Aufführung mit Helene Weigel in der Titelrolle nahm die noch im
rolle), Susanne Hanke (Deianeira) und andere für eine pathetisch überfrachtete, nicht sehr einfällige Choreographie einschließlich Schattenspielzauber mißbrauchen!
Doch Bernd Bergs „Fetes Provencales“ mißverstand Rimski-Korssakows Musik noch schlimmer, als dieser spanische Musik mißverstanden hatte. Keine Geschmacksverirrung fehlte bei diesem Carmen-Puzzle der Pathetik. Als Trost blieben Madsens rotes Torrero-Kostüm, die Bemühungen des Corps, das gute popartige Bühnenprospekt von Barbara und Burkhart Woijirsch (mit drehbarem Stierkopf) und vor allem, daß man die anderen Tänzer und Choreographen nochmals sehen durfte. Eine Revolution hat jedenfalls nicht stattgefunden.
Emst Schremmer
selben Jahre vollzogene Gründung des Berliner Ensembles ihren Ausgang. Zunächst spielte man als Gast im Deutschen Theater. Später wurde dem Ensemble das Ostberliner Theater am Schiffbauerdamm als Spielstätte zur Verfügung gestellt. Die „Courage“-Insze- nierung ist in 405 Aufführungen zwölf Jahre lang in Berlin und bei Gastspielen in den meisten Hauptstädten Europas gezeigt worden. (dpa)
Urteil über Sexfilme
Mit beißender Ironie und teilweise recht verärgert haben sich einige prominente italienische Filmregisseure über die internationale Film-„Sexwelle“ in Interviews der neuesten Ausgabe der Mailänder Wochenzeitschrift „l’Europeo“ geäußert. Luchino Visconti sieht in diesen Filmen „ein Phänomen der Ignoranz und des Provinzialismus“. Die Pornographie, die jeden Tag auf den Kinoleinwänden zu sehen sei, erscheine ihm „schrecklich monoton“. Pornographie sei „immer dumm und äußerst langweilig“. Roberto Rosselini findet am „lächerlichsten“ an der Sexualfilmwelle, daß sich gewisse Streifen den Anschein der Wissenschaftlichkeit gäben. Vittorio de Sica wirft gewissen Regisseuren vor, einfach nur gewagte Szenen zu drehen und dann eine „Botschaft“ anzukleben, um sagen zu können, die Sache sei ein Kunstwerk. (dpa)
Tennessee Williams wurde Katholik
Der 54 Jahre alte amerikanische Dramatiker Tennessee Williams ist nach einer schweren Hongkong-Grippe-Erkrankung zum katholischen Glauben übergetreten. Mit seinen Dramen „Glasmenagerie“, „Endstation Sehnsucht“ (Pulitzer-Preis) und anderen wurde Tennessee Williams weltbekannt.
(dpa)
Europas ältestes Dokument?
In einem Siedlungshügel in der Nähe des bulgarischen Dorfes Karanowo ist eine kleine Tontafel mit einem konusartigen Griff entdeckt worden, deren Alter von Archäologen auf 5000 Jahre geschätzt wird. Das Besondere an diesem Fund, der einen Stempel darstellen soll, besteht nach Angaben bulgarischer Archäologen darin, daß er im Gegensatz zu früheren Funden keine geometrischen Figuren, sondern Schriftzeichen trägt. Ein Sprecher bezeichnete die Tafel als das älteste bisher gefundene schriftliche Dokument in Europa. (AP)
K ulturnachrichten
Der Komponist Leopold Hasse n k a m p starb im Alter von 87 Jahren in Gerabronn, Kreis Crailsheim, wo er sein letztes Lebensjahrzehnt bei seinem Schwiegersohn verbracht hatte. Hassenkamp wurde besonders vor dem ersten Weltkrieg mit seinen Operetten „Das Tanzverbot“ und „Spreewaldkäte“ in Berlin bekannt. Außerdem schrieb er die Musik zu dem Märchenspiel „Dornröschen“ und die Melodien zu vielen Löns-Liedem.
Wegen Erkrankung der Solistin Anja Silja und des Dirigenten Christoph von Dohnanyi muß das Konzert des Südfunk- Sinfonieorchesters am 17. Januar ausfallen. Nach Angaben des SDR wird es verschoben. Die Karten bleiben gültig.
Die Verlagsgruppe Bertelsmann in Gütersloh hat die Gründung eines neuen Schulbuchverlages mit Sitz in Düsseldorf angekündigt. Der neue Verlag wird sein Programm mit dem UniversitätsVerlag, dem Lexikon- und Jugendbuchverlag von Bertelsmann koordinieren.