Massentourismus im Märchenland

ln Hawaii schießen Hotels und Appartements wie Pilze aus dem Boden - Mehr Touristen als Einwohner

Hawaii, der 50. Bundesstaat der USA, hatSorgen": Es geht ihm zu gut. DasParadies im Pazifik ist seit rund acht Jah­ren ein US-Staat, dessen Bür­ger die gleichen Rechte und Pflichten haben wie etwa die von Virginia oder Texas. Im vergangenen Jahr registrierte es zum ersten Mal in seiner Ge­schichte mehr Touristen als Ein­wohner. Das ganze Leben in Hawaii stellt sich auf den Tou­rismus ein. Den Massentouris­mus. Auf den acht Hauptinseln herrschtGoldgräberstimmung. Wolkenkratzerhotels schießen wie Pilze in die Höhe. Verdient werden Millionen. Was auf der Strecke bleibt, ist die echte Ro­mantik.

Entdeckt wurde die Gruppe der insgesamt 122 Inseln von dem Bri­ten James Cook im Jahr 1778. So jedenfalls liest man in den engli­schen Geschichtsbüchern. Inzwi­schen steht fest, daß andere euro­päische Seefahrer vor ihm da wa­ren. Cook nannte sieSandwich- Inseln, und bis heute weiß nie­mand so recht, wie er auf diesen Namen kam.

Cook war dessenungeachtet ein guter Beobachter. Er registrierte nicht nur, daß die Inseln vulkani­schen Ursprungs, daß die Bewoh­ner der polynesischen Rasse zuzu­ordnen sind, sondern auch, daß es in diesem Paradies interne Macht­kämpfe gab.

In London erregte die Entdek- kung nicht viel Aufsehen. Dort war man es gewohnt, daß man alle paar

Der Hula-Tanz, die Hauptattrak­tion für die Touristen, entwik- kelte sich zu einer Industrie mit ganz erheblichen Umsätzen und einer steigenden Tendenz.

Wochen Berichte von Entdeckun­gen aus dem Pazifik bekam.

Bis 1893 blieb denn auch Hawaii ein Königreich und weitgehend selbständig. Doch in jenem Jahr begann das amerikanische Zeital­ter. Königin Liliuokalani wurde ab­gesetzt. Die Zuckerplantagenbesitzer baten Amerika, es möge doch die Inseln annektieren, weil sie sich da­durch bessere Absatzchancen ver­sprachen.

US-Präsident Cleveland wollte davon nichts wissen. Er fürchtete, die USA könnten in den Ruf einer Kolonialmacht kommen. Und so wurde Hawaii erst einmal eine Re­publik (1894). Man muß schon sehr ausführliche Nachschlagewerke kon­sultieren, wenn man überhaupt et­was über die Republik Hawaii er­fahren will. Was man da allerdings nicht liest: Präsident Dole war ein Strohmann, der die Interessen der Zucker- und Ananas-Anbauer ver­trat, Washington immer wieder bat, die Herrschaft über die Inseln zu übernehmen. Was Präsident Cleve­land abgeschlagen hatte, gewährte endlich sein Nachfolger.

Im Jahr 1900 wurde unter Mc­Kinley Hawaii ein US-Territorium. Vorteil für die Inselbewohner: Ab­bau der Zölle für ihre Erzeugnisse. Vorteil für die USA: Gewinn einer Inselgruppe, die nur strategisch von Bedeutung sein konnte. Al­lerdings gab es schon damals in den USA Männer, die in den Ha­waii-Inseln nicht nurunversenk­bare Flugzeugträger, sondern auch ein Touristenparadies der Zukunft sahen. Man hielt sie für Phanta­sten.

Vor acht Jahren wurde dann Ha­waii der 50. Bundesstaat der USA. Kurze Zeit später senkten ameri­kanische Fluggesellschaften ihre Preise so drastisch, daß für die US- Ostküstenbewohner ein Urlaub in Hawaii kein Privileg für die Rei­chen blieb. Immobiliengesellschaf­ten investierten Zigmillionen Dol­lars für neue Hotels auf den Haupt­inseln Hawaiis.

Und so ging es weiter. In Hono­lulu weiß man genau, was Touri­sten erwarten. Exotik und Komfort. Dem trägt man Rechnung. Der An­kömmling wird mit Blumengebin­den empfangen, mitAlohas und allem was dazugehört. Echt ist kaum noch etwas außer den Dol­lars, die man dafür bezahlen muß. Hawaii profitiert gegenwärtig be­sonders von dem amerikanischen Außenhandelsdefizit. Wer auf die Inseln reist, braucht keine Devisen. In Honolulu fragt man sich jedoch schon, wie es einmal werden soll, wenn der Dollar wieder stark ist. Wie soll es dann weitergehen? Wer wird die Hotels füllen helfen? Doch nur ein Fremder macht sich Ge­danken darüber, denn auf Hawaii, so schrieb schon Captain Cook, ver­stehe man sehr gut zu rechnen.

Glaube an Götter und Computer

Wege zum Reichtum - Der Hula-Tanz, Industrie mit 1,5 Mrd. Umsatz

Chinn Ho wird von den fünf alten Familien, dieHawaii regie­ren als »Emporkömmling ange­sehen. Das stört ihn nicht. Sein Großvater immigriert um die letz­te Jahrhundertwende aus China nach Honolulu. Der Enkel, fleißig und tüchtig, kaufte 1961 am Waiki- kistrand bei Honolulu mit sieben Millionen Dollar geborgten Geldes einen Hotelkomplex auf. Das Geld hatte ihm eine Lebensversicherungs­gesellschaft in New York geliehen. Chinn Ho hat seine Geldgeber nicht enttäuscht.

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Blick auf die Küstenstraße und die berühmte Meeresbucht von Waikiki.

Wolkenkratzer mit zahllosen Appartements und Hotels säumen den Strand von Waikiki.

Damit ist man bei einem Phäno­men, das Hawaii von den anderen 49 US-Bundesstaaten unterscheidet. Auf dem Festland spielt das Ras­senproblem eine immer größere Rolle. In Hawaii sieht das anders aus. Die Vorfahren der Inselbe­wohner waren Polynesier. Noch vor ein paar Jahren hieß es, Amerika sei ein Schmelztiegel der Rassen, doch das war es nie. Im Gegensatz zu Hawaii, wo die Insulaner es mit der Hautfarbe nie so genau nah­men.

Doch auch hier gibt es fast un­

überbrückbare Gegensätze. Die immer kleiner werdende Zahl von Hawaiianern, die ihren Stamm­baum auf die Inselkönige und -- niginnen zurückführen können, sondern sich immer mehr ab. Nicht etwa, daß sie bei der Jagd auf den Dollar abseits stünden. Das würde ihnen nie einfallen. Aber man wun­dert sich, daß die Statue des Königs Kamehameha I. in Honolulu z. B. jeden Tag mit frischen Blumen­kränzen dekoriert wird. Nicht et­wa vom örtlichen Fremdenver­kehrsverband, sondern von Einhei­mischen.

Und es gibt auch noch Dörfer auf den Hauptinseln von Hawaii, die nicht auf den Programmen der Rei­semanager stehen. Dort feiert man die Feste unter sich, sieht man nur fremde Besucher gerne, wenn sie sich anpassen, auch nicht hochnäsig lächeln, wenn man ihnen etwas von Göttern erzählt, die Vulkane

Nicht alles Gold, was glänzt...

Hohe Lebenshaltungskosten, niedrige Löhne - Zum Teil Privatbesitz

zu neuem Leben erwecken können. Die Inseln sind tatsächlich vulkani­schen Ursprungs und erinnern je­des Jahr daran.

Auf Hawaii werden binnen kür­zester Zeit Millionenvermögen ver­dient. Sogar von Einheimischen. Die unterscheiden sich von den ameri­kanischen Unternehmern eigentlich nur durch eines: Die Amerikaner glauben an Computer, die Insula­ner an Götter.

Komisch ist daran nur, daß die Orakel der offiziell totgeschwie­genen Inselgötter bislang nicht schlechter abschnitten als die Vor­aussagen der Elektronengehime.

Nur eines haben die Weisen der Inseln nicht vorausgesagt: Daß die Tanzstunden im Hula, dem Bauch­tanz der Inseln, inzwischen eine Milliardenindustrie werden

könnten. Letzter Stand: Rund 1,5 MilliardenUmsatz gerechnet in DM. Tendenz steigend.

Geht einem Engländer der Ge­sprächsstoff aus, dann bleibt ihm immer noch das Wetter. Ein Ha­waiianer hat es da schon schwerer, denn in seiner Sprache gibt es kein Wort für Wetter. Es ist auch nicht nötig, denn die Inseln haben das ganze Jahr über eine Temperatur, die fast nie vom statistischen Mittel (21 Grad) abweicht. Heizungssor­gen haben die Insulaner nicht, da­für aber andere. Während es auf dem amerikanischen Festland ein Arbeitslosenproblem gibt, sucht man auf den Inseln händeringend min­destens 35 000 zusätzliche Arbeits­kräfte. Aus den anderen Teilen der USA überlegt sich jeder, ob er in das vermeintliche Paradies über­siedeln soll. Denn im 50. Bundes­staat ist das Leben teuer.

Es wird immer von dem glück­lichen Leben auf Hawaii gespro­chen, wo den Inselbewohnern praktisch alles geschenkt wird, was sie brauchen. Die Statistiker in Washington wissen es anders. Die amerikanische Durchschnittsfami­lie braucht ein Einkommen von 9191 Dollar im Jahr, umohne finanzielle Sorgen bei durchschnitt­lichen Bedürfnissen leben zu kön­nen. Den gleichen Standard erreicht eine hawaiianische Familie erst um den jährlichen Preis von 11190 Dollar.

Den höheren Lebenshaltungsko­sten stehen aber in der Regel nied­rigere Löhne gegenüber. Dabei frei­lich gibt es eine außergewöhnliche Ausnahme. Wer in den-Zuckerrohr­feldern die Machete schwingt, kommt während der Erntezeit fast auf einen Tageslohn von umgerech­net 100 Mark. Allerdings nur wäh­rend der Ernte. Dieser Lohn gilt übrigens als der höchste für Land­arbeiter in der ganzen Welt.

In Hawaii gibt es noch andere Paradoxe. Von den acht Hauptin­seln gehört eine Niihau der Familie Robinson, den Nachfahren eines Missionars aus Neu-England. Wer Niihau besuchen will, der braucht nach wie vor eine persön­liche ' Einladung der Robinsons. Ihnen verdankt Hawaii jene Re­densart:Die Missionare kamen hierher um Gutes zu tun. Sie blie­ben hier, weil es ihnen dabei so gut ging. Es ginge freilich zu weit, wenn man den Robinsons den Vor­wurf machte, sie beuteten die ein­heimischen Bewohner der Insel aus.

Eine andere der größeren Inseln ist praktisch die Domäne der Fa­milie Dole, deren berühmtester Sproß Präsident der kurzlebigen Republik Hawaii war. Dort vsfird fast jeder Quadratmeter Ackerlan­des für den Ananas-Anbau ge-

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Bitte lächeln! Eingeborene sitzen vor ihrer Hütte dem Fotografen Pose.

nutzt. Die Doles aber investieren ihre Gewinne im Bau von Hotels und Touristenbungalows.

Eine andere Insel des Archipels wird von den amerikanischen Streitkräften als Übungsgelände für Bomben und Raketen benutzt. Dort mag man schon gar keine un­gebetenen Gäste.

Auf der größten Insel dagegen sie gab dem Staat den Namen sieht man Fremde gern. Aber auch da sind es nicht die romantischen Touristen, die das meiste Geld brin­gen. In der Hauptstadt Honolulu residiert das Hauptquartier aller US-amerikanischen Streitkräfte, die den Fernen Osten verteidigen sol­len. Das bedeutet die Anwesenheit von 50 000 Mann und ihren Fami­lienangehörigen. Dazu kommen noch pro Jahr etwa 70 000 in Viet­nam eingesetzte Soldaten, die ihren Urlaub auf Hawaii verbringen. Ob­gleich gerade ihnen das Geld be­sonders locker in der Tasche sitzt, macht man sich in Hawaii ihretwe­gen Gedanken. Zwar trägt keiner der Fronturlauber die Uniform, was das Image Hawaiis als friedliches Paradies stören könnte, aber auch dieser Krieg wird einmal zu Ende gehen. Darauf, so heißt es, müsse man sich rechtzeitig einstellen.

Der Liebiingstempel König Kamehamehas, der 1819 zerstört worden ist Der lolani-Palast in Honolulu, der Hauptstadt des Staates Hawaii.

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