Das Ende eines langen Krieges

Waffenstillstand in Vietnam - und was kommt danach?

Der Krieg in Vietnam be­gann 1950 als vergleichs­weise harmloser Konflikt. Da­mals schickte der seinerzeiti­ge US-Präsident Truman 35 militärische Berater nach Sai­gon. Sie sollten südvietname­sische Soldaten im Kampf ge­gen die kommunistischen Re­bellen ausbilden. Aus dem Konflikt wurde der längste

und erbittertste Krieg dieses Jahrhunderts. In den letzten Wochen wuchs die Hoffnung auf einen Waffenstillstand. Doch die Zahl der Skeptiker blieb groß. Selbst ein Waffen­stillstand, sagten sie, könnte nur eine Zwischenlösung, kei­nen wirklichen Frieden brin­gen.

Wir lesen jeden Tag von Viet­nam. Durch das Fernsehen sind wir oft sogar Zeugen dessen, was dort geschieht. Und trotzdem wis­sen wir eigentlich herzlich wenig von den Hintergründen. Man muß sie kennen, will man diesen Krieg verstehen.

1940 besetzten die Japaner Frank­reichs Kolonie Indochina. Alsbald bildeten sich Widerstandsgruppen. Ihr Ziel war der Kampf gegen die Besatzung. Der Führer der Gueril­las war Ho Tschi Minh.

1945, nach der Niederlage der Ja­paner, wurde Frankreich wieder Herr über die Kolonie. Doch Ho war nicht nur gegen die Japaner, sondern auch gegen die französi­sche Kolonialherrschaft. Am 2. Sep­tember 1945 erklärte er Vietnam für unabhängig. Paris wollte nicht aufgeben. Es ließ sich auf einen Krieg ein, der von 1946 bis 1954 dauerte. An seinem Ende stand nicht nur die vernichtende Niederlage von Dien Bien Phu. Frankreich hat­te überdies erkannt, daß technische

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Das Gesicht Saigons nimmt immer mehr amerikanische Züge an. Der Einfluß früherer Kolonialherren verschwindet. Unser Bild zeigt noch den alten Norodom-Palast.

Der bei der Tet-Offensive schwer zerstörte Königspalast in Hue

Angst vor der Nacht

Plötzliche, grausame Überfälle des Vietcong auf Bauerndörfer

Waifenüberlegenheit im Dschungel­krieg kaum zählt. Bei den Ver­handlungen in Genf wurde die Kolonie aufgeteilt. Laos und Kam­bodscha wurden neutral und unab­hängig, der Rest in Nord- und Süd­vietnam geteilt.

Im Norden etablierte sich Ho Tschi Minh, im Süden das Regime unter Ngo Dinh Diem. Freie Wah­len sollten laut Genfer Vertrag über die Wiedervereinigung der beiden Vietnam entscheiden.

Dazu ist es nie gekommen. In­zwischen hatte Washington nämlich erkannt, daß diese Wahlen zugun­sten des Nordens ausgehen müßten. Es fürchtete, ganz Vietnam und da­mit auch Laos, Kambodscha, Thai­land und der Rest Südostasiens würden kommunistisch, wenn man Südvietnam sich selber überließe.

Aus den ersten 35 Ausbildern wurden Hunderte. Aus den ersten Guerillaaktionen der Kommunisten in Südvietnam regelrechte Schlach­ten. Amerika schickte bald nicht mehr nur Ausbilder, sondern regu­läre Truppen. Inzwischen sind es mehr als 400 000 Mann. Die Nord­vietnamesen führten ebenfalls re­guläre Truppen in den Kampf. Wie groß ihre Zahl ist, weiß nur Ho.

Schlimm für die Amerikaner war die Erkenntnis, daß dieser Krieg militärisch nicht zu gewinnen ist.

Es sei, man setzt Kernwaffen ein. Die Demokratie, die Washington verteidigen wollte, hat es in Süd­vietnam nie gegeben. In Saigon re­gierten immer nurstarke Män­ner, die zuerst an sich selber dach­ten.

Die Reihe der Ministerpräsiden­ten, die ausgewechselt wurden, ist schon ziemlich lang. Bislang kann man keinem nachsagen, daß er vom Volk akzeptiert worden sei.

Die Korruption ist in Südvietnam etwas, womit jeder, der das Land kennt, rechnet. Ein bißchen weni­ger wäre bereits ein Fortschritt. Die Amerikaner wären schon froh, wenn nur zehn Prozent ihres Nach­schubs weniger auf dem schwarzen Markt landeten, doch darauf dür­fen sie kaum hoffen.

Kriege, so lehrt die Geschichte, wenn man sie gründlich liest, ha­ben nie Probleme gelöst. In Viet­nam wird das nicht anders sein. Vietnam, so sagen etliche Kenner, sei mit einem Waffenstillstand nicht geholfen, denn mehr als die Hälfte der Bevölkerung habe nie etwas an­deres als den Kriegszustand ge­kannt, sich an ihn so sehr gewöhnt, daß er bereits Teil des Lebens ist.

Das, und nichts anderes ist das wirkliche Drama eines Volkes, das längst nicht mehr weiß, was es will, außer einem: überleben.

Immer, wenn es Nacht wird in Südvietnam, beginnen die Stunden der Furcht. Es gibt dort Tausende von Dörfern, deren Bewohner nichts weiter als leben, säen und ernten wollen. Sie sind Bauern. Saigon ist für sie eine Stadt, von der sie nicht mehr wissen als ein kalabrischer Bauer von demsüßen Leben auf Roms Via Veneto.

Und da kommen plötzlich Viet- kongs. Sie besetzen das Dorf. Den Bürgermeister erschießen sie nach einem Scheinprozeß, in dem er zu­gibt, daß er sich unrechtmäßig be­reichert habe, allerdings mit der Billigung des zuständigen Gouver­neurs. Man hat ihm vorher im wahrsten Sinne des Wortes die Daumenschrauben angesetzt. Wenn das nichts half, ging man zu altbe­währten Foltermethoden über.

Erstaunlicherweise haben die Chi­nesen nicht nur eine hohe Kultur entwickelt, sondern auch die raffi­niertesten Mittel, einen Menschen dahin zu bringen, daß er auch dann sich als Mörder bekennt, wenn er keiner war. Von den Chinesen haben die Herrscher Indochinas die­seMittel übernommen.

Bei uns hat man sich so sehr an den Namen Vietnam gewöhnt, daß man allzuleicht vergißt, wie sehr dieses Land mit China verwandt ist. Wenn man es lange Zeit Indo­china nannte, so lag der Schwer­punkt doch immer auf dem zweiten Teil des Wortes und nicht auf dem, der an Indien erinnert.

Gefoltert wird auf beiden Sei­ten. Man kann so praktisch alle Aussagen bekommen, die einem ins Konzept passen. Das hat lediglich den Nachteil, daß sich dieGeständ­nisse von heute schon morgen als wertlos erweisen, weil man da mög­licherweise bereits andere Ziele hat.

Aber das Leben geht weiter. In zahllosen Dörfern am Mekong, in den Bergen nahe der Westgrenze. Man rechnet damit, daß es wieder neue Herren gibt, aber glaubt kaum, daß sie besser als die alten sein werden. Für die Landbewoh­ner ist das auch unwichtig. Frü­her waren es die Francs, dann die Dollars, die ins Land strömten. Sie blieben in Saigon hängen.

Die Japaner, sagte ein alter Bauer im Mekong-Delta,verspra­chen uns die Freiheit von den Fran­zosen. Die Vietkongs versprachen uns die Freiheit von den Genera­len in Saigon, die Amerikaner die Freiheit überhaupt. Ich hatte acht Kinder. Heute habe ich noch eines, einen Sohn. Er ist Soldat bei den Regierungstruppen. Warum können wir nicht in Frieden leben? Wir sind doch nicht so reich, daß man

sich um unsere Schätze willen so lange streiten müßte?

Man kann die Fragen dieses ein­fachen Bauern verstehen. Er weiß nichts von der großen Politik, wird sie auch nie verstehen.

Vietnam ist nur eine ArtFecht­boden, wo zwei Großmächte sich selber beweisen wollten, wie stark sie sind. Erschreckend daran ist nur, daß Washington genauer gesagt die Generale im Pentagon glaub­ten, mit ihrer Hilfe könnten sie Rotchina schwächen. Inzwischen weiß man es besser: Peking hat nicht einen einzigen regulären Sol­daten in diesen Krieg geschickt, da­für aber erbeutete amerikanische Waffen in die Hand bekommen, die es in vereinfachter, aber kaum weniger wirksamer Form nachbau­te.

Alle Seiten haben Lehrgeld zah­len müssen. Ob sie wohl die richti­gen Schlüsse ziehen werden?

Zentrale des Schwarzen Marktes

Reger Handel in unterirdischen Gängen /Saigon, ein Heer von Bettlern

In den Straßen und unterirdischen Gängen von Cholon blüht der Schwarzhandel.

Man trifft sich in derSky-Bar desCaravelle-HoteIs. Die Preise in diesem vollklimatisierten Glas­käfig sind happig.Dafür bekom­men Sie hier fast jede Nacht ein Gratisfeuerwerk zu sehen, meint ein schwedischer Journalist zynisch. Das stimmt, denn fast jede Nacht versuchen amerikanische Hub­schrauber in der Umgebung Sai­gons, Vietkong-Nester außer Ge­fecht zu setzen. Dann fahren Leuchtspurgarben und Raketen wie Blitze zur Erde. Bisweilen wird ein Munitionslager getroffen, das explodiert wie ein Kanonenschlag. Niemand findet etwas Besonderes daran. Man hat sich daran ge­wöhnt.

Die Rue Catinat hat ihr vom französischen Stil geprägtes Gesicht noch am besten gewahrt aber auch sie zeigt schon amerikanischen Ein­fluß. Neben Bistros, die an Paris erinnern, entstanden immer mehr Bars imamerican style mit viel Neonlicht und Musikautomaten. Die Zahl der Fahrradrikschas hat ab-, die der Taxen zugenommen.

Die vielen Amerikaner fallen so­fort auf, auch wenn sie nur selten Uniformen tragen. Seit der Tet-Of­fensive vom letzten Frühjahr be­gegnet man ihnen fast nur in Grup­pen. Sie haben nichts vomsonny boy mehr an sich.

Das Gunstgewerbe blüht in der Stadt am Fluß wie eh und je. Fast

jede der letzten Regierungen ver­suchte es einzudämmen. Meist nicht so sehr aus Gründen der Moral, sondern auf Drängen der Amerika­ner. Fast jedes Mädchen, das auf den Liebesmarkt geht, hat Verbin­dungen zum Vietkong. Und nach etlichen harten Drinks werden die meisten Gis gesprächiger als gut ist. Nachdem alle Verbote nichts genützt hatten, wandte die ameri­kanische Armeeführung einen Trick an: Kein amerikanischer Sol­dat, der Ausgang bekommt, weiß wo er am nächsten Tag eingesetzt wird. Nur so ganz funktioniert dieses System nicht.

Wenn Saigon etwas im Überfluß hat dann sind es die Bettler, allzuoft Kinder, weil die Boys aus dem fernen Lande eine Schwäche für Kinder haben. Jeder Amerikaner wird vor diesem Trick gewarnt: Ein paar Kinder stürzen sich mit 1

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Fast ein alltägliches Bild: ein Im Partisanenkrieg zerstörtes Dorf.

Zeitungen auf ihn. Dann kommt ein größerer Junge dazu, hält die Zeitung dem Amerikaner vors Ge­sicht, es kommt zu einer Keilerei zwischen den Zeitungsboys und ehe der Amerikaner überhaupt weiß, was los ist, sind seine Taschen aus­geplündert. Selbst der Polizist, der nur fünf Meter entfernt stand, hat angeblich nichts gesehen. Er lächelt ebenso höflich wie unergründlich.

Saigon mit seinen etwa zwei Mil­lionen Einwohnern die genaue Zahl kennt niemand ist eine Doppelstadt. In Cholon leben die Armen in Hütten und herunterge­kommenen Mietskasernen. Der Grund, auf dem sie stehen, gehört, was wenig bekannt ist, meistens Chinesen. Sie verdienen selbst an den Armen gut nach der Devise viel wenig gibt viel.

In jenem Viertel sieht jeder etwas anderes. Der eine hält es ganz einfach für einenSlum, der andere für das echte Saigon. Es gibt dortBüros, deren Decken und Wände zusammenzustürzen drohen, deren Besitzer .wie Bettler gekleidet sind und doch Millionen­umsätze machen. Der Schwarze Mark Saigons hat so die Ex­perten seine wichtigsten Stütz­punkte in Cholon. Das gleiche gilt für den Vietkong. Selbst die mili­tanten Buddhisten, deren Rolle oft unterschätzt wurde, operieren sehr oft von Cholon aus, weil sie sich da sicherer fühlen als in Saigon. VomCaravelle-Hotel aus blickt man über die ganze Stadt, auch über Cholon. Kaum einer der Gäste in derSky-Bar des Hotels weiß, wieviel Fäden in jenem Stadtteil gezogen werden. Man hat von der Bar aus einen wunderschö­nen, weltberühmten Blick auf die Stadt der 1 000 Sünden.

Die Kellner hier sind stets ge­genwärtig, lächeln untertänig als bedienten sie Mandarine. Sie schei­nen, was Tischgespräche angeht, taub zu sein. Doch man darf sicher sein: Was sie hören ist binnen kürzester Zeit entweder dem Viet­kong, dem südvietnamesischen oder dem amerikanischen Geheimdienst bekannt. Oft sogar in verschiede­nen Versionen allen dreien.

Ein Diplomat hat die Probe aufs Exempel gemacht, über einem Glas Sekt ein Gerücht erfunden und .es alsInformation seinen Tischge­nossen mitgeteilt. Am nächsten Ta­ge fand er es als Geheiminforma­tion auf seinem Schreibtisch. Nur sein Name fehlte. Dafür hieß es: Wie wir aus zuverlässiger Quelle erfahren.... Auch das ist Saigon.