Seite 2

Politik

Donnerstag, 2. Januar 1969

Eindringlicher Friedensappell Lübkes zum neuen Jahr

Warnung vor militärischem Vakuum in der Bundesrepublik

Bonn (dpa). Bundespräsident Heinrich Lübke hat in seiner letzten Neujahrsanspra­che als Staatsoberhaupt über Funk und Fernsehen die Deutschen aufgerufen, für den Frieden nach innen und außen zu wirken und auch über die bestehenden Trennungen hinaus aneinander festzuhalten. Der Bundespräsident versicherte, die Bundesrepublik werde das Ziel, über allgemeine und kontrollierte Abrüstung sowie durch Abbau der Spannungen in Europa zu dauerhaftem Frieden zu gelangen, mit Zähigkeit verfolgen. Alles politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Geschehen werde am Maßstab des Friedens zu messen sein.

Passierschein-Bilanz 1968

Berlin (AP). Im Jahre 1968 durften 85 678 Westberliner unter Einschaltung der Passierscheinstelle für dringende Familien­angelegenheiten ihre Verwandten in Ostber­lin aus freudigen, zumeist aber traurigen Anlässen besuchen.

Diese sogenannte Härtestelle hat nach An­gaben des Westberliner Senats seit ihrer Einrichtung in der Zeit vom 1. Oktober 1964 bis zum 31. Dezember des abgelaufenen Jah­res 130 973 Passierscheine für 215 626 West­berliner zu Verwandtenbesuchen in Ostber­lin ausgegeben. Abgelehnt wurden in diesem mehr als vierjährigen Zeitraum 14 062 An­träge für 21110 Personen, weil sie nicht die Voraussetzungen für eine Passierscheinge­währung erfüllten. In dem zu Ende gegan­genen Jahr mußten 10 073 Antragssteller auf den gewünschten Besuch in Ostberlin ver­zichten. Ungewöhnlich hoch war die Zahl der Genehmigungen im diesjährigen Weih­nachtsmonat: 10 081 Westberliner erhielten einen Passierschein, während sonst der Mo­natsdurchschnitt bei fünf- bis sechstausend Personen liegt.

85 Fahrten zu Kriegsgräbern

Kassel (AP). Der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge hat für das neue Jahr 85 Gemeinschaftsreisen zu den deutschen Soldatenfriedhöfen im europäischen Ausland und nach Nordafrika angekündigt. Von die­sen Fahrten werden 25 zu den großen deut­schen Soldatenfriedhöfen Lommel und Re- cogne-Bastogne, Ijsselsteyn, Sandweiler und in Flandern führen. 45 Fahrten sind nach Frankreich vorgesehen, zwei nach Italien, fünf nach Norwegen, je eine nach Öster­reich, Rumänien und Jugoslawien. Eine Flugreise soll im Oktober zu den deutschen Soldaten-Friedhöfen in Tunesien und eine Kreuzfahrt mit einem Schiff nach Tobruk, El Alamein und Athen-Kokkinia führen.

Berlin (dpa).Landkarten, die in ihrer Bezeichnung nicht der tatsächlichen staats­rechtlichen Lage in Deutschland entspre­chen, gehören zu den Gegenständen, die nach einer vom 1. Januar an gültigen Ost­berliner Regelung für dengrenzüberschrei­tenden Reiseverkehr nicht in die DDR ein­geführt werden dürfen. Wie aus einer ent­sprechenden Durchführungsbestimmung zum DDR-Zollgesetz hervorgeht, dürfen auch keine Kriegsspielzeuge und pornographi­schen Schriften eingeführt werden.

Vom Importverbot sind unter anderem ferner betroffen Schallplatten, sofern sie nicht daskulturelle Erbe und fortschrittli­che Gegenwartsschaffen betreffen sowie pe­riodisch erscheinende Presse-Erzeugnisse und Literatur, derenEinfuhr .. .den Inter­essen des sozialistischen Staates und seiner Bürger widerspricht.

Die Liste über Gegenstände, deren Aus­fuhr verboten ist, enthält unter anderem Schußwaffen, PersonaMokumente und, Aus-^

Um das sehr beständige Hochdruckgebiet im Südwesten der Britischen Inseln dringen nun atlantische Störungen auf dem Weg über das Nordmeer gegen Mitteleuropa vor. In ihrer Begleitung setzen sich allmählich etwas milde­re Meeresluftmassen im westlichen Mittel­europa durch.

Am Donnerstag überwiegend trüb, noch zeit­weise leichter Niederschlag, der vor allem im Westen des Landes als Regen fällt. Temperatur­anstieg über null Grad. Auch in den Hochla­gen rasche Frostmilderung. Westwinde. Am Freitag weiter leichtere Milderung, wolkig, zeitweise leichter Regen. Mitgeteilt vom Wet­teramt Stuttgart.

Gleichzeitig warnte der Bundespräsident davor, in der Bundesrepublik ein militäri­sches Vakuum entstehen zu lassen. Er sagte, im Schnittpunkt der Interessensphären der Großmächte ein solches Vakuum oderauch nur einen schwachen Punkt des westlichen Bündnisses entstehen zu lassen, würde die Gefahr eines Krieges heraufbeschwören können.

könne den Deutschen auf die Dauer das Recht verweigern, als eine Nation in einem Staat zu leben.

In einer Ansprache zum Jahreswechsel an die Landsleute in aller Welt und die Freunde Deutschlands, über den Kurzwel­lensender Deutsche Welle sagte Lübke, das abgelaufene Jahr habe mit aller Deutlich­

keit gezeigt, daß die Aussichten für eine Entspannung in Europa und zwischen den Großmächten, damit aber auch für die Wiederherstellung der deutschen Einheit zur Zeit noch sehr gering sind.

In einem Neujahrs-Grußwort über die Redaktionsgemeinschaft Übersee dankte das deutsche Staatsoberhaupt allen Lands­leuten für ihre schwere und verantwor­tungsvolle Arbeit im Ausland als Diploma­ten, Journalisten, Wissenschaftler, Techni­ker, Agrar- und Wirtschaftsexperten, Mis­sionare, Ärzte, Krankenpfleger und Lehrer. Besonders würdigte der Bundespräsident den Einsatz der deutschen Entwicklungshel­fer in drei Kontinenten.

Bundespräsident H. Lübke übermittelte Papst Paul VI., dem amerikanischen Präsi­denten Lyndon B. Johnson, dem französi­schen Staatspräsidenten Charles de Gaulle, der britischen Königin Elizabeth II. und dem Vorsitzenden des Präsidiums des Ober­sten Sowjets der UdSSR, Nikolaj Podgorny Glückwünsche zum neuen Jahr. In den Tele­grammen nach Washington, Paris und Lon- doh drückte der Bundespräsident vor allem den Wunsch nach einem Ausbau des freund­schaftlichen Verhältnisses zwischen diesen Ländern und der Bundesrepublik aus.

Wechsel, die Wiedervereinigung Vietnams würde eines Tages von Nord- und Südviet­nam beschlossen werden, falls vorher ein echter Friede garantiert worden sei. Politi­sche Beobachter werteten dies als Hinweis darauf, daß er möglicherweise eines Tages zu allgemeinen Wahlen im ganzen Lande bereit sei. Thieu kündigte an, daß sich Sai­gon im neuen Jahre um die Ablösung eini­ger alliierter Einheiten bemühen werde.

Nordvietnams Staatspräsident Ho Tschi- minh forderte dagegen zu Neujahr die Viet­namesen auf, zu kämpfen, bis die Amerika­ner das Land verlassen unddie Marionet­ten in Saigon stürzen. Sein Ministerpräsi­dent Pham Van Dong äußerte die Zuver­sicht, daß 1969 einJahr des vollständigen Sieges für das vietnamesische Volk sein werde.

In seiner Neujahrsbotschaft sprach der Kreml die Hoffnung aus, daß 1969das Jahr weiterer Siege der Kräfte des Friedens, der Demokratie und des Sozialismus werde. Die Bilanz des vergangenen Jahres, meinten die sowjetischen Führer, hinterlasseim Herzen jedes Sowjetmenschen eine gute Erinne­rung.

Polens Staatsoberhaupt, Marschall Spy- chalski, bekräftigte, daß sein Land alles tun werde, um eine Verminderung der Spannun­gen in Europa und in der gesamten Welt zu erreichen.

In Genf erklärte der Präsident des Inter­nationalen Komitees vom Roten Kreuz, Go- nard, in seiner Neujahrsbotschaft, das Aus­maß des Dramas, das gegenwärtig in Nige- ria-Biafra vor sich gehe, sei so groß, daß die begrenzten Mittel des Roten Kreuzes nicht mehr ausreichten.

Der britische Premierminister Harold Wil­son wies seine Landsleute in seiner Neu­jahrsansprache auf die Möglichkeit hin, daß das Jahr 1969 neue Opfer von ihnen fordern werde. 1969 werdeein Jahr der Herausfor­derung und der Gelegenheit sein.Wenn wir der Herausforderung gewachsen sind, werden wir die Gelegenheit haben, auf dem aufzubauen, was wir alle, Volk und Regie­rung, gemeinsam erreicht haben, sagte Wil­son.

Die Wiener Regierung will im neuen Jahr alle Anstrengungen unternehmen, um die

Kleine Anfrage der FDP

Stuttgart (dpa). Ohne direkte Kritik an mangelnder Unterrichtung der Opposition zu üben, hat der FDP-Landesvorsitzende und Landtagsabgeordnete Dr. Hermann Müller in einer kleinen Anfrage die bisher noch inoffizielle Bestellung eines Staatsse­kretärs im Kultusministerium aufgegriffen. Er möchte wissen,nachdem in der Presse wiederholt vom neuen Staatssekretär im Kultusministerium die Rede war und dieser bereits Erklärungen und Erläuterungen über seine Vorstellungen und seine Arbeit in den Zeitungen abgegeben hat, wann denn die­ser Staatssekretär ernannt wurde.

EWG bringt viele Probleme

Hamburg (dpa). Die künftige Arbeit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft wird nach Ansicht von Bundesernährungsminister Hermann Höcherl eine Fülle von Problemen bringen, die aucheinen an schwere Stürme und schwierige Zeitläufe gewöhnten Men­schen etwas besorgt machen können. In einem Interview des Deutschlandfunks nannte Höcherl als besonders komplizierte Aufgaben die Agrarfinanzierung, die Wein­marktordnung sowie die Marktordnungen für Hopfen und Trinkmilch.

Staaten der Europäischen Wirtschaftsge­meinschaft von der Notwendigkeit eines Ar­rangements mit Österreich zu überzeugen. Diese Absicht bekräftigte Bundeskanzler Klaus in einer Silvesteransprache, in der er auch hervorhob, daß das Hauptziel der Außenpolitik seiner Regierung,die Erhal­tung der Freiheit und Unversehrtheit unse­res Landes, auch 1968 erreicht worden sei.

Der sowjetzonale Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht hat sich in seiner Neujahrs­botschaft an alle Völker, Regierungen und Staatsmänner Europas gewandt, und sie aufgefordert, normale diplomatische Bezie­hungen zur DDR aufzunehmen und im In­teresse der Entspannung die Aufnahme der DDR und der Bundesrepublik in die Verein­ten Nationen zu unterstützen.

Kurz gestreift

Mit dem Beginn des neuen Jahres ist die Wohnraumbewirtschaftung in Westberlin auf­gehoben worden, jedoch erfolgt die Umwand­lung der Stadt zumWeißen Kreis erst in Jahresfrist. Bis dahin gelten Mieterschutz und Mietpreisbindung wie bisher.

Die Gründung einerDeutschen Reformpar­tei hat der auf vielen Hauptversammlungen als Aktionärssprecher auftretende Dortmunder Anlageberater Kurt Fiebich in einem Brief an Bundesinnenminister Benda angekündigt.

Präsident Johnson wird nach Mitteilung sei­nes Pressesekretärs George Christian den Astronauten Borman, Lovell und Anders am 9. Januar in einer Feierstunde im Weißen Haus für ihren erfolgreichen Mondflug die Ver­dienstmedaille der amerikanischen Weltraum­behörde NASA verleihen.

Die vom Militär gestützte brasilianische Re­gierung des Präsidenten Arturo da Costa e Sil­va, die sich am 13. Dezember diktatorische Vollmachten gegeben hat, hat weitere 13 Per­sönlichkeiten politisch kaltgestellt.

Senator Edward Kennedy hat in Washington angekündigt, daß er sich um den Posten des stellvertretenden demokratischen Fraktions­vorsitzenden im Senat bewerben werde. Ge­genwärtig hält Senator Russell B. Long aus Louisiana diesen Posten.

Unter denMännern des Jahres in Frank­reich steht Staatspräsident de Gaulle nur noch auf dem 5. Platz, während er vor einem Jahr noch die 1. Stelle einnahm. Diesen Prestige­schwund ergab eine Umfrage der rechtsgerich­teten Pariser ZeitungAurore, deren Ergeb­nisse das Blatt am Dienstag veröffentlichte.

Die rund 75 000 Hafenarbeitr an der ameri­kanischen Ostseeküste werden auch im neuen Jahr weiter streiken. Der Streik, der am 21. Dezember begann, kostet nach vorläufigen Schätzungen täglich rund 15 Millionen Dollar (60 Millionen Mark).

Zur deutschen Frage betonte Lubke, selbst eine Anerkennung der Teilung Deutschlands würde nichts an der Tatsache ändern, daß im Bereich der Länder des Warschauer Pak­tes nicht das Selbstbestimmungsrecht der Völker, sondernder Wille der Führungs­macht dieses Bündnisses gelte. Bei einer Anerkennung der Teilungwären wir es dann, die Menschen im freien Teil Deutsch­lands, die die gewaltsame Zerreißung unse­res Vaterlandes nicht nur billigen, sondern auch auf unabsehbare Zeit verlängern wür­den, betonte der Bundespräsident.Die Verantwortung dafür können wir nicht auf uns nehmen. Lübke versicherte, niemand

DDR erläßt Einfuhr-Verbot

Kriegsspielzeug und Landkarten dürfen nicht importiert werden

weise, sofern sie nicht für den Grenzüber­tritt notwendig sind. Verboten ist auch die Ausfuhr von Funk- und Sendeanlagen sowie von Kunstgegenständen und Briefmarken. Auch Filme, Maschendraht und Textilien so­wie Kinderschuhe dürfen nicht ausgeführt werden. Bei bestimmten Artikeln ist ledig­lich die Ausfuhr in die Bundesrepublik ver­boten. Dazu gehören unter anderem feuerfe­ste Glaswaren, optische Geräte und luftdicht verschlossene Behältnisse. »

Bürger der DDR dürfen nach der Verord­nung Geschenke im Gesamtwert von hun­dert Mark genehmigungsfrei ausführen. Diese Regelung gilt auch für die Ausfuhr von Geschenken und gekauften Gegenstän­den durch Besucher der DDR. Bei Kurzrei­sen bis zu vier Tagen verringert sich der Gesamtwert auf 20 Mark je Besuchstag. DDR-Rentnern, die aus dem .Westen zurück - kehren, wird bei der Einfuhr von Geschen­ken eine Erhöhung der Freigrenzen bis zu hyndgrf Prozent eipgeräumt. .

Ob die neuen Bestimmungen auch für den Transitverkehr durch die DDR gelten, ist noch unklar.

William Foster zurückgetreten

San Antonio (AP). Der Leiter der ameri­kanischen Rüstungskontroll- und Abrü­stungsbehörde, William C. Foster, der auch die amerikanische Delegation bei den Genfer Abrüstungsverhandlungen leitete, ist nach Mitteilung des Weißen Hauses von seinem Amt zurückgetreten. Der 71jährige, der maßgeblichen Anteil am Zustandekommen des Atomwaffensperrvertrages hat, will sich nach seinem Rücktrittsschreiben seinen lan­ge vernachlässigten Privatangelegenheiten widmen. Foster war 1962 noch von Präsident John F. Kennedy in das Amt berufen wor­den.

Neujahrsbotschaften spiegeln Wunsch nach Frieden wider

Ansprachen von Papst Paul VI. sowie Politikern und Staatsmännern in aller Welt

Hamburg (dpa/AP). Hoffnung auf Frieden im Jahre 1969 und Besorgnis über das Fortbestehen von Krisenherden in aller Welt bestimmten die Botschaften zahlreicher Politiker und Staatsmänner zu Beginn des neuen Jahres. Mit einer Messe für den Weltfrieden begann Papst Paul VI. das neue Jahr. Er beging gleichzeitig mit Mil­lionen von Christen auf der Erde zum zweiten Male den von ihm proklamierten Weltfriedenstag.

In einer Ansprache wandte sich der Papst an die Diplomaten der Regierungen, von de­nen der Frieden abhänge, an die Bürger der modernen Gesellschaft und die Angehörigen der Kirche mit dem Wunsch, daß die Kon­flikte zwischen den Völkern, Nationen, Staa­ten und Organisationen nicht länger durch Anwendung roher Gewalt, sondern durch vernünftige Verfahrensweisen gelöst wür­den, die das Recht, das Interesse und die Ehre der menschlichen Gemeinschaften schützten. Der Papst sprach bei einer Messe für den Frieden in der römischen Kirche Santa Maria in Aracoeli.

Für eine Fortsetzung der Politik der Ent­spannung und der Zusammenarbeit zwi­schen Ost und West als Ablösung des kalten Krieges plädierte der französische Staats­präsident de Gaulle in seiner Silvester­ansprache. Zwar nahm er nicht direkt zur tschechoslowakischen Frage Stellung, nannte aber unter den außenpolitischen Problemen, zu deren Lösung Frankreich beitragen müs­se, den Vietnam-Konflikt sowie dasDrama des Nahen Ostens.

Südvietnams Staatspräsident Nguyen Van Thieu erklärte in seiner Rede zum Jahres-

Johnson-Botschaft an Kiesinger

Bonn (dpa). Der amerikanische Präsident Lyndon B. Johnson hat Bundeskanzler Kie­singer zum Jahreswechsel eine Botschaft übersandt, in der er die Bedeutung einer fortgesetzten Verständigung und Freund­schaft zwischen Bonn und Washington als Pfeiler der westlichen Politik betont. Das Jahr 1968 sei für den Westen ein Jahr schwieriger Herausforderungen gewesen, heißt es in der gestern in Bonn veröffent­lichten Botschaft. Der Westen habe jedoch seine prinzipielle Einigkeit in der Zielset­zung und im Handeln bewahrt. Dazu hätten die Ereignisse im Osten dem Westen vor Augen geführt, daß es nur einen vernünfti­gen Weg gebe: Die Institutionen der Einheit und Zusammenarbeit in Westeuropa und über den Atlantik hinweg zu vervollkomm­nen und gleichzeitig gemeinsam an der Be­seitigung der Hindernisse für einen gesi­cherten Frieden zu wirken.

FEUILLETON:

Ein Schiffbruch menschlicher Vernunft

Deutsche Erstaufführung von Shakespeare / DürrenmattsKönig Johann

Für das Düsseldorfer Schauspielhaus er­brachten die letzten Tage des alten Jahres noch ein überraschendes Ereignis: die deut­sche Erstaufführung von Friedrich Dürren­mattsKönig Johann, denkwürdig aus der Doppelperspektive eines brillanten Werkes und einer bewunderungswerten Aufführung.

Dürrenmatt nennt sein Stück eineBear­beitung des frühen Shakespeare-Dramas König Johann. Er führt uns weit in die englische Geschichte, in die Wende des 12. und 13. Jahrhunderts zurück, in eine Zeit völliger politischer Ohnmacht.Johann ohne Land, ein glückloser Usurpator, hat die Le­gitimität verletzt und kann sie nur durch Anhäufung immer neuer Schuld durchset­zen. Der Egoismus der Großen führt zu einer Politik, die Ungeheures und Maßloses an die Oberfläche schwemmt.

Dürrenmatt treibt seine Spielkonzeption bis auf die überaus interessante Grenze vor, wo Shakespeare optisch und akustisch noch wahrnehmbar ist, die Umwandlung in ein neues Stück aber schon stattgefunden hat. Die historische Vorlage ist erfüllt vom Miß­brauch der Macht. Bei Shakespeare rollt das wie ein elementarer Gewittersturm ab. Dür­renmatt ist an diesem Thema viel akuter 'engagiert. Indem er die Weiche auf seine Geleise umstellte, veränderten sich unter seinen Händen auch die Charaktere der Hel­den. Sein Ziel war, die dialektische Spiel­führung klarer und durchsichtiger zu ma­chen, die entscheidenden Stellen satirisch zu schärfen, die komplizierte Handlung zu durchforsten, um zu einer kürzeren, zeitlich überzeugenderen und eleganteren Endlösung zu gelangen. Das riskante Unternehmen glückte erstaunlich gut. Die Kirche, vertre­ten durch den Kardinal von Mailand, wird in ihrem politischen Komplott vom Autor besonders heftig angegriffen. Eine moderne Figur ist aus dem Bastard Faulconbridge geworden. Er steht nicht mehr als englischer Patriot sondern als Verfechter menschlicher Vernunft vor uns, mit der er in dieser

kranken Zeit den kläglichsten Schiffbruch erleidet.

Die Düsseldorfer Aufführung traf genau den Kern. Den Akzent setzten als Regisseur und Bühnenbildner die Prager Gäste Jaros- iav Dudek und Zbynek Kolar. Klarheit paarte sich mit schauspielerischem Glanz. Silberbleche, die auch im Schlachtenlärm widertönten, verliehen den Königsräumen Pracht. Ausgezeichnet im Aussehen und im Zusammenspiel die beiden blutdürstigen Könige. Grausam und verschlagen, aber nicht ohne geistiges Format, der Johann von Günther Malzacher, eine noch im Absturz

Ludwig ThomasMoral erscheint gleich­zeitig auf den Spielplänen mehrerer großer Bühnen. Im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg soll sie die arg ramponierten Kas­sen auffüllen, in München brachte sie Bert Ledwoch, der dort im Oktober mit Goldonis Die Herren im Haus debütierte, im Resi­denztheater, wo sie der Hausherr Helmut Henrichs 1960 inszeniert hatte. Ledwoch konnte als Nichtbayer diese Inszenierung wagen, da das Stück in dem Polizeischreiber Josef Reisacher nur eine Dialektrolle hat, die Beppo Brem natürlichmundartgerecht brachte.

Ludwig Thoma hat pikanterweise diese Satire wider die Heuchelei der Mitglieder eines Sittlichkeitsvereins geschrieben, als er 1906 in Stadelheim sechs Wochen wegen der Beleidigung von Vertretern der Sittlich­keitsvereine abzusitzen hatte. Bert Ledwoch ließ das Stück in den Bühnenbildern von Elisabeth Urbancic sehr richtig aus seiner Entstehungszeit heraus spielen, also in Ju­gendstil und überladener bürgerlicherBe­haglichkeit. Ludwig ThomasMoral ent­hüllte und traf dennoch. Denn so lange

imponierende Gestalt. Genießerischer, tem­peramentvoller, feister, aber in der Perfidie von gleichem Schrot Hans Wyprächtigers König Philipp. Den Bastard holte sich Stroux vom Wiener Burgtheater. Heinz Trixner spielte ihn als jugendlichen Helden, eindrücklich, männlich und kraftvoll. Eine böse Kabinettstudie bot Valter Taub als Kardinal. Mit Zdenka Prochazkova als Kö­nigin Eleonore und dem Komponisten La- dislav Simon sind in diesem Stück allein fünf Tschechen beschäftigt. Nur eine Figur störte durch ein Zuviel an Lächerlichkeit den disziplinierten Spielablauf. Den Schau­spieler Richard Elias, der als Herzog Leo­pold von Österreich in diese mordlüsterne Manege mit leichtem Wiener Tonfall eigene Farbe hineintrug, trifft keine Schuld. Wenn schon der Schweizer Autor den Herzog von Österreich nicht mag, hätte die Regie korri­gierend streichen müssen. Lg

Menschen leben, wird es Heuchelei geben, werden gerade die, die öffentlich am laute­sten gegen dieUnmoral wettern, heimlich deren eifrigste Kunden sein. Die Hiebe sa­ßen deshalb so gut, weil die Voraussetzun­gen dafür genau gezeichnet waren. Die menschliche Natur aber wird immer die gleiche bleiben, trotz aller falschen und ech­ten Sittenprediger. Das ist nicht nur amü­sant, sondern für den, der ein bißchen Hu­mor hat, sogar tröstlich.

Max Mairich hat den Rentier Fritz Beer­mann, der sich als konservativ-liberaler Reichstagskandidat aufstellen und zum Prä­sidenten des Sittlichkeitsvereins seiner Hei­matstadt Emilsburg wählen läßt, dennoch einer der häufigsten Besucher derPriva­ten Ninon de Hauteville ist, schon mehr­fach und in verschiedenen Inszenierungen gespielt. Er stattete die Figur wieder mit vielen kleinen Einzelzügen aus und genoß es sehr, als der gute Beermann wieder Ober­wasser bekam. Auch Horst Sachtleben er­hielt als der übereifrige Polizeiassessor Stro­bel besonders starken Beifall, obwohl er nicht ganz der hier naheliegenden Gefahr

entging, zu forcieren, zu übertreiben. Im­merhin konnten sich die beiden Darsteller gegen so starke Persönlichkeiten wie Erich Ponto und Paul Hoffmann in diesen Rollen in der Erinnerung des Referenten behaup­ten. Elvira Schalcher spielte die Ninon de Hauteville zu direkt aus, ließ es zu wenig um sie flirren. Die unverbogenen Menschen dieses Stückes: Beermanns Frau, diefrei­geistige Frau Lund und der lebenskluge Justizrat Hauser wurden von Eva Vaitl, Anne Kersten und Heinz Leo Fischer klar und sauber gezeichnet. Vergnügter Beifall für ein Stück, dessen sicheren dramaturgi­schen Bau man genoß. Hermann Dannecker

Deutsches Bühnenjahrbuch

DasDeutsche Bühnenj ahrbuch 1969 ist pünktlich zum Jahreswechsel erschienen. Das Werk, das seit 80 Jahren erscheint, wird bei der Genossenschaft deutscher Bühnenan­gehörigen in Hamburg herausgebracht. Es enthält Daten über Größe, Ausstattung, Lei­tung und Ensembles der Bühnen in Deutsch­land (mit Ausnahme der nicht zu beschaf­fenden Ensemble-Angaben aus der DDR), Österreich und der deutschsprachigen Schweiz sowie über deutsche Theater im fremdsprachigen Ausland, ferner Angaben über Uraufführungen des vergangenen Jah­res, Gedenktage und Jubiläen, über Organi­sationen der Bühnenangehörigen, über Aus­bildungsstätten, Bühnenverleger, Film- und Fernsehproduzenten. Auch die Rundfunkan­stalten des deutschen Sprachgebiets sind verzeichnet. (dpa)

Stuttgarter Philharmoniker debütierten in Berlin

Zum ersten Male in Berlin gastierten am Sonntag die Stuttgarter Philharmoniker un­ter ihrem Chefdirigenten Alexander Paul­müller in einer zum Jahreswechsel vom Berliner Volkschor veranstalteten Auffüh­rung der Neunten Symphonie von Beetho­ven, die am Montag wiederholt wird. Beide Aufführungen stehen unter der Schirmherr­schaft des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Klaus Schütz. Das von Gert Seil ein­studierte Vokalensemble war um die Chor­

gemeinschaft der Berliner Verkehrsbetriebe und den Sonari-Chor verstärkt. Dank der guten Leistungen von Chor und Orchester sowie des aus Lieselotte Rebmann, Hetty Plümacher, Manfred Schmidt und Rudolf Gniffke bestehenden Solistenquartetts kam unter der konzentrierten Stabführung Paul­müllers eine würdige Aufführung zustande, auf die die gutbesuchte Philharmonie mit starkem Beifall reagierte.

Kulturnachrichten

Zum 80. Geburtstag von Gerhard Mareks, der in Fachkreisen als bedeu­tendster lebender deutscher Bildhauer gilt, zeigt die Bonner Galerie Wünsche ab 19. Ja­nuar eine Ausstellung von bisher nicht ver­öffentlichten Zeichnungen.

Der Kölner Operndirektor I s t v a n K e r t e s z wird sich auf ärztliches Anraten einer mehrmonatigen gründlichen Kur un­terziehen. Der Generalmusikdirektor des Kölner Opernhauses war in der Weihnachts­woche bei einer Aufführung desDon Gio­vanni am Pult zusammengebrochen.

Einen umfassenden Überblick über das Werk des Malers Eduard Barg- heer gibt die Freiburger Galerie Kröner. Die Ausstellung enthält 145 Gemälde, Aqua­relle und graphische Blätter von 1935 bis 1968. Die Ausstellung wird bis zum 31. Ja­nuar 1969 gezeigt.

Die rund 12 000 Prozeßakten des Reichskammergerichts aus der Zeit von 1495 bis 1806, die in den nordrhein-westfälischen Staatsarchivenschlummern, werden jetzt veröffentlicht.

Einen Film über den römischen Kaiser Diokletian (284 bis 305 n. Chr.) will der italienische Dokumentarfilmregisseur Cesare Lancia drehen.

Die Lithografien des franzöischen Malers Henri de Toulouse-Lautrec zu dem BuchAu pied du Sinai von Georges B. C. Clemenceau sind in dem Hamburger Kunst- und Buchantiquariat Dr. Emst L. Hauswedell für 10 000 Mark versteigert wor­den.

Vergnüglich enthüllende Moral

Ludwig Thomas Satire in einer Neuinszenierung des Münchner Residenztheaters