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Nr. 390 Gegründet 1827 Samstag, den 21. Dezember 1028 Fernsprecher Nr. 2 g 103. Jahrgang
Krise NmerftMmß, jWder« SAldkitilWS
Die politische Lage, die am Donnerstag nach den von Regierungsseite gegebenen optimistischen Berichten über die Kreditverhandlungen mit einem amerikanischen Bankhaus ein recht freundliches Gesicht gegeigt hatte, hat mit einem Schlag wieder eine Entwicklung zur Krise genommen. Der äußere Anlaß zu dieser überraschenden Wendung bildete die Nachricht von dem endgültigen Scheitern der Verhandlungen, die der Röichssinanz- minister und der Staatssekretär Dr. Popitz unmittelbar mit der Neuyorker Bank Dillon, Read u. Co. wegen des „Usberbrückungskredits" geführt hatten. Reichsbankpräsident Dr. Schacht hatte gleichzeitig mit dem Neuyorker Bankhaus Morgan u. Co. verhandelt, das bisher ein starker Geldgeber für Frankreich war. Dieses Bankhaus wollte Dr. Schacht nunmehr auch für Kreditgeschäfte mit dem Deutschen Reich heranziehen, was vom finanziellen wie namentlich vom politischen Standpunkt aus nur hätte erwünscht sein können. Das Reichsfinanzministerium hat seine Absicht durchkreuzt, ist nun aber zwischen zwei Stühlen nisdergesesssn, da Dillon, Read u. Co. das An- l.thegeschäft nicht ohne Empfehlung des Reichsbankpräsiden- t.n abschließen wollte. Die Absage hat im Kabinett eine ungewöhnliche Bestürzung und Verwirrung hervorgerufen, i Man spracb von der Kaltstellung Hilferdings und Popitz', ckdcr bei keiner Partei scheint sich jemand gezeigt zu haben, «er bereit wäre, unter den gegebenen Verhältnissen die ^Erbschaft der beiden anzntreken. Da sich inzwischen durch ^das Entgegenkommen Schachts gewisse Aussichten auf einen inländischenKredit eröffneten, Keß das Kabinett den bereits erwogenen Gedanken des Gesamtrücktritts lallen. Aber auch dieser Kredit wird dem Reich nur zufallen, wenn die voraussichtlichen Geldgeber die Gewißheit dafür erhalten, daß mit der bisherigen Schuldenwirlfchaft des Reiches ein Ende gemacht werden wird. Dem Reichs- kabinett blieb nach den Verhandlungen mit den Frakttons- führern kein anderer Ausweg, als sich der Bedingung Schachts zu fügen, auf dem Weg der Gesetzgebung einen Tilgungsfonds von 450 Millionen Mark sicherzustellen, die zur Abdeckung der auf dem Reich lastenden schwebenden Schulden verwendet werden sollen.
Durch diesen Beschluß des Reichskabinetts ist das Ainanz- vrogramm der Regierung, abgesehen von den beide« Gesehen de» Sofortprogramm», hinfällig geworden. Für die Wirtschaft bedeutet dieser Beschluß einen unerwartet schweren Scklaa. da nunmebr auch alle Steuerienkunaen.
Neueste Nachrichten
Die Gehaltszahlungen des Reichs sichergesiellk
Berlin, 20. Dez. Infolge der Verständigung mit dem Reichsbankpräsidenten wird die Reichskasse nach halbamtlicher Mitteilung in der Lage sein, die Ende Dezember fälligen Gehalts- und andere Zahlungen zu leisten.
Die Stellung der Reichsbahnbeamten
Berlin, 20. Dez. Im Beamtenauschuß. des Reichstags wurde heute eine von allen im Ausschuß vertretenen Parteien mit Ausnahme der Kommunisten gemeinsam einge- brachte Entschließung angenommen, in der die Reichs- regierung ersucht wird, bei der bevorstehenden Aenderung der Reichsbahngesetze darauf hinzuwirke», die Reichsbalmbeamten in ihren Rechts-, Dienst- und Besoldungsverhält-
nissen denen der Reichsbeamten gleichzustellen, Streitfragen beamtenrechtlicher Art durch die Reichsregierung entscheiden zu lassen, die Zahl der leitenden Beamten bei der Reichsbahn auf die Vorstandsmitglieder zu beschränken, das System der Leistungszulagen zu beseitigen, die Vorschriften der Gewerbeordnung in vollem Umfang aus die Reichsbahn und ihre Betriebe anzuwenden sowie den Einfluß der Reichsregierung aus die Reichsbahn zu verstärken.
Persönliche hafkbarmachung der Gemeindevertrcker
Berlin, 20. Dez. Auf Anträge der kommunistischen Stadtverordneten im Rathaus bezüglich Weihnachtsbei- hilfenfürUnterstützungsempfängerderAr- beitslose »Versicherung erklärte Bürgermeister Scholtz, es könne nicht mehr so weiter gehen, daß die Stadtverordneten immerfort Ausgabenanträge stellen und beschließen, ohne sich darum zu kümmern, woher das Geld komme. Die Mittel, die die Stadt durch die Erhöhung der Tarife voraussichtlich mehr einnehme, seien nicht dazu da, um sofort wieder verschleudert zu werden, sondern um die neue Anleihe zurückzuzaylen. Der Oberpräsident habe angedroht, den Bürgermeister und die Stadtverordneten und Stadträte persönlich dafür verantwortlich zu machen und zu bestrafen, wenn diese Gelder zu einem anderen als dem vorgeschriebenen Zweck verwendet würden, außerdem werde die Stadtverwaltung unter die Aufsicht eines Staatskommissars gestellt werden
die das Gesamtprogramm enthielt, nach dem augenblicklichen i Stand der Dinge hinfällig geworden sind. Aber nur durch i diesen Verzicht konnten die Sicherungen erreicht werden, die i nach dem Votum des Reichsbankpräsidenten auch für einen ! inländischen Kredit geschaffen werden müssen. Unklar war ! zunächst noch die Frage, welcher Weg beschritten werden ' solle, um schon jetzt parlamentarische Bindungen für diese I Garantien zu schaffen. Der Gedanke, in einer Entschließung ! die Reichsregierung aufzufordern, ein neues Programm mit einem Ertrag von 450 Millionen Mark vorzvlegen, wurde wieder fallengelassen, da eine Entschließung, die doch nur eine Aufforderung an die Regierung hätte enthalten können, auch in parlamentarischen Kreisen nicht als ausreichende Sicherung angesehen wurde. Man beschloß, in allerkürzester Frist einen Initiativantrag der Regierungsparteien einzubringen. der aus dem Gesamtprogramm der Reichsregierung lediglich den Pirnkk 14, die Schuldentilgung, verwirklicht, indem er in der Form von Ausgabensenkung oder neuen Steuern oder ln einer Verbindung beider Möglichkeiten einen Ertrag von 450 Millionen Mark sicherstem.
In den Beratungen des Kabinetts mit den Fraktions- fiihrern ist wieder der Gedanke aufgetaucht, in noch stärkerem Maß als es in dem bisherigen Finanzprogramm vorgesehen war, die Bierslener zur Füllung des Tilgungsfonds mit heranzuziehen. Es stehen ja noch andere Steuererhöhungen zur Erörterung, aber sie müßten von irgendeiner Stelle einmal zum Antrag erhoben werden. An eine Erweiterung des Sofortprogramms ist angesichts der noch zur Verfügung stehenden kurzen Zeit nicht mehr zu denken.
Der in Aussicht genomm-me Gesetzentwurf auf Schaffung des Tilgungsfonds ist inzwischen im Reichstag eingebracht worden. Sein Wortlaut ist folgender:
Der Reichstag wolle beschließen, folgendem Gesetzentwurf die verfassungsmäßige Zustimmung zu erteilen: Gesetz zur außerordentlichen Tilgung der schwebenden Reichsschuld. Bei der Aufstellung eines Nachtrags zum Haushaltplan 1929 und des Haushaltplans 1930 ist ein ^Tilgungsfonds zur Abdeckung der schweben- i den Schuld des Deutschen Reichs einzustellen, der spätestens bis Ende des Rechnungsjahres 1930 den Betrag von 480 Millionen zu erreichen hat. Der Fonds ist aus Steuern und aus Einsparungen bei den Ausgaben zu bestreiten.
Beauftragte der Parteien und des Kabinetts begaben sick sofort zum Reichsbankpräsidenten, um mit ihm noch ! über Einzelheiten des Initiativantrags zu verhandeln.
Die Berliner Weihuachksbeihilfe
Berlin, 20. Dez. Trotz der Erklärung des Bürgermeisters Scholtz, daß kein Geld für die von verschiedenen Parteien beantragte Winterbeihilfe für Unterstützungsempfänger vorhanden sei, nahm die Berliner Stadtverordnetenversammlung den Antrag an und bewilligte 5)L Millionen Mark für Weihnachtsbeihilfen.
Politische Bluttat aufgeklärt. — Drei Kommunisten verhaftet
Berlin, 20. Dez. Die politische Polizei hat den Mord an dem Arbeiter Hesse, der im vergangenen Monat in der Frankfurter Allee von Angehörigen der kommunistischen Partei verübt wurde, aufgeklärt. Hesse ist versehentlich von den Kommunisten für einen nationalsozialistischen Führer, mit dem die Kommunisten kurze Zeit vorher einen Zusammenstoß halten, gehalten worden. S>e fielen über ihn her und er stachen ihn'
Regierungsbildung in Thüringen
Weimar, 29. Dez. Heute vormittag traten die fünf über die Regierungsbildung verhandelnden Parteien iLandvolk, Nationalsozialisten, Wirtschaftspartei, Deutsche Bolk-partei und Deutschnationale) zusammen. Nach der Sitzung wurde eine Erklärung ausgegeben, in der es heißt, daß die Parteien sich auf eine Regierung einigen werden, deren Zusammensetzung Gewähr dafür biete, daß sie auf fester Grundlage ruhe. Der Landtag werde am 17. Januar zusammentreten.
Landvolkpartei, Wirtschaftspartei und Nationalsozialisten werden dieMinister stellen, während die Deutsche Volkspartei und die Deutschnationalen Staatsräte in die Regierung entsenden werden.
Lärm im Dresdener Rathaus
Dresden, 20. Dez. Bei der Beratung eines kommunistischen Antrags über einen Weihnachtsbeitrag für Arbeitslose kam es in der Stadtverordnetenversammlung zu solchem Lärm, daß die ganze kommunistische Fraktion mit Hilfe der Polizei aus dem Saal gewiesen und die Tribüne geräumt wurde. Mit 37 gegen 23 Stimmen wuroe sodann ein sozialdemokratischer Antrag angenommen, eine Unterstützung von 100 000 Mark zu gewähren, obgleich Oberbürgermeister Dr. Blüher darauf hingewiefen hatte, daß im Stadthaushalt cn Fehlbetrag von über 10 Millionen bestehe.
Tayessviegel
Abg. Rakh-Lusinau erklärt die Pressenachrichl, daß Verhandlungen über den Linkrill der D. Pp. in die Regierung und seine Ernennung zum Wirkschaftsminister stattgesuu- den hätten, für eine Erfindung.
In der Reichs bank verhandelte am Freitag Dr. Schacht mit Vertreter» verschiedener Privatbanken über einen Kredit an das Reich .
Der österreichische Nalionalrak hat die Preffeqesetzvorlage in dritter Lesung angenommen. Durch das Gesetz wird die b-sherige fast unbeschränkte Pressefreiheit wesentlich beschnitten.
Der Prinz von Wales hat am Freitag das Beglaubigungsschreiben des neuen ruffischen Botschafters in London, Sokolnikow» enkgegeugeaommen.
Deutschland wieder das Schreckgespenst
London. 20. Dez. In den vertraulichen Vorbesprechungen zur Flottenkonferenz, die gegenwärtig zwischen den Mächten gepflogen werden, wurde die Frage der deutschen Flotte aufgeworfen. Frankreich hat es während der Verhandlungen sertiggebracht, die deutsche Kriegsflotte als eine „Gefahr für seine Sicherheit" hinzustellen, um seine Ablehnung des italienischen Wunsches nach Gleichheit mit der französischen Kriegsflotte zu begründen. Die Form, in der dies geschcl>en ist, läßt keinen Zweifel darüber, daß die Franzosen auf der Konferenz die winzige deutsche Flotte zur Verschleierung ihres eigenen Rüstungseifers benutzen wollen.
Snowdens «Berichtigung"
^ i», 20. Dez. Gegenüber der „Berichtigung" in Lon- d- r Blättern, Snowden habe keine „Sanktionen" gegen Deutschland verlangt, erklärt Pertinax lm „Echo de Parts", der halte seine Behauung durchaus fest. Bei den Vorbesprechungen zur zweiten Haager Konferenz in Paris haben die amtlichen englischen Vertreter namens des Schatzkanzler» Snowden vorgeschlagen, in den Noungplan Bestimmungen über Zwangs- und Strafmaßnahmen gegen Deutschland aufzunehmen.
Württemberg
Handel und Steuerreform
Stuttgart» 20. Dez. Die Bezirksgruppe Württemberg des Reichsoerbands des Deutschen Groß- und Ueberseehandel» E. V. und die Arbeitsgemeinschaft des Württ. Einzelhandels haben zur Finanz- und Steuerreform eine Entschließung gefaßt, worin es u. a. heißt: Das Finanzprogramm der Reichsregierung hat eine schwere Enttäuschung gebracht, weil es die erwartete steuerliche Entlastung völlig unzureichend und überdies nicht sofort, sondern nur auf Jahre verteilt eintreten lasten will. Bringt doch das Sofortprogramm nicht nur keine Erleichterungen, sondern neue Belastungen, ohne gleichzeitig Steuererleichterungen auf anderen Gebieten eintreten zu lassen. Voraussetzung jeder Sanierung der Reichsfinanzen ist, daß mit eiserner Energie an die Streichung von Ausgabeposten in den Etats des Reichs, der Länder und Gemeinden herangegangen wird. Man muß endlich einmal einsehen, daß ein Staat, dem die Steuermittel immer schwerer zufließen, seine Ausgaben nicht noch dem Aufkommen vergangener besserer Zeiten bemessen kann, sondern sich nach den augenblicklichen Verhältnissen einrichten muß. Diese Erkenntnis und ihre Umsetzung in die Tat mit ernstem Willen wäre wichtiger als die Versuche, lediglich auf dem Wege einer strukturellen Aenderung des Steuersystems die Belastung zu verlagern. Allerdings muß als eine der wichtigsten Forderungen auch dem Gesichtspunkt Rechnung getragen werden, daß das ganzeVolkin allen seinen Teilen, und insbesondere auch diejenigen Kreise, die in den Gemeinden die Urheber der Ausgaben st eigerung sind, an der dadurch notwendigen Steuererhöhung beteiligt werden. Dieses Ziel wird nicht nur durch eine starke Heranziehung der Steuern aus den entbehrlichen Verbrauch als Ersatz für die Ausfälle aus dem Gebiet der direkten Besteuerung erreicht werden können, lonvern m erster Linie durch Schaffung einer teilweise an Stelle der Gewerbesteuer tretenden Abgabe, die jeden einzelnen Wahlberechtigten trifft, und deren Bezahlung und Höhe dem Bürger vor Augen führt, daß er selbst für das Maß der Ausgaben des Gemeinwesens mit verantwortlich ist.
Regierungserweikerung. Wie die Württemberger Zci- turiH erfahrt, soll in Verbindung mit der Erweiterung der Ag'erung durch Anschluß der Deutschen Volkspartei der
^ Lustnau, Wirtschaftsminister werden. Eme Bestätigung der Nachricht war bisher nicht zu erhalten. Im Staatsministerium wurde erklärt, daß dort von der Angelegenheit nichts bekannt sei