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Nagolder Tagblatt „Der Gesellschafter"
Pfarrers Dr. Sting zum Opfer fielen. Das Urteil lautete an Stelle einer an sich verwirkten Gefängnisstrafe von zwei Monaten auf eine Geldstrafe von 1200 Mark.
Was die Einkommensieuerstatistik sagt. Nach der Ein- kommensteuerstatistiek haten von 23,25 Millionen Lohn- und Gehaltsempfänger im Jahr 1926 keinerlei steuerpflichtiges Einkommen 10,38 Millionen, die demnach nur 1200 RM und darunter jährlich verdienten. 0,36 Millionen waren infolge der Familienermäßigungen ebenfalls steuerfrei. Sie verdienten im Durchschnitt 1877 RM. Die verbleibenden steuerzahlenden 12,49 Millionen hatten ein Gesamteinkommen von 25,06 Milliarden RM. Also ein Durchschnittseinkommen von 2006 RM. Nur 168 000 Gehaltsempfänger heben sich ans dieser Sicht heraus, die ein Jahreseinkommen von über 8000 Mark beziehen und daher neben dem Lohnabzug noch der Einkommensteuerveranlagung unterliegen. Die 3,76 Millionen veranlagten Steuerpflichigen gaben ein Einkommen von 12,6 Milliarden RM. an- 45,61 Prozent der Beranlagten verdienten bis 1500 RM. 29,18 bis 3000 RM jährlich. Insgesamt blieben 91,81 Prozent unter 8000 RM. Einkommen, nur 7,84 Proz. verdienten zwischen 8000 bis 15000 RM und 0,35 hatten ein Einkommen von über 50 000 RM jährlich.
Aus dem Lande
Vaihingen a. E„ 8. Dez. Zur Warnung. Diesen Sommer kam ein Photograph aus Esten zu einer hiesigen Witwe. Er wollte eine Vergrößerung des Bilds ihres Mannes Herstellen. Die Frau lehnte bestimmt ab. Sie brauche nichts zu zahlen, er wolle ihr das Bild nur zum Ansehen zusenden. Auch das wurde abgelehnt. Aber der Mann ist zäh. Er steckt ohne Erlaubnis die Photographie des Mannes ein. Nur ihre Adresse sollte die Witwe auf einen Zettel schreiben. Das tat sie, merkte aber nicht, daß sie auf dem Zettel eine Bestellung unterschrieben hatte, weil sie große Eile hakte und fort mußte. Einige Wochen nachher zieht ein älterer Mann 5 Mark ein- Wenn sie nicht zahle, müsse sie in Essen vors Gericht: sie habe unterschrieben. So werden die 5 Mark bezahlt. Einige Wochen nachher kommt das vergrößerte Bild, völlig wertlos, unerkennbar. Schund — aber es kostet 12 Mark Nachnahme.
Eßlingen, 8. Dez. Streit um das Oberbürgermei st e r g e h a l t. In der letzten Gemeinderatssitzung gab es recht unerquickliche Auseinandersetzungen über das Gehalt des neugewählten Oberbürgermeisters Dr. Langvon Langen, bisher in Schwenningen. Die Stadtvorstandsstelle war ausgeschrieben nach Gruppe C 3 der Gehaltsordnung (14 000 Mk.j. Wohnunasaeld 1368 Mk. sowie eine
angemessene Aufwandsentschädigung, nach Ansicht des Gemeinderats 10 v. H. oder 1400 Mk. Führt der neue Stadtvorstand einen eigenen Haushalt, dann beträgt das Wohn- nungsgeld 1728 Mk. Zunächst hatte Dr. Lang v. Langen eine dem Ministerium vorzulegende Erklärung über die Annahme der Wahl eingereicht unter der Voraussicht, daß „einige Wünsche berücksichtigt" würden. Diese Wünsche teilte er später mit. Er will nämlich 22000 Mk., wie er sie in Schwenningen hatte, also 5000 Mk. mehr als der Gemeinderat geben will, und die Bürgschaft für einen Bankkredit von 10 000 Mk. zur Bestreitung seiner Unkosten für die Wahl. Der Gemeinderat lehnte eine Erhöhung der Aufwandsentschädigung ab. Die übrigen Bezüge sind gesetzlich geregelt. Die Uebernahme der Bürgschaft wurde ebenfalls abgelehnt. Der Vorfall wirft zum voraus einen Schatten auf ein gedeihliches Zusammenarbeiten von Stadtvorstand und Gemeinderat. Die „Eßlinger Zeitung" bemerkt: Die große Wählerschaft, die Dr. Lang von Langen ihre Stimme gegeben hat, hat wahrscheinlich eine bedingungslose, freudige Annahme der Wahl erwartet und nicht geglaubt, daß es noch irgendwelche Anstände geben würde
Oberndorf. 8. Dez. Der neue Oberamtsarzt. Dr. med. Schwarz, Assistenzarzt beim leitenden Polizeiarzt in Stuttgart, wurde zum vollbesoldeten Oberamtsarzt für den Oberamtsarztbezirk Oberndorf—Sulz mit dem Sitz in Oberndorf ernannt.
Gmünd, 8. Dez. Ehrenpate Hindenburg. Der Reichspräsident von Hindenburg hat bei dem jüngsten Sohne des Fabrikanten Robert Grimminger hier, der auf den Namen Paul getauft werden wird, die Ehrenpatenschaft übernommen.
Ravensburg, 8. Dez. Schwerer Diebstahl. Dem Geschäftsführer des Hamburger Kaffeelagers wurde in seiner Wohnung die Summe von 1500 Mk. gestohlen. Als Diebe konnten drei junge Menschen, die bei einer hiesigen Firma beschäftigt sind, verhaftet werden.
Reutlingen, 8. Dez. Eine Warnung an die Gemeinderäte. In der letzten Gemeinderatssitzung richtete sich Oberbürgermeister Dr. Haller erneut an die Gemeinderatsmitglieder, die Beratungen in den nichtöffentlichen Sitzungen als streng vertraulich zu behandeln. Sollten wieder Fälle von Indiskretionen Vorkommen, so würde er es für seine Pflicht halten, mit den schärfsten Disziplinarstrafen vorzugehen.
Ehrenstein OA. Ulm, 8. Dez. Petri Heil. Im Blau- Wasser Ehrenstein hat Notar Käßbohrer Ulm einen Hecht mit einem Gewicht von 14 Pfund und Fabrikant Hümmes einen solchen mit 7)4 Pfund geangelt.
Aus Stadt und Land
Nagold, den 9. Dezember 1929.
Das Peinlichste am körperlichen Schmerze ist das Unkörperliche, nämlich unsere Ungeduld und unsere Täuschung, daß er immer währe. Jean Paul.
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Zum Ende der ersten Dezemberwoche
Wiederum sind wir eine Woche dem Christfest näher gerückt, die Kinder fangen schon an, die Tage zu zählen und ihre Gedanken kreisen um die Erfüllung ihrer Wünsche, ein seliges Raunen und Klingen geht von Mund zu Mund über den Nikolaus, der am Donnerstag oder Freitag seinen Besuch machte und als gütiger oder grimmiger Geselle mehr oder weniger seinen Zweck erfüllte, oder über das Christkind, das als gütiger Engel noch sehnlichst herbeigewünscht wird. Heimlich und ver- stohlenfind am Abend die Mutter, die tagsüber schon mit ihrer Weihnachtsbäckerei beschäftigt ist, und der Vater zugange, in des Christkindswerkstatt zu arbeiten u. die eige- nenGedanken fliehen sehnsüchtig zurück in das selige eigene Kinderland. Und führt uns unser Weg durch die Strassen der Stadt, so bemerken wir auch hier das nahende Weihnachtsfest an den Tannenreisern und der geschmückten Christbäumchen in den Schaufenstern, sehen in verlok- kenden Auslagen ein reiches großstadtgleiches Angebot der heimischen Geschäftswelt und an den Scheiben der Spielwarenläden drücken sich unsere Kleinen schier ihre Näschen platt. Trotz allem will es im Menschenherz Heuer garnicht so richtig weihnachtlich werden. Einmal mag es von der wirtschaftlichen Notlage so vieler kommen, zum andern trägt aber auch das Frühlingswetter, das uns der „Nebelmond" bisher bescherte, dazu bei. Allein das rotbraune Laub auf den Waldwegen oder der fehlende Finkenschlag und die Stille der übrigen Vogelwelt ließen uns gestern bei dem herrlichen warmen Sonnenschein den Frühlingstag verneinen. Sonnengold lag über dem heimatlichen Tal und lockte zu Spaziergängen auf trockenen Waldpfaden und gangbaren Straßen. Weihnachtlicher schon mutet der Sturm an, der bereits an verschiedenen Abenden durch das Land braust, an den alten Dächern rüttelt, daß die lockeren Schindeln den Weg zur Erde finden, die Hohen Tannen unter seiner Peitsche ächzen und stöhnen und Papierfetzen miteinander Fangball spielen und schließlich der alte eingerostete Wetterhahn krächzt: „Soll ich denn keine Ruhe mehr haben" und in sich hinein knurrt: „Ich glaube, es gibt bald anderes Wetter und der Winter kann nicht mehr weit sein". Er muß es ja wißen, denn er macht schon länger als wir heute lebenden Menschen den alljährlichen Sturmrummel mit. Und dort aus dem Fenster klingt von noch ungeübter Kinderhand gespielt das Hoffnungsfrohe „O du fröhliche. o du selige, Gnaden bringende Weihnachtszeit". Ja wirklich, es ist nicht mehr weit, nur noch etwas mehr denn zwei Wochen und des Christkinds Glocken läuten!
Daß wir aber auch in einer Zeit der wirtschaftlichen und politischen Not leben, das zeigte uns am Samstag Abend im Traubensaal die ... .
Staatsbürgerliche Bildungstagung
.... zu der zusammen mit der Reichszentrale für Heimatdienst das hiesige Stadtschultheißenamt eingeladen hatte. Bei einem mittelmäßigen Besuch konnte Stadtschultheiß Maier unter Hinweis auf die schweren drllk- kenden Tributlasten die begrüßenden Worte sprechen und hieß zugleich mit den Zuhörern den Vertreter der Landesabteilung Dir. Korzendorfer und die beiden Redner des Abends. Studiendirektor Schiefer und Dr. Knehr, alle drei aus Stuttgart, willkommen. Direktor Korzendorfer sprach über den Zweck des Heimatdienstes, seine Aufgabe und Notwendigkeit. Die Reichszentrale für Heimatdienft diene zur sachlichen und überparteilichen
Aufklärung über außenpolitische, soziale, wirtschaftspolitische und kulturelle Fragen. Neben literarischen Veröffentlichungen, der Herausgabe einer eigenen Zeitschrift und staatsbürgerlichen Lehrgängen stünden im Mittelpunkt der Aufklärungsarbeit der R. f. H. die staatsbürgerlichen Vildungstagungen, deren Notwendigkeit anerkannt und bewiesen sei. Die Vorträge seien frei von jeder Partei- und Jnteressenpolitik und würden durch Förderung des Wissens über Tatsachen und innere Zusammenhänge der deutschen Volksgemeinschaft dienen.
Es folgten nunmehr zwei hochinteressante Vorträge Stud. Dir. Schiefer sprach über „Deutschlands Außenpolitik in der Nachkriegszeit". Er führte hierbei ungefähr folgendes aus:
1. Die deutsche Außenpolitik der Nachkriegsjahre ist aufs Engste verknüpft mit dem Friedensdiktat von Versailles und seiner bisherigen Abwicklung. Grundlage des Friedens sollten bilden die 14 Punkte Wilsons. Versprochen war ein Friede der Gerechtigkeit, der Selbstbestimmung der Völker, allgemeine Abrüstung und anderes mehr. Was zustande kam, war das gerade Gegenteil eine Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln. Zur Rechtfertigung dieser Vernichtungspolitik gegenüber Deutschland erfand man die Lüge von der Alleinschuld Deutschlands am Kriege.
UngeheureVerluste an Land, Bodenwerten und wirtschaftlichen Gütern folgten, kl. a. verloren wir 28 Proz. der Erzeugung an Getreide, Kartoffeln und Kohle, 50 Proz. an Hochöfen, Walz- und Stahlwerken, etwa 75 Proz. an Eisenerz und anderen Metallagern. Die deutsche Außenpolitik der Nachkriegszeit läßt sich in 3 Abschnitte einteilen:
1. Der Kampf Deutschlands um seine Existenz
2. Der Ruhreinbruch mit dem passiven Widerstand
3. Unser Ringen in Freiheit um Recht.
Der erste Abschnitt ist insbesondere charakterisiert durch die Kriegspsychose und unerträgliche Demütigungen. Ob eine andere Politik als die, die wir führten, bessere Umstände geschaffen hätte, ob wir bei der damaligen Unbarmherzigkeit unserer Gegner der drohenden Vernichtung entgangen wären, ob einem erschöpfenden Volk eine andere Politik hätte zugemutet werden dürfen, ist sehr in Frage zu stellen. In den ersten vier Nachkriegsjahren wurde in 27 Konferenzen versucht, den Vertrag zu realisieren, was diesen selbst entsprechend charakterisiert. England war sehr bald für eine wirtschaftliche Erledigung durch Verständigung, aber Frankreich bestand auf seinem Schein. Eine erste Festlegung der Reparationsfrage geschah im Londoner Ultimatum vom Sommer 1921, wo man Deutschland zwang, eine Tributlast von 138 Milliarden, eine Abgabe von 26 Proz. seiner Ausfuhr und anders mehr auf sich zu nehmen. Auf der Konferenz von Genua im April 1922, zu der 34 Staaten eingeladen waren, versuchte England das Friedensproblem Europas in seiner Gesamtheit aufzuwerfen. Aber Frankreich Widerstand, die Reparationsfrage zu behandeln, brachte sie zum Scheitern. Den einzigen Erfolg trug die deutsche Abordnung davon, die zum großen Aerger unserer Gegner in Rapallo ein Uebereinkommen mit Rußland traf. Die Unerfüllbarkeit der uns auserlegten Lasten führte den immer hoffnungsloser werdenden Zerfall unserer Währung herbei und brachte den völkerrechtswidrigen Ruhreinbruch der Franzosen mit Beschlagnahme, Terror, und Separatistenbewegung. Das Ergebnis zwang jedoch auch die Franzosen sich umzustellen und den Weg der Verhandlungen einzuschlagen, die zum Dawesplan führten, der die Änwendungsmöglichkeit des Londoner Ultimatums erproben sollte. Die „Sicherheits"- Politik Frankreichs, die u. a. auf den Rhein abzielte, wurde durch das Abkommen von Locarno unterbunden. Durch den Eintritt in den Völkerbund konnte Deutschland wieder im vollen Sinne aktiv in der internationalen Politik werden. Um die Aufhebung der Rheinlandbesetzung und der Kontrollen zu ! erreichen, mußte unter anderem „definitiv" gelöst werden.
! So kann man zum Poungplan, der das Provisorium des Da- wesplans ersetzen soll. Dieser belastet uns zwar mit Zahlungen, die einen Eegenwartswert von 35 Milliarden haben, macht uns aber endlich wieder zum Herren im eigenen Hause. An die Möglichkeit der Erfüllung dieser finanziellen Belastung glaubt niemand in Deutschland und wohl auch kein Sachverständiger des Auslandes.
2. Problem der deutschen Außenpolitik. Nicht nur die auf- senpolitifche Lage Deutschlands, sondern die ganze Europas ist eine andere geworden. Während Europa sich im Weltkrieg zerfleischte. hat sich das Weltbild völlig verändert. Das weltwirtschaftliche und weltpolitische Schwergewicht ging verloren
Montag, 3. Dezember 1929.
und insbesondere an die Vereinigten Staaten von Amerika über, em ungeheuer reiches Land von der Größe Europas Ueberall sehen wir kontinentale und interkontinentale Macht- bildungen von größtem Ausmaß. Diese knüpften sich an Begriffe wie Panamerika, Panasien, Panmongolismus, britisches oder gar angelsächsisches Weltreich, russisches Imperium usw Dieser heraufziehenden neuen Weltepoche gegenüber steht das E und alternde, balkanisierte Europa, mit größeren Gegensätzen, Mehrstaaten und Währungen und längeren ^ollgi-en- zen als vor dem Kriege. Die Nutznieser des Krieges starren in Waffen, aus furcht, früher oder später ernten zu müssen, was gesät wurde. Zwei Strömungen streiten miteinander: frühe'-.' oder spätere Austragung der Gegensätze in einem neuen Weltbrand, der Europa den Todesstoß versetzen würde, oder Ueber- brückung und Neuordnung durch wirtschaftliche und politische Verständigung. Deutschland, das größte Land, im Herzen Europas gelegen, stellt die Brücke dar, zwischen Westen und Osten und auch zum Süden hin, eine Stellung, die sehr positiv sein und das Schicksal Europas entscheiden kann. Die Stellung Deutschlands innerhalb Europas hängt wesentlich ab von der des gesamten Europas gegenüber der übrigen Welt. Wohn- rnum und Wirkungsweite sind für Zahl und Kraft unseres Volkes viel zu eng. Vorderhand gilt es, siedlungspolitische Maßnahmen, insbesondere an unseren Ostgrenzen, zu treiben Selbstbestimmungsrecht und Abrüstung sind Lebensfragen für das Schicksal Deutschlands, Europas und des Völkerbundes. Der Zusammenschluß des Deutschen Volkes wird kommen müssen, denn nur so ist ein Paneuropa möglich, das allein unfern Kontinent retten kann und auf das alle kulturellen und wirtschaftlichen Verhältnisse längst Hinweisen. Der Erfolg unserer Autzenpoltik hängt von der Mitarbeit unseres Volkes ab. Das Studium der Lebensfragen Deutschlands sollte unser zweiter Beruf sein. Das Erziehungs- und Bildungswesen sollte sich endlich auf diese wichtigste Aufgabe einstellen, wie dies in den Vereinigten Staaten von Amerika und auch in England und Rußland geschieht. Dazu muß kommen eine gründliche Bereinigung unserer innenpolitischen Mißstände. Wenn Geist und Wille' vorhanden sind, werden sie mächtiger sein als alle materielle Gewalt".
Anschließend sprach Dr. Knehr, der Geschäftsführer eines industriellen Verbandes, über „Die Neuregelung der Reparationen, Dawes- und Aovngplan".
Nach einem kurzen Rückblick auf die Entwicklung dieser Frage, die vom Versailler Vertrag über das Londoner Abkommen von 1921 und den Rubrkampf zum Dawesplan von 1924 geführt hat, erörterte der Redner die Erwägungen und Absichten, dis für die Einberufung der Pariser Konferenz bestimmend waren. Der Hauptteil seiner Ausführungen galt einem Vergleich der wichtigsten Punkte des in dieser Konferenz zustande gekommenen und durch die Haager Verhandlungen in einzelnen Punkten abgeänderten Poungplans mit den entsprechenden Bestimmungen des Dawesplans. Im einzelnen wies der Redner nach, daß die Höhe der deutschen Leistungen nach dem Poungplan wesentlich geringer ist als nach dem Dawesplan, und daß gegenüber dieser Ermäßigung der Gesamtleistungen die Frage nach ihrer Dauer, also der Erstreckung der Zahlungen über einen längeren Zeitraum, an Bedeutung zurücktritt. Besonders eingehend beschäftigte sich der Redner mit den Bestimmungen über Aufbringung und Transferschutz: er hob hervor, daß der Transferschutz des Dawesplans bisher nicht wirksam geworden ist und daß Deutschland auf das Wirr- samwerden dieser Schutzbestimmungen bis auf weiteres auch umso weniger rechnen könnte, als es keinerlei Einfluß auf ihre Anwendung durch den Reparationsagenten und das Transferkomitee habe. Dazu komme, daß auch der Transferschutz des Dawesplanes einen erheblichen Teil der nach diesem Plan zu leistenden Zahlungen (Dienst der Dawesanleihe, Zahlungen aus den Reparationsabgaben usw.) nicht umfasse. Selbst im Falle der Anwendung der Schutzbestimmungen des Dawesplans würden außer diesen Beträgen erhebliche weitere Teile der deutschen Zahlungen von den Empfängern in Deutschland selbst ousgegeben werden können, sodatz auch die Hoffnung, auf dem Wege über die Einstellung des Transfers schließlich auch zu einer Senkung der inneren deutschen Aufbringungslasten zu kommen, sich auf Jahre hinaus als trügerisch erweisen würde. Wenn nun der Pounggplan Deutschland die Verpflichtung auz- erlege, den Transfer seiner Zahlungen an die Gläubiger künftig wieder selbst vorzunehmen, so gebe er ihm doch neben der gesteigerten Verantwortung auch die Möglichkeit, selbständig entsprechend dieser Verantwortung zu handeln und ein Teilmoratorium seiner Leistungen durch eigenen Entschluß herbeizuführen. Das Moratorium erstrecke sich nicht auf den zur Mobilisierung bestimmten Teil der deutschen Zahlungen, dessen Höchstbetrag 700 Millionen RM. betrage, diese Summe liege aber nicht so hoch über dem bisher praktisch auch ungeschützten Teil der Zahlungen unter dem Dawesplan. daß man hierin eine wesentliche Verschlechterung unserer Lage in Bezug auf den Transfer erblicken müßte.
Wenn Deutschland genötigt sei, ein Moratorium ..seiner Zahlungen anzukündigen oder auch nur ins Auge zu sagen so führe das nach dem Poungplan zu Verhandlungen mit den Gläubigern, um eine Neuregelung herbeizuführen. Daraus, daß diese Möglichkeit vorgesehen sei, ergebe sich schon, daß auch der Poungplan nicht die letzte Lösung der Reparationsrrage sei Er sei nichts anderes als die erste Revision des Dawes- pläns der weitere Folgen werden und folgen müssen, aber er sei eine Revision, die durch Verhandeln herbeigeführt wurde, und nicht durch eine Krise, die alle für die deutsche Wirtschaft und die deutsche Politik Verantwortlichen vermeiden wollen, solange dies möglich ist.
In der darauf folgenden Aussprache, auf die wir nicht im einzelnen eingehen wollen, kam die rege politische Interessiertheit eines Großteils unserer Bevölkerung zum Ausdruck. Es beteiligten sich neben den Veranstaltern hieran: Dr. Stähle, Oberstudiendirektor und M. d. L. Bauser und Forstmeister Birk. Insbesondere wurde u. a. dem Heimatdienst von nationalsozialistischer Seite der Vorwurf gemacht, daß er nicht sachlich sei und die Regierungspolitik verteidige, von Sparerbundsseite wurde die staatspolitische Bildungsarbeit der R. f. H. begrüßt und betont, man möchte sehr darauf achten, daß keine Schönfärbung der augenblicklichen Verhältnisse unterliefe und schließlich wurde der Heimatdienst gemahnt, auf die Einigkeit des Volkes hinzuarbeiten. Gegen V-1 Uhr konnte die Versammlung von dem Vorsitzenden geschlossen werden.
Mit Schluß dieser Versammlung war also schon der 2. Adventssonntag heraufgezogen. An öffentlichen Veranstaltungen brachte er lediglich Zweierlei. Einmal hatte das Musikkolleg zu einem Unterhaltungskonzert in das Gasthaus z. .Linde" eingeladen. Man war gerne dem Rufe gefolgt, denn ganz besonders in letzter Zeit erheischen die Leistungen dieser Musikvereinigung unter Leitung von Herrn Besch Anerkennung und Lob. Ueber die zweite Veranstaltung am gestrigen Abend, den.
Werbeabend
des Christlichen Vereins Junger Männer
... wird uns von bekannter Seite, B—n zeichnend, wie folgt berichtet: Gestern abend veranstaltete der CVJM. im Vereinshaus feinen Werbeabend; er war überaus zahlreich besucht. Werbeabend — für wen? für unsere Jugend! Der Abend stand unter der Losung: .Wir sollen Gott fürchten und lieben". Die Wahl der Losung hat ihren Grund zunächst darin, daß dieses Jahr das 400jähr. Jubiläum der Katechismen brachte. — Paffen beide zusammen, der Katechis- ! mus und der junge Mann? oder ist uns der KatechrSmus nur das Lernbuch der Schulzeit, das wir am Ende gar in unan- ! genehmer Erinnerung haben. Könnte der Katechismus uns " nicht immer mehr ein Lebensbuch werden und beson-