Nagolder Tagblatt „Der Gesellschafter"
Dienstag, 19. November 1928.
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Landestheater beging die Württ. Volksbühne am Samstag abend die Feier ihres 10jährigen Bestehens. „Peer Gynt" wurde von der Württ. Volksbühne in der diesjährigen Spielzeit bereits 35 Mal in den Landstädten Württembergs aufgeführt und erntete überall reichen Beifall.
Technik im Heim. In den Monaten Mai und Juni 1930 finden in Stuttgart die „Technischen Tagungswochen" statt. Das bisherige Programm sieht auch eine Ausstellung „Technik im Heim" vom 28. Mai bis 29. Juni 1930 in den Ausstellungshallen auf dem Gewerbehalleplatz in Stuttgart vor: Erleichterung der Hauswirtschaft, weitgehendster Ersatz der Handarbeit durch Geräte und Maschinen, zweckmäßige Anordnung der Wohnräume und deren Einrichtung, Mittel und Wege zu zeigen zur Verringerung der Haushalttosten. Das Kernstück der Ausstellung bildet eine vom Verein Deutscher Ingenieure, Berlin, (D.D.J.) geschaffene Sonderschau „Technik im Heim".
Die Verwendung von Reckarwasser. Die Stadt Stuttgart hat um die polizeiliche Genehmigung nachgesucht, 400 Liter Neckarwasser mehr in der Sekunde dem Neckar zu entnehmen. Die Stadt Stuttgart behauptet, daß sie dieses Neckarwasser als Spitzenausgleich für das Parkseenspitzenwerk benützen wolle. Wie jedoch die Südd. Zeitung hört, liegt zur Zeit der technischen Abteilung des Gemeinderats eine Denkschrift vor, in der dargelegt wird, daß durch die vermehrte Hinzuziehung des Neckarwassers die ganze Wasserversorgungsfrage nochmals auf einige Jahre hinausgeschoben werden könne. Nach der chemischen Behandlung des Wassers stellt sich der Kubikmeter auf 4 Pfennig und das Wasserwerk läßt sich den Kubikmeter mit 17 Pfennigen bezahlen, so daß die Stadt ein sehr gutes Geschäft macht.
Landesverband zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten. In einer Vorstandssitzung des Landesverbands zur Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten berichtete Regie- rungsrat Fette als Leiter der Beratungsstelle über den finanziellen Stand des Landesverbands. Die Beratungsstelle benötigt noch etwa 20 000 Mark für 1929, um ihre Arbeiten fortführen zu können. Die Zahl der Meldefälle dürfte im Jahr 1929 auf 5000 anwachsen, was eine Zunahme um 35 Prozent bedeutet. Der Vorsitzende des Verbands, Präsident Andre, betonte, daß sich dis Beratung für Geschlechtskranke sehr bewährt hätte. Nicht die Zahl der Geschlechtskranken habe um 35 Prozent zugenommen, sondern die Erfassung sei eine viel bessere geworden. Dis Landesoersammlung soll anfangs nächsten Jahres stattfinden.
Vom Tage. In der Nacht zum Sonntag fuhren beim Hauptbahnhos zwei Straßenbahnzüge aufeinander. Dabei wurden 5 Personen leicht verletzt. Die Plattform eines Anhängewagens wurde eingedrückt.
Volksbegehren. Im amtlichen Ergebnis des Volksbegehrens ist zu lesen: 110 553 (statt 110 533) Stimmen.
Lebensmüde. In einem Hause der Wolframstraße verübte ein 56 Jahre alter Mann durch Durchschneiden der Halsschlagader Selbstmord. — In selbstmörderischer Absicht brachte sich in einem Hause der Silberburgstraße ein 29 I. alter Mann eine unerhebliche Verletzung am linken Handgelenk bei. Er wurde nach dem Katharinenhospital verbracht.
Zuffenhausen» 18. Nov. Verbandstag der gemeinnützigen Bauoereine. Die gemeinnützigen Bauvereine Württembergs hielten hier am Samstag und Sonntag ihren Vsrbandstag ab. Nach einem Vortrag des Präsidenten der Wohnungskreditanstalt, Dr. Aichete, über die Lage des Wohnungsbaus in Württemberg mit der Anregung, die gesetzliche Miete von 120 auf 130 V H. der Friedensmiete zu erhöhen und einen Teil des Mshr- ertrags für den Wohnungsbau abzuzweigen, wurde eine Entschließung angenommen, welche verlangt, daß den gemeinnützigen Bauvereinen Mittel der Wohnungskreditanstalt gewährt werden.
Weildersladi, 18. Nov. Jugendstreich. — Bahngefährdung. Vor einigen Tagen wurde von der Straßenüberführung bei der Kreuzkapelle gegen den 12.41 Uhr einfahrenden Zug ein Apfel geworfen, wodurch ein Fenster des Gepäckwagens zertrümmert und der Zugführer durch Glassplitter im Gesicht verletzt wurde. Ein etwa 12jähriges Mädchen soll die Täterin sein; doch konnte sie nicht ermittelt werden. In der Nacht auf Donnerstag ent- fernte ein 16jähriges Bürschchen von einem auf dem Güter-
,> bahnhof stehenden'Wagen zwei Räder. Nach Durchfahrt des ! , letzten Zuges in der Richtung Calw rollte er eines derselben ! > in den Bahneinschnitt Schafhausen zu und legte es auf die ' ! Schienen. Das Hindernis wurde vor Eintreffen des Früh- j zugs von einem Bahnbediensteten, der die Laternen des j Einfahrtssignals anzündete, entfernt. Ein von Stuttgart j herbeigeholter Polizeihund verfolgte die Spur bis in die ^ Rähe der Wohnung des jugendlichen Täters.
Roklenburg, 18. Nov. EineKepplerbrücke. Bischof Dr. Sproll hat in einem Schreiben an Stadtschultheiß Schneider den Gemeinderat, der beschlossen hatte, die neue Brücke nach dem verstorbenen Bischof Dr. Paul Wilhelm von Keppler zu benennen, in seinem Namen sind im Namen des Domkapitels den verbindlichsten Dank für die Ehrung des Toten ausgesprochen.
Rottwell, 18. Nov. Urteile. Das Schwurgericht verurteilte die 54 I. a. verh. Hebamme Marie Trayer von Schwenningen wegen gewerbsmäßigen Vergehens gegen das keimende Leben in 8 Fällen in den Jahren 1926—1928 zu der Gefängnisstrafe von 1 Jahr 3 Monaten. — Der 19jährige led. Arbeiter Johannes Maier von Reutin OA- Oberndorf wurde wegen eines Verbrechens der schweren Körperverletzung zu 2 Jahren Gefängnis verurteilt. Er hatte in Hönweiler Gde. Peterzell OA. Oberndorf den auf seinem Acker arbeitenden 44 I. a. Kriegsblinden Landwirt Jakob Weißer von Hönweiler mit dem schweren Ende einer Feldhaue derart auf den Kopf geschlagen, daß der Stiel der Haue unmittelbar hinter dem Eisenteil abbrach und Weißer erhebliche Blutunterlaufungen und Schwellungen am Kopf davontrug.
Backnang. 18. Nov. Eine Woche der Frau. Im Festsaal des Bahnhofhotels wurde am Sonntag die „Woche der Frau" durch Eröffnung einer Ausstellung „Haus — Küche — Technik" eingeleitet. Nachmittags fand ein großer Werbefestzug mit 40 Autos statt, der am Montag in kleine- rem Ausmaß wiederholt wurde. Am Dienstag ist Pramiierungstag für die Aussteller; nachmittags hält Fräulein H a i n l e n - Geislingen einen Vortrag „Küche und Haus" mit Bekanntgabe praktischer Kochrezepte. Für Mittwoch ist eine Christbescherung für 50 bedürftige Kinder Backnangs durch die Ausstellungsleitung vorgesehen. Am gleichen Tag wird das Prämiierungsergcbnis bekannt gegeben. Sonntag, 24. November, erreicht die „Woche der Frau" ihr Ende und die Ausstellung wird geschlossen.
Amrlchshausen OA. Künzelsau, 18. Nov. Ein 80- jähriger Schultheiß. Schultheiß Schneider hier feierte in guter geistiger und körperlicher Frische am 17. November den 80. Geburtstag. Der Jubilar ist seit 44 Jahren im Amt und versieht es in vorbildlicher Weise zum Wohl der Gemeinde.
Groß-Eislingen OA. Göppingen, 18. Nov. Eingemeindungsverhandlungen. Heute fand im Rathaus eine nichtöffentliche Gemeinderatssitzung statt, in der über die Eingemeindung verhandelt wurde. Von Göppingen wohnten mehrere Stadträte mit Oberbürgermeister Hartmann an der Spitze der Sitzung an.
Ochsenhausen OA. Biberach, 18. Nov. Gemeindewasserversorgung. In einer Gemeindebürgeroersammlung gaben Ingenieur K i m m i ch - Stuttgart und Baumeister Kemper-Ochsenhausen ihre Pläne über die Ausführung einer Wasserversorgung mit der Gemeinde Erlenmoos und Eichbühl bekannt. Ein Plan des Ersteren sieht 190 000 »tt und ein Plan des letzteren 209 000 Kosten vor. Bei der Abstimmung ergab sich eine Mehrheit für eine Gemeindewasserversorgung im Verein mit Erlenmoos, Eichbühl. Der Gemeinderat hat nun die Entscheidung > zu fällen. !
Eine Huldigung der Schwaben in Säckingen. Am 28.
Dezember d. I. werden 75 Jahre verflossen sein seit dem Tag, da Scheffels „Trompeter" aus dem Verlag A. Bonz aus Stuttgarts Mauern erstmalig in die Welt ging. Aus diesem Anlaß werden die schwäbischen Scheffelfreunde eine, Huldigungsfahrt nach Säckingen unternehmen und am Scheffeldenkmal eine Kranzspende niederlegsn. Regierungs- ! rat E i t e l - Stuttgart wird die Festrede halten. Musik- i , direktor Zeller wird einen eigens komponierten „Scheffel- ;
trompetermarsch" zu diesem Tilg herausbringen. Die Fest- ! j fahrt der Schwaben wird auf dem Hohentwiel enden. *
Heinrich Lilienfein
Zu seinem 50. Geburtstage am 20. November 1929.
Von Dr. W. Fr. Stradeck.
„Warten und stark sein!" Dieses Wort des nunmehr fünfzigjährigen Heinrich Lilienfein verdient Beachtung in einer Zeit, der Warten Verlust und Stärke nicht viel mehr als angewandte Ellbogenfreiheit bedeutet. Als ein im besten Sinne Unzeitgemäßer, der den Ungeist dieser Zeit erkennt, steht der schwäbische Dramatiker und Erzähler Lilienfein heute vor uns. Als Sohn eines Notars und späteren Hofrats erblickte er in Stuttgart das Licht dieser Welt. So nimmt es nicht wunder, wenn er sich schon frühzeitig mit seinem größten dichterischen Landsmann ernsthaft beschäftigt. wenn er insbesondere den Teil „mit Spannung und bis dahin nie gekannter Erschütterung" liest. In dem klastischen Lande,, maßvoller Schönheit, edler Gesetzmäßigkeit" fühlt sich auch der geistig disziplinierte Formwille des Dramatikers Lilienfein heimisch. Seine Auseinandersetzung mit der idealistischen Weltanschauung Schillers, dessen dichterisches Erbe er seit einigen Jahren als Generalsekretär der Schillerstiftung getreulich verwaltet, gibt hiervon Kunde.
In der Traumseligkeit verstaubter Dachböden entstehen die ersten dramatischen Versuche, knabenhafte Verherrlichungen eines „Spartakus", „Julian" und „Enzio". Statt des Lorbeers schmückt einmal ein Stechpalmenkranz die noch junge Stirn eines Dramatikers, dessen dichterisches Gewissen ihn später den Leidensweg des geistig ringenden Menschen bis zur Selbsterkenntnis gehen hieß. Versehen mit demRüstzeug einer gründlichen philosophischen und historischen Bildung, die er sich auf den Universitäten Tübingen und Heidelberg im Verkehr mit so bedeutenden Gelehrten wie Kuno Fischer, Henry Tode und Erdmannsdörffer erwarb! Verknüpfen ihn mit dem Letztgenannten familiäre Bande — er heiratete dessen künstlerisch rege Tochter Hanna, die der Tod ihm viel zu früh von der Seite riß, und später ihre jünger« Schwester —, so war es vor allem der Umgang mit Tode, der mit richtung
gebend für die weitere Entwicklung des Dichters wurde. § Die Gedankenwelten Nietzsches und Schopenhauers fanden ! im jungen Lilienfein verständnisvolle Aufnahme. Beson- ' ders in Schopenhauers Lebenswerk im Zusammenhang mit der Wagnerschen Musikdichtung glaubte er die ihm selbst vertretene „Verbindung von Kunst und philosophisch geschulter Weltanschauung zu finden. Rein weltanschaulich fällt auch sein erstes der Oeffentlichkeit übergebenes Drama, der Dreiakter „Kreuzigung" aus, das ein starkes Bekenntnis zur Leidenslehre Schopenhauers bedeutet. Künstlerisch dringt der Dichter aber alsbald über die Weltabgewandtheit des großen Pessimisten hinaus zur Problematik des Diesseitigen. Sein Schauspiel „Menschendämmerung" lehnt im Sinne Nietzsches die Individualisierung der Maste als unmöglich ab: „Laß mich an der Menschheit verzweifeln, am Menschen nicht!" Das Nur-Spekulative versinkt angesichts der „wirklichen Welt" und des „lebendigen Gottes" und das warme, blutfrische Leben liegt wie ein aufgeschlagenes Buch vor dem Dichter. Seine männlich-herbe Wesenheit verweist ihn vornehmlich ins Gebiet des Dramatischen, auch die knappe Novelle, den weltanschaulich vertieften Zeitroman, die historische Erzählung und das Sagenhaft-Legendäre meistert er in beachtenswerter Formvollendung. Von der Lyrik hält er sich im allgemeinen fern, und wo er, wie im „Modernus", ihr dennoch seinen dichterischen Tribut zollt, erfolgt dieser ln mehr oder weniger bewußter Anlehnung an Nietzsche und Hölderlin.
Ueberblickt man die dramatische Produktion Heinrich Lilienfeins, so ergeben sich mühelos einige äußere Merkmale, die zu einer gewissen Klassifizierung des Formalen berechtigen. Mit Dramen volksstückartigen Charakters, die teilweise an Anzengruber gemahnen, beginnt er. „Die Heilandsbraut" (später umgetauft in „Maria Friedhammer") behandelt einen konfessionellen Ehekonflikt, die groß angelegte Tragödie „Berg des Aergernisses" das Verhältnis zwischen dem sich absondernden Einzelwesen und der sich ' darüber ärgernden Maste, der „Kampf mit dem Schatten" die genialischen Versuche eines jungen Durchschnittsmen- > schen, der sich über die bürgerliche Weltordnung hinweg- j setzen zu können glaubt und schließlich von der Unerbitt- j lichkeit des Philisteriums zurechtgestutzt wird. Den Höhe-
Aus Stadt und Eand
Nagold, den 19. November 1929.
Die öffentliche Meinung bildet eine Volksbewaffnuna die unbesiegbar ist, und welcher das stehende Heer der Regierungsgedanken, früher oder später unterlieaen muß. (Ludw. Börne)
Helft den Sibirienflüchtlingen!
Unter Führung des Deuljchen Roten Kreuzes erlassen der Zeniral'ausschuß für innere Mission, der Deutzch- Ehu ritasverband, der Wohifahrtsvsrband, der Hauptousschuß für Arbeitermohlfahrt, der Zentraiwohifahrtsausschuß gcr Christlichen Arbeiterschaft und dir Zentralwohlfahrisstell? der Deutschen Juden einen gemeinsamen Aufruf, in dem auf die furchtbare Not der van ihrer Scholle vertriebenen deutschen Bauern in Sibirien hingewisien wird. Sie rufen trotz der schweren wirtschaftlichen Not IM eigenen Lanke das deutsche Volk auf zu einer Sammlung für seine furche bar heimgesuchten Brüder, die dem Hungertod preisgegeb.-n sein werden, wenn nicht rasch Hilfe ihnen zuteil wird. Der Württ. Landesverein vom Roten Kreuz hat für Württemberg die Durchführung der Sammlung übernommen und erbittet Gaben auf Postscheckkonto 5900 oder an seine Kassenverwaltung, Fürstenstr. 1, Zimmer 119. Zur Entgegennahme von Gaben sind ferner die Bezirksvertreter des Roten Kreuzes und die von ihnen errichteten, noch näher bekanntzugebenden Sammelstellen bereit, die Geschäftsstellen der Tageszeitungen und die Banken. Doppelt gibt, wer schnell gibt!
Dienftnachrichten.
Der Herr Staatspräsident hat den Amtsgerichtsrat Flamm er in Nagold seinem Ansuchen gemäß in den Ruhestand versetzt. — Die Amtsrichterstelle ist somit erledigt, die Meldefrist beträgt 8 Tage.
Dom Rathaus
Die nächste öffentliche Eemeinderatssitzung findet morgen, Mittwoch, den 20. November, nachm. 5 Uhr, auf dem Rathaus statt.
3. Dolksbunds-Dortrag
„Ich glaube an den heiligen Geist"! Was, wo und wie der Geist Gottes wirkt, setzte Stadtpfarrer Weber von Haiterbach sehr lebendig und überzeugend auseinander Das erste Ziel des Geistes ist die Gemeinde. Heiligen Geist haben heißt an die Gemeinde Jesu Christi glauben und sich zu ihr halten. Er kommt nur zu einzelnen Bevorzugten. Menschen können allenfalls einen Verein gründen, Gottes Geist schafft Gemeinde. In ihr lebt das lebendige Wort der Predigt, dessen zeugende Kraft die lebendige Kirche, die Gemeinschaft der Heiligen schafft, nickt etwa der Sündlosen — auch die Apostel rechnen sich den Sündern — sondern der durch Christus von der Obrigkeit der Sünde Erretteten. Es gibt ein genußsüchtiges Christentum, das sich absondert und in hochmütiger Vereinzelung die eigene Vollkommenheit pflegt. Christen, die abgeschlossen für sich dahinleben, gibt es im Neuen Testament nicht, nur lebendige Bausteine der Kirche Christi Diese ist überall da, wo Herzen für Christus brennen, diese unsichtbare Kirche Christi hat ihre Glieder in allen Kirchen und Gemeinschaften, in der ganzen Welt zerstreut, auch in unserer teuren evangelischen Landeskirche, der wir unseren religiösen Besitz verdanken, in der wir ausgewachsen sind.Sie ist nicht überflüssig, sondern ein brauchbares und reich gesegnetes Werkzeug für Christi Sache. Volkskirche will sie sein, weil das Heil allen angeboten werden soll. Auch Christus hat sich zu Tempel und Synagoge gehalten, obwohl er ihre Mängel sah. Hinein, nicht heraus aus der Kirche heißt daher die Losung. Wenn m Deutschland über 400 Sekten bestehen, so ist dies eine betrübende Erscheinung. Jeder meint, seine Meinung sei d i e Wahrheit und sondert sich hochmütig von den andern ab. Das ist kein Pfingstgeist. Dieser hat sein Werk allüberall und sondert sich nicht ab, um etwa bloß mit „wiederge-
punkt dieser volksstückartigen Schaffensperiode bildet zweifellos der dynamisch geballte Dreiakter „Der Herrgotts- warter", in dem ein religiös-gefärbter Eerechtigkeitsfana- tismus über Blutschuld triumphiert. Ein. wenn auch anders gerartetes Vergeltungsmotiv findet sich auch als treibende Kraft in „Olympia", einem dramatisierten Sittengemälde der Diadochenzeit. Im Gegensatz zu den im Pro- faftil verfaßten Eegenwartsdramen ist dieses wie auch das nachfolgende „Deutsche Spiel", „Der schwarze Kavalier', der mitten in die Pestschrecknisse des Dreißigjährigen Krieges hineinführt, ein Versdrama. Der Dreiaktige „Stier von Olivera" gehört, obwohl in Prosa gehalten, hierher, ebenfalls „Der Tyrann", „Die Herzogin von Pal- liano", die den Ausklang dieser geschlossenen dramatischen Schaffensperiode bildet.
Dann kommt der Krieg und zeichnet seine Runen in das Leben und Schaffen des Dichters.
Seinen erschütternden Ausdruck findet das gigantiM Geschehen in dem Drama „Die Ueberlebenden", die im Namen der Hände, die aus den Totenfeldern gespenstisch anklagend hervorragen, geläutert dem Kriege entrinnen. Auch hier die gleiche Erkentnis wie bei der „Menschendämmerung?; „Die Menschheit fängt beim Menschen an. Bei dir. bei mir". Reichhaltiger ist der Niederschlag der ganzen Kriegs- und Nachkriegsjahre auf den Gebieten des Romans und der Erzählung. Anknüpfend an frühere Erfolge, die der Dichter mit seiner Sammlung kleinerer Erzählungen sowie mit seinem viel gelesenen Roman „Die große Stille" errang, erscheinen jetzt in fast regelmäßiger Aufeinanderfolge: „Der versunkene Stern". „Im stillen Garten". „Ein Spiel im Wind", „Und die Sonne verlor ihren Schein", „Die feurige Wolke", „Das trunkene Jahr" und „Die Geisterstadt", die alle von seiner feinsinnigen Erzay- lerkunst Zeugnis ablegen. ^
Der Weg des Menschen zu sich selbst durch Umwelt und scharf voneinander getrennte Lebenskreise bildet das Kernproblem seines dichterischen Schaffens. Dank seiner fest gegründeten Weltanschauung und seines künstlerischen Eim ftihlungsvermögens findet ihn der Individualist Hernrick Lilienfein und weist ihn den am Leben leidenden Mr^ menschen: „Zwingt das Leben und laßts euch nicht zwin-