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Bad Mergentheim. 19. Aug. Flugtag. Der Flugtag des Württ. Luftfahrt-Verbandes nahm dank der trefflichen Organisation durch Hauptmann Schmitt einen glänzenden. unfallfreien Verlauf. Die Zuschauer konnten sich durch die Vorführungen von der technischen Höhe und Sicherheit der Fliegerei überzeugen.
Tübingen. 19. Aug. Don der Universität. Der Staatspräsident hat die ordentliche Professur für Experimentalphysik an der Universität Tübingen dem Professor Dr. Hans Geiger in Kiel übertragen.
Göppingen, 19. Aug. Untreue im Amt. Das erweiterte Schöffengericht verurteilte den Schultheiß Alfons Schellmann von Rechberghausen wegen erschwerter Urkundenfälschung und Aktenbeseitigung zu 1 Jahr 3 Atonalen Zuchthaus und 300 Mark Geldstrafe. Schellmann war durch eine für einen Freund übernommene Vürgschaft in Geldschwierigkeiten gekommen, aus denen er sich durch gefälschte Darlehensvollmachten einer anderen Person zu retten suchte.
Groß-Süßen OA. Geislingen, 19. August. Ortsvcr - steherwahl. Bei der am Sonntag vorgenommenen Ortsvorsteherwahl haben von 1458 Wahlberechtigten 1056 abgestimmt. Dies entspricht einer Wahlbeteiligung von 72 Prozent. Von den abgegebenen Stimmen waren 11 ungültig und der Rest von 1045 Stimmen entfiel auf Amtsverweser Eh mann. Der Berliner Gegenkandidat hatte nicht eine einzige gültige Stimme erhalten.
Elchingen OA. Neresheim, 19. Aug. VomSchwager erstochen. Der als Messerheld bekannte Eugen Weber kam mit seinen beiden Schwägern Josef Dürr und Vinzenz Dürr aus Oberkochen in Stritigkeiten. Er benützte dazu sein Messer und brachte den beiden mehrere Stichwunden bei. Josef Dürr starb nachts an seinen schweren Verletzungen. Der jungen Witwe, die erst seit vier Wochen verheiratet ist, wendet sich allgemeine Teilnahme zu. Der Täter ist verhaftet.
Don der Jagst, 19. August. Mäuseplage. Bedenklich« Sorgen bereiten die massenhaft austretenden Feldmäuse der Landwirtschaft. Begünstigt durch die vorwiegend trockene Witterung des Sommers verbreiteten sie sich in bekannt schnei- ler Weise. Die Kleeäcker werden durchwühlt und der Klee abgenagt. Kartoffeln und Rüben werden angefressen und aus- gehöhlt.
Dberlürkhelm, 19. Aug. Hitzschlag. Am 16. August hat ein 78 Jahre alter Privatier von Obertürkheim auf der Neckarbrücke in Obertürkheim infolge der Hitze einen Hitzschlag erlitten und ist bewußtlos zusammengebrochen. Bei dem Sturz hat er seinen Kopf auf den Randstein am Gehweg aufgeschlagen, wodurch er sich Verletzungen im Gesicht zuzog. Der Verletzte wurde in das Katharinenhospital in Stuttgart überführt.
Ludwigsburg, 19. August. Aus dem Fenster ge- sprungen. Montag früh gegen 3 Uhr sprang in Eglosheim ein bei einem Landwirt in der Hauptstraße bediensteter Knecht, der etwas beschränkt ist, ans dem Fenster des 2. Stockwerks auf die Straße. Nach dem Sturz erhob er sich wieder und lief, nur mit dem Hemd bekleidet, die Hauptstraße entlang, wo er dann zusammenbrach. Er wurde ins Bezirkskrankenhaus übergeführt. Die Verletzungen sind nicht gefährlicher Art.
Au» Bayern, 19. Aug. Tödlicher Ausgang. Der Kaufmann Karl Böhm aus Stuttgart, der eine Hausangestellte erschossen hatte und seither im Krankenhaus in Bayreuth lag, ist nunmehr gestorben.
Vom bayrischen Allgäu, 19. August. Absturz in den Bergen. — Schwere Motorradzusammenstöße. Der in Oberstdorf feit 2 Jahren beschäftigte 21 I. a. Schreinergehilfe Karl Globisch aus Niederschlesien ist beim Anstieg über den Nordgrat vom Hofatsgipfel 80 Meter tief abgestürzt: er erlitt so schwere innere Verletzungen, daß er noch vor dem Abtransport verstarb. — Auf der Bezirksstraße Memmingen—Ottobeuren stieß in Benningen das Motorrad des Reisenden Fritz Wiedemann aus Memmingen mit einem Auto zusammen. Wiedemann erlitt neben schweren Kopfverletzungen einen Oberlchenkel- bruch, während die Autoinsassen unverletzt blieben. Das auf dem Motorrad mitfahrende Fräulein Lydia Fichtner wurde am Kopfe schwer verletzt. Beide wurden bewußtlos ins Krankenhaus eingeliefert.
Nagoider Tagblatl „Der Gesellschafter"
Aus Stadt und Land
Nagold, den 20. August 1929.
Vor seinem Tode, sagt Solon, ist niemand glücklich zu schätzen — und wir dürfen auch sagen: vor seinem Tode ist niemand als Charakter zu preisen. (Heinrich Heine).
Serien
„Die Ferien haben nur den einen Fehler, daß sie zu Ende gehen", so endet mancher die Schilderung seiner llr- laubserlebnisie. Das ist nicht ganz ernst zu nehmen, aber sicher ist: nach harter Jahresarbeit wohlverdiente und rechtgenützte Ferien gehören mit zum Schönsten in eines Menschen Leben, und es ist nicht leicht, sich hintennach im Alltag wieder zurecht zu finden. Oft braucht man Tage, bis man sich wieder eingewöhnt hat, nicht nur an die Arbeit, sondern auch an die schwere Luft der Niederung, an den Betrieb der Stadt und so vieles andere. Aber schließlich bleibts doch dabei, daß die F e r i e n um der A r b e i t willenda sind und nicht umgekehrt; ihr Zweck ist doch, daß man in den Tagen der Ruhe und der gesunden körperlichen Betätigung Abstand gewinnt von feiner Arbeit, in die man oft sich richtig verbohrt und verkrampft hatte und nachher feine Arbeit wieder mit neuem Mut neuen Gesichtspunkten anfaßt und tut. In der Stille der Sommerfrische oder eines Lebens in der Natur, besonders unter der wuchtigen eindringlichen'Sprache der Berge bekommt man wieder ein klareres Augenmaß für die Dinge, für das, was wirklich wichtig und groß und das, was unwichtig und klein ist. ja auch für die Unzulänglichkeit von so viel eigenem Umtrieb. Man hat sich auf sich selbst besonnen und fängt nachher wieder anders an, und, wenn es richtig war, bleibts auch anders.
Recht genützte Ferien sind ein Stahlbad, ohne die man mit der Zeit in seinem gleichförmigen oder aufreibenden Betrieb zugrunde gehen muß, ohne die man Kopf und Nerven verliert. Wer seine Ferien recht nützt, der überwindet auch das Unbehagen der ersten Arbeitstage bald und steht froher und gefestigter in seinem Beruf. Darum jedem arbeitenden Menschen seinen Urlaub! Er ist im heutigen Leben ein unentbehrlicher Weg zu rechtem Menschsein. Aber die Forderung steht auch über den Ferien, sie im Blick auf dieses Ziel für Leib und Seele recht zu nützen. F-H.
Die Milcherzeugung im Oberamt Nagold
Im Jahre 1928 gab es in Württ. 530147 Kühe (Milchkühe), die 927134 285 Liter Milch brutto lieferten, und 78194 Ziegen (Geißen), die 36 823 415 Liter Milch lieferten. Der durchschnittliche Vruttomilchertrag von je 1 Kuh belief sich demnach auf 1749 Liter im Jahre, von einer Ziege auf 471 Liter. An der Eesamtmilcherzeugung des Jahres 1928 in Württemberg mit 963 957 700 Liter oder 373,6 Liter auf den Kopf der Bevölkerung waren Kühe mit 96,2 Proz. und Ziegen mit 4,8 Proz. beteiligt. Der Milchertrag von einer Kuh schwankte zwischen 1148 und 2417 Liter, der einer Ziege zwischen 200 und 790 Liter, also noch viel stärker. An dem Milchsrtrag der Kühe waren die Arbeitskühe, die 59,5 Proz. des Bestandes an Milchkühen überhaupt ausmachten mit 54,0 Prozent beteiligt, die reinen Milchkühe, die 40,5 Proz. des Bestandes ausmachten, mit 46,0 Proz.
Im Oberamtsbezirk Nagold gab es 7382 Milchkühe mit einem Eesamtmilchertrag im Jahre 1928 von 14 595 600 Liter oder 1977 Liter von einer Kuh durchschnittlich gegen 1749 Liter im Landesdurchschnitt, je brutto. Die Zahl der Ziegen (Geißen) betrug 999, die 399 600 Liter Milch lieferten oder 400 Liter von einer Ziege gegen 471 Liter im Landesdurchschnitt. Der Bruttomilchertrag von Kühen und Ziegen zusammen belief sich also auf 14 995 200 Liter oder 578,1 Liter auf den Kopf der Bevölkerung des gesamten Bezirks gegen 373,6 Liter im Landesdurchschnitt.
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Können Sie guk rechnen? Rechnen Sie bitte nach — wenn ein Bankbeamter im Jahr 1 nach Christi Geburt begonnen hätte, den jetzt von Deutschland verlangten Tribur- betrag von 133 950 Millionen Mark in Markstücken aufzuzählen, und wenn dieser Bankbeamte imstande wäre, in einer
_ _ Dienstag, 20. August 1029.
Miryite 100 Mark auf den Tributbanktisch zu legen, dann wäre er auch heutigen Tags noch nicht fertig mit dieser Tätigkeit, sondern er hätte vielmehr nochmals 200 Jahre fortzuzählen, ohne sich einen Augenblick Pause zu gönnen, bis die 133 950 Millionen Mark beisammen wären.
Calw, 19. Aug. Zum Tode des Schultheiß a. D. Frey in Aichelberg. Eine der markantesten Erscheinungen, Schultheiß a. D. Adam Frey in Aichelberg, ist am letzten Mittwoch plötzlich an einem Herzschlag verschieden und am Samstag beerdigt worden. Der Verstorbene ist im Jahre 1852 in Aichelberg geboren und erreichte ein Alter von 77 Jahren. Im Jahre 1886 wurde er zum Ortsvorsteher der Eesamtgemeinde Bergorte gewählt und verwaltete das Schultheißenamt 35 Jahre lang bis zu seiner im Jahre 1921 erfolgten Pensionierung. Er war einer der alten Vauernjchultheißen, der von großer Umsicht, Tatkraft und starkem Willen beherrscht mit einem weiten Blick und einer klaren Stellung seines Amtes waltete und die Belange der Gemeinde in jeder Weise förderte und zum erkannten Ziele führte. Bei der Beerdigung kam allgemein die Liebe und Hochachtung zum Ausdruck, deren sich der Verstorbene in der Gemeinde und in der Umgebung erfreuen durfte.
Oeschelbronn, 19. Aug. Zusammenbruch einer Drahtanlage. Heute früh hörten Leute, die zur Dreschmaschine gingen, plötzlich einen großen Krach, der sich anhörte, als ob ein Haus eingestürzt wäre. Als man der Ursache nachforschte, konnte man feststellen, daß die erst vor 3 Jahren im Mötzinger Weg neu erstellte Drahtanlage des Jakob Bühl er, Altschultheiß S., unter ihrer durch den starken Regen verstärkten Last vollständig in sich zusammengestürzt war. Der Schaden, den der Besitzer hiedurch erleidet, dürfte bedeutend sein.
Freudenstadt, 19. Aug. Stadtvorstandswahl. Nach Ablaus der 10-jährigen Amtsperiode des Stadtschultheißen Blaicher fand am Samstag nachmittag die Neuwahl statt. Ein Gegenkandidat war nicht aufgetreten. Der bisherige verdiente Stadtvorstand erhielt 2520 Stimmen. Die Wahlbeteiligung war nicht groß, sie betrug ungefähr ein Drittel der Eesamtwählerzahl.
Noch immer: Das Unwetter vom Donnerstag
Pfrondorf, 19. Aug. Bei dem am Donnerstag niederge- gangenenUnwetter, wurde unsereEemeinde auch nicht ganz verschont. Entlang der Grenze Emmingen wurde ein Teil unserer Markung vom Hagel betroffen. Da in unsrer Gemeinde die Ernte bereits eingeerntet war. so wurde nur noch ein geringer Teil der Habergrundstücke vom Hagel geschädigt. Dagegen wurde von den Obstbäumen viel Obst und Zweige abgerissen.
Hochdorf, 29. Aug. Am vergangenen Donnerstag entlud sich auch hier ein heftiges Gewitter, bei dem auf der ganzen Markung starker Hagel niederging. Die Hagelkörner hatten Taubeneier- bis Nußgröße, sodaß der angerichtete Schaden sehr erheblich ist.
Bildechingen» 19. Aug. Das Unwetter am Donnerstag hat innerhalb des Horber Bezirkes wohl am schlimmsten in unserer Gemeinde gehaust. Schloßen in Größe von Tau- beneiern und, noch größer prasselten mehrere Minuten auf unsere in voller Reife dastehenden Getreidefelder. Nur ein kleiner Teil war bereits eingeerntet. Die am Boden liegenden, der Einfuhr harrenden Sammelten und Maden sehen wie gedroschen aus und ganz trostlos ist der Anblick der noch stehenden Frucht. Wie zerhackt, ohne Nehren starren die geknickten Halme den Schnitter an. 50—80 Prozent des Körnerertrags liegt ausgeschlagen am Boden. Seit Menschengedenken ist ein ähnliches Unwetter, wenigstens in dieser Ausdehnung, nicht über unsere Markung gekommen. Nur das Brachfeld und ein kleiner Teil der Sommerösch blieben verschont. Die Obstbäume wurden zum Teil ihrer Früchte und Zweige beraubt und auf Jahre hinaus geschädigt. In der Hagelversicherung ist nur ein kleiner Teil der Besitzer. In den Hopfenanlagen liegt ebenfalls ein Teil der noch unreifen Dolden am Boden.
Aus aller Welt
ep. Die Deutsche Vereinigung des Weltbunds für internationale Freundschaftsarbeik der Kirchen hält ihre diesjährige Tagung vom 23. bis 25. August in Kassel ab. Den ersten Gegenstand der Beratungen bildet das Thema „Was haben die deutschen Kirchen von den britischen und die britischen Kirchen von den deutschen empfangen?", zu dem Univ.-Prof. De iß man n - Berlin und der Führer der englischen Freikirchen Univ.-Prof. v. G a r v i e - London das Wort nehmen werden. Die zweite Hauptversammlung beschäftigt sich im Anschluß an ein Referat des früheren sächsischen Staatsministers v. Nostritz-Wallwitz mit den „Auswirkungen von Versailles". In einer öffentlichen Kundgebung sprechen u. a. der neue Vorsitzende der deutschen Vereinigung des Weltbunds Vizepräsident v. Burghart-Berlin, der anglikanische Lord-Bischof Ripon und der orthodoxe Kirchenführer Erzbischof Ger- manos. Die Tagung gewinnt ihr besonderes Gepräge durch die Anwesenheit von 20 englischen Geistlichen und Kirchenmännern, die auf Einladung der Deutschen Vereinigung nach Deutschland gekommen sind und damit den Besuch erwidern, den im vergangenen Jahr 20 deutsche Geistliche in England gemacht haben.
ep. Vom Weltbund der christlichen Jungmännervereine. Unter dem Vorsitz des Amerikaners Dr. John Mott fand in Genf ein« Dorstandssitzung des Weltbunds der Christ' lichen Jungmännervereine statt, der 150 christliche fugend- sichrer aus allen Erdteilen anwohnten. Der Weltbund zählt rund IlL Millionen Mitglieder in 56 Ländern. Wie groß der Einfluß der Bewegung z. B. im Fernen Osten ist, ergibt sich daraus, daß 7 Minister der nationalistischen chinesischen Regierung aus den Reihen der Christlichen Jungmänner- vereine hervorgegangen sind. Auf der Sitzung in Gens wurden die Aufgaben erörtert, die dem Weltbund in einer Zeit der internationalen und Rassenkämpse, des Arbeitskampfes. des Vordringens kommunistischer Ideen usw. gestellt sind.
ep. Der Stockholmer Forlsehungsausschuß in Deutschland.
Vom 2.—9. September tagt, zum ersten Mal auf deutjchem Boden, in Eisenach der Fortsetzungs- und Exekutiv- ausschuß der Stockholmer Weltkirchenkonferenz. Der Fort- setzungsausfchuß, dem die Weiterführung des in Stockholm begonnenen internationalen kirchlichen Einigungswerks anvertraut ist, ist eine Körperschaft von über 70 Mitgliedern, der auf deutscher Seite u. a. angehören O. Dr. K a p l e r - Berlin, Prof. v. Dr. D e i ß m a n n - Berlin. Reichsprasidenl a. D. l). Dr. Simon- Leivua. Landesbischof O. Ihmsl 2 '
Der Schmetterling
Da stand also eine Parkbank, blank und neu lackiert.
Da breitete sich ein Rasen um eine bronzene, bogenspannende Artemis. Da war eine Gruppe von fünf prächtigen Blutbuchen. Da saßen links in einer Laube einige junge Herren und einige junge Mädchen, die sangen oder plauderten. Von dieser Laube aus waren Theodor und Thekla im Gespräch um den hellgrünen, kurzgeschorenen Rasen gewandelt und hatten sich auf die weißlackierte Bank gefetzt.
Und da gab es noch — fast hätte ich es zu berichten vergessen — ein kreisrundes, buntes Blumenbeet, das in dieser Geschichte als Tummelplatz eines Schmetterlings und als ein Gleichnis nicht ohne Bedeutung ist.
Thekla hatte die Hand ausgestreckt und auf die Banklehne gelegt. Es war eine reizende, zarte Hand. Theodor betrachtete sie verliebt und wunderte sich, daß sie, wie andere Hände auch, fünf Finger hatte. Es wäre ihm nicht erstaunlich gewesen, wenn sich diese Hand durch irgend etwas vor anderen Händen ausgezeichnet hätte.
Merkwürdigerweise gehörte zu dieser Hand auch ein Arm, den der kurze Aermel des Sommerkleides frei ließ. Er und ebenso die zarte Schulter wetteiferten mit dem Händchen an Liebreiz. Von der Schulter hatte es Theodors Blick nicht mehr weit bis zum Kinn, das beim Lachen ein Grübchen zeigte, bis zu einer kleinen, krausen Nase, leider ein wenig mit den bräunlichen Flecken der Sommersprossen, betupft, bis zu dem blauen Feuer von zwei Augen, die lächelnd in die seinen sahen.
Sein einundzwanzigjähriges Herz pochte, wie drängender kein Gläubiger an der Tür des Schuldners pochen kann. Es war Sommer, und Gras und Blatt und Blume hauchten Düfte aus, die jungen Menschen stark ins Gehirn dringen konnten wie der Duft von feurigem Wein.
„Süße kleine Thekla", sagte Theodor, und er sah nicht mehr die Sommersprossen auf der kecken, kleinen Nase, sondern nur das lachende Blau der Augen und einen Mund, rot wie eine-reife Frucht. Und es gelüstete ihn sehr, diesen Mund zu küssen.
Da saß plötzlich auf der zartschimmernden Schulter
des Mädchens zartschimmernd ein Schmetterling. Er saß ganz still, und seine Flügel glitzerten wie Perlmutter.
Theodor dachte: Soll ich Thekla küssen und alles mit in den Kauf nehmen, was dazu gehört? Denn an Thekla hängt Familie, hängen Onkel und Tanten, hängt alles, was zur Sippe gehört. Und Sippe gibt nicht Ruhe, bis solchem Kusse der Alltag folgt und der goldene Ring.
„Schmetterling, was soll ich tun? Sei Orakel. Gib Antwort", sagte Theodor innerlich und sah erwartungsvoll auf das luftleichte, glitzernde Wesen. Da breitete der Schmetterling seine Flügel aus und schien vor Uebermui noch viel feuriger zu glitzern als vorher. Und er gaukelte über Theklas blondes Haupt hinweg und direkt auf das Blumenbeet zu. Und Theodor sah: er gaukelte von einer gelben Blume zu einer blauen, von einer weißen zu einer rosafarbenen, von einer violetten zu einer purpurnen. Er gaukelte von Kelch zu Kelch und flog dann an der bogenspannenden Artemis vorbei in die Freiheit der seligen Abendröte hinein.
Und Theodor verstand: Nippen von allen Blumen, den blauen, gelben, violetten und purpurfarbenen, aber sich nicht festhalten lassen, solange noch die Jugend glüht, denn nichts geht über die Freiheit der zukunftleuchtenden Ferne.
Theodor sah plötzlich auf dem kecken Näschen der Geliebten die entstellenden Sommersprossen, daß der Schulterknochen sich spitz durch die Haut abzeichnete, wie auf den lockenden Mund Lippenrot gemalt war und das puppenhafte Eesichtchen den verschmitzten Ausdruck der wissenden, listigen Eva hatte.
Und sein Herz pochte auf einmal garnicht mehr. Sein Herz lächelte ironisch.
Thekla sah: Die Entzauberung war da. Sie stand auf und sagte: „Kommen Sie in die Laube. Was sollen die andern denken?"
Sie gingen um den Rasen, an der bogenspannenden Artemis vorbei und setzten sich in der Laube, getrennt von einander, zu den Gefährten und Gefährtinnen.
Die Blumen im Blumenbeet aber sahen aus, als schauten sie mit den bunten Augen alle dem Schmetterling nach, der in der Abendsonne ein kreiseziehendes Pünktchen war. Und dann auch das nicht mehr.