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Nagolder Tagblatt „Der Gesellschafter"
Mittwoch, 14. August 1929.
nahmen auch die Minister Seuer ing und Wissel teil, die soeben von ihrer Reise nach dem Hag zurückgekehrt waren. In der Sitzung kam, dem „Abend" zufolge, völlige Uebereinstimmung mit der Haltung der beiden sozialdemokratischen Minister zutage.
Politischer Mord im Lisenbahnzug
Frankfurt a. Oder, 13. August. Gestern abend wurde der Krastwagenführer Johannes Rade macher aus Gurioitz bei Glogau in einem Abteil zweiter Klasse des Zugs Berlin- Breslau bei der Station Jakobsdorf (Mark) von mehreren Reichsbannerleuten überfallen und durch Messer st ichesoschwerverletz t, daßerkurzdarauf starb. Der Streifdienst der Reichsbahndirektion verhaftete den Arbeiter Herbert Stirn und den Angestellten Günter H a h n im Zug zwischen Guben und Sagan, auch in Breslau wurden zwei Mittäter verhaftet.
Russischer Sriegsschiffbesuch in deutschen Häfen
Moskau, 13. Aug. Ein Teil der baltischen Flotte, die gegenwärtig ihre Hochseeübungen abhält, wird demnächst einige ausländische Häfen besuchen. Die Kreuzer „Aurora" und „Profintern" begeben sich am 18. d. Mts. nach Swinemünde, die Torpedoboote „Lenin" und „Rykow" nach Königsberg und die Torpedoboote „Wolkow" und „Kalinin" nach Memel.
Am Dienstag vormittag 9 Uhr lies eine unter BefeP des Admirals Rota stehende italienische Schulsch-iffdioision, bestehend aus den Panzerkreuzern „Pisa" und „Francesco Ferruccio" von Danzig kommend zu mehrtägigem Aufenthalt in den Kieler Hafen ein.
Lin sranMisches Hauptquartier in Reuyork
Reuyork. 13. August. Wie die Blätter berichten, hat die französische Regierung das Century-Theater am Zentralpark erworben und wird an seiner Stelle ein 65stöckiges Gebäude errichten, das den Namen Palais de Franc erhalten und als Hauptquartier für die Vertretungen der politischen, wirtschaftlichen und sonstigen Interessen Frankreichs dienen soll.
Die Unterschlagungen beim Deutschen Sängerbund
In einer Sitzung des Gesamtausschusses des Deutschen Sängerbunds in Halle an der Saale wurden die llmer- schlagungen des Bundesschutzmeisters Redlin behandelt. Es wurde gerügt, daß der Bundesvorsitzende Friedrich L i st- Berlin sich ohne Befragen des Ausschusses monatliche „Re- präsentationsgelder" von 1000 Mark auszahlen und für die Wiener Festtage in vorigen Jahr außerdem noch eine einmalige Zahlung von 1200 Mark geben ließ, obgleich er vollständig Gast der Stadt Wien war.
Merkwürdig muß es weiterhin berühren, daß List neben Redlin seine Unterschrift zu Verträgen gegeben hat, von Lenen der Gesamtausschuß nichts wußte, zu denen der letztere seine Zustimmung auch nicht erteilt hat und die teilweise den Deutschen Sängerbund finanziell belasten. Vollkommen verständnislos steht man aber der Tatsache gegenüber, daß List trotz vieler Warnungen nicht den Mul aufgebracht hat, sich von Redlin zu trennen oder doch für die Zukunft wenigstens größte Vorsicht walten zu lassen, sondern Redlin blindlings weiter vertraute. Weiter hat List auf dem Sängertag in Wien eine Anfrage, ob der Deutschs Sängerbund bei der Filmgesellschaft, die den Film „Das deutsche Lied" herausgebracht hat, in irgend einer Form engagiert sei, bewußt die Unwahrheit gesagt, indem er diese Frage verneinte.
Als Vorsitzender des Deutschen Sängerbunds wurde vom Ausschuß sodann der bisherige Stellvertreter, Geheimrat Hammerschmidt, gewählt, der die Leitung der Sitzung sofort übernahm. Zum Schatzmeister wurde Bürgermeister a. D. Roth (Leipzig) gewählt.
Von den von Redlin unterschlagenen 900 000 Mark sind »—400 000 Mark Schulden, die der schleunigen Abdeckung durch den D. S. B. harren. Hervorgehoben muß werden, daß die unterschlagenen Gelder in der Hauptsache keine Beiträge der Sänger sind. Es handelt sich vielmehr um
Gelder, die dem D. S. B. aus dem Limpertverlag Dresden zusließen für den Vertrieb von Liederbüchern, Mützen uiw. Alle diese Einnahmen hatte Redlin verheimlicht.
Die Frage, wo diese 900 000 Mark geblieben sind, konnte nicht geklärt werden. Man nimmt an, daß erhebliche Betrüge auf anders lautenden Konten, vielleicht auch im Ausland, stehen. Eine fünfgliedrige Kommission wird prüfen, ov außer Redlin auch andere Personen an diesen Unterschlagungen beteiligt lind.
Die Rentnerversorgung
Schwere Enttäuschung der Rentner
Stuttgart, 13. August. Vom D. Rentnerbund wird uns geschrieben: Der Referentenentwurf des Reichsarbeitsmim- steriums wurde von dem früheren WohlfahrtsrAerenten von München, Ministerialdirektor Grieser, dem Deutschen Rentnerbund bekanntgegeben. Nach diesem ist von einem Rent- neroersorgungsgesetz, sowie von einem Rechtsanspruch oder von einer reichsgesetzlichen Regelung der Rentnerfrage keine Rede. Der Entwurf enthält lediglich ein Novelle zu den bisherigen Fürsorgebestimmungen, mit der die Rentner abgespeist werden sollen. Der Entwurf bringt eine schwere Enttäuschung für die Rentner, umsomehr, als sich das Reichsarbeitsministerium über die Beschlüsse des Reichstags hinweggesetzt hat. Es hat lediglich auf die Beschlüsse des sozialpolitischen Ausschusses sich gestützt.
Dieser Vorgang beweist, daß die demokratische Staats- aufsassung in diesem Fall umgebogen wurde. Die neuen Vorschriften wären noch zu verstehen, wenn es sich nur um eine Verbesserung der Fürsorge handeln würde, nicht um Erledigung der Äentnerfrage; aber selbst diese weisen noch erhebliche Mängel auf. Vor allem erhalten diejenigen Rentner wieder nichts, die sich nicht in der Fürsorge befinden, diese sind aber teilweise in einer schlimmeren Lage als die anderen. Dann enthält der Entwurf keine reichsgesetzliche Festsetzung der Unterstützungssätze, er überläßt diese wie bisher den Fürsorgeverbänden. Außerdem fehlt eine Bestimmung, datz diese eventuell durch Reichszuschüsse ergänzt werden müssen. Auch der Begriff „Rentner" wird den Wohlfahrtsämtern überlassen. In Bezug auf Rückzahlung und Verpfändung für die erhaltene Unterstützung macht er keinen reinen Tisch, ebenso über die Anrechnung der übrigen Leistungen.
Das Reich versucht, die Rentnexversorgung noch in einem erhöhten Maß auf die Länder und Gemeinden abzuwälzen, trotzdem das Reich das ganze Elend der Rentner verursacht hat. Die Rentner erheben deshalb einmütig Protest gegen diesen Entwurf, weil dieser den Auftrag des Reichstags in keiner Weise berücksichtigt hat. Der Reichstag hat eine Mehrausnahme aus der Fürsorge durch ein Rentnerversorgungs- gesetz, Gewährung eines Rechtsanspruches und Aufbringung der Mittel durch eigene Abgaben gewollt.
Württemberg
Stuttgart. 13. Aug. Von der Technischen Hochschule. Der Staatspräsident hat die ordentliche Professur für organische Chemie und organische Technologie an der Techn. Hochschule Stutgart dem Professor Dr. Erwin Ott in Münster i. W. übertragen.
Disziplinarkammer für Schuhpolizeibeamke. Der Staatspräsident hak den Oberlandesgerichtsrat Härle zum Vorsitzenden, den Oberlandesgerichksrat Rau zum skellv. Vorsitzenden der Disziplinarkammer für Schutzpolizeibeamte ernannt.
Die Bibliothek des Landesgewerbeamts, Kanzleistr. 19 gibt soeben ihr Verzeichnis Nr. 12 heraus, das auf 26 Seiten die vom 1. 1. bis 30. 6. 1929 angeschafften Bücher umfaßt. Das Verzeichnis zerfällt in folgende Abteilungen: Allgemeines, Baukunst, Betriebswirtschaft, Chemie, Handwerk. Kunst. Technik. Wirtschaftswissenschaft. Das Ver
zeichnis ist in der Weise angelegt, daß die einzelnen Abtei- lungen gesondert gesammelt und aufbewahrt werden können Das Verzeichnis kann von der Bibliothek bezogen werden.' Der Preis berägt 25 -Z. ^
Geburtstag. Am Mittwoch, 14 August, feiert General O. Haas, seit Kriegsende hier wohnhaft, seinen 65 Geburtstag. Er ist in Ludwigsburg geboren und führte am 2. Aug. 1914 das Regiment 124 von Weingarten in den Krieg Er war als tüchtiger und um das Wohl seiner Mannschaft treu besorgter Kommandeur, bei Offizieren und Soldaten gleich beliebt. Nach dem Krieg gehörte er einige Jahre der Reichswehr an.
Ernst-Sieglin-Plah. Der verstorbene Geh. Hofrat Dr. Ernst von Sieglin hat der Stadtgemeinde durch letzt- willige Verfügung ein Grundstück an der Spitzkehre der Neuen Weinsteige gestiftet mit der Bestimmung, daß darauf ein öffentlicher Aussichtsplatz angelegt werden soll. Der Gemeinderat hat diele hochherzige Stiftung angenommen und den Platz Herstellen lassen. In seiner morgigen öffentlichen Sitzung wird der Gemeinderat den Ernst-Sieglin-Platz der Oeffentlichkeit übergeben.
Sindelfingen OA. Böblingen, 13. August. Selbstmord. In der Nacht auf Montag ist der verheiratete, in den Daimlerwerken beschäftigte Arbeiter T. Cch. durch Einatmen von Gas freiwillig aus dem Leben geschieden.
Tamm OA. Ludwigsburg, 12. Aug. WeitereVerhaf- tung in der Wildererangelegenheit Die Festnahme der 5 Wilderer hat zu weiteren Ergebnissen geführt, der 26jährige, wegen Wilddiebereien schon vorbestrafte Rob- Köhler von Untermberg wurde festgenommen und in das hiesige Amtsgericht eingeliefert.
Lausten am Neckar. 13. August. Mittlere Ernte. — Gefärbte Trauben. Die Getreideernte ist hier nahezu beendet. Mit wenigen Ausnahmen konnten die Halmfrüchte in bester Qualität eingeheimst werden. Weniger befriedigt das Druschergebnis, da das Getreide infolge der außerordentlichen Hitze vor einigen Wochen zu schnell herangereift ist. Der Körnerertrag dürfte kaum über eine mittlere Ernte hinausgehen, dagegen gibt es reichlich Stroh. Anschließend an die Getreideernte wird nunmehr mit dem Oebmden des Wiesengrases begonnen, das befriedigend ist. In einem Weinberg des Weingärtners Friedrich Beringer sind bereits gefärbte Trauben ZU sehen.
Neckargartach OA. Heilbronn, 13. August. Beim Fen- sterln verunglückt. Am Sonntag früh wollte ein 24jähriger junger Mann zu der Geliebten Fenster gelangen. An der Abfallrinne schaffte er sich empor zum oberen Stockwerk, wollte sich von dort entlang der Dachrinne seinem Ziele nähern, aber die Rinne gab nach und mit gebrochener Hand, Gesichts- und sonstigen Verletzungen lag er unten.
Roigheim OA. Neckarsulm, 13. August. Todesfall. Hier starb der in ganz Württemberg bekannte Fabrikant der Roigheimer Preßspanfabrik Constantin Autenrieth. Ein Schlaganfall machte seinem Leben ein Ende.
ep Münsingen, 13. Aug. Vorturnerlehrganc des Eichenkreuzverbands, lieber 60 Teilnehmei im Alter von 15 bis 50 Jahren waren dem Ruf des Württ Evang. Jungmännerbunds zu dem diesjährigen Turnlehr' gang in Münsingen gefolgt. „Frisch, fromm, fröhlich, frei" wurde unter Leitung von Bundesturnwart Dörr gearbeitet. Alle Arten Leibesübungen kamen an die Reihe. Die wichtigsten Spiele, Faustball, Handball, Schlagball, wurden von Grund auf durchgeübt. Nebenher gingen Volksspiele.
Die Morgenstunde gehörte ernster Bibelarbeit unter Leitung von Pfarrer Fr ick, der es prächtig verstand, alle zLr Mitarbeit heranzuziehen. Am Abend gab's allerlei Fröhliches. 3m Hospiz Waldrast war man bei Hausvater Eisenmann gut aufgehoben. Mit herzlichem Dank urS frohem „Auf Wiedersehen im nächsten Jahrl" wurde di« Woche beschlossen.
Tübingen, 13. August. Tödlich verunglückt. Frau Dr. Ederle, die sich zur Zeit in der Schweiz befand, ist dort tödlich verunglückt.
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(Nachdruck verboten.)
(Fortsetzung 64)
Als die drei nach Hause kamen, standen die Eltern unter der Türe und warteten. Zwischen ihnen lugte ein Kin- derköpschen nach allen Seiten.
Als Trude ganz nahe gekommen war, sprang Lre-Lies
Als Trude ganz nahe gekommen war, sprang Lore-Lies
Der Doktor hob sich rasch auf den Arm. Dann gab er sie Max hinüber. „Sie hat dir nicht weh getan?" hörte ihn die Greisin fragen.
Er mußte unsinnig in seine Frau verliebt sein, denn auch, als sie verneinte, war er nicht ganz beruhigt.
Der alte Dorfbach ließ sich auf die Bank nieder, zog die Kleine auf seinen Schoß und zeigte in die Runde. „Willst du das alles einmal haben, mein Mädl?"
„Ja!" Lore-Lies klatschte in beide Hände. „Schenkst du mir's, Onkel Dorfbach?"
„Später einmal! Später! Wenn ich die Augen zutue".
Trude löste ihre Hand aus der ihres Mannes, trat ins Haus und stieg langsam die Treppe hinauf. Der Doktor bemerkte erst nach einigen Minuten, daß sie weg war. Als er oben in ihr Zimmer trat, lag sie auf dem Bette und drückte weinend den Kopf in die Kisten. Er brauchte gar nicht erst zu fragen. Es war ihm alles klar. Er ließ es sich jedoch nicht merken und stellte sich verwundert.
„Ich möchte heim!" sagte Trude.
„Bist du nicht auch hier daheim?"
„Heim, zu uns!"
Er lächelte. „Morgen dann! Ja?"
„Bitte!"
Als sie schlief ging er nochmal hinunter. Die Eltern fassen noch immer auf der Bank. Nur Max und Lore-Lies waren schon zur Ruhe gegangen.
„Morgen fahren wir zurück, Vater!"
Die Greisin sah ihn vorwurfsvoll an. „Hast es gar so eilig, mein Bub, von uns Alten wegzukommen? Ich dachte, du habest einen Vertreter — hast du nicht so gesagt?"
Der alte Dorfbacher hörte etwas in dem Tone seines
Sohnes mitklingen, das ihn aufhorchen ließ. „Hat ihr jemand etwas zuleide getan?"
„Ja — du, Vater".
Der war maßlos verblüfft. Er klopfte seine Pfeife, obwohl der Tabak noch glühte, auf den Tisch und fand für den Augenblick kein Wort der Erwiderung. „Ich wüßte wahrhaftig nicht — gar nicht-"
„Vater" — der Doktor winkte der Mutter, die einen Streit befürchtete, mit den Augen ab — „du wolltest heute Gewißheit über etwas haben, nicht? Nun gut! Wenn der Holder wieder blüht, wirst du Großvater sein-"
„Mein Jung!" Der Alte war aufgesprungen.
„Ich bin noch nicht fertig, Vater!"
„Ein Mädchen auch?-"
„Du mußt dir Zeit lasten, es ist ja möglich, daß es auf einmal geht. Und nun weint meine Frau, weil du doch von ihren Kindern nichts wissen willst und alles der Lore- Lies zu schenken gedenkst".
„Du Teufelsbub!"
Der Doktor lachte noch in sich hinein, als er die Stiege hinaufschritt.
Am anderen Morgen kam Trude mit etwas unsicheren Augen zum Frühstück. Mutter Dorfbach schloß sich behutsam in die Arme. „Geh hinunter zum Vater, Kindchen, der wartet schon seit einer Stunde auf dich. Weiß du, dort unten, wo die große Wiese an den Acker stößt, — du findest ihn schon".
Trude stand nach ein paar Minuten vor dem alten Dorfbacher, der im Schweiße seines Angesichts eine Grube auszuheben begann. „Guten Morgen, Vater! Weshalb plagst du dich so?"
Er hielt nicht im Graben inne und sah nur flüchtig auf. „Nimm das Stämmchen dort, Trude — das Eichenstämm- chen, ja — und mitten da herein halt mirs. Kannst du?"
Sie tat, wie ihr geheißen worden. „Ganz allein soll das hier stehen an der Markung, Vater? Das arme Bäumchen", schloß sie bedauernd.
„Das kommt ganz auf dich an, Trude!"
„Auf mich?"
„Das hier gehört meinem ersten Enkel oder, wenns ein Mädchen ist, meiner Enkelin. Wies kommt, so ist mirs recht und freu ich mich darüber". Er blinzelte zu ihr auf. „Damit das Kind doch auch ein kleines Erbe von seinem Großvater hat".
Sie errötete dunkel vor Verlegenheit. „Hat Hans geplaudert?"
„Ja, das hat er. Die Männer können nichts für sich behalten, weißt du. Bei euch Frauen ist manches viel besser aufgehoben. Und daß dies Bäumchen hier", er zeigte auf das dünne Stämmchen mit den schütern grünenden Zweigen — „nicht immer mutterseelenallein in der Markung steht, dafür kannst nur du sorgen, Trude". Er war gerührt, und num das zu verbergen, warf er Schaufel um Schaufel Erde in die Grube, bis der Stamm wie ein Pfeil in die Höhe ragte.
„Wird's auch gedeihen, Vater?"
Er hob erschrocken die Hände. „Das darf man nie fragen. An so etwas muß man nur fest glauben — dann wirds".
Sie sahen sich an und lächelten, und der Greis küßte die Tochter auf beide Wangen. „Weil wirs nur noch erwartet haben. Nun sind wir^ schon zufrieden".
Jedes Jahr, wenn die Heckenrosen an den Zäunen blühten und der Rotdorn seine zarten Dolden zur Schau trug, wenn die Rapsfelder mit der Sonne um die Wette leuchteten und der Mohn an den Rainen der Aecker brannte, feierte der General Ebrach seinen Geburtstag.
Diesmal war es der siebzigste.
Er hatte sich alles verbeten: jedes Geschenk, jede Feier. Ganz still und klanglos sollte sein Wiegenfest vorübergehen. Die Kinder hatten „ja" gesagt, aber an die Enkel war kein Verbot ergangen. Was von ihnen kam, mußte er nehmen.
Gerda war mit ihrem Manne, den beiden Söhnen und ihrer Tochter eingetroffen.
„Wie kommt es, daß sie nicht altert?" fragte sich Lena, als die Giesbertsche Familie in das große Wohnzimmer trat. Rita und Ernst standen noch im Flur und plauderten mit Lore-Lies, die altklug behauptete, sie wolle einmal genau so schön werden wie die Tante. Trude und ihr Doktor kamen in dem großen Landauer gefahren, und Mutter Dorfbach hielt behutsam ein Steckkisten aus dem Schoß. Pünktlich zur Zeit der Holderblüte, war der Enkel eingetroffen. Von seiner Mutter hatte er nichts — von seinem Vater dafür alles zum Erbe mitbekommen.
Die Geschenke, welche den Kindern zu geben verboten waren, überreichten die Enkel nun für ihre Person.
Der General stand in einem Hain von Blüten. Sekt und Edelwein in reichgeschmückten Körben stand auf dem großen Gabentisch, der an das Mittelfenster gerückt war. Die Ebrachschen Kinder hatten einen bequemen Liegestuyt gestiftet und mit Blumen bekränzt. (Fortsetzung folgt)