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Nagetier Tagblatt »Der Gesellschafter
Reckarfulm, 25. Juli. Lebendig verbrannt. Der Automechaniker Richard Emerich war in seiner Autoreparaturwerkstätte damit beschäftigt, den Motor eines Autos mit Waschbenzin zu reinigen. Durch einen elektrischen Funken entzündete sich das Benzin, und die Flammen erfaßten den Bedauernswerten. Er sprang mit brennenden Kleidern durch die Straßen. Sein Bruder und Passanten eilten ihm zu Hilfe, rissen ihm die Kleider vom Leibe und hüllten ihn in eine Decke. Die schweren Verletzungen führten aber am Nachmittag seinen Tod herbei.
Mergentheim. 25. Juli. Ehrenvolle Berufung. Unter Verzicht auf eine Ausschreibung des Postens hat die Bad Homburg A.-G. Hauptmann a. D. Höfner von der hiesigen Kurverwaltung den Posten des Kurdirektors von Bad Homburg angetragen. Die Uebernahme des Postens erfolgt am 1. Oktober.
Die Gefährdung des Flughafens Böblingen
Stuttgart, 25. Iult.
lieber den Fall Böblingen und den augenblicklichen Stand der Verhandlungen berichtet das N. T„ daß in der letzten Zeit nicht nur Schriftwechsel, sondern auch verschiedene Besprechungen mit den Beteiligten stattgefunden haben, darunter auch mit Vertretern der Rheinisch-Westfälischen Elektrizitätswerk A.-G. (RWE.) selbst. Die RWE-, in deren Auftrag die Großkraftwerk Württemberg A.-G. (Growag) die 220 000 Voltleitung errichtet, vertraten dabei die Auffassung, daß sie zu dem von der Oeffentlichkesk so stark angefochtenen Bau der Leitung berechtigt gewesen seien und erklären sich bereit, die Leitung an eine andere Stelle zu verlegen, wenn ihnen die Kosten hiefür in Höhe von etwa 750 000 Mk. ersetzt werden. 5m übrigen machen sie geltend, daß sie durch Vertrag gebunden seien, noch in diesem Jahr einen Teil der angeschlossenen Abnehmer, insbesondere eine Großabnehmerm, mit Strom zu versorgen. 5m 5nnenministerium, wo man die Unhaltbarkeit der jetzigen Lage in vollem Umfang erkennt, wo man aber andererseits auch die wirtschaftlichen Vorteile der durch die Hochspannungsschiene zwischen Vorarlberg und dem Rheinland gewährleisteten Stromversorgung württ. Gemeinden und Betriebe nicht gering schützt, steht man nach diesen verschiedenen Aussprachen auf dem Standpunkt, daß zunächst versucht werden soll, auf raschestem Weg einen gütlichen Ausgleich über eine veränderte Leitungsführung zwischen der Ärowag (RWE.) als Unternehmerin und der Lufthansa als Vertreterin der Fluginteressen herbeizuführen, so daß dann eine Zurückziehung der Einsprachen ermöglicht würde. Sollte es jedoch nicht zu einer solchen Einigung kommen, dann wird die Unternehmerin vor der Tatsache stehen, daß, wie schon in der Regierungserklärung im Landtag angekündigt war, die polizeiliche Genehmigung zum Betrieb der Starkstromleitung entlang des Flugplatzes nicht erteilt werden kann.
Aus Stadt und Land
Nagold, den 26. Juli 1929.
Die Zeit ist weder groß noch klein.
Leg du nur einen Wert hinein. Eulenberg.
Vom Rathaus
Eemeinderatssitzungoom 24. Juli 192g.
Anwesend: Der Vorsitzende und 15 Eemeinderäte. Ortsabwesend: Eemeinderat Raas.
Mitteilungen: Im Einlauf befindet sich der Bericht des Vorsteheramts der Latein- und Realschule über das Schuljahr 1928/29. Hienach hat die Anstalt eine weitere erfreuliche Aufwärtsentwicklung genommen; ferner das Urlaubsgesuch des städt. Forstmeisters, dem entsprochen wird.
Arbeitsvergebunden: Für die Ausführung des Hoch- Ireuzes sind 3 Angebote eingekommen. Zuschlag an Ehr. Brenner, Grabsteingeschäft, hier zum Preis von 450 ^l. Die Ausführung der Mühlkanalbrücke im Gewand Riethbrunnen wird dem Friedrich Wohlleber, Maurermeister
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nok-iädln i.sciltiTioLkr-^oeüsii.
(Nachdruck verboten.)
(Fortsetzung 49)
Er suchte nach neuen Motiven, Geld von ihr zu bekommen, aber sie blieb völlig ungerührt. — Er begann zu betteln wie ein Kind. — Es nütze nichts.
„Du mutzt ihn dir abgewöhnen, Mar!"
Er lachte, dah der Tisch ins Wanken kam. „Ich Hab mir schon so vieles abgewöhnt, daß ich dies eine nicht mehr missen kann. — Erst die Frau. — dann den Vater, — den Bruder dazu, — ein geordnetes Leben, — ein anständiger Mensch zu sein, — ein richtiges Mittagessen zu haben und eine saubere Wäsche und ein regensicheres Dach über mir! — Ist alles zur Not gegangen. — Aber den Branntwein, Rita, den mutzt du mir lasten! — Weißt du, wie sütz der ist? Hast dus schon einmal versucht? Mich hat auch das erstemal devor geekelt, aber jetzt trink ich ihn wie Edelwein. — Wenn er über die Lippen kommt, die Zunge hinunter, den Hals hindurch, den Magen hinab! Aah! — Dann das Vergessen! — Rita, das Vergessen! wenn man so einen halben oder drei Viertelliter hat Hinunterrinnen lasten! — Ich Hab einen Freund von der Akademie her, dem bin ich kürzlich begegnet und hat mir Morphium versprochen — oder ein bißchen Kokain — du kannst mithalten, Rita. — Das ist der Gipfelpunkt!"
Ihr Gesicht spielte ins Graue. Es war höchste Zeit, daß sie gekommen war. „Hast du nie mehr Nachricht von Lore-Lies erhalten?"
Er sah sie mit zusammengekniffenen Augen an. „Glaubst du, daß eine Frau, die man wie einen Hund mit Schlägen aus dem Hause jagt, noch einmal Nachricht von sich gibt?"
„Es könnte trotzdem Vorkommen".
„Mach dir keine Skrupeln! — Der ist es völlig gleich, ob ich ersauf, oder erfriere, oder in irgenmd einemz Strassengraben verrecke. — Schließlich hat sie recht. — Geschieden ist geschieden! — Wenn wir ein Kind gehabt hätten, wär's ander!"
„Willst du damit sagen, daß du dann nicht so weit gekommen wärst?"
Freitag, 26. Juli 192g.
hier, zum Preise seines Angebots von 1603 RM. 90 Z überlragen.
Bau- und Straßensachen: Die vorhandenen Einzelkabinen im Familicnbad reichen nicht aus. Unter Benützung der Liegeräume werden weitere 20 Kabinen sofort einzu- ! bauen beschlossen. Der bereitgestellte Betrag von 500 -4t j für die Gräberneunummerierung aus dem Friedhof ist ungenügend. Weitere 949 RM. werden im Etat 1929 zur > Verfügung gestellt. Im Sannwaldhaus in der Calwerstr. sind verschiedene Reparaturen oorzunehmen. Der Aufwand mit 345 RM. wird genehmigt, ebenso ein Betrag von 300 Mark für das Weitznen des Farrenstalls und sonstiger baulicher Veränderungen. Die Bewohner der Schmiedgasse beklagen sich daß bei starken Niederschlägen der vorhandene Dohlenschacht vor dem Bauer Stopperschen Hause nicht ausreiche, um die anströmenden Wassermassen aufzunehmen. Es ist zwar zu sagen, daß, wenn das Einlausgitter von Reisig und Morast rechtzeitig freigehalten wird, der Querschnitt ausreichend wäre, doch soll vor dem Gau- gerschen Hause ein weiterer Schacht mit Abfutzdohle in den Hauptkanal angelegt werden. Die Kosten mit 900 RM. werden genehmigt. Die Röhren der alten Wasserleitung sind, wie vorliegende Proben zeigen, teilweise stark verkrustet. Dies macht sich in erster Linie durch mangelnoen Druck, dann aber auch durch geringe Wasserzusuhr bemerkbar. Das verkrustete Rohr ist nicht mehr imstande, auch nur die Hälfte der Wassermenge zuzusühren, die es normalerweise ableiten müßte. Besonders drastisch zeigt sich dies an der Quell-Leitung vom Kreuzertal zum Hochbehälter Wolfsberg. Normalerweise müßte diese Leitung etwa 6 Sekundenliter führen und damit das ganze Wasser der Kreuzertalquellen wenigstens im Sommer bewältigen. Nun ist aber zu beobachten, daß auch heute noch etwa 2 bis 3 Sekundenliter durch das llebereich des Quellsammelschachtes verloren geht, weil die Rohre in ihrem heutigen verkrusteten Zustande nicht mehr in der Lage sind, das ganze Wasser bei dem verfügbaren Gefälle abzuführen. Das Stadtbauamt schlägt deshalb vor, den Rohrstrang vom Quellsammelschacht bis zum Hochbehälter nach System „Molch" reinigen zu lassen. Die Kosten betragen nach dem Angebot der Firma Gesellschaft für Röhrenreinigung in Bernburg 1000 -1t. Das Gelingen der Reinigung, das nach den eingezogenen Erkundigungen unzweifelhaft erscheint, würde zur Folge haben, daß wir nach und nach unsere alte Leitungen ganz auf diese Weise reinigen können. Dadurch würde die Auswechslung der alten Rohren um weitere 20—30 Jahre hinausgeschoben werden können. Die Reinigung der gesamten alten Rührenfahrt wird etwa 10 000 Mark kosten, während die Auswechslung mindestens 100 000 Mark kosten würde. Der Eemeinderat ist mit dem Probeversuch einverstanden, zuvor soll aber das Vauamt für das öffentliche Wasserversorgungswesen gutachtlich gehört werden. Für den Kontrollbeamten der Landesoersicherungsanstalt soll das Stadtbauamt eine Garage hinter dem städt. Gebäude Nr. 31 der Haiterbach- straße mit einem Aufwand von 2 200 Mark bauen. Das Stadtbauamt wird hiezu beauftragt, nachdem die Landesversicherungsanstalt ein Darlehen bewilligt in dieser Höhe. Das Kapital einschließlich Zinsen ist in einem bestimmten Zeitraum durch den Kontrollbeamten wieder abzutragen. Gegen das Bauwesen des Albert Pfohmann, Krastwagen- führers, um Erstellung eines Wärterhauses und eines Hühnerstalls an der Rohrdorser Steige wird in widerruflicher Weise nichts eingewendet. Unter bestimmten Bedingungen wird Pfohmann gestattet, auf dem städtischen Grundstück nach Wasser zu graben. Wegen Mangel an geeigneter Arbeit aber vor allem wegen Mangel an Mitteln werden sämtliche Arbeiten im Stadtwald im Monat August eingestellt und die Waldarbeiter beurlaubt. Das Stadtbauamt beschäftigt einschließlich der Notstandsarbeiter derzeit 42 Mann, eine Zahl, die der Stadthaushalt unmöglich tragen kann, so gern man es auch wollte. Eine beantragte Notstandsarbeit in den Steinbrüchen hat das ! Landesarbeitsamt anzuerkennen abgelehnt. Die Stadt ist j deshalb gezwungen, die Notstandsarbeiter in nächster > Zeit zu entlassen. Auf Antrag des Stadtbauamts werden ! die Stellen eines Vorarbeiters, zweier Schächtereiniger, i eines Straßenreinigers, eines Maschinisten, eines Hilfs- l arbeiters für die Dreschmaschine und eines Hilfsmaschini- s sten als ständige Stellen beim Stadtbauamt erklärt. Wei- s ter vorhandene städt. Arbeiter gelten als unständig. Bis '
zu 6 Tagen steht den städt. Arbeitern der tarifmäßige Urlaub zu. Die freie Wohnung im städt. Gebäude Nr. 3g in der Haiterbachstraße wird der Frau Rosa Seeger Ww zugewiesen, während ihr bisheriges Zimmer auf dem Wolfsberg Wilhelm Gaus erhält. — Anschließend noch Grundstücksschützungen und Dekreturen.
Besuch der Stadt Nagold.
Gestern weilte der Eemeinderat von Weilderstadt aus der Durchreise für einige Stunden in Nagold, um die städt. Einrichtungen einem Augenschein zu unterziehen. Ueber das Gesehene und Gehörte waren die Herren sehr befriedigt. Anschließend war man noch für kurze Zeit im Hotel Post zusammen.
Missions-Vortrag.
Man bittet uns um Ausnahme folgender Zeilen:
Der Missionsvortrag in der Methodisten-Kapelle in Nagold am Mittwoch Abend von dem vor 4 Wochen aus Angola (Portugiesisch Westafrika) zurück gekehrten Missionar August Klehsattel war in vieler Beziehung lehrreich und interessant. Sitten und Eebäuche der Eingeborenen, klimatische Verhältnisse und Vegetation jenes Teiles von West-Afrika, welches unter portugiesischer Herrschaft steht, zeigte der Redner in kurzen Zügen. Aber auch den Hunger nach Wahrheit, insbesondere nach dem Evangelium Jesu Christi, wie er in jenen Afrikanern lebt. Bei der diesjährigen „Basler Missionssestwgchckf war auch Missionar Alfons Pratsch als Vertreter Mr Bischöflichen Methodistenkirche von der Basler Mission offiziell eingeladen worden, an dieser bedeutsamen Tagung teilzunehmen. Man erkannte an diesem Umstande iunüclm eine Frucht des Weltbundes für internationale Freundschaftsarbeit der Kirchen, sodann aber auch die immer mehr wachsende Erkenntnis missionarischer Gleichberechtigung der Landeskirchen und Freikirchen. Schließlich zeugte die herzlich gehaltene Einladung auch von der Tatsache, daß ein Zusammenstehen der verschiedenen Missionsgesellschaften und Kirchen nicht nur auf dem Missionsfelde das Gebot der Stunde ist, um den antichristlichen Mächten im Heidentum wirksam zu begegnen, sondern daß solches Zu- sammenenstehen und sich gegenseitiges Achten schon hier in der Heimat gepflegt werden muß und gepflegt werden kann. Mit Dank gegen Gott im Herzen zogen Redner und Hörer fröhlich ihre Straße. I. Sch.
Lieder- und Reigenabend des Musikvereins.
Es geht hierbei wohl so. wie mit einem guten Buch, das man gerne zweimal liest oder wie mit einem schönen Erleben, nach dem das Innere unzweideutig nach einem äacapo verlangt. Und so ist es zu verstehen, daß der Musikverein bei der Wiederholung seines vorwöchiaen Liederund Reigenabends auf der Freilichtbühne „Schloßberg" ein „ausverkauftes Haus" hatte. Wie oft haben wir schon diese eigene Stimmung auf dem Schloßberg auf uns wirken lassen, wie oft schon lauschten wir dem Gesang der Geigen und dem Klingen menschlicher Stimmen wie oft tanzten Kinder in der Abenddämmerung auf dem grünen Rasen des Schloßberghofes, wie oft sahen wir das nek- kische Spiel sich haschender Lichtreflexe von bunten Ampeln auf dem alten Gemäuer, und jedesmal erlebten wir etwas Neues, etwas, das uns der Welt entrückte, iür einige Zeit losgelöst sein ließ vom grauen Alltag. Nur ganz von ferne hört man das Bim-bim-bim der Kleinbahn, leise schwingen Elockenschläge vom Tal zur Verges- höhe, dann sind wir allein und hören von der Liebe Leid: „Es waren zwei Königskinder, die hatten einander so lieb, sie konnten zusammen nicht kommen . .". Helle Frauenstimmen erzählen die Mär, klangvolle Bässe bestätigen das Ende . . . „das Wasser war viel zu tief". Ein Streichquartett entlockt den Saiten das Presto von Haydn, die Kinderlein im weißen Kleid und bunten Blumen im Haar tanzen ihre Reigen „Rundinella" und „Dort unter der Linde", der Chor und die Geigen erzählen wiederum von der einbrechenden Nacht, „Die Blümelein sie schlafen" und „Der Mond ist aufgegangen", das Quartett ist zu moll übergegangen „Adagio in f-moll" von Haydn und schließlich sind es die Kinder, die uns aus einem Traum zur lebendigen Freude zurückrufen mit ihren Reigen "Hopheissa, komm tanze mein Kind" und „Hampelmann".
„Ich glaub, ich könnts beschwören. — Wenn einer Vater ist, macht er solche Sachen nicht mehr".
„Dann laß den Branntwein und nimm die Stelle im Kino!"
„Nein!"
„Auch nicht um deines Kindes willen?"
Die Augen stiegen ihm förmlich aus den Höhlen. Er hob beide Arme, dann warf es ihn auf den Stuhl, dessen Füße krachten, als er sich niederließ. Er suchte lallend nach Worten. Sie mußte ihm zu Hilfe kommen. Nun war in ihren Zügen jeder Stolz und alle Kälte ausgelöscht.
„Rita, sag mir!" Auf den Knien rückte er zu ihn hin. Sag mir, Rita!"
„Kannst du schweigen?"
„Wenn es sein muß!"
„Vater bekam vor Tagen einen Brief. Es ist Zufall, daß ich in sein Geheimnis eingeweiht wurde. Er weiß nicht, daß ich Kenntnis davon habe, sonst dürfte ich jetzt nicht zu dir reden, denn er hätte mir sicher den Eid abgenommen, es zu wahren. — Lore-Lies bat ihn um seinen Segen für ihren Knaben, den sie vor acht Tagen geboren hat".
„Rita!" Er drückte den Kopf gegen ihre Knie.
„Er heißt Ferdinand-Max!" sagte sie und koste sein Haar.
„Und es ist mein Kind? — Es gibt keinen Zweifel daran. Rita, daß es mein Kind ist?"
„Nein! — Rechne nach, wann sie von dir gegangen ist".
„Damals wußte sie es schon!"
„Mußte es wissen! — Darum auch der Nachsatz: Gedenke des Versprechens, das du mir gegeben hast!"
„Es hätte mich retten können!"
„Willst du ihr darüber einen Vorwurf machen?
„Nein! — Aber das Kind! — Mein Kind will ich haben!"
Sie versprach ihm, alles zu tun, um Lore-Lies Aufenthalt zu ermitteln. Er mußte ihr dafür sein Wort geben, daß er bis dorthin keinen Tropfen Branntwein mehr über die Lippen bringe. .....
Er versprach es! — Versprach es mit tausend Eiden!
Am anderen Abend kroch er — sinnlos betrunken — die Treppen zu seiner Wohnung hinauf, — torkelte — fiel — und blieb reglos auf dem Pflaster des Trepenhauses liegen.
Karl von Ebrach drehte das Telegramm, das soeben eingelaufen war, in den Händen und kniff dabei die Lippen ein. —Es war ein Unding, bei diesem Hundewetter zu reisen. Rita wußte nicht, was sie verlangte. Und dann die Befehlsform: „Ich erwarte dich bestimmt mit dem Abendzug neun Uhr zehn". — Als ob das gerade so einfach wäre.
Lena hob die Decke auf. die er achtlos vom Tisch gestreift hatte, und richtete sie wieder zurecht. Sie entgegnet« kein Wort, verließ das Zimmer und rief nach dem Kutscher: „Der Herr fährt mit dem Fünf-Uhr-Zuge!"
Kathrin mußte die Handtasche blank reiben. Sie begann sofort zu packen und verteilte sorgfältig gebratenes Fleisch in die halbierten Weißbrote. Trudes Gesicht beugte sich über hire Schulter. „Willst du verreisen, Lena?" Diese sah, ohne die Hände ruhen zu lassen, zu ihr auf. „Rita hat ein Telegramm geschickt. Mir ahnt nichts Gutes. Nur Karl ist verärgert und will es nicht begreifen. — Vater oder Ernst! — Um einen von beiden wird es sich wohl handeln".
„Er muß mich mitnehmen!"
„Bei diesem Wetter, Trude! — Doktor Dorfbach wurde
sich entsetzen".
Die junge Frau hatte es nicht mehr gehört. Sie stand bereits drinnen bei Karl und bettelte: „Ich habe keine Ruhe, bis ich weiß, was es ist. — Nimm mich mit!"
Alle seine Einwände zerschellten an ihrem Willen.
Zu zweien saßen sie nach einer halben Stunde in die Kutsche gedukt und ließen den Schneesturm an sich vorüberbrausen. Der Junge auf dem Kutschbock glich einem Schneemann. Weiße Tauben hockten auf seinen Schultern, und auf seiner Mütze türmte sich ein Haufen weichwi Schaumes. Kristallkörnchen schlugen gegen das Lederdach. Von Trudes Gesicht sah man nichts als die großen blauen Augen, die nach dem Wege sahen, der von mannshohen Schneemauern eingefaßt war. Karl fegte ärgerlich ore na>- sen Körnchen von seinem Mantel und zog den Hut nezer in die Stirne. Wenn es sich herausstellte, daß sein Kommen wirklich nicht so dringend war, wie Rita es gemacyl hatte, dann wehe ihr! Man lockte heute bei diesem Wette keinen Hund aus der Stube, geschweige denn einen M scheu.
(Fortsetzung folgt)