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Nr. 153 Gegründet 1827 Mittwoch, den 3. Juli 1929 Fernsprecher Nr. 29 193. Jahrgang
Frankreich als Schuldner Amerikas
Das durch einen überraschenden Beschluß der französischen Kammer von Poincare erzwungene Ersuchen an Amerika, einen neuen Aufschub der Schutdenzahlung zu gewähren, Hai die ganze Frage der Kriegsschulden an Amerika von neuem aufgerollt.
Man weiß es ja nicht erst seit gestern, daß die begeisterte Hochstimmung des Kriegsbündnisses mit Amerika einer Ernüchterung, ja sogar einer peinvollen Abneigung Platz gemacht hat. Mährend der Kriegsjahre nahm Frankreich ohne Rücksicht auf Kosten das Material an, das Amerika mit vollen Händen — auch schon vor seinem Eintritt in den Krieg gegen Deutschland — der alliierten Front spendete. Man unterschrieb einen Schuldschein nach dem anderen und überlegte nicht viel, woher das Geld genommen werden sollte. Stiegen einmal Bedenken auf, so hieß es, Is boobs pudern tont, der Deutsche bezahlt alles. Die ungeheuren Kriegs- lief erringen Amerikas an die Entente haben, was ihre wirtschaftliche Seite anbelangt, ja zweifellos den Erfolg gehabt, die Vereinigten Staaten am Schicksal ihrer alliierten Schuldner so zu interessieren, daß man ein kriegerisches Abenteuer auf sich nahm, um den Bankerott der Schuldner abzuwenden. Aber diese, in Deutschland längst klar erkannte Seite der amerikanischen Kriegslieferungen hat man in Frankreich in ihrer weiteren Bedeutung doch nicht begriffen. Nur so konnte es geschehen, daß das französische Volk nach Kriegsende maßlos erstaunt darüber war, daß es nun bezahlen sollte. Man argumentierte in Frankreich sehr einfach: Wirhabengebtutet, ihrAmeri- kaner müßt zahlen. Diese französische Ileberlegung hat in Amerika nicht viel Verständnis gefunden. Jahrelang stritt man zwischen Paris und Washington über die Regelung dieser Kriegsschulden, llnd während fast alle anderen alliierten Staaten, vor allem England und Italien, ein Abkommen mit Amerika trafen, das die Abtragung der Kosten des Kriegsmaterials und der baren Anleihen regelte, wollte so etwas zwischen Frankreich und den Il.S.A. nicht gelingen. Jede französische Negierung, die der bitteren Notwendigkeit der Schuldsnregelung gerecht zu werden versuchte, setzte sich der Gefahr denkbar größter Anpopularitäk aus. llnd als wirklich das Mellon-Berenger-Abkommen nach vielen peinlichen Zwischenfällen zustande gekommen war, da wurde dessen Ratifikation von Monat zu Monat und schließlich von Jahr zu Jahr hinausgezögert.
Erst ein Mann von der Macht und der Autorität des französischen Ministerpräsidenten Poincarä Konnte es ohne das Risiko eines sofortigen Sturzes wagen, an die Ratifikation jenes Abkommens heranzugehen. An sich ist die Belastung, die diese Schuldenregelung Frankreich auf- erlegk, ja durchaus nicht so übermäßig, da Frankreich den Löwenanteil der deutschen Tribute einkassiert. Bei dem Vergleich der in Paris einlaufenden deutschen Zahlungen mit den vereinbarten Schuldenzahlungen an Amerika bleibt Amer noch ein erklecklicher Rest für Frankreich übrig. Ein Rest, den man für den längst von Deutschand finanzierten Wiederaufbau gar nicht mehr nötig hat und der deshalb — von Sonderarbeiten ganz abgesehen — eine beachtliche Rolle >m regulären französischen Staatshaushalt spielt. Aber in dem Punkte des eigenen Geldbeutels bekomint die sogenannte Abwicklung des Weltkrieges auch für Frankreich eine starke materielle Bedeutung. — Gerade in diesen Tagen hat sich herausgestellt, daß auch die Machtfülle Poin- cares für eine Durchführung der Schuldentilgung nicht ausreicht.
Wenig« Tage bevor Poincare die endgültige Ra
tifizierung des Schul derirbkom mens mit Amerika von der Kammer vornehmen lassen wollte, wurde ein spontaner Beschluß gefaßt, noch einmal an Amerika mit der Bitte heranzutreten, die Bedingungen zu mildern, oder wenigstens di« Zahlungen, die am 1. August fällig werden, bis zum Dezember zu stunden. Poincare wußte ganz genau, daß von Onkel Sam nichts, aber auch gar- nichts zu erreichen war. Da aber die Verweigerung der Durchführung des Kammerbeschlusses den Rücktritt Poin- cares bedeutet hätte, entschloß er sich zu dem peinlichen Bittgang, der sich nun, wie zu erwarten war, als vergeblich herausgestellt hat. Hatte doch der amerikanische Kongreß, von dem das amerikanische Votum abhängt, kurz vor Eintritt in die Sommerferien dem amerikanischen Staatspräsidenten ausdrücklich nur das Recht gewährt, in der Frage der französischen Schulden unter gewissen Umständen eine Sondertagung 'des Kongresses einzuberufen, im übrigen aber keine Vergünstigungen zu gewähren. Präsident Hoo- verhates nunmehr abgelehnt, den immerhin schwierigen Ausweg der Einberufung einer Sondertagung des Kongresses zu beschreiten und so bleibt Frankreich nur die Wahl, entweder am 1. August 10 Milliarden Francs zu bezahlen, oder das Mellon-Berenger-Abkommen zu ratifizieren, das diese Zahlungen auf einen längeren Zeitraum verteilt. Denn dieses Abkommen war gerade geschlossen worden, um den Druck der Fälligkeitstermine ansehnlicher Staatswechsel für jenes Kriegsmaterial zu mildern.
So befindet sich die Regierung Poincare, die nach ihrer Niederlage im Elsaß wirklich nicht vom Glück begünstigt zu sein scheint, in der peinlichen Lage, die unpopuläre Handlung der Ratifikation unter besonders erschwerten Umständen vornehmen zu müssen. Noch läßt sich nicht übersehen, ob sich die notwendigen Maßnahmen ohne eine Regierungskrise und auch ohne eine Umbildung des französischen Kabinettes durchführen lassen. Kommt es zu einer Krise, dann heißt der Nachfolger Poincares zweifellos wieder Poincare, denn es gibt keinen Franzosen, der das fällige Programm außer ihm durchführen könnte.
Besonders interessant für uns Deutsche ist nun die Frage» welche Rückwirkungen diese innerpolitische Situation in Frankreich auf die neue Tributregelung und die kommende große politische Konferenz ausüben werden. Zweifellos sind Herrn Poincare Lurch die Ereignisse der letzten Woche in seiner bisher so aktiven Opposition gegen die Wahl Londons als Tagungsort die Hände gebunden. Noch vor acht Tagen konnte Poincare es sich leisten, dem englischen Premierminister Mac Donald handgreifliche Vorwürfe über frühere und jetzige arbeiterparteiliche Außenpolitik zu machen, um dann die englische Einladung nach London glatt abzulehnen. Jetzt wird -der französische Wunsch nach Vermeidung europäischer Meinungsverschiedenheiten in dem Maße der Differenzen mit Amerika wachsen. — Es wäre natürlich verfehlt, daraus irgendwelche Hoffnungen für die Stellung Deutschlands auf der kommenden Konferenz zu schöpfen. Aber es dürfte für eine tatkräftigere deutsche Außenpolitik, falls eine solche entfallet wird, doch immerhin von Nutzen sein, wenn Frankreich nicht alle Hände gegen Deutschland frei hat. Es besteht nur die große Gefahr, daß von neuem der schon oft wiederholte Versuch gemacht wird, Deutschland in die Einheitsfront der Schuldner gegen den Gläubiger Amerika einzufügen- Ein Versuch, bei dem Deutschland nicht nur nichts zu gewinnen, sondern sehr viel zu verlieren hat.
Neueste Nachrichten
Eröffnung des englischen Parlaments
London, 2. Juli. Die heute im Oberhaus bei der Eröffnung des Parlaments vom Lordkanzler verlesene Thronrede beginnt mit dem Ausdruck der Zuversicht des Königs auf völlige Wiederherstellung seiner Gesundheit und mit dem Dank für das ihm während seiner langen ernsten Krankheit bewiesene Mitgefühl.
Die Thronrede fährt fort: „Meine Beziehungen mit den auswärtigen Mächten sind weiterhin freundschaftlich. Die unabhängigen Finanzsachverständigen, die ernannt worden sind, um Vorschläge für eine vollständige und endgültige Regelung des deutschen Reparationsproblems zu entwerfen, haben einen einstimmigen Bericht überreicht, der augenblicklich von meiner Regierung zur Vorbereitung für eine Konferenz von Vertretern der in Betracht kommenden Regierungen erwogen wird.
Eine Regelung dieses Problems wird die Besatzungs- Mächte in den Stand sehen, die Räumung des Rheinlandes vorzunehmen (englisch: to proeeeä »itbs.
Mit dem Botschafter der Vereinigten Staaten von Amerika haben über die Frage der Flottenabrüstung Besprechungen begonnen; demzufolge hat meine Regierung die ernste Hoffnung im Zusammenwirken mit meinen Regierungen in den Dominions, der Reaieruna Indiens und den
Regierungen der auswärtigen Mächte, eine baldige Verminderung der Rüstungen in der ganzen Welt sicherstellen zu können. Meine Regierung ist der Ansicht, daß die Zeit gekommen ist, um internationale Meinungsverschiedenheiten, in denen die Parteien mit Bezug auf ihre Rechte im Streit sind, einer Regelung auf dem Rechtswege zu unterbreiten. Zu diesem Zwecke berät sie jetzt mit meinen Regierungen in den Dominions und der Regierung Indiens über die Unterzeichnung der Fakultativklausel, die in dem Statut des Ständigen Internationalen Gerichtshofes enthalten ist. Meine Regierung prüft die Bedingungen, unter denen diplomatische Beziehungen mit der Regierung der Union der Sowjetrepubliken wieder ausgenommen werden können und steht in Gedankenaustausch mit meinen Regierungen in den Dommions und der Regierung Indiens über die Frage."
Weiter betont die Thronrede, daß es ein Hauptbemühen der Regierung sein wird, das fortdauernde Ucbel der Arbeitslosigkeit wirksam zu bekämpfen.
Für die Verbesserung der Transportmittel. für die Förderung der darniederliegenden Ausfuhrindustrien und der überseeischen Auswanderung sind Pläne in Vorbereitung. Die Regierung erwägt die Frage der Reorganisation der Koblenindustrie einschließlich der Arbeitsstunden und anderer Faktoren. Vorschläge in dieser Hinsicht werden in angemessener Zeit unterbreitet werden. Es werden sofort Untersuchungen der Lage der Eisen-, Stahl- und Baumwollindustrie unternommen werden, um Mittel zur Besserung ihrer Stellung in den Weltmärkten zu entdecken. Auch zur Abänderung und Konsolidierung der bestehenden Fabrikgesetzgebung und zur Durchführung der
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Der Reichslag wird wahrscheinlich am 28. August za einer Spälsommerlagung zusammentrelen.
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In Königsberg wurden vier große Speicher, die mil Ge- kreide- und Futtermittel gefüllt waren, durch Feuer zerstörst
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Der Miniflerral in Paris beschäftigte sich heute mit der ablehnenden Note der Bereinigten Staaken über die Ratifizierung des Schuldenabkommens. In der Frage der Vorbehalte wird die Regierung ziemlichen innerpolikischen Schwierigkeiten gegenüberstehen.
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Das englische Parlament wurde heule eröffnest In der Thronrede kommt zurm Ausdruck, daß England zur Rheinlandräumung bereik sei. ^
Wie aus London verlautest soll die Regierungskonferenz erst im August, und zwar in London, stattfinden.
in Washington 1919 eingegangenen Verpflichtungen werdeM Vorlagen unterbreitet werden.
Die Thronrede teilt ferner mit. daß die Regierung das gesamte Gebiet der Gesetzgebung mit Bezug auf den Verkauf und die Lieferung von alkoholischen Getränken untersuchen wird. Eine neue Maßnahme zur Beseitigung der Lage, die durch das Gesetz vom Jahre 1927 betreffend Jndustriestreitigkiten von Gewerkschaften geschaffen wurde, ^vird eingebracht werden. Zum Sckluß nimmt die Thronrede Bezug auf das bei den letzten Neuwahlen in Kraft getretene erweiterte Wahlrecht, das, wie es in der Thronrede heißt, „in die Hände meines gesamten Volkes reifen Alters die ernste Verantwortung für den Schutz der Wohlfahrt dieser Nation als einer konstitutionellen Demokratie legt", und betont, daß die Regierung in eine Prüfung der bei der Wahl gemachten Erfahrungen einzutreten beabsichtigt.
Der Konkordatskampf
Dr. Beckers Antwort unbefriedigend
Berlin, 2. Juli. Auf das Schreiben des evangelischen Oberkirchenrats an das preußische Staatsministerium, worin dieser.sm Auftrag des Kirchensenats unter Bezugnahme auf den Beschluß der Generalsynode die unverzügliche Wieder* aufnahrne der abgebrochenen Verhandlungen mit der evangelischen Kirche forderte, ist nunmehr ein Antwortschreiben ergangen. Dem evangelischen Pressedienst zufolge teilt darin der Kultusminister im Einvernehmen mit dem Minister« Präsidenten mit, daß das preußische Staatsministerium bereit sei, alsbald nach Verabschiedung des dem Landtag zugeleiteten Vertrages des Freistaate»
Preußen mit dem Heiligen Stuhl über die au» ihm vom Gesichtspunkt der Parität sich ergebenden Folgerungen im Verhältnis des Staates zur evangelischen Kirche mit dem Kirchensenat und dem evangelischen Oberkirchenrat in weitere Verhandlungen zu treten. Eine Abschrift des Schreibens ist auch den anderen preußischen Landeskirchen zugegangen.
Auf den in der Oeffentlichkeit bekannten Inhalt der Forderungen der evangelischen Kirche, der in dem Schreiben der obersten Kirchenbehörde an das Staatsministerium näher erläutert war, geht da» Schreiben nicht ein. Auch die Frage nach der Form der staatlicherseits ins Auge gefaßten Neuregelung bleibt völlig unbeantwortet, so daß, wie der evangelische Pressedienst erklärt, die Befürchtung neue Nahrung erhalte, daß es der evangelischen Kirche gegenüber bei der bisherigen Form der einseitigen staatlichen Gesetzgebung verbleibe, während mit der katholischen Kirche ein unkündbarer feierlicher Vertrag abgeschlossen sei.
Das Konkordat der Ausschußberalung überwiesen
Berlin, 2. Juli. Der preußische Landtag erledigte am Montag die erste Beratung des Staatsoertrages zwischen Preußen und dem Heiligen Stuhl. Die Vorlage wurde der Ausschußbcratung überwiesen, die bereits am Dienstag beginnen soll.
Die bedrückten Bauern demonstrieren
Stürmische Bauernkundgebung in Husum
Husum, 2. Juli. Nach mehreren ähnlichen Kundgebungen in den letzten Tagen wurde in Husum gestern nachmittag eine Versammlung der Landvolk bewe- gung abgehalten, um gegen die Verurteilung des Land- volkführers Wilhelm Hamkens, Mitglied des Reichstages, der wegen Aufreizung zum Steuerstreik zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden war, zu protestieren. Ham- kens wandte sich gegen die Regierung und bezeichnet« als Hauptziel der Landvolkbewegung „die Bekämpfung und Beseitigung des jüdisch-parlamentarischen Systems". Seine Ausführungen und die der übrigen Redner wurden wiederholt von tosendem Beifall unterbrochen. Zum Schluß der Versammlung bildeten die Veriammlunasteil-