Seite 2 — Nr. 130
Nagolder Tagblatt »Der Gesellschafter
Donnerstag. 8. Juni 1929.
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Entschließung des Vereins
Heidelberg. 5. Juni. Die Hauptversammlung des Vereins deutscher Zeitungsverleger hat einstimmig folgende Entschließung gefaßt: „Die sich dauernd mehrenden systematischen Versuche gewisser Inserenten und insbesondere Inserentenverbände, den Zeitungen Anzeigenpreise und Anzeigenbedingungen gu diktieren und darüber hinaus auch ihren redaktionellen Teil ihren privatwirtschastlichen Sonderinteressen nutzbar zu machen, gefährden aufs allerschwerste Ae Grundlage und innere Unabhängigkeit der Zeitungen. Derartigen Bestrebungen von Inserenten leisten manche Leitungen und Annoncenexpeditionen Vorschub. indem sie in kurzsichtiger Verkennung -er unausbleiblichen Folge einen ungesunden und übersteigerten Konkurrenzkampf untereinander führen und sich hierbei selbst
Württemberg
Stuttgart. 5. Juni. Zusammentritt des Landtags. Das Plenum des Wü>-tt. Landtags wird am Dienstag. 11 Juni, nachmittags 3.30 Uhr. wieder zusammentreten. Auf der Tagesordnung stehen neben 7 Kleinen Anfragen zweite und dritte Beratung des Entwurfs zum Biehseuchen- oesetz, zweite Beratung des Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Staatshaushaltplans für das Rechnungsjahr 1929 und erste, evtl, zweite und dritte Beratung des Entwurfs zum Beamtengeseh. Der nächsten Sitzung des Landtages geht eine Sitzung des Aeltestenrats und Frakkions- sitzungen voraus.
Die Schwäbische Bilderbühne geht ein. Die württ. Bildstelle hat der „Süddeutschen Zeitung' mitgeteilt, daß die Echwäb. Bilderbühne im Landesgewerbemuseum am letzten Sonntag voraussichtlich für immer geschlossen worden sei- Staat und Stadt wollen die nötigen Zuschüsse auch weiterhin leisten, doch hat das Landesgewerbeamt den Saal im Landesgewerbemuseum gekündigt, weil dieser für Vorträge benötigt wird.
Eia neues Hochhaus. — Straßenbahn nach Ditzingen- Wie der Schw. Merkur erfährt, wollte die Brauerei Wulleam Kernerplah ein etwa 50 Meter hohes Turmhaus erstellen und dorthin ihren Brauereibetrieb verlegen. Der Sachverständigenbeirat der Stadt Stuttgart, dem die künstlerische lieber- wachung und Beratung in solchen Baufragen obliegt, hat jedoch das Hochhausprojekt abgelehnk. Es wurde der Brauerei Wulle anheimgegeben, neue Pläne einzureichen, die die Höhe des Bauwerks etwa 20 Meter niedriger ansetzen. — Wie das Blatt weiter hört, schweben zurzeit Verhandlungen über die Fortführung der Stuttgarter Sraßenbahn von Zuffenhausen über Korntal nach Ditzingen.
Skaakspröfong lm Hochbaufach 1929 29. Bei der von Oktober 1928 bis März 1929 abgehaltenen Staatsprüfung im Hochbaufach sind 7 Prüflinge für befähigt erklärt wor- Len und haben di« Bezeichnung „Regierungsbaumeister erhalten.
. Zweite evangelifch theologische Dienstprüfung. Die zweite evangelisch-theologische Dienstprüfung haben 43 Psarramts- bewerber mit Erfolg erstanden.
Skadtpfarrer a. D. Ludwig gestorben. In Sebastiansweiler, wo er zur Erholung weilte, ist ganz unerwartet rasch Stadtpfarrer a. D. Ludwig, der langjährige Geistliche an 'der Johannes- und Stiftskirche, im Alter von 74 Jahren aus dem Leben geschieden. Geboren in Rottweil, wurde er nach tzjähriger Tätigkeit im Pfarramt K i rch e n ki r n b e r g >1891 als 3. Stadtpsarrer an dieIohanneskirche in Stuttgart berufen, wo er 11 Jahre lang in Predigtamt kmd Seelsorge mit großer Hingabe tätig war. 1902 wurde fer mit dem 2. Stadtpfaramt an der Stiftskirche be- 'traut, das er in reicher Tätigkeit fast ein Vierteljahrhundert ckn Treue verwaltete. 1925 trat er in den Ruhestand. Die Stuttgarter Gemeinde verliert in dem Dahingeschiedenen «inen Geistlichen, besten reiche Gaben im seelsorgerlichen Verkehr und besten warmes Herz für Arme und Alleinstehende ihn und seine 33jährige Stuttgarter Tätigkeit unvergessen machen.
Deutscher Zeitungsverleger
den unbilligsten und unerhörtesten Forderungen von Inserenten fügen. In all dem muß eine höchste Gefahr für die deutsche Presse erblickt werden. Die Hauptversammlung des Vereins deutscher Zeitungsverleger ist sich bewußt, daß ein« grundlegende Besserung der zurzeit unerträglichen Zustande im Anzeigenwesen nur dann wird erreicht werden können, wenn die Grundsätze eines ordnungsmäßigen Geschäfts im Anzeigewesen wieder zur herrschenden Geltung gebracht werden, und wenn die Zeitungsverleg"! den wachsenden Angriffen auf die Freiheit der Zeitung unV mittelbar auf die Freiheit der Presse überhaupt ein« geschlossene Front entgegenftellen".
Zum Ort der Hauptversammlung 1930 wurde Bochum gewählt. .
Ehrenmal für die Krafkfahrkruppen. Am Sonntag, den 9. Juni, vorM. 11 Uhr, findet im Ehrenhain des Ma'dfried- hofs unter Beteiligung der Behörden und der 1. Kompagnie der 5. Krafkfahr-Abteilung als Traditionskomvagnie die Enkhüllungsfeier für ein Ehrenmal der Kraftfahrtruppen statt. Nachmittags treffen sich die ehemaligen Angehörigen der Krastfahrtruppen in den Räumen des Parkrestaurants Silberburg zu kameradschaftlachem Zusammensein.
2. Aeldsanitäkskompaqnie. Eines recht zahlreichen Besuchs aus dem ganzen Lande erfreute sich das am letzten Sonntag in Stuttgart stattgefundene kameradschaftliche Treffen der ehemaligen Angehörigen der Feld-Sanitätskom^ pagnie 2 (32). Die Herren Stöhr - Nagold. Landtagsabg. G e n g l e r - Stuttgart, Major Dr. A h n a . München, Dr. Pöverlein - Stuttgart. Pfarrer Treiber- Wellendingen, Schultheiß Diemer und Dr. Scheffol d-Mühlacker gedachten in ernsten und humorvollen Reden des gemeinsamen Erlebten im Weltkrieg und des Wesens echter deutscher Kameradschaft.
Zuständigkeit zur Genehmigung von Ortsbauplänen. Durch Verordnung des Staatsministeriums vom 3. Juni wurde die Zuständigkeit zur Genehmigung von Orksbauplänen in den Gemeinden Hofen, Möhringen und Münster im Amksober- amt Stuttgart auf das Innenministerium übertragen.
Lannstatt, 5. Juni. Eine Lokomotive in den Neckar gestürzt. Bei den Bauarbeiten am Neckar stürzte in der Nähe der Wilhelmsbrücke in Cannstatt di«. Lokomotive eines Bauzugs in den Neckar. Anscheinend hatte die aufgeschüttete Erde, auf der das Gleis lag, nachgegeben.
Waiblingen, 5. Juni. Weihe des Bezirkskrankenhauses. Die feierliche Uebernahme des Bezirkskrankenhauses mit seiner neuzeitlichen Bauweise — Flachdach und Terrassenanordnung — fand hier statt. In einem Saal des Neubaus begrüßte Oberamtsvorstand Landrat Mäulen die geladenen Gäste. Die Baukosten betrugen rund 1,2 Millionen. Baumeister Dr. R. D^ cker - Stuttgart gab die technischen Erläuterungen zu seinem Werk. Nach seiner Ueberzeugung wird sich der neue Baustil erfolgreich durchsetzen. Die Terrassierung ist besonders für Kranken- hausbauken vollkommen unö zweckentsprechend. D^s neue Krankenhaus enthält 63 Betten. Chefarzt Dr. med. Pöhl- mann dankte dem Bezirksrat und der Amtsversammlung für die soziale Gesinnung. Ministerialdirektor Scholl überbrachte die Grüße und Glückwünsche des Staatspräsidenten Dr. Bolz, Bürgermeister Klein- Stuttgart sprach für die Stuttgarter Stadtverwaltung Glück- und Segenswünsche aus.
Täblngen OA. Rottweil, 5. Juni. Tödlicher Unglück s f a l l. Als der Landwirt Johann Georg Völkle auf dem Feld mit seinem Pferd Futter holen wollte, scheute dasselbe, wodurch Völkle vom Wagen geschleudert wurde. Anscheinend erhielt er vom Pferd mehrere Schläge, die seinen sofortigen Tod herbeiführten.
Onstmettingen OA. Balingen, 5. Juni. Tödlicher Unfall. Die 23 Jahre alte Rofa Witzmann von hier fuhr auf ihrem Fahrrad in Begleitung einer Freundin auf der abschüssigen Straße zwischen Bisingen und Wessingen, als zwei Motorradfahrer die beiden Mädchen überholten. Ob die Rosa Witzemann nun von einem Motorradfahrer
angefahren wurde oder ob sie beim Ausweichen infolge des Schreckens durch das Signal zu nahe an die Böschung kam, sie stürzte hinunter. Das verunglückte Mädchen wurde nach Hause verbracht. Bald stellten sich jedoch furchtbare Schmerzen ein, so daß die Ueberfllhrung ins Krankenhaus Ebingen notwendig wurde, wo schon nach wenigen Stunden der Toll eintrat. Es wurde festgestellt, daß bei dem Sturz über die Lenkstange die Milz zerquetscht worden und innere Ver- blutung eingetreten war.
Von der mittleren Alb. 5. Juni. Kreuzottern. Der strenge Winter scheint der Giftschlange nicht stark zugesetzt zu haben. Holzmacher erzählen, daß sie unter dem Gewurzel von Wachholder ganze Nester gefunden und vernichtet haben. Die Kreuzotter ist ein sehr nützliche» Tier, da sie Acker- und Spitzmäuse hauptsächlich als Nahrung wählt. Ihr Hauptfeind ist der Iltis. Kenntlich ist die Kreuzotter durch das Dreieck auf dem Hinterkopf, der breiter ist als der Hals, und das Zickzackband, das vom Nacken bis zur Schwanz- spitze verläuft. Die Kinder sind vor der Kreuzotter zu warnen. Mähder und Graserinnen tun gut, in hochfchaftigen Stiefeln auf die Wiesen und Weiden zur Arbeit zu gehen.
Viberach, 5. Juni. Ein Schwarz storch wurde zwischen Rißegg und Ummendorf gesichtet. Das Tier scheint im Gegensatz zu seinem weißen Vetter ein einsames, menschenscheues Leben zu führen. Der Schwarzstorch ist ein äußerst seltener Vogel in Deutschland geworden. Man sieht ihn dann,und wann im Nordosten des Reiches.
Heilbronn, 4. Juni. Käthchenspiele. Die Käthchenstadt bringt ab 30. Juni jeweils Samstags und Sonntags Freilicht-Festspiele des Kleistischen „Käthchen von Heilbronn" im historischen Deutsch-Ordenshof heraus. Die Spieler sind durchweg Laien. Der Spielkörper — mit Gesangs-, Orchester- und Tanzgruppen etwa 250 Mitwirkende — hat in seinem Kern schon im Vorjahre ein vielbeachtetes Zeugnis der Laienkunst mit einem historischen Theaterstück von Tim Klein geleistet. Mit den Spielen soll der Bühnenvolkskultur und der Ueberwindung der äußeren sozialen Unterschiede gedient werden. Der Reinertrag geht zugunsten der Erneuerung des 400jährigen Kiliansturms zu Heilbronn, des kostbarsten deutschen Bauwerks der Frührenaissance. Die großartige Ausstattung bedeutet einen beachtlichen neuen Darstellungsstil.
Aus Stadt und Land
Nagold, den 6. Juni 1929.
Stehe nicht betrachtend vor einem Baum, sei in ihm, spüre den Urtrieb des aufsorietzenden Stammes, strebe in tausend strammen Aesten dem Himmel zu, jubelte mit dem unendlichen Wald lebendiger Blätter im rosig durchstrahlten Licht und fühle der tiefen Aeste und äußersten Zweige lichtfatte Schwermut und den süßen erdenwärts gerichteten Drang! ^
Dienftnachrichte«.
U. a. haben nachstehende Pfarramtsbewerber die zweite theologische Dienstprüfung mit Erfolg bestanden: Dr. Kurt Häring aus Stuttgart, Gerhard Häußler aus Engelsbrand OA. Neuenbürg, Bernhard LSicher aus Breitenholz OA. Herrenberg.
Im Bereiche des Landesfinanzamts Stuttgart wurde zum Steuersekretär der Steuerassistent Mayer bei dem Finanzamt Horb ernannt.
Bezirkskonferenz
Am Mittwoch nachm, von 2 Uhr an fand im Verein sbaus hier die jährliche Biüderkonferenz statt. Sie war aus Siadt und Bezirk zahlreich besucht. Dekan Otto, der die Konferenz leitete, begrüße die Teilnehmer und gedachte dabei noch einmal des verstorbenen Missionars Seeger und seines Anteils an diesen Versammlungen. Sodann legte er seinen weiteren Ausführungen die Losung Jes. 53,8 und den Lehrrext 1. Kor. 15,20 des Tages zu Grunde, in denen auf die zentrale Bedeutung der Person und des Werks Jesu zum Heil der Menschheit hingewiesen ist. Wertvolle Bestätigung und Ergänzung fanden diese einleitenden Worte durch die anschließende Aussprache, an der sich eine größere Zahl der anwesenden Männer, unter ihnen auch Rektor Kern vom Brüderrat der Alrpietistischen Gemeinschaften in Sruttgart, beteiligte. Aus vielfacher tiefer Lebensund Glaubenserfahrung wurde dabei klar und kraftvoll die
M-ereHlmemtioll
nos/iäl'i vo« T scubiciobk.-fOLkril.
(Nachdruck verboten.)
(Fortsetzung 11)
„So — bist du? — Das vergesse ich immer wieder! — Ich kann mich auch gar nicht daran gewöhnen, daß es nun auf dem Hofe bei den „Ebrachs" heißt und nicht mehr bei den „Klingenbergern". Und das „von" voraus, das macht ein Mordsgeschrei, und wenn man's schüttelt, fällt nichts herunter! — Rein gar nichts! — Nur ein bißchen was füt die Ohren! Und wenn die kleine Lore-Lies sagt: „Ich heiße Eleonore Elisabeth von Ebrach", lache ich jedesmal hell auf, so spaßig ist das".
Lena horchte auf. Die Helle, scharfe-Stimme ihres Mannes rief über den Hof. Der Hufschlag eines Pferdes klang und machte vor ihrem Fenster halt. Ein Büschel Schneeballen, Goldregen und knospender Jasmin flog auf ihre Bettdecke, daß die Sternchen wie ein Blütenregen zu Boden rieselten.
Karls Kopf erschien über der Brüstung. Die Kathrin machte erschrocken einen Sprung zur Seite.
„Bin ich ein Altweiberschreck!" spottete er. „Reiß dich aus den Federn, Lena! — Es gibt eine Doppelernte Heuer, und die Kathrin kann mit Obst hausieren gehen, so Lick hängt es an den Bäumen".
Lena hatte nicht Zeit zum Erwidern, denn das Pferd machte einen Satz nach dem Hofe hin und verschwand mit dem Reiter und dem weitgeöffneten Tor.
„Er kann wohl lachen unser Herr, und gute Laune haben", nickte die Alte. „Srtzt mitten im Zeug, wie die Bienen im Honig, und seinen Jungen hat er nun auch. Sie neiden's ihm nicht wenig ein, die anderen. Die Frau Gerda hat-sich heute morgen dem alten Herrn an den Häls gehängt, als ging es zum Schafott und nicht nach Haus zu Mann und Kindern. Der Ernst — ich bin verliebt in ihn — du kannst sagen, was du willst — der kommt mir vor wie einer, den sie unschuldig zum Tode verurteilt haben. Wie er heut so auf der Treppe gekniet
ist und seiner Frau die Schuhbänder knüpfte, konnte ich nimmer Hinschauen. Hätt nicht viel gefehlt, dann hätte er ihr die Füße geküßt, und sie hat währenddes über ihn hinweggelacht, dem Herrn Max zu, der ihr von unten herauf eine Kußhand zuwarf. — So eine Kanille!"
„Es ist wohl auch nicht immer das beste, so schön zu sein wie meine Schwägerin", sagte Lena. — Aber sie seufzte dabei.
„Bewahre! Das ist wie ein seltener Apfel. Da wollen sie alle hineinbeißen. Der darf noch so hoch hängen, schütteln tun sie doch und warten, ob er nicht herunterfällt. Und wenn er nicht in den Garten hopst, springt er über die Mauer und kriegt ihn einer, für den er gar nicht berechnet war".
Vom Park her kamen wahre Fanfarentöne. Der Junge war wach geworden und zeterte aus Leibeskräften. Im Vorüberlaufen hörte die Alte die Stimme des Prälaten aus dem Zimmer des Generals. Da mochte es wohl ein bißchen heiß hergehen. Seit zwei Stunden saßen sie nun schon beieinander und schien immer noch kein Ende herzugehen.
Der General nahm die Schwiegertochter in Schutz, begründete und entschuldigte ihre Flucht vor dem Gatten, der sein Sohn war.Der Prälat verteidigte den Nechtsstand- punkt der Ehe. Sagte, daß die Frau zum Mann gehöre, immer und jederzeit. Daß, wenn die Unlösbarkeit der Ehe fiel, alles mit ihr ins Wanken käme, das ganze Pflichtbe- wutztsein, die gesamte Moral und Zukunft des Staates.
Ein paarmal schwollen die Stimmen an, dann wurden sie wieder ruhiger. Zuletzt sprach nur noch der General allein. Als die beiden Männer den Raum verließen, machten sie den Eindruck, als hätten sie schwere körperliche Arbeit geleistet. Der Prälat begab sich nach seinem Zimmer, indes der General nach dem Garten ging.
Max von Ebrach kam aus den Pferdestallungen und pfiff einen Shimmy vor sich hin. Als er den Vater sah, machte er einen Bogen und ging wieder nach dort zurück. Er war am Morgen wahrhaftig mit Vorwürfen nicht geschont worden. Nun wollte er Ruhe haben! Was wußte der Vater von seiner Frau! Das bißchen Getue heute nacht, die paar Tränen und das Davonlaufen zum Schluß, war alles nicht ernst zu nehmen. Die saß, wenn er nach Hause kam, in ihrem Zimmer, hatte verheulte Augen und
war mit ein paar Worten wieder besänftigt. Sie mußte ja froh sein, wenn sie bleiben durfte. Wo wollte sie sonst auch hin. Eine Frau konnte sich nicht aus die Straße setzen! Und daß sie ohne jeden Heller Geld blieb, dafür hatte er gesorgt. Den Wohnungsschlüssel hatte er ihr in der Tasche gelassen, aber Geld fürsorglich herausgenommen. Lächerlich! Mit so ein paar Mark hätte sie niemals große Sprünge machen können, und wenn sie erst einmal anfing zu hungern, kroch sie ganz sicher wieder bei ihm unter.
Im übrigen war sie eine bequeme Frau gewesen, eine sehr bequeme sogar. Das mußte man ihr lasten. — Er pfiff noch immer seinen Shimmy weiter. Wenn sie ihn auf Seitenwegen ertappte oder Wind davon bekam, hatte sie niemals irgendwelche Szene gemacht. Sie streckte sich hübsch nach der Decke im Haushalt und in allem. Aber er war ihrer überdrüssig geworden. — Einfach überdrüssig! Das war doch eine blöde Einrichtung, sich so fest an ein Weib zu ketten, daß man es nicht mehr los wurde, und ein ganzes Leben lang mit Herumschleppen mußte! — Wenn er nicht mehr wollte, wollte er einfach nicht mehr.
Er hatte ihr immer getrotzt und sie nicht freigegeben, aus reinem Egoismus. Er brauchte jemand, dem er seine Launen und seinen Despotenwillen zeigen konnte. Und er war auch Ordnung in seinem Daheim gewöhnt, und Ordnung, die hielt sie auch in den Zeiten, in denen das Geld knapp war. Sie kam immer durch mit dem, was er ihr gab.
Saß sie zu Hause, wenn er kam — nun aut! — Blieb sie verschwunden — dann würde auch die Welt nicht aus den Fugen gehen deshalb. Beschämend war nur das eine, daß er sie geschlagen hatte. Daran war der viele Wein schuld, und daß sie störrisch war und nicht aufhörte mit Drängen, sie freizugeben. Das hatte zuletzt das Maß voll gemacht, und er wußte nicht mehr, was er tat, als er die Hand gegen sie hob. — Sie mußte geblutet haben, denn seine Manschetten waren am Morgen noch voll dunkler Tropfen.
Aergerlich war das, daß er sich so weit vergessen hatte! Er fühlte, wie ihm das Blut über Wangen und Stirne kroch. Er schämte sich.
Gut, daß sie keine Kinder hatten, dann wäre das Unglück bis zum Rande voll gewesen. (Forts folgt)