Seite 2 — Nr. 125
Nagolder Tagblatt »Der Gesellschafter"
Freitag, 31. Mai 1929.
Inhalt müsse man kennen. Severing habe einen Nationalfeiertag angekündigt, das Versprechen aber nicht halten können. Auch bei der Panzerkreuzerfrage hätten die soz. Minister zuerst sich bei der Fraktion erkundigen sollen. Sie sollten in ihren Erklärungen vorsichtiger sein.
Gen. Stampfer übte scharfe Kritik an Hilfer- ding, der die Reichsfinanzlage nicht rechtzeitig dargelegt und auf neue Steuern verzichtet habe, so daß für soziale Zwecke keine weiteren Mittel verfügbar seien. Bon mehreren Rednern wurde getadelt, daß die Konkordatsverhandlungen nicht in voller Oeffentlichkeit geführt werden.
Ministerpräsident Braun über da» Konkordat
Auf die verschiedenen Kritiken führte Ministerpräsident Braun aus: Es handele sich hier mehr um eine kirchenorganisatorische Angelegenheit. Einen Vertrag, der eine Gefahr für das Kulturleben bedeuten würde, würde er niemals unterschreiben. Im Jahr 1919 habe bereits der damalige soz. preußische Kultusminister Harnisch der Kurie mitgeteilt, daß er über die Aen- derung des Vertragsoerhältnisses zu verhandeln bereit sei. Inzwischen kam der Abschluß des bayerischen Konkordats, da, allerdings die Charakterisierung verdient hätte, die dem preußischen Konkordat auf dem Parteitag bereits zuteil geworden sei. Es habe weiter die Gefahr bestanden, daß nach dem Vorgang in Bayern versucht würde, im Reich «in Konkordat zu schaffen und dadurch sämtliche Länder an gewisse Vorschriften zu binden. Da habe er es für zweckmäßiger gehalten, um das Zustandekommen eines Reichskonkordats unter Leitung eines Zentrumsreichskanzlers zu verhindern, in Preußen die Verhandlungen wieder in Gang zu bringen. Diese Verhandlungen stehen nunmehr kurz vor dem Abschluß. Ueber den Inhalt dieses Vertrags könne er naturgemäß keine Mitteilungen machen. Das sdi keine Geheimdiplomatie. Mit der Aufstellung von Sdoichsgrundsätzen für die Ablösung sei vorläufig nicht zu rechnen. Der Sinn der Vertrugsverhrnd- lungen mit der Kurie sei, für den Staat doch wenigstens einen Teil der Rechte zu retten, die dem Staat durch die Weimarer Verfassung aus der Hand geschlagen worden sind. Wie weit das gelungen sei, werde man erst beurteilen können, wenn man den Inhalt des Vertrags vor sich habe. In dem Augenblick, wo die Ablösung durchgeführt werde, sei der Verrtag eben gegenstandslos, denn dann sei die Kirche eine private Organisation und verliere die verfassungsmäßigen Rechte. Die Gefahr einer Einschränkung der staatlichen Schulhoheitsrechte sei beseitigt,. Das Wort Schule komme in dem Vertrag überhaupt nicht, vor. Die Schule sei eine Staatshoheitsangelegenheit und, habe mit der Kirche nichts zu tun. (Beifall.) Die Ent-, scheidung über diesen Vertrag werde für die gesamte preußische Politik von tiefgehender Be-> deutung sein. Er bitte den Parteitag, über sämtliche Anträge zur Konkordatsfrage zur Tagesordnung überzugehen.
Württemberg
Stuttgart, 30. Mai,
Handwerkskammer Stuttgart. 2m Monat April 1929 haben hie Meisterprüfung bei der Handwerkskammer Stuttgart mit Erfolg abgelegt: 2 Automechaniker, 20 Bäcker, 1 Bildhauer, 1 Elekkro-Installateur, 10 Flaschner, 1 Galvaniseur, 1 Galvanoplastiker, 3 Gürtler, 7 Konditoren. 16 Maurer, 12 Metzger, 6 Schreiner, 1 Steindrucker. 1 Treppen- baoer und 13 Zimmerer.
Von der Bienenzucht. Im Auftrag der Württ. Landwirtschaftskammer fand am Lehrbienenstand der Landw. Hochschule in Hohenheim in der Zeit vom 21. bis 21. Mai ein Lehrkurs für Imker statt, der von 26 Teilnehmern aus allen Teilen Württembergs besucht war. Weitere Kurse werden abgehalten in Horb a. N. von 24. bis 27. Juni und in Ravensburg (Weingarten) vom 1. bis 4. Juli. Die Teilnahme ist unentgeltlich. Meldungen nimmt die Württ. Landwirtschaftskammer Stuttgart, Marienstraße 33, bis zum 15. Juni entgegen. — Bewerbungen um Prämiierung mustergültiger Bienenzuchtbetriebe, die in diesem Jahr in das Gebiet des Neckar- und Jagstkreises fällt, sind bis 1. Juli
ebenfalls an die Landwirtschaftskammer zu richten. Als Leiter der Kurse, sowie als Führer der Prämiierungskommis- sion ist der Landessachverständige für Bienenzucht, Oberlehrer H. Renkschler, Stuttgart, tätig.
Aus dem Lande
Heilbronn. 30. Mai. Die Staustufe Horkheim vor Fertigstellung und Betriebsübernahme. An der Staustufe Horkheim ist heute zum erstenmal das Wehr eingestaut. Der Kanal ist bis zum Hochwasserabschlutz gefüllt, um die Dichtung des Wehrs zu prüfen. Die endgültige Füllung des Kanals wird in etwa 14 Tagen erfolgen können. Da die Montagearbeiten am Schleusentor auch ihrer Bollendung entgegengehen, kann damit gerechnet werden, daß die Staustufe Hprkheim Mitte nächsten Monats betriebsfertig ist und seiner Bestimmung übergeben werden kann, nach Obereßlingen die zweite Staustufe des Neckarkanals auf württ. Gebiet.
Weingarten, 30. Mai. Seminarbau. Der zum alten Kloster gehörige Seminarbau, in dem früher ein Lehrerseminar untergebracht war, wird gemäß Gemeinderats- beschluß die Gewerbe- und Frauenarbeitsschule endgültig aufnehmen, auch sollen einzelne Räume für die kath. Volksschule verwendet werden. Der Dachstuhl, der während des Kriegs abbrannte, wird nun wieder aufgebaut werden.
Aus Stadt und Land
Nagold, den 31. Mai 1929.
Auch im Glücke kann ich auf Erden doch nur ein Gast
und niemals Bürger werden. Hesse.
»Der Küfer ist tot — es lebe der Küfer!"
Jetzt ist er wieder fort, der mit Recht so beliebteMai- käfer. Im frischen Grün der Bäume saß er, fröhlich summend u. nagend. Das war so recht etwas für unsere Kinder. Mit Zigarrenkisten und Pappschachteln bewaffnet, machten sie sich auf zur Maikäferernte. Die kleinen Arme schlangen sich dabei fest um die Bäume, es beginnt ein gewaltiges Rütteln u. Schütteln, u. wo es einer nicht gleich schafft, da helfen die anderen mit. Plumps, plumps, fallen die braunen Heile zur Erde. Jetzt geht es an das eifrige Sammeln.
Das allerschönste aber kommt jetzt erst: das Sortieren und das Handeln. Es gibt da unter den Maikäfern nach besonderen Merkmalen Könige und Müller, Bäcker und Schuster. Sie werden sorgfältig voneinander gesondert, einzeln begutachtet und angeboten. Ein tiefer Sinn liegt nun einmal im kindlichen Spiel. Zukünftige kaufmännische Talente offenbaren sich hier beim Maikäferhandel oft in überraschender Weise. Aber auch, wie im Leben, finden wir den Typ des gutmütigen Dummerchens, das seine Ware halb verschenkt und den anderen den Profit läßt, worüber sich jene andern um so mehr freuen.
Ob die Maikäfer sich allerdings bei diesem Handel und Wandel wohlfühlen, möge dahingestellt bleiben. Die Gefangenen nehmen über kurz oder lang doch immer ein unrühmliches Ende durch Zerquetschung oder im Magen irgendeines braven Huhnes. Das ist nun einmal Maikäferschicksal. Und daran ändern auch die schönen Lieder nichts, die die Kinder zu Ehren des Maikäfers singen. Uns aber erfreut es, wenn Helle Kinderstimmen an einem schönen Maiabend zu uns herüberklingen: „Maikäfer flieg, dein Vater ist im Krieg, deine Mutter ist im Pommerland, Pommerland ist abgebrannt, Maikäfer flieg".
Nun, der Maikäfer ist fort und wenn er nochmal angetroffen wird hat er an Interesse verloren. Aber ein anderer hat sich schon angemeldet ... der Juni- oder auch Butterkäser.
Dortrag Pfarrer a. D. Münchmeye«
Man schreibt uns:
Es ist der Ortsgruppe Nagold der Nat.-Soz. deutschen Arbeiterpartei gelungen, den bekannten Pfarrer a. D. Münchmeyer von der Insel Borkum als Redner nach Nagold zu bekommen. Dies ist für Nagold bemerkenswert,
da derselbe fast im ganzen deutschen Reichsgebiet als glänzender Redner in allen Kreisen bekannt ist und bisher ' nur in größeren Städten Deutschlands auftrat. Ueber die » Person Münchmeyers ist im besonderen zu sagen, daß er es verstand, das Nordseebad Borkum zu einer echt deutschen Erholungsstätte zu gestalten und somit das in der Nachkriegszeit sich breit machende Schmarotzertum von seinem ! Wirkungskreis fernhielt. Das brachte ihm unter der deutschbewußten Bevölkerung viele Freunde, andererseits aber auch viele Feinde, gegen welch Letztere er heute noch einen schweren Kampf zu führen hat.
Ober erwähnte Maßnahme führte aber dazu, daß die Insel Borkum seit Jahren das bestbesuchte Nordseebad ist.
Pfarrer Münchmeyer begnügt sich aber nicht damitz Borkum zu einem angenehmen deutschen Seebad gemacht zu haben, sondern setzt seinen Kampf landauf landab fort und versteht es mit seiner glänzenden Rednergabe dem I deutschen Volke zu zeigen, wo die Wurzel alles Üebels i sitzt. Die öffentliche Versammlung, in der Pfarrer Münchmeyer spricht, findet morgen abend 8.30 Uhr im Löwensaal statt. (Siehe Anzeigen von Dienstag und morgigen Samstag).
*
kein Wettbewerb zwischen Post nnd Eisenbahn. Wie von unterrichteter Seite mitgeteilt wird, ist ein Ueberein- kommen zwischen der Reichsbahn und der Neichspost ge- * schlossen worden, das sich auf ein gemeinsames Zusammenarbeiten zur bessern Ausnützung der Kraft- fahrlinien bezieht. Nach diesem Abkommen soll die Reichspost alle Kraftsahrlinien der Reichsbahn überneh- men, die in der Hauptsache dem Personenverkehr dienen.
Auf den Linien jedoch, die mehr dem Fracht- und Güterverkehr dienen, ist der Reichsbahn die alleinige Führung des Kraftfahrbetriebs zugesichert.
Die Vollgummibereifung verboien. Vom 1. Juli d. I. ab soll, wie aus Berlin gemeldet wird, im Interesse de» ^
Schutzes der Landstraßen und der Sicherheit der Gebäude ^
die Vollgummibereifung für Kraftfahrzeuge verboten ! werden. Der Reichsverkehrsminister hat eine van den Lastkraftwagenbesitzern beantragte Verlängerung der Frist abgelehnt. Bei den Anhängern muß bis 31. Januar 1930 die elastischere Bereifung durchgeführt sein. j
Sr
Effringen, 29. Mai. Konzert. Der Gesangverein „Eintracht" veranstaltete am letzten Sonntag, im Hirschsaal unter Mitwirkung einer Solistin, Fräulein E. Gern- » Hardt-Stuttgart (Sopran), des Herrn Hauptlehrer D r i ß n e r-Schönbronn (Violine) und des Mädchenchors Effringen — ein Konzert, in dem eine Anzahl bekannter Volkslieder, ferner Lieder von Schubert, Schumann, Jöde, Jüngst u. a., sowie Stücke von Bach in harmonischer Reihenfolge vorgetragen wurden. Besonders gut gefiel ein gemischter Chor, der von 75 Personen gesungen wurde. Der überaus zahlreiche Besuch zeugte von dem großen Interesse an der Veranstaltung: die Darbietungen wurden mit starkem Beifall ausgenommen.
Calw, 31. Mai. Tödlicher llnglücksfall. Mittwoch mit- > tag ereignete sich hier ein bedauerlicher Unglücksfall. Der > Autobesitzer Wolf von Deckenpfronn brachte einen Reisenden hieher. In der Bischoffstraße sprang ihm plötzlich der neunjährige Knabe Wilhelm Bubeck, Sohn des Ei- > senbahnbediensteten, in den Weg. Wolf wollte noch links ! ausweichen und fuhr auf den Gehweg. Der Knabe wurde j aber trotzdem vom Kotflügel erfaßt, weiter geschleift und > unter die Räder geworfen. Er wurde sofort ins Krankenhaus gebracht, wo er aber bei der Einlieferung starb. Den ' Fahrer soll keine Schuld tressen. i
Hirsau, 30. Mai. Hirsauer Kurtheater. Am letzten ^ Sonntag und am darauffolgenden Mittwoch spielte zum ! erstenmal unser Kurtheater. Die Wandelhalle in den Anlagen ist zu einem hübschen Theaterraum umgewandelt und macht einen sehr anheimelnden Eindruck. Als erstes Stück ging der Schwank „Der wahre Jakob" von Arnold und Bach über die Bretter. Ursprünglich wollte man „Hurra, ein Junge" von denselben Verfassern nehmen, sah dann aber davon ab, weil dieser Schwank kurz vorher in Calw von der Schwäbischen Volksbühne aufgeführt worden war. Um es vorweg zu nehmen: Beide Aufführungen gelangen glänzend, wir haben tatsächlich vorzügliche
WMVWM«
ft
(Fortsetzung 7)
(Nachdruck verboten).
Sie sah nach ihrem Manne hinüber. Die Decke war ihm nach abwärts geglitten. Die Brust des weißen Nacht-. Hemdes zitterte leise unter seinen kräftigen Atemzügen. Sie machte sich schmal und wandte den Kopf, als sei es ein Fremder, der neben ihr liege.
Daß er ab und zu einer Liebhaberei nachging, verzieh sie und war gewillt darüber hinwegzusehen. Aber daß er seine Hand wider sie gehoben hatte, machte ihn ihr zu einem Menschen, mit dem sie nur noch zufällig und notgedrungen das Zimmer teilte.
Schritte schlichen draußen vorüber und suchten so leise als möglich aufzutreten, um keine Störung zu machen — stolperten — ein unterdrückter Fluch — Das war Karl! Der konnte sich niemals beherrschen, selbst dann nicht, wenn ein Totes im Hause lag. — Durch die offenen Fenster der Giebelstube kam ein Husten, dem tiefste Stille folgte.
Dann kam der Begräbnistag mit. all seinen Aufregungen, Besuchen und tausenderlei Verpflichtungen jedem einzelnen gegenüber, so daß der Schmerz um die Verstorbene raum zu seinem Rechte kam.
Lena hörte in ihrer Wöchnerinnenstube das Geläute der Kirchenglocken aus dem nahen Dorf. Es war alles aus dem Hause bis auf die alte Kathrin, welche sie und den Säugling versorgte. Für das Mittagsmahl hatte man eine Köchin gemietet, die in ihrem Eifer geräuschvoll mit Töpfen und Pfannen hantierte.
Lenas Hände fuhren über das kahle Köpfen ihres Sohnes. Fünf Kinder hatte der Schwiegervater in die Welt geschickt und ein einziger Enkel erbte seinen Namen fort — wenigstens bis jetzt. — Sie versuchte sich in die verschiedenen Ehen hineinzuleben. Nirgends ein reines Glück! Man fühlte es förmlich, daß das Räderwerk nicht glatt lief sondern einen hinkenden Gang bekommen hatte im Lause der Zeit. Es hätte sie sehr interessiert, wie Trude zu ihrem Mann stand. Nach der Art, wie Marbot sich ausgesprochen
hatte, schien sie die glücklichste von den beiden Ebrachs- Töchtern zu sein. Marbot liebte seine Frau aufrichtig. — Ob es auf Gegenseitigkeit beruhte?
Das Geläute der Glocken drang hell aus dem Gottesacker herüber Lurch die offenen Fenster. Lena versuchte zu beten, aber ihre Gedanken entflatterten immer wieder be- eits in den ersten Anläufen. Sie vermochte sich nicht zu sammeln. — Wenn man sie auch einmal drüben zur Ruhe legte oder ihren Mann? — Und nach Jahrzehnten dann ihre Kinder. Ihren kleinen Sohn! — Sie riß an der Klingel, daß die Kathrin ganz außer Atem hereingestürzt kam.
„Lenachen, was soll's? — Hast einen bösen Traum gehabt? — Da sei Gott vor! — Das Kindchen willst du sehen? Last' den Jungen schlafen. Ich Hab ihn draußen im Garten stehen. Es geht kein Lüftchen und ist alles voll Schatten. Da kriegt er die Lungen gesund. — Mußt nicht so viel Sorgen haben, die über den Tag hinausgehen. Liegt immer eine Nacht zwischen dem Heut und dem Morgen, die macht alles anders. Wird aus dem Weinen ein Glück und aus dem Lachen eine Leichenfeier! — Was Neues gibt es auch. Eine Chaise ist vor zehn Minuten in den Hof gefahren, die war leer, bis auf einen Mantel aus feinem schwarzen Tuch mit einem roten Bändchen gesäumt".
„Der Prälat", warf Lena dazwischen. Offener Schrecken lag in ihrem Gesicht.
„Ist das was zum Fürchten, so ein Prälat?" Die Kathrin wischte sich die Hände an der Schürze ab, obwohl sie ganz sauber und nicht ein bißchen naß waren. „Wo soll man den zwischensetzen bei Tisch? — Und ob sie man auch beten werden, die Ebrachs, bevor sie essen? Das Kreuz machen, das könnten sie wohl, wenn so ein Herr mit vor dem Teller sitzt. — Der könnt auch unseren Jungen taufen. Er liegt noch immer wie ein Heidenkind in seinem Wagen. Gestern abend, da hob ich ihm eine Hand voll Wasser über den Kopf gespritzt. Bloß für alle Fälle. Für ein ungetanstes gibt's keinen Himmel, haben sie uns in der Schule gelehrt! — Da krieg ich's immer mit der Angst, wenn er die Augen zumacht, er könnt sie einmal nicht wieder auftun".
Lenas Gesicht sprach von Sorge. „Es fehlt ihm doch nichts^ Kathrin!"
„Bewahre! — Aber die kleinen Kinder sind wie die alten Leute, von heut auf morgen. Man muß sich vorsehen. — Wo soll ich ihn nun hinplacieren?"
„Schieb ihm einen bequemen Stuhl zwischen den Vater und Frau Gerda Eiesbert. — Die Gerda rechts von ihm, der Vater links".
„Versteht sich, Lenachen! — Von deiner Verwandschaft ist niemand gekommen! — Kein seliger Mensch! Ist auch nicht recht das".
Die junge Frau seufzte. Es war besser so. Wozu an einem solchen Tage noch eine weitere Aufregung in Szene setzen? Es hätte nur eine unnötige Reibung gegeben. „Deine Verwandten!" Wenn ihr Mann das sagte, fühlte sie, wie ihre Wangen heiß wurden. So weit ihr Stammbaum zurückreichte, war es reines, kräftiges Bauernblut gewesen, das von den Eltern auf Söhne und Töchter überfloß. Not hatten sie niemals gekannt, weder vor, noch zwischen, noch nach den Jahren des unseligen Krieges.
Das Gelb ihrer Felder dehnte sich in endloser Weite. Das Grün ihrer Wiesen lag wie ein Teppich vor ihren Höfen gebreitet, der dunkle Farbenton ihrer Aecker lief wie ein sattbraunes Band den Hang hinauf und die Hügel hinunter, weit in die Ebene hinein. In ihren Ställen drückte sich das Vieh, die Raffe ihrer Pferde war die beste landauf und -ab. Ihre Kammern hingen voll von Erzeugnissen ihres eigenen Betriebes. — „Deine Verwandten!"
Lena zog die spitzenbesetzte Ecke ihres Kiffens nach der Wange und drückte das kühle Linnen dagegen.
„Mußt nicht immer dummes Zeug denken", warnte die Kathrin und fing geschickt eine Fliege von der Seitendecke. „Ich weiß schon, wie das nun ist. Sie sind den Ebrachs nicht fein genug, die deinen, weil sie den Hut ein bißchen schief ans dem Kopfe sitzen und ihre Hosen keinen Bug in der Mitte haben. Aber die Dorfbacher hättest du schon zur Leiche bitten können. Die spuckten beide nicht auf den Boden und haben keine Pfeife in der Tasche sitzen, mit der sie nach dem Esten die ganze Luft verpesten".
„Laß nur, Kathrin!"
„Ja, ja — ich kanns nur bloß nicht ausstehen, wenn die Mannsleute immer etwas zwischen den Zähnen haben müssen und-"
Die Alte brach jählings ab u. lief nach dem Flur. Vom Garten her kam die Stimme des kleinen Ebrach. Vom Hofe herüber klangen die Schritte der Gäste. Als die ersten stiegen der General und der Prälat die wenigen Steinstufen herauf. In der Mitte führten sie die kleine Lore-Lies.
Fortsetzung folgt.